Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
30. Mai 2022, Berlin
Heute ist Gieß-eine-Blume-Tag. Mir ist das egal. In unserer Ehe herrscht funktionale Hausarbeitsteilung und Blumengießen fällt in den Verantwortungsbereich meiner Frau. Unsere Blumen begrüßen das sehr. Ich habe einen so braunen Daumen, dass mir beim Betreten von Blumenläden die Pflanzen im Chor die Worte: „Wir die Todgeweihten grüßen dich, oh Christian!” entgegenrufen.
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Meine heutige Laufeinheit beginnt sehr unerfreulich. Ich kann meine Laufuhr nicht finden. Zuerst schaue ich in dem kleinen Kästchen auf der Küchenanrichte nach. Dort ist zwar nicht der naheliegendste Aufbewahrungsort für eine Laufuhr, aber da deponieren wir immer alle Sachen, bei denen wir nicht wissen, wo wir sie sonst gerade hinlegen sollen. Da ist die Uhr aber nicht.
In der Kiste im Schlafzimmerregal – unserem zweiten Aufbewahrungsort für Sachen, bei denen wir nicht wissen, wo wir sie sonst gerade hinlegen sollen, auch nicht. In der obersten Schreibtischschublade ebenfalls nicht, ebenso wenig in der zweiten, dritten, vierten und fünften Schublade.
Ich schaue noch einmal in der Küche nach, wo sich die Uhr entgegen meiner Hoffnung jedoch nicht in der Zwischenzeit materialisiert hat. Ich krieche sogar unter die Küchenanrichte – ein Ort, den ich sonst eher meide, weil du da beim Staubsaugen und Durchfeudeln so schlecht rankommst, weswegen es dort immer so aussieht, als sollte da mal jemand dringend staubsaugen und durchfeudeln. Von der Uhr keine Spur. Dafür entdecke ich einen Gutschein für ein Konzerthaus, den meine Frau von ihren Kolleginnen zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, und den sie schon seit einiger Zeit vermisst.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als meine Frau zu fragen, ob sie weiß, wo die Laufuhr ist. Das versuche ich eigentlich noch mehr zu vermeiden als den Blick unter die Küchenanrichte. Schließlich möchte ich nicht als jemand dastehen, der zu doof ist, um Sachen zu suchen (und zu finden). Und noch weniger möchte ich den Anschein erwecken, ich wäre ein unmoderner Mann, der es wie ein 50er-Jahre Pascha seiner Frau überlässt, für Ordnung in der Wohnung zu sorgen. Folgerichtig formuliere ich mein Anliegen nicht in Frageform, ob meine Frau den Aufenthaltsort meiner Uhr kenne, sondern als anklagenden Vorwurf, ob sie meine Uhr weggeräumt habe. Meine Frau geht wortlos in die Küche und holt die Uhr mit einem Griff aus dem Dinge-von-denen-wir-nicht-wissen-wo-wir-sie-gerade-hinlegen-sollen-Kästchen.
Das ist jetzt etwas peinlich für mich. Damit meine Frau nicht sagen kann „Du suchst ja schlechter als die Kinder!“ – Eltern wissen, was ich damit meine – muss ich sofort reagieren. Schnell halte ich ihr den verloren geglaubten Gutschein vors Gesicht. Dadurch stelle ich eine Pattsituation her, die gegenseitige Vorwürfe und Schuldzuweisungen sowie jegliche Überlegenheitsgefühle verhindern. Menschen in langjährigen Beziehungen wissen, was ich damit meine.
31. Mai 2022, Berlin
Auf meinem Nachmittagsspaziergang kommt mir ein Mann mit Cowboy-Hut entgegen. Er trägt außerdem ein kariertes Hemd, um den Hals so eine Cowboy-Schnürsenkel-Krawatte mit einer Art Medaillon und an den Füßen dunkelbraune Cowboy-Stiefel. Was nicht ganz zu seinem Wilder-Westen-Erscheinungsbild passt, ist die Schneeschaufel in seiner rechten Hand. Ende Mai, bei 20 Grad und strahlendem Sonnenschein. Aber vielleicht hat er Informationen über einen baldigen – sehr drastischen – Wetterumschwung, von dem wir alle nichts wissen.
