Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
14. November 2022, Berlin
Nostalgische Kindheitserinnerungen im Supermarkt. Der Kassierer im Supermarkt trägt eine Armbanduhr mit Taschenrechner. Sowie damals in der Grundschule mein Klassenkamerad Thorsten. Dafür habe ich ihn sehr beneidet. Meine Eltern erfüllten mir meinen Wunsch nach einer Taschenrechner-Uhr aber nie und ich suchte auf vielen Geburtstagstischen und unter mehreren Weihnachtsbäumen vergeblich nach ihr. (Schlimmstes Trauma für die wohlbehütet aufgewachsene Generation Golf.)
Auch jetzt an der Kasse denke ich, dass ich gerne so eine Uhr hätte. Dabei trage ich seit über 25 Jahren keine Armbanduhr. Eine Zeit lang hatte ich eine Taschenuhr, weil ich dachte, das sei cool. Stellte sich aber heraus, dass es sehr uncool ist. Außerdem habe ich einen Taschenrechner in meinem Smartphone, den ich so gut wie nie benutze. Und mit „so gut wie nie“ meine ich „nie“. Es gibt im Alltag einfach sehr wenige Situationen, in denen ich zu mir sage: „Was für ein Glück, dass mein Handy einen Taschenrechner hat. Aber noch besser wäre es, wenn ich ihn am Handgelenk tragen würde.“
15. November 2022, Berlin
Bei meiner morgendlichen Laufrunde sehe ich kurz vor dem Eingang zum Schlosspark Charlottenburg einen kleinen Auflauf von vier bis fünf Kindern im Kita-Alter mit ihren Eltern. Auf der anderen Seite der Spree gibt es eine große Baustelle mit Kränen, Baggern, LKWs und Betonmischern, die einen Heidenlärm veranstalten. Quasi der feuchte Traum eines jeden DMAX-Zuschauers.
Die Kinder sind hellauf begeistert. Mit großen Augen und geöffneten Mündern bestaunen sie das Baustellen-Spektakel. Die Mütter und Väter wirken dagegen leicht nervös und schauen immer wieder verstohlen auf ihre Uhren. Ab und an sagen sie: „Jetzt müssen wir aber los.“ Die Kinder bügeln das dann mit einem energischen „Noch ein bisschen“ ab.
Vielleicht sollte es im Radio nicht nur Verkehrsnachrichten und Blitzerwarnungen, sondern zusätzlich einen speziellen Eltern-Funk geben. Der könnte vor Baustellen, Müllautos und anderen potenziellen Ablenkungen auf dem Weg mit Kindern warnen.
„Wir unterbrechen das Programm für eine wichtige Meldung: In der Bismarckstraße beginnt heute der Abriss der alten Molkerei. Eltern sollten das Gebiet unbedingt großräumig umfahren, um mehrstündige Verzögerungen zu vermeiden. Vor der Kita Frecher Spatz in der Schillerstraße liegt außerdem eine leere Blechbüchse. Lenken Sie ihr Kind rechtzeitig ab, sonst schaffen Sie es nicht rechtzeitig ins Büro.“
16. November 2022, Berlin
Die Tochter muss im ersten Semester in Englisch den Kurs „Virtue of Poetry“ besuchen. Das wäre für mich eine große Herausforderung. Vergleichbar mit der Skalierungs-Vorlesung, die ich seinerzeit im Psychologie-Nebenfachstudium belegen muss. Bis zum heutigen Tag ist mir nicht vollkommen klar, was Skalierung eigentlich ist.
Zu Gedichten und Poesie habe ich einfach keinen Zugang. Das ist mir alles zu metaphorisch. Sobald in einem Buch ein Gedicht auftaucht, lese ich allerhöchstens die erste Zeile und überspringe dann den Rest. Für einen Kurs „Virtue of Poetry“ wäre das eher unvorteilhaft. Wie sollst du etwas über ein Gedicht lernen, von dem du nur die erste Zeile gelesen hast?
