Wir sind kurzverreist. Nach Prag. Hier gibt es den Bericht. Nicht ganz live, aber dafür in Farbe und 8k. Falls Ihnen Ihre Lebenszeit nichts wert ist und Sie alle Prag-Beiträge lesen möchten, werden Sie hier fündig.
13.16 Uhr. Wir sitzen im EC175 Richtung Prag. Die Fahrt war unser Überraschungsgeschenk für die Kinder zu Weihnachten. Ihre Ausstattung mit technischem Gerät war auf dem neuesten Stand und sie hatten auch sonst keine größeren Wünsche, also haben wir ihnen einen Städtetrip geschenkt. Und Zeit mit uns. Möglicherweise bereuen sie nun, dass sie sich kein neues iPhone gewünscht haben.
Die Kinder haben erst am Bahnhof erfahren, wo unsere Reise hingeht. An Heiligabend hatten sie nur ein Bild bekommen, auf dem die Zeile „Es fährt ein Zug nach Irgendwo“ stand und ein paar Icons stellvertretend für geplante Aktivitäten abgedruckt waren. Lediglich die Farbgestaltung des Gutscheins in rot, weiß und blau gab einen dezenten Hinweis auf die Tschechische Republik als Reiseziel.
Der Sohn kannte sich in Flaggenkunde aber besser aus als gedacht und erriet nach wenigen Minuten, dass wir nach Prag fahren werden. Meine Frau und ich hielten uns bedeckt, um die Spannung künstlich hochzuhalten und vor allem um uns die Überraschung nicht zu verderben.
Ich gab zu bedenken, die französische Flagge genauso wie die Fahnen der Länder des ehemaligen Jugoslawiens seien ebenfalls in rot, weiß und blau gehalten. Um zusätzlich Verwirrung zu stiften, erklärte ich, dies seien außerdem auch die Nationalfarben der USA, von Kuba und von Puerto Rico.
Der Sohn verfügt aber nicht nur über ein Basis-Wissen in Flaggenfarben, sondern weiß auch, dass du nicht mit dem Zug den Atlantik überquerst, und beharrte auf seiner Prag-Vermutung. Entsprechend registrierte er mit selbstzufriedener Genugtuung, dass unser Zug tatsächlich in die tschechische Hauptstadt fährt.
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Im Gegensatz zum Rest der Familie war ich schon mal in Prag. Das war 1993 im Rahmen meiner 12er-Kursfahrt und ich habe nur bruchstückhafte Erinnerungen an die Reise. Ich möchte das darauf zurückführen, dass die Fahrt 30 Jahre her ist und nicht unserem übermäßigen Alkoholkonsum zuschreiben.
Damals machten wir am ersten Tag einen Stadtrundgang, wobei wir einem tschechischen Stadtführer und seinem erhobenen Regenschirm hinterherliefen. In regelmäßigen Abständen rief der Mann mit starkem Akzent „Bittä links!“ oder „Bittä rächts“, um dann etwas zu irgendeiner Sehenswürdigkeit zu erzählen. Welche Sehenswürdigkeiten das waren, ist mir entfallen. Dafür erinnere ich mich, dass ich mit meinen Freunden M. und T. in einer Mittagspause in einer Budvar-Kneipe war, wo wir Käsewürstchen aßen und zwei große Bier tranken. Was du halt so machst, wenn du 18 und auf Kursfahrt bist.
Ich weiß auch noch, dass ich an einem Abend mit einer paar Klassenkameraden und unserem Mathelehrer beim Fußball war. Europapokal, erste Runde. Slavia Prag gegen das schottische Team von Hearts of Midlothian. Alternativ hätten wir ins Schwarze Theater gehen können, aber darauf hatten wir keine Lust. Unser Lehrer anscheinend auch nicht.
