Morgen geht er endlich los: der Familienurlaub. Und diesmal für ganze drei Wochen. Ein Luxus, von dem wir uns maximale Erholung und Entspannung versprechen. Denn sonst ist es doch meistens so, dass die erste Urlaubswoche wie im Flug vergeht und dann überlegt man ab Montag, ob die Butter noch bis zum Ende reicht (meistens nicht), ob die Kinder sich daran stören, wenn sie am letzten Tag die Cornflakes ohne Milch essen müssen (meistens ja), und ob es sich lohnt, noch ein neues Glas Nutella zu kaufen (immer ja). Wenn man sich erstmal mit der Rationierung der Lebensmittel beschäftigen muss, ist der Urlaub gefühlt fast schon rum, und diese Erkenntnis ist für die Erholung ein schwerer Schlag.
Daher beschlossen wir nach unserem letzten Sommerurlaub, dass wir diese Jahr für drei Wochen wegfahren. Die ganze Familie war von dieser Idee begeistert. Alle außer dem Konto, das mahnend mit dem Kopf wackelte. Im engeren Sinne ist das Konto zwar kein Familienmitglied, aber bei familiären Entscheidungen von größerem finanziellen Ausmaß hat es ein Vetorecht. Das schränkte die Wahl unseres Urlaubsortes ein wenig ein. Weit entfernte Ziele, die zwar gutes Wetter garantieren, aber eine Anreise per Flugzeug sowie das Mieten eines Leihwagens erfordern, schieden aus.
Somit fiel unsere Wahl auf Föhr, da die Insel von Berlin aus gut mit dem Zug und der Fähre zu erreichen ist. Außerdem wird dort kein Auto benötigt, sondern wir könnten uns einfach Fahrräder leihen. Der Sohn war von unserer Entscheidung nur mäßig begeistert, hatte ihm doch eher ein dreiwöchiger All-Inclusive-Urlaub irgendwo am Mittelmeer vorgeschwebt. (Ein Gedanke, bei dem das Konto ein leichtes Stechen in der Herzgegend verspürte.)
Für uns ist es nicht der erste Urlaub auf Föhr. Das erste Mal war ich mit der Frau 1997 dort. ‘Die Frau’ war da noch ‘die Freundin’, wir studierten in Marburg und waren zu klamm für eine ausgedehnte Urlaubsreise (Stichwort: Vetorecht des Kontos). Deswegen besuchten wir ihre Eltern für ein paar Tage auf Föhr, wo diese seit vielen Jahren ihren Sommerurlaub verbrachten. Zu der Zeit waren die Frau und ich erst ungefähr ein halbes Jahr zusammen und da ist es natürlich nicht gerade ein Traum, mit den quasi-Schwiegereltern in den ersten gemeinsamen Urlaub zu fahren. Dass diese möglicherweise auch wenig Lust hatten, ihren Urlaub mit einem zotteligen Studenten, der ihrer Tochter nachstellt, zu verbringen, kam mir damals nicht in den Sinn. Aber wir hatten alle eine gute Zeit und wir waren seit dem noch häufiger auf Föhr. (Allerdings nicht immer mit den Schwiegereltern.)
Drei Wochen am Stück waren wir aber noch nie dort. Dazu gab uns das Konto auch erst die Erlaubnis, nachdem die Frau ein kleines Ferienappartement fand, das relativ günstig war. Besonders für eine Nordseeinsel, wo die Miete für Ferienwohnungen für gewöhnlich nicht in Euro, sondern in Schubkarrenladungen Gold berechnet wird. 50 Quadratmeter seien für vier Personen zwar nicht wahnsinnig viel, aber dafür sei es schön kuschelig, versuchten wir Tochter und Sohn die Wohnung schmackhaft zu machen. Kindern im Teenager-Alter ist aber nicht nach kuscheln – zumindest nicht mit den Eltern – und sie waren eher skeptisch. Vor allem nachdem wir ihnen erklärten, dass sie sich ein Ehebett teilen würden. Sie zogen Gesichter, als hätten wir Ihnen gerade erklärt, sie müssten auf dem blanken Boden schlafen und bekämen nur ein wenig Stroh zum Zudecken.
Als sie erfuhren, dass die Wohnung über WLAN verfügt, verbesserte sich ihre Laune ein wenig. Allerdings nur so lange, bis wir verkündeten, dass wir die erste Woche ohne sie führen, da sie dann noch im Judo-Trainingslager seien. So finster wie die Kinder schauten, bin ich mir sicher, dass dieser Moment einmal der Grund dafür sein wird, wenn die Kinder uns später in ein drittklassiges Siechenheim abschieben werden.
