Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
21. Oktober 2024, Berlin
Neues Wand-Graffiti in der Waldenser Straße bei uns um die Ecke: „Ich ficke hässliche Frauen.“
Was will der Verfasser uns damit sagen? Möchte er seine früheren Sexualpartner innen beleidigen? Oder sich selbst, weil er nur hässliche Frauen abbekommt? Oder ist das ein Angebot? „Hey, wenn ihr euch hässlich fühlst, meldet euch. Ich bumse jede.“
Jemand hat den Spruch durchgestrichen und daneben geschrieben: „Selber hässlich.“ Möglicherweise eine Ex.
22. Oktober 2024, Berlin
Zum 20. Geburtstag der Galerie Nord in der Turmstraße ist dort die Ausstellung RE:VISION zu sehen. Durch die großen Fenster sind metallene Regale mit allerlei Gerätschaften, Werkzeugen und Pappen zu erkennen. Sieht aus wie eine Mischung aus Materiallager und Baumarkt. Zuerst dachte ich, der Aufbau hat sich verzögert, aber das ist anscheinend das Ausstellungskonzept.
Heute steht im Schaufenster eine Frau in rotem Ballkleid, in ihren schwarzen Haaren steckt eine rote Blume. Sie trägt ein Headset und liest aus einem großen Buch einzelne Worte vor, diese werden per Lautsprecher nach draußen übertragen.
Niemand der Vorbeilaufenden nimmt Notiz von der Peformance. Nur die Obdachlosen, die auf der Bank vor der Galerie sitzen und Bier trinken, schauen irritiert.
23. Oktober 2024, Berlin
Im DHL-Kiosk. An erster Stelle der nicht unerheblich langen Warteschlange steht eine junge Frau mit einer großen Rewe-Einkaufstasche. Aus dieser holt sie einen Schuhkarton nach dem anderen hervor, die sie alle mit sehr viel Paketband umwickelt hat. Anschließend sucht sie in ihrem Handy umständlich nach Retour-Labeln, findet sie erst nicht, verwechselt sie dann, muss von vorne anfangen.
Unter den Wartenden macht sich allmählich Unruhe breit, die Frau wird immer fahriger und entschuldigt sich bei dem jungen Mann am Schalter: „Kein Problem, lassen sie sich Zeit“, erwidert er gelassen. Und er meint das nicht sarkastisch, sondern ist empathisch und zugewandt. Vielleicht hat er sich innerlich in einen höheren Bewusstseinszustand meditiert, in dem Zeit, Raum und Retour-Label keine Rolle spielen.
24. Oktober 2024, Berlin
Penny hat seine Einkaufs-App aktualisiert. In der neuen Version bekommst du zehn Prozent auf alles und auf ausgewählte Produkte sogar bis zu 48 Prozent. Als kostenbewusster – aka geiziger – Mensch, habe ich mir die App selbstverständlich sofort runtergeladen.
Nun laufe ich durch die Gänge, suche nach Schnäppchen und kaufe Produkte unseres täglichen Bedarfs auf Vorrat. Fühle mich wie ein Prepper, der sich auf die Zombie-Apokalypse vorbereitet. Mit Feta-Käse (minus 27 Prozent), Schinken (minus 32 Prozent) und Kaffee-Pads (minus 38 Prozent).
25. Oktober 2024, Berlin
Heute ist Sei-ein-Punk-Tag. Ich glaube, es gibt nichts unpunkigeres, als extra einen Tag ins Leben zu rufen, an dem du Punk bist.
Da ist mir der andere heutige Ehrentag wesentlich sympathischer: der Welt-Nudel-Tag. Der könnte von mir aus jeden Tag sein. (Meine Waage schüttelt panisch den Kopf.)
26. Oktober 2024, Berlin
Wir sind auf den Hund gekommen. Der Bruder meiner Frau, aka mein Schwager, und seine Freundin sind übers Wochenende auf einer Party in Berlin, wir üben uns derweil als Dogsitter.
Merle ist ein knapp einjähriger Irish Doodle und der wahrscheinlich gutmütigste Hund der Welt. Sie läuft jeder und jedem schwanzwedelnd entgegen und stellt sich zur Begrüßung auf die Hinterpfoten. Das macht sie zu einem 1a Schoßhund, für eine Karriere als Wachhund sehe ich eher schwarz.
Nachmittags ausgedehnter Spaziergang. Ich hatte früher zwar nie einen Hund, aber so viel weiß ich doch, dass du regelmäßig Gassi gehen musst, damit dir das Tier nicht in die Bude pieselt. Draußen macht Merle als erstes ein paar Tropfen Pipi vor der Haustür. Um allen Hunden in der Gegend zu signalisieren: „Hier wohne ich.“
Nach knapp einer dreiviertel Stunde auf einer Wiese im Tiergarten bequemt sich Merle, ihr großes Geschäft zu machen. Mit einer Plastiktüte packe ich den von der Konsistenz her recht cremigen Haufen und werfe ihn in einen Mülleimer, auf dem passenderweise „Häufchenhelfer“ steht.
