Eine kleine Wochenschau | KW35-2022

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


29. August 2022, Berlin

Montagmorgen, 7.15 Uhr und ich mache den Supermann. Das heißt nicht, dass ich eine Unterhose über einem Gymnastikanzug trage, mir eine rote Tischdecke umgebunden habe und vom Sofa springe. Nein, Superman ist eine Übung zur Stärkung meiner Rückenmuskulatur. Du liegst dabei bäuchlings auf dem Boden, hebst die Beine an und streckst die Arme nach vorne. Das sieht ganz entfernt wie ein fliegender Superman aus. Mit sehr viel Phantasie. Vor allem wenn du noch nie einen Superman-Film gesehen hast.

Seit knapp vier Wochen mache ich regelmäßig Rückengymnastik. Aus Gründen. Nach unserem Urlaub wollte ich mich sportlich betätigen. Ein bisschen Fitnesstraining kann nicht schaden, dachte ich mir. Worauf das Fitnesstraining sagte: „Doch!“ Schon bei der ersten Übung – Kniebeugen mit Widerstandsbändern – schoss mir gleich bei der ersten Wiederholung ein stechender Schmerz in den Rücken, so dass ich die nächsten paar Minuten würdelos in Embryonalstellung auf dem Boden verbrachte.

Im Laufe des Tages und trotz ein paar 400er-Ibus wurde der Schmerz nicht viel besser. Dafür wurde mir das erste Mal richtig bewusst, für was du alles deine Rückenmuskulatur benötigst. Zum Einsteigen in die Dusche, zum Aussteigen aus der Dusche, zum Bücken, um die Beine abzutrocknen, zum Anziehen der Unterhose, zum Anziehen der Socken, zum Anziehen der Hose – nicht so sehr beim Anziehen des T-Shirts, aber nur obenrum bekleidet, wollte ich trotzdem nicht rumlaufen –, zum Hinsetzen, zum Aufstehen, zum auf Toilette gehen, zum Hinlegen, eigentlich für alles. Seit 47 Jahren schuftet meine Rückenmuskulatur tagein und tagaus und nie habe ich es ihr gedankt. Sorry, Rückenmuskulatur! Und danke!

Auch am nächsten Morgen war der Schmerz nicht von allein verschwunden. (Als Mann hoffst du das ja immer ein bisschen, in der Hoffnung, einen Arztbesuch zu vermeiden.) Notgedrungen rief ich beim Orthopäden an. Der Sprechstundenhilfe erklärte ich, dass ich große Schmerzen hinten am Rücken hätte. Was für eine bescheuerte Formulierung. Hinten am Rücken. Der Rücken ist per Definition immer hinten. Hätte ich Schmerzen vorne am Rücken, wäre es Bauchweh und damit kein Fall für die Orthopädie. Die Frau verstand mich trotzdem und sagte, ich solle am nächsten Tag in die Akutsprechstunde kommen.

Dort führte mich nach einem kurzen Aufenthalt im Wartezimmer eine junge Frau ins Behandlungszimmer und nahm am Computer meine Beschwerden auf. Ich führte eine Klimmzugbewegung vor und erklärte, ich hätte mir beim Liegestütze machen, etwas im Rücken gezerrt. Dann fiel mir mein Fehler auf. Beim Kniebeugen machen, korrigierte ich mich. Dazu machte ich eine Liegestützbewegung. Hoffentlich ist das nicht die gleiche Sprechstundenhilfe, mit der ich gestern telefoniert habe.

Der Arzt, der kurz danach kam, ließ mich zunächst auf Zehenspitzen und Fersen durch den Raum laufen. Danach quetschte er mir unangenehm an meinem Rücken, Gesäß und den Oberschenkeln rum. Anschließend musste ich mich hinlegen. Zuerst winkelte er meine Beine an, dann sollte ich sie strecken und die Fußspitzen anziehen, was mir nur unter Schmerzen gelang, weil ich mich nie dehne. Ich schämte mich ein bisschen dafür, wie ungelenk ich bin und wie verkürzt meine Sehnen sind. Dann dachte ich mir allerdings, dass der Arzt bestimmt schon schlimmere Fälle gesehen hat. Ganz sicher war ich mir aber nicht.

Beim anschließenden Gespräch erklärte mir der Arzt, es könnte sein, dass ich einen Bandscheibenvorfall hätte. Oder dass eine Schädigung des Stütz- und Bewegungsapparates vorliegt. Verdammt, dachte ich, das wars mit dem Marathon im Oktober. Zu meiner Erleichterung ergänzte er dann, das sei aber eher unwahrscheinlich. (Kleiner Tipp für das nächste Patientengespräch: Zuerst sagen, dass etwas unwahrscheinlich ist und danach, was unwahrscheinlich ist.)