Schon zu Schulzeiten waren Gedichtinterpretationen mein Endgegner. Ich konnte zwar Paar- von Kreuz- und Stabreimen unterscheiden – was nun wirklich kein Hinweis auf eine literarische Hochbegabung ist –, aber dann hörte es auch auf. Katastrophal wurde es, wenn wir das Versmaß bestimmen mussten. Zum einen konnte ich mir die Bezeichnungen nie merken. Jambus, Trochäus, Daktylus und Anapäst klingen ja auch eher nach Helden aus der griechischen Mythologie. (Oder wie merkwürdige Geschlechtskrankheiten, die du lieber nicht bekommen willst.)
Selbst wenn ich mir die Fachausdrücke hätte merken können, hätte ich aber nicht gewusst, für welches Versmaß sie stehen. Auch das hätte mir nicht weitergeholfen, denn ich war nicht in der Lage, die betonten und unbetonten Silben herauszuhören. Im Gegenteil konnte ich jeden Vers auf unterschiedliche Arten betonen, so dass für mich jedes Versmaß infrage gekommen wäre. Eigentlich war das fast schon ein Inselbegabung, was meine Deutschlehrer*innen allerdings nie honoriert haben.
17. November 2022, Berlin
Sie werden es nicht für möglich halten, aber ich habe erneut eine Lotto-Gewinnbenachrichtigung erhalten. Diesmal für 11,10 Euro. Dabei hatte ich dem Lotto-Gott doch kürzlich vorgeschlagen, er solle sich nicht mit diesen Winzgewinnen aufhalten, sondern einfach einmal einen Millionengewinn über uns ausschütten.
Dass das nicht unmöglich ist, hat sich letzte Woche gezeigt. Da hat ein Berliner den Euro-Jackpot in Höhe von 120 Millionen geknackt. Als ich das gelesen habe, dachte ich ganz kurz: „Vielleicht bin ich das ja!?“ Aber es wäre eher unwahrscheinlich, dass ich das dann aus den Medien erfahre. Außerdem fiel mir dann ein, dass wir beim Euro-Jackpot gar nicht mitspielen. Da ist es dann etwas unfair, den Lotto-Gott anzumachen, weil er uns nicht mit einem Millionengewinn bedenkt.
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Vor rund zwei Wochen hatte ich meine Verwunderung und mein Befremden zum Ausdruck gebracht, dass ich Anfang November im kurzärmligen Shirt und in kurzen Hosen laufen gehen konnte und dass es für die Jahreszeit doch viel zu warm ist. Anscheinend haben sich der Wetter- und der Lauf-Gott gedacht: „Ganz wie du willst, Christian.“ Heute früh sind es null Grad. Ich trage mehrere Lagen an langärmligen Shirts sowie lange Hosen und Handschuhe.
Während ich durch den Sportpark am Poststadion jogge, schneit es sogar ein wenig. Das verleiht dem Kind eine gewisse Rocky-Romantik. Ich erinnere mich, wie Sylvester Stallone in Rocky 4 durch den sibirischen Tiefschnee gerannt ist. Als ich das als Kind gesehen habe, fand ich das wahnsinnig motivierend und ich hatte immer Lust, sofort Sport zu treiben. Heute muss ich allerdings feststellen, dass der Motivations-Faktor nicht ganz so groß ist, wenn du nicht auf dem bequemen Sofa sitzt und jemand anderem beim Training zuschaust, sondern selbst bei Schneeregen matschige Hügel hinaufstapfen musst.
Nach knapp 80 Minuten bin ich wieder zu Hause. Trotz der Handschuhe sind meine Finger so kalt, dass ich es kaum schaffe, meine Schnürsenkel aufzumachen. Solche profanen Probleme hatte Rocky nicht. Und falls doch, hätte er wahrscheinlich einfach die Schnürsenkel zerrissen. Oder gleich die ganzen Schuhe.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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