Erinnert mich an meinen Zivildienst im Krankenhaus. Da war ich auch für die Entsorgung von Fäkalien zuständig. Wobei die Patienten ihre Notdurft nicht auf Wiesen, sondern in Bettpfannen verrichteten.
Abends Fernsehen im Wohnzimmer. Merle macht es sich auf dem Sofa zwischen uns bequem. Wir schauen Netflix, sie döst vor sich hin.
Unser weiterer Plan sah vor, dass wir vor dem Schlafengehen noch einmal kurz mit dem Hund rausgehen, damit Merle sich erleichtern kann. Sie hat aber anderes im Sinn. Um 22 Uhr steht sie vor dem Sofa, wedelt mit dem Schwanz und hält uns ihren Ball zwischen den Zähnen hin. Ihr ist nicht nach baldigem Schlaf, sondern nach jetzigem Spiel. Entsprechend länger fällt die Abendrunde aus. Schließlich ist uns der Wunsch des Hundes Befehl.
27. Oktober 2024, Berlin
0.30 Uhr. Ein kurzes, kräftiges Bellen weckt mich. Ich öffne die Augen, Merle steht neben meinem Kopfende und schaut mich erwartungsvoll an.
Meine Aufforderung „Geh ins Körbchen“ interpretiert sie auf ihre Weise und springt ins Bett. Bevor sie es sich in der Besucherritze bequem macht, bringe ich gerade noch genügend Energie auf, sie rauszuwerfen.
Kurz vor drei. Erneut reißt mich ein lauter Wuff aus dem Tiefschlaf. Während ich mich frage, wo, wer und warum ich bin, fixiert Merle mich mit schiefem Kopf. Fühle mich ein bisschen wie damals, als die Kinder als Babys mehrmals die Nacht wach wurden und wir damit auch. Wenigstens muss ich Merle keine frische Windel machen und ihr auch kein Fläschchen geben.
Der Grund für Merles Bellen ist der Sohn. Der ist gerade von der Arbeit nach Hause gekommen. Sie begrüßt ihn fröhlich, so wie sie es auch getan hätte, wenn er ein Einbrecher wäre, der unsere Wohnung ausräumt.
Als ich morgens im Wohnzimmer den Tag mit Kaffee begrüße, kommt Merle zu mir aufs Sofa, legt ihren Kopf in meinen Schoß und lässt sich ausgiebig kraulen. Sehr niedlich. Endorphin, Dopamin und Oxytocin durchströmen meinen Körper. Auch wie früher mit den Kindern. Egal wie anstrengend die Nacht war, am nächsten Morgen beim Kuscheln ist alles vergessen.
28. Oktober 2024, Berlin
Heute ist Nationaltag-der-Schokolade und Tag-der-Kuscheltier-Liebhaber. Klingt wie der beste Tag des Jahres.
29. Oktober 2024, Berlin
Habe eine Gewinnbenachrichtigung von LOTTO Berlin in der Inbox. Drei Minuten kann ich mich wie ein Lotto-Millionär fühlen, dann öffnet sich mein Kundenkonto auf der LOTTO-Berlin-Website. Sechs Euro.
30. Oktober 2024, Berlin
In der Kassenschlange bei Penny. Hinter mir steht der Prediger. Er hat nur eine Flasche Why Cook? (Geschmacksrichtung Vanille), so dass ich ihn vorlasse.
Ein bisschen bewundere ich den Prediger. Er ist meinungsstark, hat klare Positionen und scheut sich nicht, diese mit Vehemenz vorzutragen, wenn er durch die Straßen läuft. Aus dem gleichen Grund fürchte ich mich ein wenig vor ihm. Weil ich Angst habe, selbst einmal Zielscheibe einer seiner Ausbrüche zu werden.
Umso mehr überrascht mich, was dann passiert. Ich zeige auf die Flasche auf dem Kassenband und frage ihn: „Ist das gut?“
Normalerweise halte ich nie Small Talk, schon gar nicht mit Fremden und am allerwenigsten bei Penny. (Damit mir das nicht als Dünkel ausgelegt wird: Auch nicht bei Rewe oder im KaDeWe, wo ich sowieso nie bin.) Warum ich gerade beim Prediger damit anfange, weiß ich nicht.
Der findet das nicht merkwürdig, sondern erklärt ausführlich, dass da prinzipiell alles drin sei, was dein Körper brauche. Ballast- und Nährstoffe, Vitamine, Kohlenhydrate, Fett und Eiweiß. Deswegen müsse man nichts kochen und besonders in Trainingsphasen sei das optimal. Und günstig obendrein.
So begeistert wie er von der Flüssignahrung spricht, frage ich mich kurz, ob er „Why cook“-Testimonial ist.
„Also insgesamt ist das schon gut“, fasst er seinen Vortrag zusammen. „Aber irgendwann will man doch mal ein Stück Gemüse essen. Damit der Mund was zu tun hat.“
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)