Eine kleine Wochenschau | KW23-2021

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


07. Juni 2021, Berlin

Die CDU hat die gestrige Landtagswahl in Sachsen-Anhalt deutlich vor der AfD gewonnen. Schon merkwürdig, wenn eine rechtsradikale, vom Verfassungsschutz beobachtete Partei mehr als 20 Prozent der Stimmen bekommt, und du erleichtert bist, dass sie nicht stärkste Partei geworden ist.

Reiner Haseloff bleibt auf jeden Fall Ministerpräsident. Obwohl er das Amt seit über zehn Jahren innehat, bereitet sein Name vielen Menschen immer noch Probleme. Spiegel Online schreibt seinen Nachnamen in einem Artikel drei Mal falsch (mit h vor dem off). Es ist schon ein Fluch, wenn du einen singenden Rettungsschwimmer mit sprechendem Auto als Fast-Namensvetter hast, der viel bekannter ist als du. Aber vielleicht ist es auch ein Segen, denn sonst würde sich überhaupt niemand an deinen Namen erinnern.

08. Juni 2021, Berlin

Meine Eltern haben mir mal wieder eine kleine Medienschau bestehend aus Regionalzeitungsartikeln und Zeitschriftenbeiträgen geschickt. Die Brigitte sinniert darüber, ob wir nach der Pandemie jemals wieder unser altes Vor-Corona-Leben führen werden.

Laut einer Neurowissenschaftlerin gibt es gute evolutionäre Gründe für ein Leben als Couch Potato. Die Menschen hätten sich jahrtausendelang an ein Leben mit Lebensmittelknappheit und hoher körperlicher Anstrengung angepasst, da sei Energiesparen die beste Überlebensstrategie. Außerdem stoße der Körper beim Gedanken an Sofa (Ausruhen. Gut!) und einer Tüte Chips (Fetthaltige Nahrung. Gut!) das Glückshormon Dopamin aus.

Indem ich abends nicht weggehe, sondern zuhause abhänge, Netflix schaue und kurzkettige Kohlenhydrate konsumiere, verschaffe ich mir also einen Evolutionsvorteil: Ich vermeide Angriffe von Säbelzahntigern, regeneriere für die Mammutjagd und fülle gleichzeitig meinen Glücksspeicher! Dieses Survival of the Unfittest ist ganz nach meinem Geschmack.

09. Juni 2021, Berlin

Ab heute gibt es in Berlin keinen Wechselunterricht mehr und der Sohn geht das erste Mal seit Dezember wieder bei voller Klassenstärke in die Schule. Da übermorgen schon Notenschluss ist, hat die Schulleitung angekündigt, die beiden Wochen bis zu den Ferien würden mit Exkursionen und gemeinsamen Aktivitäten hauptsächlich zum Ankommen genutzt. Die homeschooling-konditionierten Schüler:innen werden quasi sanft ausgewildert, um sich langsam wieder an das bedrohliche Schulleben zu gewöhnen.

10. Juni 2021, Berlin

Meine Frau und ich gehen auf unserer obligatorischen Abendspaziergangsrunde durch die Quitzowstraße, als uns mit großen Schritten ein junger Mann von Ende 20, Anfang 30 überholt, der aussieht wie eine Mischung aus Barbie-Ken und Patrick Bateman aus American Psycho. Er ist gut 1,90 groß und seine Frisur ist auf eine Art geschnitten, die darauf hindeutet, dass er dafür erheblich mehr bezahlt als ich für das 11-Euro-All-Inklusive-Angebot meines arabischen Friseurs. Sein weißes Slim-Fit-Hemd spannt über seinem von Krafttraining gestähltem Oberkörper, während seine eng geschnittene dunkelblaue Anzugshose seinen Hintern betont, der so knackig ist, dass er selbst bei mir als heterosexuellem Mann den Wunsch hervorruft, ihn mal anzufassen.

Psycho-Ken betont seine Wichtigkeit, indem er beim Gehen sehr laut telefoniert. Er teilt seinem Gesprächspartner mit, er tätige gerade eine Acquisition und müsse den Deal nur noch closen. Danach folgen weitere Sätze, die allesamt klingen, als habe er sie aus einer Business-Bullshit-Phrasendresch-Maschine gezogen.

Es tut mir wirklich leid, und ich weiß, dass das wahnsinnig oberflächlich von mir ist, aber aufgrund seiner Erscheinung, seines Habitus und seines Gebarens ist mir der Typ durch und durch unsympathisch. Das ist ziemlich ungerecht, denn ich kenne ihn ja gar nicht. Er hat sicherlich sehr gute Manieren, ein tadelloses Benehmen und ist stets höflich und hilfsbereit. Aber gleichzeitig strahlt er diese unangenehme Jovialität aus, die häufig Zahnärzten und FDP-Politiker zu eigen ist.

Das schließt natürlich nicht aus, dass er trotzdem ein guter Mensch ist. Wahrscheinlich ein viel besserer als ich. Vielleicht unterrichtet er am Wochenende in Geflüchtetenheimen Deutsch, schreibt regelmäßig Briefe an ausländische Staatschefs, um sich für politische Gefangene einzusetzen, und in seinem Urlaub fährt er in den Kongo, wo er Brunnen bohrt, um die Wasserversorgung der Bevölkerung zu verbessern. Kann ja sein.

An der Straßenecke steigt er in sein Auto. Es ist ein Luxuslimousine aus dem Hause Mercedes und kostet mutmaßlich mehr, als ich in den letzten vier, fünf Jahren verdient habe. So viel Sprit wie der Wagen schluckt, ist es zumindest eher unwahrscheinlich, dass sich der Typ bei „Investmentbanker for Future” für den Klimaschutz engagiert.

11. Juni 2021, Berlin

Heute beginnt die Fußball-Europameisterschaft. Vor zwei Wochen hatte ich noch so etwas wie einen leichten Anflug von Fußballfieber verspürt. Vielleicht hat aber auch nur das Chili, das ich an dem Tag gegessen hatte, Hitzewallungen bei mir ausgelöst, denn heute ist mein Interesse an dem Turnier eher überschaubar. Ich wollte mir nicht mal das Eröffnungsspiel anschauen, aber meine Frau meinte, sie würde das schon gerne sehen und wer bin ich schon, in unserer Ehe das abendliche Fernsehprogramm zu diktieren?

In der Halbzeitpause tritt der früh ergraute beziehungsweise erweißte Ex-Nationalspieler Bastian Schweinsteiger als Experte auf. Er trägt einen Anzug in einem Farbton, den ich nicht zuordnen kann, und aus einem Material, das irgendwie an eine speckige Lederhose erinnert, aber anscheinend sehr knitteranfällig ist, denn der Anzug scheint eine halbe Nummer zu groß zu sein und wirft am Schweinsterschen Arm unschöne Falten. So hart wie meine Frau und ich mit seinem Outfit ins Gericht gehen, könnte man meinen, wir sind zwei alte weiße Männer und Bastian Schweinsteiger eine junge Frau, die sich für Gleichberechtigung, Klimaschutz und gegen Rassismus einsetzt. Schlimm.

Ach ja, Italien gewinnt 3:O gegen die Türkei. Weil die Italiener zehn Minuten vor Schluss meinen, sie müssten unbedingt noch das dritte Tor erzielen, bekomme ich bei unserem familieninternen Tippspiel nicht die volle Punktzahl für meinen 2:O-Tipp, sondern nur die Minimalpunkte für die richtige Tendenz. Schönen Dank auch.

12. Juni 2021, Berlin

Wir ziehen vormittags gemeinsam mit der Tochter los, um ein Fahrrad für sie zu kaufen. Ein Geschenk der Großeltern zu ihrem Abitur.

Als die Frau dem Radhändler erklärt, wir suchten nach einem Rad für unsere Tochter, erwidert er, das Angebot an Kinderrädern sei derzeit wegen der hohen Nachfrage eher begrenzt. Nun ist die Tochter, die direkt vor ihm steht, mit ihren 1,61 nicht besonders groß und sieht vielleicht auch ein, zwei Jahre jünger als fast 18 aus, aber es sollte doch offensichtlich sein, dass sie nicht auf der Suche nach einem 16-Zoll-Rad mit Ninjago- oder Paw-Patrol-Motiven ist. Wobei. Vielleicht hätte sie sich darüber gefreut.

###

Kleines ornithologisches Update: Wir haben festgestellt, dass die Tauben das Nest in dem Baum vor unserem Schlafzimmer nicht mehr als potenzielle Brutstätte nutzen, sondern lediglich ab und an vorbeischauen, um lautstarken Sex zu haben. Es ist quasi ihr kleines Liebesnest. Allerdings scheint Herr Taube mehr Bock auf kopulative Zweisamkeit zu haben als Frau Taube. Die gibt ihm bei seinen Annäherungsversuchen meistens ordentlich auf die Mütze und fliegt dann lieber in einen anderen Baum.

13. Juni 2021, Berlin

Da wir gestern keine Zeit für unseren wöchentlichen Wohnungsputz hatten (Stichwort: Rad kaufen), müssen wir das heute erledigen. Mein Fazit: Das macht sonntags genauso wenig Spaß wie samstags.

###

Ein Google Alert macht mich darauf aufmerksam, dass „Ein Vater greift zur Flasche” bei ebay Australien verkauft wird. Für 21,32 Australische Dollar, was umgerechnet knapp zehn Prozent mehr ist als der Preis in Deutschland.

Okay, ich habe in meiner Kindheit oft genug Nepper, Schlepper, Bauernfänger geschaut, um zu vermuten, dass es sich dabei wahrscheinlich um einen Scam handelt. Trotzdem betrachte ich es als meinen internationalen Durchbruch und größten kommerziellen Erfolg.


Buch-Tipp der Woche

Ich bekomme immer mal wieder Bücher von Verlagen oder Autor:innen zugeschickt. Da mir die Zeit für aufwändige Rezensionen fehlt, sollen sie wenigstens hier Erwähnung finden.

Béa Beste, bekannt durch ihren mega-erfolgreichen Blog Tollabea und Co-Autorin von Gemeinsam schlau statt einsam büffeln: So lernen Kinder und Eltern zusammen, hat bereits im August letztes Jahr das Buch Erziehen ist ein Kinderspiel: 8 geniale Strategien für ein Familienleben voller Humor und Leichtigkeit veröffentlicht. Es enthält, wie schon der Titel verrät, acht geniale Strategien, wie Erziehen zum Kinderspiel wird. Vom Tom-Sawyer-Prinzip („Wie man aus Schwächen Stärken macht“) über das Drei-Musketiere-Prinzip („Zusammen schaffen wir alles!“) bis hin zum Madagaskar-Pinguin-Prinzip („Lächeln und winken“).

Béa Beste: Erziehen ist ein Kinderspiel. 8 geniale Strategien für ein Familienleben voller Humor und Leichtigkeit. TRIAS. 2020. (Affiliate Link)

Unter allen Leser*innen, die an genialen Erziehungsstrategien interessiert sind und bis Donnerstag, den 17.06., einen Kommentar unter diesem Beitrag hinterlassen, verlose ich mein Leseexemplar. Der Rechtsweg ist ebenso wie der Linksweg ausgeschlossen, eine Auszahlung des Gewinns ist nicht möglich, alle E-Mail-Adressen werden nach Abschluss der Verlosung DSGVO-konform gelöscht, blablabla …



Alle Beiträge der Wochenschau finden Sie hier.


Sie möchten informiert werden, damit Sie nie wieder, aber auch wirklich nie wieder einen Familienbetrieb-Beitrag verpassen?

66 Kommentare zu “Eine kleine Wochenschau | KW23-2021

  1. Hallihallo,
    Humor und Leichtigkeit wünsche ich mir sehr im Familienalltag. Und Zeit wäre auch nicht schlecht, dann könnte ich auch mal Ratgeber lesen, wie das Leben leichter wird und wie ich mehr Zeit kriege, um Ratgeber zu lesen… Oder so ähnlich
    Liebe Grüße

    • Der Titel klingt spannend, können wir sicher nach 1,5 Jahren Pandemie sehr gut gebrauchen . Ich würde mich freuen!

  2. Immer wieder gut und genau mein Humor!
    Jetzt möchte ich bitte obendrauf zur allwöchentlichen Belustigung noch ein gutes Buch gewinnen.
    Danke und Prosit!

  3. Die Familientweets und die kleine Wochenschau sind ein fester Bestandteil vom Wochenende. Ich freue mich immer sehr darauf. Über das Buch würde ich mich auch freuen.

  4. Da nach 5 Jahren Erziehen bei uns immer noch im Raum steht wer wen erzieht. Wären die Erziehungstipps vielleicht sehr hilfreich. Da nach Erschaffung des Prototyps wir gemeinsam der Meinung waren definitiv nicht in die Serienproduktion einzusteigen.

  5. Ich liebe die Familenterets am Freitag, da freue ich mich immer besonders darauf die Kinder ins Bett zu bringen. Und jetzt kommt wohl noch die Wochenschau dazu.

  6. Da versuch ich doch sehr gern mal mein Glück 🙂
    Ich les‘ die Wochenschau immer sehr gern, und das Buch würd mich ja mal wirklich interessieren….der Humor wohnt hier fix, aber etwas mehr Leichtigkeit würd‘ net schaden 😉

  7. Hallo, ich würde mich über das Buch sehr freuen und bräuchte es (zumindest vom jetzigen Gefühl heraus) dringend… Grüße, kat

    • Mehr Leichtigkeit klingt sehr gut ich würde das Buch gerne gewinnen, tausche Buch gegen Käsekuchen…
      Ich bin auch jemand der Käsekuchen liebt

  8. Strategien, die Autonomiephase – ja, bitte!?!
    Vielen Dank für ein angestrengtes Lächeln am Freitag und Sonntag Abend bei der Einschlafbegleitung!

  9. Humor und Leichtigkeit kann man immer gebrauchen, genauso wie eine gute Lektüre – egal ob von dir in den Familientweets und der kleinen Wochenschau oder von Béa Beste.

  10. „So hart wie meine Frau und ich mit seinem Outfit ins Gericht gehen, könnte man meinen, wir sind zwei alte weiße Männer und Bastian Schweinsteiger eine junge Frau, die sich für Gleichberechtigung, Klimaschutz und gegen Rassismus einsetzt. Schlimm.“
    Made my day, danke! 😂 Und Béa mag ich sehr, das Buch kenne ich noch nicht – aber es wäre hier unglaublich willkommen…! 😉

  11. Survival of the unfittest klingt nach etwas, bei dem ich auch gute Chancen habe. Diese Strategie und das Buch dazu, dann bin ich für alles gewappnet. Super!

  12. Erziehen ist ein Kinderspiel, das würde ich auch gerne sagen! Das Buch würde sich gut in meinem Regal machen.

  13. 8 geniale Strategien für ein Familienleben voller Humor und Leichtigkeit könnte ich super gebrauchen – tolle Sache, vielen Dank für das Gewinnspiel

  14. Das Buch wäre jetzt genau das richtige – vor allem an einem Montagmorgen der von ‘ich will nicht selbst beim Bäcker Brötchen kaufen’ bis hin zu ‘das Pflaster passt nicht zu meinem Outfit’ alles enthalten hat und die mamaschen Nerven um 8:15 bereits restlos aufgebraucht waren…

  15. Humor und Leichtigkeit brauchen wir alle dringend… ist leider irgendwie etwas abhanden gekommen.
    Es wäre toll, wenn Erziehung zum Kinderspiel werden könnte – fühlt sich grad eher nach dem Gegenteil an…
    Danke für Familientweets und Wochenschau – zwei Lichtblicke

  16. Ich würde gerne das Buch lesen, denn Humor gehört dringend in den Alltag. Eine regelmäßige Portion Lachen hole ich mir hier 2x wöchentlich ab-merci!

  17. Kind 3 (0) ist immer noch wach, morgen um 6 klingelt der Wecker – braucht es mehr Gründe für den Gewinn des Buches?^^

  18. Schade, dass dieses mal nicht mehr von den Tauben zu lesen war… aber gut für euch und euren Schlaf 😉 die Tauben können das Buch für ihre Familie bestimmt auch gut brauchen… oder ich 😁

Erwähnungen

  • Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.

    14. Juni 2021, Berlin

    Auf meiner morgendlichen Laufrunde komme ich an einem Teenie-Pärchen vorbei, das auf einer Bank an der Spree Zärtlichkeiten austauscht. Sehr romantisch.

    Ihrem Alter und der Uhrzeit nach zu urteilen, schwänzen sie die Schule. Aber wer will es dem jungen Glück verdenken. So kurz vor den Ferien passiert in der Schule sowieso nicht mehr viel. Abgesehen von Filmeschauen und Ausflügen. Außerdem ist – trotz allgemein sinkender Inzidenzzahlen – das Corona-Infektionsrisiko wahrscheinlich nirgendwo höher als in der Schule, wo du mit 30 Menschen auf engstem Raum zusammenhocken musst. Da ist Schule schwänzen quasi gelebte Pandemiebekämpfung.

    Allerdings verstoßen die beiden beim Fummeln grob gegen das Mindestabstandsgebot von anderthalb Metern. Und Küssen mit sehr viel Zunge ist für die Aerosolübertragung auch nicht gerade optimal. Beziehungsweise aus Sicht der Aerosole richtig super.

    Was soll’s. Wenn schon mit Corona anstecken, dann doch lieber beim Knutschen als in einem stickigen Klassenzimmer, in dem Herr Müller eine selbst gedrehte Amateur-Doku in Blair-Witch-Optik von seiner letzten Wanderung durch die Mark Brandenburg zeigt.

    15. Juni 2021, Berlin

    Bin heute rastlos und schlecht gelaunt. Auf dem Weg zum Supermarkt spricht mich in der Turmstraße ein junger Mann aus einer BUND-Drückerkolonne an. Er will mich zuerst in ein Gespräch verwickeln und dann zu einer Fördermitgliedschaft überreden, mit der ich mein schlechtes Öko-Gewissen beruhigen kann. Ich spiele kurz mit dem Gedanken, ihn in den Schwitzkasten zu nehmen und ihm ein paar Kopfnüsse zu verpassen.

    Nun kann der Typ aber nichts für meine schlechte Laune und gut für mein Karma wäre das sicher auch nicht, wenn ich hier handgreiflich werde. Außerdem ist nicht auszuschließen, dass der Bursche in irgendeiner asiatischen Kampfsportart geschult ist und mir einen Satz heiße Ohren verpasst.

    Also knurre ich einfach „Nein, danke“ unter meiner Maske hervor. Aber wenigstens im Tonfall eines aus tiefem Herzen kommenden „Fuck you!“

    ###

    Abends spielt Deutschland gegen Frankreich. Während die anderen bei unserem familieninternen EM-Tippspiel auf die Franzosen setzen, tippe ich Unentschieden. Nicht aus fehlgeleitetem Patriotismus, sondern weil ich die deutsche Mannschaft für durchaus ebenbürtig halte.

    Nun gut, es stellt sich heraus, dass sie das nicht ist. Die deutschen Spieler sind zwar bemüht, aber trotzdem chancenlos. So wie ich früher in Chemie. Wobei sich meine Bemühungen da eher in Grenzen hielten. Aber chancenlos war ich wirklich!

    16. Juni 2021, Berlin

    Mein Vater hat heute Geburtstag. Ich schicke ihm das neue Buch von Stefan Schwarz (Da stimmt was nicht). Mit Stefan-Schwarz-Büchern machst du nie etwas falsch, aber immer etwas richtig.

    Anscheinend bin ich nicht mehr so firm in der Kulturtechnik des Postversands. Zwar schreibe ich noch den Namen meines Vaters und die richtige Straße auf den Umschlag, aber unsere eigene Hausnummer. Und weil ich schon dabei bin auch unsere Postleitzahl und Berlin und nicht den Westerwälder Wohnort meiner Eltern. Überraschenderweise kommt der Brief trotzdem an.

    Deshalb an dieser Stelle ganz liebe Grüße an die Menschen im Sortierzentrum, die sich die Mühe gemacht haben, die Adresse meiner Eltern rauszusuchen, anstatt den Brief mit dem Vermerk „Trottel“ an mich zurückzuschicken.

    ###

    Die Tauben haben es sich zu Herzen genommen, dass ich letzte Woche schrieb, sie kämen nur noch sporadisch vorbei und nutzten den Baum vor unserem Fenster lediglich als Liebesnest, aber nicht als potenzielle Kükenkrippe. Nun sind sie jeden Tag da und bauen emsig, geschäftig und – leider – sehr geräuschvoll das Nest aus.

    Das heißt selbstverständlich nicht, dass sie hier ihre Eier legen und ihre Küken aufziehen werden. Vielleicht wird das einfach ihr Zweitnest, in das sie sich zurückziehen, wenn die Taubenküken im Erstnest zu sehr nerven. Das wäre ein sehr cleverer Schachzug, den ich gerne gekannt hätte, als die Kinder noch klein waren.

    17. Juni 2021, Berlin

    Der Sohn hat sich von seinem Taschengeld zwei amtliche Silberketten und einen Ring gekauft. Ich bin mir nicht sicher, ob er sich mit diesen Accessoires auf eine Karriere als Gangster-Rapper oder als Lude vorbereitet.

    ###

    In einer Mischung aus Faulheit und Dekadenz und weil es super lecker ist, bestellen wir zum Abendessen Sushi. Wir haben seit über zehn Jahren einen Stamm-Sushi-Laden, bei dem wir immer bestellen. Er wird von einem vietnamesischen Ehepaar betrieben, deren Tochter damals mit unserem Sohn zur musikalischen Früherziehung ging.

    Zum Abschlusskonzert, auf dem die Kinder ihre frisch erworbene Musikkompetenz mit einer Art Mäuse-Musical präsentierten, wurden die Eltern, wie das bei solchen Gelegenheiten üblich ist, gebeten, etwas zum Buffet beizusteuern. So gab es dann die obligatorischen zu flachen Muffins, die etwas zu trockenen Pizza-Schnecken und ein paar Alibi-Obst-Spieße, also ein typisches, kulinarisch nur wenig überzeugendes Kinderfest-Buffet. Bis die vietnamesische Familie kam und riesige Suhi-Platten mitbrachten, mit denen sie das Buffet erheblich pimpten. Außerdem hatten sie ein paar Flyer dabei, was eine naheliegende, aber trotzdem geniale Marketing-Idee war, denn seitdem sind wir treue Kunden.

    Als es klingelt, öffne ich die Tür und der vietnamesische Papa steht vor mir. Seine Deutschkenntnisse sind eher überschaubar, aber das kompensiert er zur EM, indem er ein Deutschland-Käppi, eine schwarz-rot-goldene Girlande um den Hals und ein Deutschland-Trikot trägt. Integrationsmäßig hat er damit ein bisschen überperformt, aber vielleicht findet er Deutschland auch einfach richtig, richtig gut. Oder er mag schwarz-rot-gold als modische Farbkombination. Ich frage mich, ob er jetzt von mir erwartet, dass wir gemeinsam die Nationalhymne singen. Er überreicht mir aber einfach unsere Bestellung und geht mit einem fröhlichen „Gute Appetit, gute Abend, gute Appetit“ die Treppe runter.

    18. Juni 2021, Berlin

    Meine Eltern kommen heute nach Berlin. Wir sehen uns das erste Mal seit 18 Monaten wieder. Dafür lasse ich die Jogginghose gerne mal im Schrank und trage zur Feier des Tages eine Jeans.

    19. Juni 2021, Berlin

    Die Tauben belehren mich nun richtig eines Besseren, denn seit heute Morgen liegen in ihrem Nest zwei Eier. Wahrscheinlich haben sie das nur gemacht, damit ich endgültig wie ein dummschwätzender Vollidiot dastehe.

    Das Tauben-Ei weckt gleich Begehrlichkeiten bei anderen Vögeln. Eine Krähe landet im Baum, wird aber von Herrn Tauberich vertrieben, der sich zu einer beachtlichen Größe aufplustert. Sich größer erscheinen lassen, als du eigentlich bist, ist ja ein beliebter Move in der Tierwelt. Und bei Männern, die es nicht ganz über die 1,70 geschafft haben und deswegen mit übertrieben breiter Brust durch die Clubs stolzieren.

    ###

    Deutschland spielt heute gegen Portugal und die Mannschaft ist diesmal nicht nur bemüht, sondern auch erfolgreich. Die größte Überraschung ist aber das große Interesse, das die Tochter inzwischen an der EM entwickelt hat und ihre fast schon frenetische Unterstützung für die deutsche Mannschaft. Womöglich hängt das damit zusammen, dass ihre For-You-Page bei TikTok seit Tagen mit Kai-Havertz-Videos geflutet wird.

    20. Juni 2021, Berlin

    Seit gut einer Woche spiele ich die neue Platte von Fortuna Ehrenfeld rauf und runter. Beim Laufen, beim Duschen, beim Arbeiten, beim Spazierengehen, beim Essen, beim Spülmaschine einräumen, beim Spülmaschine ausräumen, beim Zähneputzen, beim einfach allem.

    Die Platte heißt „Die Rückkehr zur Normalität“. Oder wie meine Frau sie nennt: „Können wir mal wieder etwas anderes hören?“ Ich fürchte, noch nicht so bald.

    Aber wie genial ist es auch, zum (gefühlten) Ende der Pandemie eine Platte namens „Die Rückkehr zur Normalität“ zu veröffentlichen? Und den ersten Track „Arschloch, Wixer, Hurensohn“ zu nennen. Es geht allerdings gar nicht um Corona und querdenkende Deppen, sondern bei dem einen Lied um den Anfang und bei dem anderen Lied um das Ende einer Beziehung.

    Zumindest glaube ich das. Ganz genau weiß ich es allerdings nicht, denn die Texte von Fortuna Ehrenfeld sind zwar phantastisch, aber immer leicht dadaistisch angehaucht. Häufig lassen sie mich ein wenig ratlos zurück. Aber auf eine gute Art und Weise. Ein bisschen wie bei Herbert Grönemeyer, wo ich mich seit Jahren frage, was der Stuhl eigentlich im Orbit macht.

    Auf der neuen Fortuna-Ehrenfeld-Platte gibt es auf jeden Fall wieder ganz großartige Verse. So wie in „Die panamoralische Liebe“:

    Deine Kinder schreiben Sunday mit ae,dein Bruder pisst „Heil Hitler“ in den Schnee,deine Mudda leckt den Arsch der Barbarei,unsere eloquenten Jahre sind vorbei.