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Am Morgen vor dem Urlaub untersuchen die Kinder und ich den Kühlschrank auf verderbliche Lebensmittel. Wir wollen ja nicht nach drei Wochen zurückkommen, und in der Zwischenzeit hat sich im Kühlschrank eine neue Lebensform gebildet, die sich weigert, unsere Wohnung zu verlassen. Wir entdecken sechs Eier und einen Liter Milch, die verarbeitet werden müssen.
Das schreit danach, dass wir Pancakes machen. Gut, wir könnten auch Frühstückseier kochen und dazu Milch trinken, das wäre aber nicht so lecker. Außerdem lernen die Kinder so eine wichtige Lektion: “Wenn dir das Leben Eier und Milch gibt, schau‘ nach, ob du noch Mehl, Zucker und Backpulver hast, und mach‘ Pancakes daraus.”
Aus sechs Eiern und einem Liter Milch kann man übrigens sehr viele Pfannkuchen backen. Die Höhe unseres ‘Mount Pancakes’ wird nur von dem Berg an schmutzigen Schüsseln, Tassen, Kellen und Pfannen übertroffen, der im Zuge der Pancake-Produktion entsteht. Aber das ist egal. Ein Tag, an dem du Pancakes frühstückst, ist ein guter Tag. Selbst, wenn du danach eine Stunde brauchst, um die Küche aufzuräumen.
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Gestärkt von den Pancakes und mit leichtem Völlegefühl gehe ich nach dem Frühstück zu meinem arabischen Friseur. Von diesem lasse ich mir schon seit Jahren die Haare schneiden, denn er verfügt über die drei großen ‘Sch’, die ich an einem Friseur schätze: Schneidekompetenz, Schnelligkeit und – vor allem – Schweigsamkeit. Da ich an Small Talk so viel Freude empfinde wie an einem eitrigen Furunkel am Hintern, ist es mir ein Graus, wenn ich in einem Friseurstuhl einem redewilligen Barbier ausgeliefert bin und mich über royale Hochzeiten, die Affären von Schlager-Sternchen und das Wetter unterhalten soll. Nicht so bei meinem arabischen Friseur. Der fragt nur „Wie immer?“, ich nicke und nach einer Viertelstunde bin ich fertig, ohne dass wir ein weiteres Wort gewechselt haben.
In einem Anfall von urlaubsbedingter Euphorie oder weil mein Körper voll und ganz mit der Verdauung des Zentners Pancakes beschäftigt ist, was anscheinend zu einer Fehlfunktion meines Sprachzentrums führt, weiche ich heute von unserem üblichen Dialog ab. Auf seine Frage „Wie immer?“ nicke ich nicht, sondern aus meinem Mund kommen die Worte: „Überraschen Sie mich einfach.“ Das überrascht erstmal den arabischen Friseur. (Und mich auch.)
Er überlegt kurz, dann erklärt er mir, was er vorhat. Irgendwas mit hinten kurz, Übergang und Anschnitt. Oder so ähnlich. Ich verstehe nicht wirklich, was er mir da erzählt, möchte aber nicht nachfragen. Zum einen, weil ich danach wahrscheinlich auch nicht schlauer wäre, zum anderen möchte ich ihm nicht das Gefühl geben, sein Deutsch sei schlecht. Stattdessen sage ich: „Hört sich gut an. Legen Sie los.“ Vor meinem nächsten Friseur-Besuch sollte ich auf jeden Fall weniger Pancakes essen.
Knapp zwanzig Minuten später verlasse ich den Laden mit einer Frisur, wie sie bei den Spielern der iranischen Nationalmannschaft bei der Fußball-WM sehr populär war. Mit sehr kurzen Haaren an der Seite und hinten, oben etwas länger und dazu eine akkurat rasierte Scheitellinie. Oder wie der Sohn sagt: „Alter!“
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Den Nachmittag verbringen wir mit Kofferpacken. Normalerweise eine recht heikle Angelegenheit, bei der die Spannung meistens mit Händen zu greifen ist und wir häufig nur ein Wort von der Paartherapie entfernt sind. Aber heute verläuft alles in größtmöglicher Harmonie und Friedfertigkeit. Vielleicht so eine Art Altersmilde. Oder die immer noch sedierende Wirkung der Pancake-Verdauung.
