Dass ich dieses Jahr so gut wie gar nichts gebloggt habe, ist ja kein Zustand. Kein Urlaubsblog, kein Gespräch mit dem Tod, kein Garnichts. Daher kurz vor Schluss ein retrospektiver Krankenhaus-Blog. Quasi wie Urlaub, nur ohne Urlaub.
Tag 1: Ein kaputtes Herz muss man reparieren
Dienstag, 5.30 Uhr. Der Handywecker reißt mich aus dem Schlaf. Heute wird es ernst. Die Herz-OP meiner Frau. Ihr persönlicher O-Day. Unbekümmertheit vortäuschend, stehe ich mit Schwung auf und trete gegen die Wand. Ich muss mich noch an die Größe – beziehungsweise Kleine – des Hotelzimmers gewöhnen.
Die Dusche, die sich über dem Bett befindet, erweist sich als erstaunlich geräumig. Zumindest für ein Zwergkaninchen. Wenigstens hat sie eine Glastür und keinen verkeimten Duschvorhang, der schon bei der kleinsten Berührung Spontanherpes am ganzen Körper auslöst.
Im Eingangsbereich des Hotels genehmige ich mir einen Kaffee aus einer riesigen Pumpkanne. Den gibt es gratis. Zugegebenermaßen kein Weltklasse-Kaffee, aber bei einem geschenkten Gaul erwartest du ja auch nicht, einen edlen Vollblutaraber zu bekommen.
Vom Hotel zum Krankenhaus sind es knapp drei Kilometer. Laut Handy ein 30-minütiger Fußmarsch. Es fährt auch ein Bus, aber bei meinem schlechten Orientierungssinn, würde es wahrscheinlich schon 30 Minuten dauern, bis ich die Haltestelle überhaupt gefunden habe.
Also laufe ich zur Uniklinik und versuche, nicht an die OP zu denken. Verdrängung ist ja immer eine gute Strategie, um mit unangenehmen Dingen umzugehen. Diese Devise befolgend, habe ich beispielsweise seit über einem Jahr nicht mehr unseren Keller betreten, der dringend entrümpelt werden müsste.
Nach knapp 500 Metern komme ich an einem Friedhof vorbei. Anscheinend soll meine Verdrängungsstrategie auf die Probe gestellt werden. Ich schiebe trotzdem jegliche schlechten Gedanken beiseite. Den Rest des Weges zähle ich meine Schritte, um an nichts zu denken. Weiter als 50 komme ich aber nie, weil ich dann doch mit dem Denken anfange. Eine OP ist halt etwas anderes als ein unaufgeräumter Keller. An den habe ich das ganze letzte Jahr nicht gedacht.
Inzwischen ist es kurz nach halb Sieben. Ich betrete das Zimmer meiner Frau. Sie ist wach und trägt eines der wenig kleidsamen aber für Krankenhauszwecke überaus praktischen Flügelhemden. Sie macht einen gefassten Eindruck. Vielleicht wirkt das aber auch nur so in der schummrigen Nachtbeleuchtung des Zimmers.
Ich frage, ob sie ihr Herzmedikament genommen hat. Zuhause vergisst sie das nämlich ab und an. Sie vereint. Ihr Herz werde gleich ohnehin abgeknipst, da sei das auch egal. Eine bemerkenswert nüchterne Sicht.
Eine Schwester bringt ein Beruhigungsmittel. Für meine Frau, nicht für mich. Kein Johanniskraut-Gedöns, sondern Rohypnol. Wenn du am Herzen operiert wirst, bekommst du gleich das richtig gute Zeug.
Kurze Zeit später holt ein Mitarbeiter des Transportdiensts meine Frau ab. Ich kann sie bis zum OP-Saal begleiten und laufe neben ihrem Bett wie Clint Eastwood neben der Präsidenten-Limousine in „In the line of fire“. Es geht dunkle Gänge entlang, wir biegen mehrmals links und rechts ab, fahren mit dem Aufzug einige Etagen runter, laufen durch weitere Gänge, machen Links- und Rechtskurven, durchqueren Flügeltüren und nehmen Abzweigungen. Ich habe vollkommen die Orientierung verloren und keine Ahnung, wo wir uns gerade befinden.
