Eine kleine Wochenschau | KW02-2022

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


10. Januar 2022, Stockholm/Kopenhagen/Hamburg/Berlin

Es ist kurz nach sieben, ich mache mich auf den Weg zum Bahnhof. Unterwegs hole ich mir einen Cappuccino, in der Bahnhofshalle einen weiteren. Ich habe noch fast eine Stunde Zeit und gehe noch ein wenig spazieren. Das gibt mir die Gelegenheit, in einem Coffeeshop Halt zu machen, um mir den nächsten Cappuccino zu genehmigen.

Die Menge an Koffein sollte nun ausreichen, um mich durch den Tag zu bringen. Auf der Hinreise hatte ich morgens nur einen kleinen Kaffee getrunken und dann im Laufe des Tages ziemlich starke Kopfschmerzen entwickelt. Das möchte ich heute unbedingt vermeiden. Nicht zuletzt, weil du zurzeit nicht weißt, ob das Kopfweh vom Koffein-Entzug kommt oder ein Symptom für eine Omnikron-Infektion ist.

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Der Zug nach Kopenhagen ist zum Glück nicht besonders voll. Allerdings sitzt neben meinem reservierten Platz bereits eine junge Frau. Nun könnte ich auf einen der vielen freien Doppelsitze ausweichen, weiß aber nicht, ob diese nicht für später reserviert sind, so dass im Laufe der Reise jemand kommen könnte und mich vertreibt. Das wäre mir sehr unangenehm, weil ich dann vielleicht für eine unverschämte Person gehalten werde, die anderen Menschen die reservierten Plätze wegnehmen will. (Gerade als deutscher Staatsbürger möchtest du im Ausland ja kein schlechtes Bild abgeben.)

Um die soziale Scham zu vermeiden, nehme ich also meinen Sitz neben der jungen Frau ein. Angesichts des halbleeren Waggons denkt sie wahrscheinlich: „Meine Güte, muss sich dieser Penner unbedingt direkt neben mich setzen?“ Vermutlich würde sie das gleiche denken, wenn das Abteil total überfüllt und nur noch der Platz neben ihr frei wäre.

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In Kopenhagen habe ich zwei Stunden Aufenthalt. Diesmal regnet es nicht und ich gehe los, um die Gegend rund um den Bahnhof zu erkunden. So ein Sightwalking ist aber nur bedingt erbaulich, wenn du wie ein Touri-Trottel mit ratterndem Trolley durch die Straßen läufst.

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Nach Hamburg sitze ich wieder in einem Zug der Dänischen Staatsbahn und genieße die bequemen Sessel. Auf dem 4er-Platz vor mir erklärt ein circa 30-jähriger Deutscher, der schon lange in Dänemark lebt, einer anderen Reisenden, dass dort die Corona-Regeln eigentlich ganz einfach seien: „Trag deine Maske und benimm dich wie ein Mensch. Dann ist alles gut.“

Ein schönes Motto: „Trag deine Maske und benimm dich wie ein Mensch.“ Vielleicht lasse ich mir das als Plakat drucken und gehe damit auf die nächste Querdenker-Demo.

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Die anderen Reisenden mühen sich mit der Einreiseanmeldung ab, die du für die Einreise nach Deutschland benötigst. Weil ich bei der Grenzkontrolle unter keinen Umständen negativ auffallen wollte (Stichwort soziale Scham), hatte ich das Formular bereits gestern Abend ausgefüllt.

Nach einem weiteren Umstieg und insgesamt 14 Stunden Reisezeit erreiche ich schließlich Berlin. Selbstverständlich hat sich beim Grenzübertritt nach Deutschland niemand für meine streberhaft frühzeitig ausgefüllte Einreiseanmeldung interessiert.

11. Januar 2022, Berlin

Starte den Tag mit einem Corona-Test. Ich gehe aber nicht ins Testzentrum, sondern teste mich selbst. In einer Mischung aus Kontrollzwang und Selbstüberschätzung bin ich der Meinung, dass ich selbst gründlicher teste als die zurückhaltenden jungen Menschen im Testzentrum, die dir meistens nur vorsichtig das Nasenloch streicheln. Zumindest stecke ich das Teststäbchen wesentlich tiefer in die Nase. So tief, bis es Angst hat, sich in den Nebenhöhlen zu verirren, und bis die Tränenkanäle die Schleusen öffnen und sagen: „Alter, jetzt reicht’s aber mal!“ Darauf ein dreifaches Niesen.