In den hintersten Ecken des Kleiderschrankes suche ich nach meinen Strandklamotten. Im Alltag trage ich eigentlich nie kurze Hosen. Da halte ich es mit Stefan Schwarz, der in seiner letzten Kolumne für ‘Das Magazin’ geschrieben hat: “Kurze Hosen sind der natürliche Feind von Selbstwertgefühl und Menschenwürde.” Dem ist nichts hinzuzufügen. Sportliche Betätigungen ausgenommen, sollte man einfach keine kurzen Hosen tragen. Nie! Lediglich im Urlaub sehe ich das nicht ganz so dogmatisch. In erster Linie, weil man schnell als „der Merkwürdige“ gilt, wenn man in langen Jeans am Strand liegt.
Nach einigem Suchen finde ich im Schrank meine Strand-Shirts. Sie sind eigentlich weiß, am Kragen und an den Ärmeln aber von Sonnenmilch leicht vergilbt, und jedes Jahr nehme ich mir vor, sie am Ende des Urlaubs zu entsorgen. Naja, für diesmal reichen sie auf jeden Fall noch. Außerdem entdecke ich einige kurze Hosen, die ich mir vor vielen Jahren gekauft habe und die für mich in die Kategorie „zeitlose Mode“ fallen. Laut der Frau, weil sie noch nie modisch waren und es auch nie sein werden.
Schnell probiere ich die Sachen an und es passt alles noch super. Begeistert berichte ich der Frau, dass ich nichts Neues bräuchte, was die Urlaubskasse ein wenig entlasten würde. Die Frau ist nicht ganz so enthusiastisch und schaut, als hätte sie nichts dagegen, einen Kleinkredit aufzunehmen, damit ich mir endlich neue Hosen und T-Shirts für den Strand kaufe.
Nach rund zwei Stunden sind wir fertig mit Packen und unser kompletter Haushalt ist in den Taschen für das Judo-Camp sowie in den Koffern und Rucksäcken für Föhr verstaut. Somit müssen wir morgen, wenn wir wegfahren, die Tür nicht abschließen. Zu klauen gibt es ohnehin nichts mehr.
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Abends gehen wir um die Ecke ins ‘Lichtblick’, eine dieser Lokalitäten, bei denen ich mir nie ganz sicher bin, ist es eine Kneipe, ein Lokal oder eine Bar. Mit Burgern, Pommes, Käse-Nachos und Mozarella-Sticks stimmen wir uns auf den Urlaub ein. Das Konto runzelt darüber zwar missbilligend die Stirn, aber die Kinder lernen so heute eine weitere wichtige Lektion: „Wenn dir das Leben einen leeren Kühlschrank gibt, geh‘ auswärts essen.“
Gute Nacht!
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Warum nicht Pfannkuchen? 😉
Wir werden sicher lesen, wie sie auf Föhr genannt werden, oder?
In Dithmarschen, wo ich aufgewachsen bin, hießen sie immer nur Pfannkuchen 😊
Oder Eierkuchen.
Über das Lichtblick müssen wir sprechen! Schönen Urlaub Euch, viele Grüsse, Falk
Beim Dicken Engel war alles voll ;)
Jipiii….meine Sommerlieblingslektüre. Endlich! Und sogar 3 Wochen. Hammer!! Wir waren letztes Jahr 3 Wochen auf dem Darß….rockt! Einen schönen Urlaub euch. LG Carola
Vielen Dank. Wir freuen uns schon sehr.
Hach ja…ick freu mir. Auf die Betriebsferien, Herr ehemals zotteliger Student! 🤗
Vielen Dank!
Ich wünsche einen wunderschönen, maximal entspannenden Urlaub und freue mich darüber lesen zu dürfen. Ich bin gespannt wie die Pubertiere es so finden werden. Sonnige Grüße …
Herzlichen Dank. Wir sind auch gespannt.
Ebenfalls vom Essen sediert, sah ich gestern im französischen Fernsehen eine Familie mit sechs(!) Kindern die in einem(!) Van urlaubten. Inclusive Essen zubereiten und Schlafen (dort teilten sich vier Kinder dann die Größe eines sehr sehr kleinen Doppelbettes).
Somit liebste Grüße an die Betriebskinder und einen sonnigen Urlaub.
Wie schön. Endlich Urlaub bei Ihnen. Und wir dürfen mitlesen. Ich freue mich.
Vielen Dank. Wir freuen uns auch. Oh!