Als wir am OP-Bereich angekommen sind, erklärt der Transport-Mitarbeiter, wir müssten uns nun verabschieden. Ich küsse meine Frau auf die Stirn, drücke ihre Hand und wünsche ihr alles Gute. Sie wirkt immer noch sehr gelassen. Fast schon abgeklärt. Vielleicht hat das Rohypnol einfach schon reingekickt. Ich hätte auch um eine Portion bitten sollen.
Bevor wir weitere Worte wechseln können, schiebt der Krankenhaus-Mitarbeiter das Bett mitsamt meiner Frau in den OP-Bereich. Gedankenverloren winke ich ihr hinterher, obwohl sie mich gar nicht sehen kann. Auch als sich die automatische Flügeltüre schließt und ich den Mitarbeiter und das Bett hinter der Milchglasscheibe nur noch schemenhaft erkennen kann, wedle ich weiter mit meinem Arm wie eine Winkekatze im Schaufenster eines chinesischen Restaurants. Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll. Die nächsten neun bis zehn Stunden gibt es für mich nichts zu tun. Außer zu warten. Und den Weg zurück aus dem Keller ans Tageslicht zu finden. Hoffentlich schaffe ich das, bis meine Frau aus der Narkose erwacht.
Alle Folgen des Krankenhaus-Blogs:
- Tag 1: Ein kaputtes Herz muss man reparieren
- Tag 2: Don’t go breaking her heart
- Tag 3: Her heart will go on
- Tag 4: Every beat of her heart
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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Alles gute an deine Frau. Bei dem erstickungsanfall musste ich mich an meine Situation damals erinnern, hab das leider noch zu gut in Erinnerung. Das war allerdings auch an dem Tag, als ich komplett zu Bewusstsein kam und selbst atmen wollte.
Alles wird gut 😊
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Auch wenn ich viele Jahre auf kardiochirugischen Intensivstationen gearbeitet habe, denke ich, dass das bei der eigenen Frau auch für mich hart wäre.
Wünsche der Frau eine gute und schnelle Genesung!
Und der Waage schon mal mein Beileid.
🧡❤️💛💜💚💙
Ich bin froh das deine frau die op gut überstanden hat.
Alles Gute!
Alles Gute! (Und wer sich in der Klinik zurechtfindet, schafft es danach überall anders ebenso. Hat auch nur ein Semester gedauert, bis ich das System drauf hatte.)
Ich schicke Euch eine herzliche Umarmung und alle guten Wünsche und gedrückte Daumen ((( 🍀 )))
Die allerherzlichsten Geneseungswünsche!!! <3
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<3
Gute Genesung und vielen Dank für diesen lustigen, gut geschriebenen Bericht
❤ Gute Besserung für die Frau.
Und ein wunderschöner Blog!
Viele Grüße von einer die auch im KH arbeitet und die Abrechnung vom Kiosk bucht. Ich sehe das jetzt mit anderen Augen!
Ich bin so froh, dass ihr da gut durchgekommen seid. <345
K1 wurde neunmal operiert und war drei Wochen an der ECMO. So viele Monitore, abgepackte Käsekuchen und düstere Gedanken. Gut, dass das hier nur eine Retrospektive ist und wir nicht wirklich bangen müssen.
Alles Gute!
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Ich schicke dir Kraft und virtuellen Käsekuchen. Deiner Frau weiter alles Gute, dass ihr schnell wieder gemeinsam Käsekuchen futtern könnt.
Ach eine unbeholfene Umarmung. So eine ich weiß nicht oben das angemessen ist aber muss halt sein mäßige. Die kann ich mir nicht verkneifen.
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Gute Genesung für die Frau. Und die Betriebsfamilien-Nerven. <3
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Schön das alles gut gelaufen ist :)
ich hatte selbst vor 1 1/2 Jahren eine große Herz OP, und es war in keiner Sekunde traumatisierend. Ihr werdet sehen: Ab jetzt geht es schnell aufwärts: nach ein paar Tagen tappt man schon wieder im KH herum, ich wurde eine Woche nach der OP entlassen