Der Test liefert das erhoffte Resultat: Negativ. Ob das an meiner Test-Technik oder an der Unzuverlässigkeit des Tests liegt, weiß ich allerdings nicht.

12. Januar 2022, Berlin

Ich bin immer noch dabei, mich nach den sechs Tagen in der Stockholm-Blase wieder im echten Leben zurechtzufinden. Das heißt, ich muss mir morgens selbst Kaffee kochen und kann mir nicht im nächsten Coffeeshop Cappuccino und – besonders wichtig – Zimtschnecken holen. Danach kann ich mich auch nicht vom Müßiggang treiben lassen, sondern muss mich um triviale Dinge kümmern, die im Alltag nerven. Zum Beispiel Online-Banking, Korrespondenz erledigen und Einkaufen.

Damit ein bisschen Schwedenpreise-Feeling aufkommt, kaufe ich Fleisch beim Bio-Metzger. Als ich an der Kasse bezahle, steigen mir die Tränen in die Augen und mir wird ganz warm ums Herz.

13. Januar 2022, Berlin

Selbst den Schweden ist eine Inzidenz von über 1.300 anscheinend zu hoch, um täglich zehntausende Student:innen maskenlos mit Bus und Bahn durch Stockholm fahren zu lassen. Deswegen finden bis März alle Uni-Kurse der Tochter ausschließlich virtuell statt. Gut, besteht ihre erste Auslands­erfahrung also darin, in ihrem Zimmer in Farsta zu sitzen und sich Vorlesungen und Seminare am Laptop anzuschauen.

14. Januar 2022, Berlin

Heute ist Tag der Logik. Wenn ich mir die Berichte über die täglichen Demos von Nazis, Querschwurblern und esoterischen Corona-Leugnern anschaue, habe ich das Gefühl, dass dieser Tag nie nötiger war als zurzeit.

15. Januar 2022, Berlin

Heute ist Putztag. Mit dem Auszug der Tochter sind allerdings die familiären Putzzuständigkeiten aus dem Gleichgewicht geraten, denn sie war für das Bad verantwortlich. Der Sohn winkt ab, als wir andeuten, er könne das doch jetzt übernehmen. Er müsse schon den Müll runterbringen und es gäbe wohl keine schlimmere Aufgabe, als mehrmals pro Woche den Biomüll in die braune Tonne zu entleeren. In der stinke es ekelhaft und außerdem wimmele es dort nur so von Maden.

Da der Sohn damit – zumindest in seinen Augen – von jeglichen Haushaltstätigkeiten befreit ist, müssen meine Frau und ich unsere streng funktionale Hausarbeitsaufteilung neu justieren. Das gelingt uns aber recht gut. Zumindest heute. Da putzt nämlich meine Frau das Bad.

16. Januar 2022, Berlin

Heute ist der Tag gekommen, an dem auch wir Weihnachten in Kisten verpacken und auf unserem Kleiderschrank im Schlafzimmer deponieren. Viele Menschen ent­sorgen ihren Weihnachtsbaum gefühlt schon an Heiligabend, während noch die letzten Geschenke ausgepackt werden, aber wir lassen unseren Baum immer so lange wie möglich stehen, um uns an dem warmen Licht der Kerzen und dem schönen Weihnachtsschmuck zu erfreuen. (Außerdem sind Weihnachtsbäume in Berlin ziemlich teuer und je länger wir ihn stehen lassen, umso geringer wird der Weihnachtsbaum-Tagespreis.)

Inzwischen ist unser Weihnachtsbaum aber nicht mehr ganz frisch, sondern trocken, nadelt, wenn du ihn von der Seite anschaust und lässt die Zweige so tief hängen, dass schon der erste Schmuck zu Boden gerutscht ist. So traurig, wie der Baum dasteht, ist er nicht länger ein Symbol für eskapistische Behaglichkeit, sondern ein Mahnmal der eigenen Vergänglichkeit. Ein weiteres Weihnachtsfest meines Lebens ist vorbei und wer weiß, wie viele noch dazu kommen.

Jetzt ist aber nicht nur die Weihnachtszeit für uns endgültig vorbei, sondern uns stehen auch noch zwei bis drei Monate Winter in Berlin bevor, der mir hier immer nasser, düsterer und deprimierender als anderswo vorkommt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass du im Januar und Februar wochenlang keine Sonne zu Gesicht bekommst, weil diese von einer dicken, grauen Wolkendecke verdeckt wird.

Um nicht zu trübselig zu werden, essen wir beim Abschmücken des Baumes die letzten Weihnachtsplätzchen.


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