Eine kleine Wochenschau | KW13-2023

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


27. März 2023, Berlin

Aufmerksame Leser*innen erinnern sich, dass meine Frau am letzten Wochenende ihren Geldbeutel im Zug liegen gelassen hatte. Deswegen ließ sie sofort unterwegs ihre EC-Karte sperren. Die Postbank war etwas übermotiviert und hat meine Karte gleich mitgesperrt. Obwohl diese nicht im Zug oder sonstwo zurückgelassen wurde, sondern ein ganz normales EC-Karten-Leben in meinem Geldbeutel fristete.

Nun verkompliziert es den kapitalistischen Alltag sehr, wenn du keinen Zugang zu Geld hast. Daher gehe ich zu unserer Postbank-Filiale, damit meine Karte wieder entsperrt wird. Ich stelle ich mich vorsorglich auf kafkaeske und schildbürgerstreichartige Geschehnisse ein. Wahrscheinlich muss ich tagelang anstehen, ein 38-seitiges Formular ausfüllen, meine Seepferdchen-Urkunde vorlegen und ein Fläschchen mit dem Blut eines jungfräulichen Kaninchens abgeben, mit dem die Postbank-Frau in den Postbank-Keller geht, wo ein altes Hutzelweibchen eine Beschwörungsformel auf Aramäisch singt, die die Sperre meiner EC-Karte aufhebt.

Es kommt dann doch anders. Als ich die Filiale betrete, ist die Warteschlange ist schon mal sehr kurz und ich komme schnell dran. Das ist gut. Die Frau hinter dem Schalter ist sehr freundlich, was in Berlin keine Selbstverständlichkeit ist. Darüber hinaus weiß sie, was sie zu tun hat. Das kann in Berlin ebenfalls nicht immer vorausgesetzt werden. Sie bearbeitet die Entsperrung zügig und es treten keine Probleme auf. Es kommt lediglich zu einer kleinen Verzögerung, als die Post-Mitarbeiterin feststellt, dass meine Frau und ich fast den gleichen Vornamen haben, und sie sich darüber sehr amüsiert.

Nach weniger als drei Minuten ist die Sperre aufgehoben und meine Karte funktioniert wieder einwandfrei. Das ist sehr erfreulich, bietet aber eigentlich keinen Stoff für einen alltagssatirischen Blog-Post. Ich habe das trotzdem festgehalten, denn die Wochenschau kann ja nicht nur aus Laufberichten und skurrilen Feiertagen bestehen.

28. März 2023, Berlin

Obwohl wir gestern Abend schon kurz vor 10 ins Bett gegangen sind, wache ich morgens vollkommen gerädert auf. Die Zeitumstellung vom Wochenende macht mir zu schaffen. Ich schaue aus dem Schlafzimmer-Fenster. Auf den Bäumen und den Autodächern liegt Schnee. Wie lange habe ich geschlafen?

###

Ich gehe vormittags zu Kaufland. Dort gibt es Schokoladenhasen im Angebot. Die will ich mir als alter Sparfuchs und Angesichts zweistelliger Inflationsraten im Lebensmittelbereich nicht entgehen lassen.

An der Kasse stehen drei Kund*innen vor mir. Ganz vorne ein älterer Mann. Er ist etwas zittrig und hat Schwierigkeiten, die Münzen aus seinem Geldbeutel zu bekommen. Schließlich gibt er auf und hält der Kassiererin das Portemonnaie hin, damit sie das Kleingeld selbst rausfischt.

Ein Hauch von Ungeduld breitet sich in mir aus. Eigentlich bescheuert. Ich habe keine Termine, keine Verabredungen und keinen Zeitdruck. (Sonst würde ich wohl kaum mitten am Tag in den Supermarkt gehen, um Schokohasen zu kaufen.) Ich versuche, mich zu entspannen, indem ich in der Auslage an der Kasse die Schokoriegel begutachte, die ich nicht kaufen werde.

Nun ist eine ältere Dame an der Reihe. Schätzungsweise Ende 70. Als es ans Bezahlen geht, zückt sie ihr Smartphone, öffnet eine App, die ich noch nie gesehen habe, und hält sie an den Scanner. Dann teilt sie der Kassiererin mit, sie benötige den Bon nicht, den bekäme sie per E-Mail, da bräuchte sie keinen Papierkram mehr.

Ich bin beeindruckt. Die Seniorin ist dreißig Jahre älter und mehr Digital Native und Avantgarde als ich. (Dass ich eine Bezahl-App als avantgardistisch betrachte, bestätigt meine Einschätzung.) Dabei hat der Spiegel gerade in seiner aktuellen Titelstory argumentiert, die Generation 60+ würde abserviert, weil sie unter anderem mit den technologischen Entwicklungen nicht mehr Schritt halten könne. Nun bewegt sich meine anekdotische Evidenz an der Supermarktkasse selbstverständlich knapp oberhalb der Irrelevanzschwelle, aber vielleicht sollten wir älteren Menschen einfach etwas mehr zutrauen.

Die Kundin vor mir teilt meine Begeisterung über die Technikaffinität der Seniorin nicht vollumfänglich. Im Gegenteil. Ich schätze sie als jünger als mich, was zugegebenermaßen eine etwas unpräzise Angabe ist, die ziemlich viel Spielraum nach unten zulässt. Die Benutzung der Bezahl-App scheint sie regelrecht zu triggern. In herrischem Ton teilt sie der älteren Dame mit, was sie davon hält. Nichts. „Wenn das jeder macht, gibt es bald kein Bargeld mehr.“ Der bargeldlose Bezahlvorgang ist für sie anscheinend gleichbedeutend mit dem Untergang der abendländischen Zivilisation.