Er glaube, es handele sich lediglich um eine Zerrung, fuhr er fort. Ich solle die nächsten Tage morgens, mittags und abends eine Schmerztablette nehmen. Damit sich die Rückenmuskulatur entspannt. Außerdem könne ich zusätzlich Schmerzsalbe auftragen und die Rückenpartie warmhalten. Zum Abschied drückte er mir noch ein schlecht kopiertes DIN A 4-Blatt mit rückengymnastischen Übungen in die Hand. Die solle ich regelmäßig machen, sobald der Schmerz etwas besser sei.

Die Schmerzsalbe zeigte keinerlei Wirkung. Da hätte ich mir auch Nivea auf den Rücken schmieren können. Oder den Schmerz von einem Schamanen wegsingen lassen. Das hätte den gleichen Effekt. Die Tabletten konnte ich nach drei, vier Tagen absetzen. Seitdem mache ich regelmäßig meine Rückengymnastik und liege wie Superman für Arme auf unserem Schlafzimmerboden.

30. 08.2022, Berlin

Mein feierabendlicher Spaziergang führt mich an einem Spielplatz bei uns im Kiez vorbei. Ein kleines Mädchen sitzt oben auf der Rutsche und lässt seinen Wauwau runterschliddern. (Wauwau ist ein kleiner Stoffhund, wie Sie sich bei dem Namen vielleicht schon gedacht haben.) Auf einer Bank sitzt eine junge Mutter mit Tragetuch, in dem ein Baby friedlich schlummert. Am Eingangstor des Spielplatzes steht ein blond gelockter kleiner Junge und strahlt mich an.

Meine Frau und ich haben mit der Familienplanung vor langer Zeit abgeschlossen. Unsere Kinder sind groß und wir genießen die Vorteile, die das mit sich bringt: Wir müssen sie nicht mehr zum Singkreisel oder Kinderturnen bringen, sie stehen nachts nicht andauernd vor unserem Bett, weil Teddy so komisch hustet, und die Zeit des Bobo-Siebenschläfer- oder Conni-lernt-ein-neues-verdammtes-Dreckshobby-Vorlesens ist auch schon lange vorbei. Da der Sohn jetzt in die Oberstufe geht, müssen wir auch nicht mehr zu Elternabenden gehen. Zweifelslos das größte Plus von großen Kindern.

Die ganze Niedlichkeit auf dem Spielplatz lässt mich aber nicht kalt. Nochmal ein süßes Baby oder ein drolliges Kleinkind zu haben, wäre vielleicht doch ganz schön, denke ich. Ich winke dem kleinen Jungen am Tor und lächle ihn freundlich an. Der verzieht plötzlich das Gesicht und rennt weinend zu seinem Papa. Im Hintergrund ist das Baby aufgewacht und spuckt seine letzte Milchmahlzeit in den Ausschnitt seiner Mama. Im gleichen Moment bekommt das Mädchen auf der Rutsche einen epischen Wutanfall, weil seine Mutter Wauwau nicht aufgefangen hat und der deswegen in den Sand gefallen ist.

Angesichts der ausgebrochenen Spielplatzapokalypse erscheint mir unsere abgeschlossene Familienplanung doch eine gute Idee gewesen zu sein.

31. 08.2022, Berlin

Im Rahmen seines Philosophie-Leistungskurses hätte der Sohn heute Abend eigentlich eine etwas skurrile Exkursion. Zurzeit diskutieren sie im Themenfeld Anthropologie die Theorie des Menschen als Mängelwesen. Im Gegensatz zu Tieren habe der Mensch keine Schutz- und Kampforgane und es mangele ihm an Instinkten. Um gemeinsam zu überprüfen, was an diesen Überlegungen dran ist, hat der Lehrer eine Übernachtung im Wald geplant. Ohne Zelt, nur mit Schlafsäcken und auf dünnen Planen zum Unterlegen.

Heute früh hat der Lehrer die Aktion aber abgeblasen. Es sei zu kalt und es solle niemand krank werden. Eine sinnvolle Entscheidung und gleichzeitig ein Beleg für die Theorie des Menschen als Mängelwesen.


Weiter zu Teil 2


Alle Beiträge der Wochenschau finden Sie hier.


Sie möchten informiert werden, damit Sie nie wieder, aber auch wirklich nie wieder einen Familienbetrieb-Beitrag verpassen?

    Mentions

  • 💬 Familienbetrieb

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert