Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
15. März 2021, Berlin
„Das mit den kurzen Haaren und dem kurzen Bart sah richtig gut aus.“ Meine Frau betrachtet ein ungefähr fünfzehn Jahre altes Foto von mir und ich möchte nicht ausschließen, dass sie es extra rausgesucht hat, um mir subtil verstehen zu geben, ich solle endlich zum Friseur gehen, weil meine Corona-Haare allmählich als Erregung öffentlichen Ärgernisses gelten.
Ganz unrecht hat sie damit nicht. Meine Haare sind inzwischen so lang, dass sich hinten ein ganz leichter Spoiler gebildet hat. Eine Frisur, die aus unerklärlichen Gründen in den 80ern in war – insbesondere bei Fußballern –, aber inzwischen sozial wenig akzeptiert ist. (Außer wahrscheinlich bei Hipstern in Berlin-Mitte, aber dort bin ich fast nie!)
Zum Friseur gehen, ist aber schwieriger, als es sich anhört. Aufgrund der geltenden Corona-Vorgaben müsste ich telefonisch einen Termin ausmachen und ich hasse Telefonieren. Außerdem kann ich bei meinem Friseur nicht mit EC-Karte bezahlen. Da wir nie Bargeld im Haus haben, müsste ich also extra zum nächsten Bankautomaten gehen oder beim nächsten Einkauf daran denken, Geld abzuheben. Beides ist sehr, sehr unwahrscheinlich.
Das sind definitiv zu viele Hürden und es ist mir schlicht nicht möglich, in absehbarer Zeit zum Friseur zu gehen. Aber so schlimm sehe ich mit langen Haaren auch gar nicht aus. (Zumindest für mich, da ich mich ja nicht anschauen muss.) Da ist es okay, den Friseur-Besuch noch ein wenig aufzuschieben. Freuen Sie sich dann im Dezember auf mein traditionelles Weihnachtsbaum-Bild, auf dem ich einen schicken Pferdeschwanz tragen werde. (Wenn meine Frau das liest, wird sie wahrscheinlich unverzüglich beim Friseur anrufen und tonnenweise Bargeld abheben.)
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Es gibt vermehrt Berichte, dass im Zusammenhang mit dem AstraZeneca-Impfstoff irgendwelche Hirnthrombosen auftreten. Jens Spahn verkündet daher abends, dass der AstraZeneca-Impfstoff vorerst nicht weiter verwendet wird. Ein Plot-Twist, auf den ich gerne verzichtet hätte.
16. März 2021, Berlin
Radio Eins berichtet darüber, dass heute vor einem Jahr in Deutschland der erste Shutdown begann. Ich fühle nichts.
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Während ich bei Rewe meine Einkäufe auf das Kassenband lege, tauscht sich die Kassiererin mit der Kundin vor mir über Fußpflege, vereiterte Zehennägel und Hornhauthobel aus. Eine Unterhaltung, bei der ich gerne nicht mitgehört hätte. Oder schon beim Betreten des Supermarktes. Dann hätte ich die Hälfte der Lebensmittel nicht gekauft – Stichwort Schimmelkäse – und eine Menge Geld gespart.
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Der Berliner Senat verkündet wegen der steigenden Corona-Zahlen die für nächste Woche geplanten Lockerungen nicht umzusetzen. Das heißt, die Siebt- bis Neuntklässler bleiben mindestens bis nach den Osterferien im Home Schooling. Die Trauer des Sohns hält sich in Grenzen. Ich überlege dagegen, eine medizinische Unterlage für seinen Gamer-Stuhl zu besorgen, damit er sich nicht wund sitzt.
17. März 2021, Berlin
Ich begleite den Sohn nachmittags zur Kieferorthopädin. Kurz bevor wir losgehen, fällt mir auf, dass es eher unpassend ist, dort in Jogginghosen aufzutauchen. Also wechsle ich in eine angemessenere Beinbekleidung. Ungefähr das erste Mal seit einem Jahr. (So fühlt sich also Jeansstoff auf der Haut an. Interessant.)
Bei der Kieferorthopädin holen wir uns eine Zweitmeinung ein, ob die Krankenkasse tatsächlich eine Zahnspange für den Sohn nicht bezahlen würde, wie es uns ein anderer Kieferorthopäde vor ein paar Wochen erklärt hatte. Sie bestätigt das, weil es eine rein kosmetische Behandlung wäre, und findet auch, dass das nicht notwendig sei.
„Das Geld können Sie sich ruhig sparen”, sagt sie zu mir. Gute Frau!
„Davon kann der Papa dir ein Auto kaufen”, sagt sie zum Sohn. Vielleicht doch nur eine semi-gute Frau.
18. März 2021, Berlin
Morgens kommt ein Heizungsinstallateur vorbei. Nachdem im Januar die Heizungsanlage fürs ganze Haus kaputt war und wir tagelang frieren mussten, ist nun das Gegenteil der Fall. Bei der Tochter lässt sich einer der Heizkörper nicht runterdrehen und läuft ununterbrochen auf voller Pulle. In dem Zimmer herrschen mittlerweile klimatische Bedingungen, dass sich jede Stippvisite dort wie ein Kurztrip ins Tropical Island anfühlt.
Der Installateur muss dann gleich nochmal los, um ein Ersatzteil zu besorgen. Er hatte nicht mit so einem alten Heizkörpermodell gerechnet. Ich bin froh, dass es tatsächlich etwas zu reparieren gibt und nicht einfach nur irgendetwas mit einem Schraubenzieher um 90 Grad nach links gedreht werden muss, was jeder Mensch weiß, der handwerklich kein totaler Volltrottel ist. (Also ich)
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Nachmittags schaffe ich es doch, zum Friseur zu gehen. (Den Termin hatte ich vorgestern im Vorbeigehen direkt im Laden ausgemacht und beim Einkaufen tatsächlich daran gedacht, Bargeld abzuheben. Verrückt!) Ich erkläre meinem arabischen Friseur, dass ich die Haare an den Seiten und hinten kurz möchte und oben solle nur ganz wenig geschnitten werden. Eigentlich wie immer, aber da ich so lange nicht mehr da war, stelle ich das lieber nochmal klar.
„Wie viel soll obe weg? Zwei oder drei Zentimeter?“, fragt der Friseur nach.
„Maximal zwei Zentimeter“, erwidere ich.
„Ist gut. Wenn Haare länger, kannst du föhne, dass nach mehr aussieht.“
Schönen Dank auch!
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Auf dem Rückweg vom Friseur sehe ich auf der Straße eine plattgefahrene Ratte. Aber so richtig, richtig platt. Als sei ein LKW mehrmals vorwärts und rückwärts drübergefahren, um sicher zu gehen, dass sie auch wirklich platt ist.
Die plattgefahrene Ratte ist das perfekte Symbol für ein Jahr Corona-Pandemie.
19. März 2021, Berlin
Ich schaue nach dem Aufstehen aus dem Fenster. Auf den Autodächern liegt Schnee. Am 19. März. Warum?
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Im Bad blicke ich in den Spiegel und erschrecke kurz, weil mich nicht mehr ein räudiger Yeti mit Bad-Hair-Day anschaut, sondern ein mittelalter Mann mit schnittiger Kurzhaarfrisur. Wir grüßen uns und gehen unserer Wege.
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Die Namensgeberei an der Käsetheke im Bioladen geht weiter. Neben dem wilden Bernd – die Stammleser:innen erinnern sich – liegt jetzt die leichte Hilde. Ich bin mir nicht sicher, ob sich das ‚leicht‘ auf einen niedrigen Fettgehalt bezieht, oder ob es ein sexistischer Spitzname ist, weil sich Hilde gerne freizügig kleidet und sexuell sehr aktiv ist. Das könnte eine interessante Kombination mit dem wilden Bernd ergeben und vielleicht gibt es demnächst Nachwuchs in der Bio-Käsetheke. (Es wird Zeit, dass ich wieder mehr unter Leute komme.)
20. März 2021, Berlin
Neues aus dem Spam-Ordner: In einer Mail heißt es mystisch: „Sie haben Immobilien bei uns. Antworten Sie auf Akzeptanz.“
Interessanter erscheint mir eine Nachricht des ukrainischen Milliardärs Rinat Achmetov. Im Rahmen eines Wohltätigkeitsprojekts will er mir „einen vierten Teil“ seines Nettovermögens geben. 500.000 Euro. Ich möchte auf keinen Fall undankbar erscheinen, aber Forbes gibt das Vermögen des Mannes mit mehr als fünf Milliarden Euro an. 500.000 Euro sind definitiv nicht ein Viertel von fünf Milliarden.
Vielleicht antworte ich doch lieber auf Akzeptanz, um mehr über meine Immobilien zu erfahren.
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Seit ein paar Tagen schaue ich auf Netflix eine Show über Häuser mit außergewöhnlichen Inneneinrichtungen. Von außen sehen die Häuser vollkommen normal aus und drinnen gibt es dann mittelalterliche Esszimmer, Science-Fiction-Museen, verschiebbare Wände, Halfpipes, Wasserfälle in Schlafzimmern und vieles mehr.
Ich finde es bewundernswert, mit wie viel Energie, Leidenschaft, Herzblut, Kreativität, Enthusiasmus und Engagement diese Menschen ihre Häuser gestalten und – zumindest in ihren Augen – verschönern. Und bei uns gibt es im Schlafzimmer seit zehn Jahren eine lockere Steckdose, die mal festgeschraubt werden müsste.
21. März 2021, Berlin
In einer der Kellerkiste, die ich vor drei Wochen hochgeholt habe, finde ich ein altes Deutschheft der Tochter aus der 3. Klasse. Darin gibt es einen Aufsatz über eine Prinzessin und einen Prinzen. Die sind beide schön und reiten gerne. Sie tun noch etwas anderes gerne, aber es ist nicht ganz klar, was das ist, denn in dem Satz fehlen ein paar Worte. Die Prinzessin und der Prinz bekommen Kinder – einen Jungen und ein Metchen (sic!) – und die sind auch hübsch. Die Kinder bekommen auch Kinder – hoffentlich nicht miteinander – und die sind ebenfalls hübsch. Dann wird noch ein bisschen geritten – auf Pferden, Herrgott nochmal! – und schließlich ist die Geschichte aus. Und wenn sie nicht gestorben sind, sind sie alle immer noch hübsch.
Der Spannungsbogen der Geschichte lässt ein wenig zu wünschen übrig und den Protagonist:innen fehlt es an Tiefe und Charakter. Außerdem führen die teilweise fragmentarischen Sätze und die immer wieder auftauchenden Gedankensprünge dazu, dass sich einem die Story nur bedingt erschließt. Ich bin mir daher nicht sicher, ob die Tochter sehr, sehr unbegabt oder ein literarisches Genie ist.
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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