Die anderen Abende verbrachten wir regelmäßig im Bunkr, einem Underground-Club, wo wir unter anderem ein Konzert der Punkband „Fluchtweg verschimmelt“ sahen. Allerdings ohne unseren Mathelehrer. Somit haben Kneipe und Käsewürstchen, Fußball und Punk-Treff mehr Eindruck bei mir hinterlassen als Karlsbrücke, Prager Burg und Jüdisches Viertel. Aber wäre es anders, wäre es keine gute Kursfahrt gewesen.
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Kurz bevor wir zum Bahnhof aufbrachen, wurde es etwas hektisch. Bei meiner familieninternen Routineabfrage, ob alle ihre aktuelle Bahncard in der Bahn-App hochgeladen haben, stellte sich heraus, dass die Karte des Sohns abgelaufen ist. Ich versuchte mich bei der Bahn-Webseite einzuloggen. Dazu musste ich auf lächerlich winzigen Fotos Eisbären von Pinguinen und Gletschern unterscheiden, um zu beweisen, dass ich kein Roboter, sondern ein Mensch bin.
Ich scheiterte mehrmals an der Aufgabe. Nicht weil ich eine künstliche Intelligenz bin, sondern eine unkünstliche Unintelligenz. Als ich die Eisbären-Hürde im dritten Anlauf endlich überwunden hatte, bekam ich statt der Webseite eine Fehlermeldung angezeigt.
Schließlich schaffte der Sohn es, übers Handy eine neue Bahncard zu kaufen. Die ließ sich jedoch nicht in die App laden. Nun müssen wir hoffen, dass der Schaffner oder die Schaffnerin die Buchungsbestätigung plus Rechnung als Nachweis akzeptiert.
Aufgrund der Hektik war die Stimmung nicht ganz so harmonisch, wie sie vor einem gemeinsamen Familien-Ausflug sein sollte, sondern eher leicht angespannt, was ein Euphemismus für „ziemlich gereizt“ ist. Nun, da wir endlich unsere Plätze im Zug eingenommen haben, breitet sich allmählich Entspannung und Gelassenheit aus. Was nicht zuletzt daran liegt, dass wir unseren ersten Proviant zu uns nehmen.
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In unserem Sechser-Abteil sitzt außer uns noch ein Mann. Ich schätze ihn etwas älter als mich. Wahrscheinlich denkt er das gleiche von mir.
Gemeinsam mit den Kindern beratschlagen wir, was wir in Prag alles unternehmen könnten. Meine Frau und ich hatten überlegt, einen geführten Stadtrundgang zu machen. Quasi als Reminiszenz an meinen „Bittä rächts“-Stadtführer von vor 30 Jahren.
Meine Frau erklärt, sie hätte ein Angebot für eine Altstadtführung inklusive Karlsbrücke und Burg gefunden. Sogar auf Deutsch, circa drei Stunden lang und das sei bestimmt mächtig spannend.
Der Sohn teilt ihre Begeisterung nur bedingt. Also gar nicht. Bei einem dreistündigen geführten Stadtspaziergang käme er sich vor wie in der Schule, sagt er. So wie er das Gesicht dabei verzieht, komme ich mir vor wie ein Lehrer.
Ich schlage vor, statt der Führung könnte sich jede*r etwas in Prag aussuchen, das wir gemeinsam anschauen, und dazu ein Kurzreferat vorbereiten. Der Sohn sagt, dann würde er einen Vortrag über tschechisches Bier halten. Meine Frau meint, er müsse eine Sehenswürdigkeit vorstellen. Der Sohn findet, tschechisches Bier sei eine Sehenswürdigkeit. Ich denke, wir lassen das mit den Vorträgen lieber bleiben.
Die kompletten Beiträge der Prag-Reise finden sie hier:
- Anreise (03.01.): Es fährt ein Zug nach Irgendwo
- Tag 1 (04.01.): So weit die Füße tragen
- Tag 2 (05.01.): Essen wie die Tschechen
- Tag 3 (06.01.): Wer zuletzt lacht, lacht zuletzt
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)