Die Seniorin gibt zu bedenken, die App sei aber recht praktisch, dann sei der Geldbeutel nicht so schwer. Das lässt die andere Frau nicht gelten. So schwer sei Geld gar nicht. Die ältere Frau entgegnet, man dürfe sich neuer Technik nicht verschließen, sondern müsse sie nutzen. Die jüngere Frau schüttelt den Kopf. Man dürfe sich neuer Technik nicht nur verschließen, sondern müsse dies unbedingt tun. Übernähmen die Maschinen erstmal die Macht, gäben sie irgendwann kein Geld mehr heraus. Und die ganzen Daten die da gesammelt würden. Da wirst du irgendwann bestraft, weil du ein Stück Butter zu viel isst, erklärt sie. (Sie selbst hat Margarine auf dem Kassenband liegen. Ob aus Angst vor einer Bestrafung durch die Maschinen oder weil sie auf ihre Cholesterinwerte achten muss, bleibt unklar.)

Da der Seniorin ihre Lebenszeit, deren Ende möglicherweise nicht mehr allzu fern ist, zu schade ist, um sie mit Diskussionen, die zu nichts führen, zu vergeuden, verabschiedet sie sich und zieht von dannen.

Die andere Frau ist weiterhin aufgebracht. Während sie ihre Waren einräumt, erklärt sie der jungen Kassiererin mit sehr viel Liebe zum Detail, warum es schädlich sei, nicht mit Bargeld zu bezahlen. Die Kassiererin ist an den technik- und kulturpessimistischen Ausführungen nicht sonderlich interessiert und sagt getreu dem Motto „Don’t feed the trolls“ einfach nichts. Dabei schaut sie mit starrem Blick in die Ferne. Wie früher die Kinder, wenn wir sie aufgefordert haben, ihre Zimmer aufzuräumen.

Als ich an der Reihe bin, bedaure ich es sehr, dass ich keinen Chip in meinem Daumen implantiert habe, mit dem ich bezahlen kann, indem ich ihn an den Karten-Scanner halte.

29. März 2023, Berlin

Anfang des Jahres haben wir das alte Zimmer der Tochter in mein Arbeitszimmer umgewandelt. Vorher stand mein Schreibtisch im Schlafzimmer. Dort hatte ich einen Blick auf einen großen Baum, in dem ich immer mal wieder Vögel beobachten konnte. Oder ich konnte mir – wenn die Gedanken mal nicht so richtig flossen und ich etwas Ablenkung brauchte – das Treiben bei uns in der Straße anschauen. Natürlich nicht aus Neugierde, sondern um Up-to-date zu bleiben. Um zu wissen, was im Kiez, in der Nachbarschaft, in Berlin und im Leben allgemein passiert.

An meinem neuen Arbeitsplatz schaue ich in den Hinterhof. Da gibt es nicht besonders viel zu sehen. Dort stehen hauptsächlich die Mülltonnen. Deswegen passiert da nicht besonders viel. Außer dass jemand mal etwas in die Mülltonnen wirft. Manchmal schaut jemand aus dem Nachbarhaus aus dem Fenster. (Möglicherweise um zu beobachten, ob jemand etwas in den Müll wirft.) Ich tue dann immer so, als würde mir das nicht auffallen. Sonst müsste ich eventuell winken oder zumindest grüßend nicken – ich weiß nicht, was die sozialen Gepflogenheiten in einem solchen Fall vorschreiben – und das wäre irgendwie merkwürdig.

Heute Nachmittag gibt es doch mal etwas zu sehen. In den beiden Häusern, die an den Hinterhof grenzen, gehen die Badezimmer zu besagtem Hinterhof raus. Die Badezimmer sind sehr schmal und die Badewannen stehen quer vor den Fenstern. Damit die Nachbar*innen einem nicht beim Duschen zuschauen können, sind in den Fenstern Milchglasscheiben verbaut.

Wenn du unter der Dusche stehst, kannst du nicht sehen, was draußen passiert. Umgekehrt ist der Effekt nicht ganz so stark, wie ich feststelle. Im Nachbarhaus duscht jemand und das ist ziemlich gut zu erkennen. Eine vermutlich weibliche Person, steht mit dem Rücken zum Fenster und seift sich ein. Selbstverständlich schaue ich da nicht genauer hin. Das wäre noch merkwürdiger als einem Nachbarn über den Hinterhof hinweg zuzuwinken.

Dafür werde ich nun beim Duschen immer daran denken, dass ich währenddessen zwar nicht in den Hof schauen kann, es aber für alle Nachbar*innen möglich ist, mir dabei zuzuschauen, wie ich mir Haare, Arme, Beine und den Hintern wasche. Keine besonders schöne Vorstellung. (Vor allem nicht für die Nachbar*innen.)


Weiter zu Teil 2


Alle Beiträge der Wochenschau finden Sie hier.


Sie möchten informiert werden, damit Sie nie wieder, aber auch wirklich nie wieder einen Familienbetrieb-Beitrag verpassen?

    Reposts

  • ♻️ Brian Ernest (ADHS-Geschöpf)🎃

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert