Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
02. Oktober 2023, Berlin
H., unsere Nachbarin über uns, hat zum Geburtstag eingeladen. Familie, Kolleg*innen und Freund*innen. Aus dem Haus ist noch P. aus dem dritten Stock da.
Vor einiger Zeit habe ich in der Wochenschau geschrieben, dass ich, wenn ich die Wohnung verlassen will und höre, jemand kommt die Treppe runter oder hoch, manchmal warte, bis die Person weg ist und dann erst die Tür öffne. Und mit manchmal meine ich immer. Ich dachte stets, das sei ein unnormales Verhalten und liege daran, dass ich eher introvertiert und sozial etwas gestört bin.
Auf der Feier erzählt H., dass sie das auch so handhabt. P. meint, er ebenfalls, schließlich wolle man niemanden im Treppenhaus stören. Es stellt sich heraus, dass keiner aus der Wohnung geht, wenn er oder sie draußen jemanden hört.
Dabei haben wir eine wirklich gute Hausgemeinschaft. Die Nachbar*innen verstehen sich gut, alle sind rücksichtsvoll, es werden Päckchen füreinander angenommen und wir helfen uns gegenseitig mit Mehl, Eiern oder Werkzeug aus. Nur im Treppenhaus wollen wir uns nicht begegnen. Vielleicht sind wir alle sozial etwas gestört.
03. Oktober 2023, Berlin
Tag der Deutschen Einheit. Da schauen wir traditionell Herr Lehmann. So wie am 03. Oktober 2003. Damals saßen wir im Kino, meine Frau war hochschwanger und bekam plötzlich Wehen. Allerdings mit recht großen Abständen. Daher beschlossen wir, den Film erstmal zu Ende zu schauen. Schließlich hatten wir für Tickets, Getränke und Popcorn eine beträchtliche Summe investiert. Außerdem dachten wir, dass es unser letzter Kinobesuch für die nächsten vier bis fünf Jahre sein könnte. (Wir sollten recht behalten.)
Nach dem Film stellte sich heraus, dass es lediglich Senkwehen waren. (Die Verwendung des Ausdrucks „keine richtigen Wehen“ ist mir per Ehevertrag untersagt.) Unsere Tochter kam erst rund vier Wochen später am 01. November auf die Welt.
In Erinnerung an dieses Erlebnis schauen wir regelmäßig am Tag der Deutschen Einheit Herr Lehmann. Das letzte Mal ist aber schon ein paar Jahre her. Als ich es meiner Frau für heute Abend vorschlage, verzieht sie das Gesicht und meint, sie habe keine rechte Lust. Mir geht es eigentlich ähnlich, so dass sich meine Enttäuschung in Grenzen hält. Außerdem haben wir vorige Woche mit The Witcher angefangen. So richtig gut finden wir das beide nicht, aber aus einer Art Pflichtgefühl wollen wir die Serie trotzdem zu Ende schauen. Am besten so zügig wie möglich, damit wir es schnell hinter uns haben. Somit kommen uns heute zwei, drei Witcher-Folgen gut zupass.
04. Oktober 2023, Berlin
Der Neffe meiner Frau hat Geburtstag. Seinen dreizehnten. Er hat sich eine Schallplatte vom Wu-Tang Clan gewünscht. Ihr Debüt-Album Enter the Wu-Tang Clan (36 Chambers) von 1993, das der Rolling Stone bei seiner Liste der 500 besten Alben aller Zeiten auf Platz 387 aufführt. Damit hat der Neffe als Neu-Teenager einen kultivierteren und anspruchsvolleren Musikgeschmack als ich mit 48. Ich habe letzte Woche in Vorbereitung auf den 11.11. meine Kölsche-Karneval-Playlist aktiviert.
Als ich 13 war, habe ich Grönemeyer gehört. Das Ö-Album, aber auf Kassette. Ich finde, das ist nichts, wofür ich mich heute schämen muss. Im Gegensatz zu zwei meiner ersten Singles, die ich gekauft habe: Hier kommt Kurt von Frank Zander sowie Verdammt, ich lieb dich von Matthias Reim. (Zwei Stücke aus der musikalischen Vorhölle, bei denen mir schwer fällt, zu entscheiden, welches schlimmer ist, und ich mich frage, ob es möglich ist, dafür Frank Zander und Matthias Reim für Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuklagen.)
Grönemeyer finde ich immer noch ganz gut, womöglich größtenteils aus nostalgischen Gründen. Was den Coolness-Faktor angeht, kann er mit Wu-Tang Clan aber selbstverständlich nicht mithalten.
Während Grönemeyer „Sein Pyjama liegt in meinem Bett, sein Kamm in meiner Bürste steckt, was soll das?“ nuschelt, rappen die New Yorker Hip-Hopper „And if you want beef, then bring the ruckus, Wu-Tan Clan ain’t nuthing ta fuck wit, straight from the motherfuckin’ slums that’s busted, Wu-Tang Clan ain’t nuthing ta fuck wit.“ Das hat doch etwas mehr Street Credibility.
In diesem Sinne: Happy Birthday, J.!
05. Oktober 2023, Berlin
Auf dem Weg zum Einkaufen sehe ich an einer Ampel eine Mutter mit ihrem Kind. Der Junge ist schätzungsweise vier und sitzt auf einem lila Laufrad. Er trägt blaue Gummistiefel, bunt gemusterte Shorts, ein graues T-Shirt mit einer Comic-Figur und eine Sonnenbrille mit grünem Gestell. Er weint bitterlich. Würde ich bei den Klamotten auch.
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Bei dm ist meine Stamm-Zahnpasta immer noch nicht wieder verfügbar. Wahrscheinlich wurde sie endgültig aus dem Sortiment gestrichen. Dafür wirbt die Nachfolge-Sorte von blend-a-med mit einem extra Aufdruck: „Neu“. Sogar noch in Rot, damit du es auf keinen Fall übersiehst. Als wäre „neu“ ein Wert an sich, als sei das etwas Positives. Bei Zahnpasta ist eher das Gegenteil der Fall. Auf dem Aufdruck sollte stehen: „Neu, schmeckt aber nicht mehr.“
Der Besuch bei dm ist trotzdem erhellend für mich. Nach vielen, vielen Jahren habe ich die Erkenntnis, das Roh-Rohr-Zucker gar nicht Rohr-Ohr-Zucker heißt. Es ist doch schön, wenn du jeden Tag etwas Neues lernst.
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Ich lege bei Penny meine Einkäufe aufs Warenband und frage mich dabei, warum da so viel liegt, obwohl meine Einkaufsliste eher überschaubar war.
Hinter mir steht ein junger Mann. Mitte 20, schwarze Haare, Migrationsbackground. Er fragt mich, ob das alles von mir wäre. Ich bejahe. Dann fragt er, ob ich ihn vorlassen würde. Er sei in Eile und hätte auch nur eine Sache. Die eine Sache sind sieben Pakete Butter, die er vor der Brust balanciert. Ich sage: „Klar, kein Problem.“, er erwidert: „Danke, Bruder, ich küsse dein Herz.“
Das mit dem Herz küssen, kommt mir etwas übertrieben vor. Schließlich habe ich ihn nur an der Kasse vorgelassen und nicht vor einem Rudel hungriger Löwen gerettet. Aber es ist dennoch eine schöne Redensart. Trotzdem bin ich froh, dass er es bei dem Spruch belässt und ihn nicht in die Tat umsetzt. Das wäre mir an der Kasse bei Penny doch etwas unangenehm.
Dass er mich Bruder genannt hat, finde ich auch gut. Das heißt, er hält mich nicht für so alt. Sonst hätte er Chef zu mir sagt.
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Auf dem Heimweg komme ich an einem Jugendlichen vorbei, der an einem Stromkasten steht. Er isst einen Döner, seine Cola hat er auf dem Stromkasten abgestellt. Auf seinem schwarzen T-Shirt steht: „Silence is better than bullshit“
Wäre ein schöner Titel für eine Fernsehsendung. Vier Politiker*innen treffen sich mit Markus Lanz und niemand sagt etwas. 45 Minuten lang. Das wäre eine Talkshow, die ich mir anschauen würde.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Das mit dem Auslisten von eigenen Standard Produkten kenne ich. Meist wird der Platz für die teureren Produkte der selben Firma, oder aber für die Hausmarke gebraucht.
Nun nicht mit mir. Wenn der Laden MEIN Produkt nicht mehr verkaufen will, dann wird eben ein Onlinehändler reicher. (solange es das Produkt tatsächlich noch gibt). Oft gibt es das Produkt dann noch in einem anderen EU Land und manche Onlinehändler haben keine Scheu es dann auch deutschen Kunden zur Verfügung zu stellen.
Blöd ist das nur, wenn man auf ein Hausmarken Produkt steht und dieses aus irgendwelchen Gründen “verbessert” wurde, oder nun von einem anderen Hersteller produziert wird, dann aber nicht mehr schmeckt.
Da versuche ich dann noch zu recherchieren, wer es früher hergestellt hat, und zu schauen, ob ein anderes Geschäft oder Onlineversand noch unter einem anderen Namen führt.
Gruß
Andi