01. Juni 2022, Berlin
Heute ist internationaler Kindertag. Hoffentlich fordern die Tochter und der Sohn nicht unerwartet ein Geschenk zu diesem Ehrentag ein. Zur Not muss ich schnell ein Bild malen. Oder einen Gutschein basteln.
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Ich gehe morgens ins Stadion des TSV Gutsmuths, weil ich schnelle Runden laufen will. Also, ich will das nicht wirklich, aber der Marathon-Traingsplan aus dem großen Herbert-Steffny-Laufbuch will, dass ich das will.
Auf dem Sportplatz sind bereits drei Lehrerinnen und eine Gruppe Siebtklässler*innen zugange Sie treffen Vorbereitungen für die Bundesjugendspiele. Das Geschehen auf dem Platz würde sich recht gut für eine chaostheoretische Untersuchung anbieten. Stühle werden ziellos von einem Ort zum anderen getragen, Tische werden auf-, ab-und wieder aufgebaut, die Lehrerinnen vermessen einen Hindernisparcours und ordnen ihn mehrfach neu an, ein paar Jungs spielen Speerwerfen mit den Rechen, mit denen sie die Sprunggrube rechen sollen, ein paar Mädchen probieren den Hindernis-Parcours aus und werfen dabei die Hütchen und Stangen um, eine Lehrerin schimpft mit den Jungs, sie sollen sich gefälligst um die Sprunggrube kümmern, ein dicklicher Knabe in Borussia-Dortmund-Trikot sitzt auf einem Stuhl beim 50-Meter-Lauf und probiert die Startklappe aus, eine andere Lehrerin schimpft mit den Mädchen, sie sollen gefälligst den Parcours wieder aufbauen.
Wie durch ein Wunder sind die Vorbereitungen irgendwann trotzdem alle abgeschlossen. Nach und nach treffen die anderen Schüler*innen ein. Von Erstklässler*innen, die aufgeregt sind und eifrig schnatternd über den Platz wuseln und sich alles anschauen, bis hin zu Zehntklässler*innen, die betont lässig durchs Stadion schlurfen, weil sie viel zu cool für ein Sportfest und eigentlich für die ganze Welt sind. Dazwischen stehen einige Lehrer*innen rum, die aussehen, als freuten sie sich, dass in ein paar Wochen das Schuljahr rum ist und noch mehr darüber, dass sie in ein paar Jahren in Rente gehen können.
In diesem ganzen Treiben drehe ich stoisch meine Runden auf der Tartanbahn und fühle mich wie der Ehrenteilnehmer bei den Bundesjugendspielen. Die Schüler*innen halten mich wahrscheinlich eher für den normalen Teilnehmer der Senioren-Spartakiade.
02. Juni 2022, Berlin
In der Schlange an der Supermarktkasse steht vor mir eine junge Frau, die ihr T-Shirt verkehrtherum trägt. Nicht mit dem Etikett nach vorne, sondern auf links gedreht, mit den Nähten außen. Ich frage mich, ob das ein Versehen ist oder ein Modetrend, der an mir vorbei gegangen ist, oder eine subtile politische Botschaft. („So lange nichts gegen die Klimakatastrophe unternommen wird, das kapitalistische Ausbeutungssystem die Arbeiter*innenklasse weiter unterjocht, das Patriarchat die Frauen unterdrückt und so vieles mehr in der Welt falsch läuft, unterwerfe ich mich nicht dem Konformismus von richtig getragenen T-Shirts!“)
Kurz überlege ich, sie darauf hinzuweisen, nehme aber sofort wieder Abstand davon. Welche junge Frau möchte schon morgens an der Supermarktkasse von einem graubärtigen Typen in Jogginghose angelabert werden? Außerdem entspricht es nicht meinem sozialen Kompetenz-Level, fremde Frauen anzusprechen. (Meine Frau wird sich freuen, das zu lesen.) Außer ich habe ein paar Bier getrunken, dann geht das manchmal. (Meine Frau wird sich nur mäßig freuen, das zu lesen) Halb acht scheint mir aber ein wenig zu früh zu sein, um an der Supermarktkasse ein paar Biere zu exen, nur damit ich eine junge Frau auf ein T-Shirt-Malheur ansprechen kann, das sehr wahrscheinlich gar kein Malheur ist.
Weiter zu Teil 2 (mit Verlosung der neuen Mönkel-Bücher von Inke Hummel)
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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