    Toll!

    Insgesamt ist die Platte aber recht versöhnlich gehalten. Oder wie es in „Die Durchnummerierten im Irish“ heißt:

    Das Leben ist so ganz in Ordnung,also hau nicht gleich alles zu Brei.Dann kannste immerhin später mal sagen,du warst so am Rande als Trottel dabei.

    Musik-Tipp der Woche

    Ich muss gestehen, dass ich die Platte, die ja gar keine Platte ist, die ganze Zeit auf Spotify höre. Das heißt, die Band bekommt pro abgespieltem Lied ungefähr 0,0029 Euro. Da kommt selbst bei einem Non-Stop-Dauerschleifen-Hörer wie mir nicht richtig viel rum und das kann natürlich nicht angehen.

    Deswegen habe ich im Sinne des „Support your local everything“ eine CD samt Begleitbuch mit dem hübschen Untertitel „Hedonistischer Leitfaden für ein achtsames, inspiriertes Leben“ gekauft. Da ich aber gar kein Abspielgerät mehr dafür habe, verlose ich die CD samt Begleitbuch mit dem hübschen Untertitel „Hedonistischer Leitfaden für ein achtsames, inspiriertes Leben.“

    Alle Leser*innen, die zur Normalität zurückkehren wollen und vor allem bis Mittwoch, den 23.06., einen Kommentar unter diesem Beitrag hinterlassen, erhalten ein Los. Der Rechtsweg ist ebenso wie der Linksweg ausgeschlossen, eine Auszahlung des Gewinns ist nicht möglich, alle E-Mail-Adressen werden nach Abschluss der Verlosung DSGVO-konform gelöscht, blablabla …

    Fortuna Ehrenfeld: Die Rückkehr zur Normalität. Tonproduktion 2021.

    Alle Wochenschau-Beiträge finden Sie hier.

    Überall erhältlich, wo es Bücher gibt.

    Sie möchten informiert werden, damit Sie nie wieder, aber auch wirklich nie wieder einen Familienbetrieb-Beitrag verpassen?

    (function() {
    window.mc4wp = window.mc4wp || {
    listeners: [],
    forms: {
    on: function(evt, cb) {
    window.mc4wp.listeners.push(
    {
    event : evt,
    callback: cb
    }
    );
    }
    }
    }
    })();
    E-Mail-Adresse:

    Wenn du ein Mensch bist, lasse das Feld leer:

    Christian HanneChristian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel „Nackte Kanone“ geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
    Im September erscheint sein neues Buch „Papa braucht ein Fläschchen“. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind „Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter“, „Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit“ sowie „Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith“*. (*Affiliate-Links)
    Gefällt mir:Gefällt mir Wird geladen…

    Ähnliche Beiträge

Likes

Neuveröffentlichungen

  • Die sonntägliche Wochenschau: Mit Landtagswahl-Ergebnissen, evolutionären Vorteilen für Couch Potatoes, Psycho-Ken-Begegnungen auf Abendspaziergängen und meinem internationalen Durchbruch.

    Viel Spaß beim Lesen!

    familienbetrieb.info/eine-kleine-wo…

Erwähnungen

  • M-T
  • Elena
  • Heike
  • Sandra
  • Evchen
  • Pi-nasige Genießerin
  • Christine
  • Nora
  • Sabine Hauke
  • Saskia Wahl
  • Tanja
  • Jessica Haas
  • Tini
  • Jana
  • Ilka
  • Dani
  • Ulrike
  • Kerstin
  • UlrikeF
  • Kati
  • Kat
  • Susi H
  • Michaela Pollinger
  • Jeanette
  • Steffchen
  • Ziva
  • Ingrid Pittrich
  • Sabine
  • Vivi

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert