Der Zug fährt die Elbe entlang durch die Sächsische Schweiz. Wir durchqueren pittoreske Örtchen mit bunten Häuschen und akkurat gepflegten Gärten. Fühlt sich wie in einer Modelleisenbahn-Landschaft an. Ich muss unweigerlich denken, warum Menschen, die in einem Miniaturwunderland leben, AfD wählen.
Kurz vor Bad Schandau, dem letzten Halt in Deutschland, laufen Bundespolizisten durch den Zug und kontrollieren Ausweise. Als brave Untertanen zücken meine Frau und ich eilfertig unsere Personalausweise. Die Polizisten würdigen uns keines Blickes und gehen weiter ins nächste Abteil. Anscheinend halten sie es nicht für nötig, uns zu überprüfen, weil wir so starke deutsche Vibes ausstrahlen. (Zum Beispiel durch das unaufgeforderte Zücken von Personalausweisen.)
Wir haben Deutschland verlassen. Die Zugdurchsagen werden nun zuerst auf Tschechisch durchgegeben. Klingt ein bisschen nach „Sendung mit der Maus“, nur dass niemand danach sagt: „Das war Tschechisch.“
Tschechisch hört sich nach fröhlichem Singsang an. Ich lade mir die DeepL-App runter. Könnte beim Einkaufen nützlich sein.
Die Schaffnerin erklärt über den Lautsprecher, bei Fragen könne man sich gerne an sie und ihr Team wenden oder in der Můj vlak-App nachschauen. Sie hört sich an, als würde sie bevorzugen, dass die Reisenden die App konsultieren. Můj vlak klingt für mich weniger nach Handy-Software, sondern eher nach einem böhmischen Kartoffelgericht. („Ich hätte gerne das Můj vlak und dazu ein kleines Bier.“)
Am Zugfenster saust ein Friedhof vorbei. Direkt daneben steht eine Tankstelle, dann kommt ein Gebrauchtwagenhändler. Einerseits ein wenig pietätslos, andererseits maximal effizient. Nachdem du deine Angehörigen zu Grabe getragen hast, kannst du dein Erbe gleich in einen Gebrauchtwagen investieren. (Sollte das Geld für einen Neuwagen reichen, wurde der Erbonkel oder die Erbtante wahrscheinlich nicht auf einem Friedhof neben einer Tanke beerdigt.)
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Kurz nach halb sechs. Ankunft in Prag. Die Schaffnerin erklärt, wir hätten acht Minuten Verspätung und bedankt sich für das Verständnis der Reisenden. Ohne zu wissen, ob die überhaupt Verständnis haben. Nach meiner Erfahrung ist davon eher nicht auszugehen. Aber die Schaffnerin setzt das einfach mal voraus. Gewissermaßen eine von außen angestoßene Autosuggestion.
Eigentlich müsste sich die tschechische Bahn gar nicht für die Verspätung entschuldigen. Die ist bereits in Deutschland entstanden. Zwischen Berlin und Dresden war ein Stellwerk beschädigt. Wegen Vandalismus. Deswegen war die Strecke ab und an nur eingleisig befahrbar. Der Zug musste dann anhalten und der Schaffner erklärte jedes Mal, dies sei kein normaler Halt und es solle niemand aussteigen.
Ich fragte mich dann immer, ob das wirklich nötig ist und ob es tatsächlich Reisende gibt, die mitten in der Landschaft den Zug verlassen, weil sie denken, sie hätten ihre Station erreicht. Wahrscheinlich schon.
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Um zu unserer Unterkunft zu kommen, müssen wir die Aufgabe „ÖPNV in Prag fahren“ lösen. Das schaffen wir mit Bravour. Beziehungsweise meine Frau schafft das. Sie sucht in der PID Lítačka-App die Route raus und kauft gleich die dazugehörigen Tickets, die erfreulich günstig sind.
Ich habe mir die App ebenfalls runtergeladen, überlasse aber meiner Frau die Recherche. Das bringt ja nichts, wenn wir das beide machen. Falls ich eine bessere Verbindung finde, wird das schnell als Rechthaberei ausgelegt, wenn ich aber eine schlechtere Route vorschlage, wird das noch in Jahren Gegenstand von Erzählungen meiner Frau sein, und das braucht kein Mensch.
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Nachdem wir uns in der Unterkunft eingerichtet haben, gehen wir fürs Abendessen einkaufen. Der am nächsten gelegene Supermarkt ist enttäuschenderweise ein LIDL. Ich habe nicht per se etwas gegen LIDL, aber in Prag schon. Im Ausland möchte ich in einheimischen Supermärkten einkaufen und die lokalen Produkte und die Einrichtung studieren. Für mich ist das Teil des Urlaubserlebnisses. Ein tschechischer LIDL unterscheidet sich jedoch nicht allzu sehr von einem deutschen LIDL und in einem LIDL Urlaubsgefühle zu entwickeln, ist ziemlich herausfordernd.
Wenigstens die Preise vermitteln ein Gefühl der Fremde und der Exotik. In Tschechien wird nicht Euro, sondern mit Krone bezahlt. In meiner Ignoranz habe ich das erst ein paar Tage vor unserer Abfahrt mitbekommen.
Ein Euro entspricht ungefähr 25 Kronen. Deswegen sind die Preise alle absurd hoch und erfordern Kopfrechnen für Fortgeschrittene. Außer du bist ein Mathegenie, was auf mich aber nicht zutrifft. Eigentlich ist ein Euro nur 23 bis 24 Kronen. Das macht das Rechnen aber noch komplizierter und weil wir hier im Kurzurlaub und nicht im Matheunterricht sind, finde ich, dass ich mir die Umrechnerei ruhig ein wenig leichter machen kann.
An der Kasse sage ich zur Kassiererin: „Dobre Den.“ Das heißt „Guten Tag“ auf Tschechisch. Ich hatte das vorher bei DeepL nachgeschaut, denn im Ausland grüße ich die Menschen gerne in ihrer Landessprache. Als Zeichen der Höflichkeit und des Respekts.
Die Frau erwidert meinen Gruß mit einem knappen Nicken. Entweder sie hat mich nicht verstanden oder sie hat um 19.30 Uhr, kurz vor Feierabend, kein Bock auf einen Typen, der irgendwas nuschelt, das wie eine Phantasiesprache klingt.
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Wir beenden den Abend mit unserem traditionellen Urlaubskniffel. Wir sind zwar nur drei Tage in Prag, aber da es dieses Jahr unser einziger Urlaub mit den Kindern sein wird, muss das jährliche Kniffel-Turnier eben hier stattfinden.
Der Sohn ist als Erster des letztjährigen Portugal-Turniers Titelverteidiger. Die Tochter und ich konnten in den letzten Jahren jeweils drei Siege erringen. Somit können wir beide durch einen vierten Erfolg zum alleinigen Rekord-Urlaubskniffelchampion aufsteigen.
Nach vier Runden haben die Tochter und ich die exakt gleiche Punktzahl – ein Kniffel der Herzen meinerseits verhinderte meine Führung. Meine Frau liegt mit 160 Punkten zurück, der Sohn sogar mit 360 Punkten. Somit sieht es nach einem Vater-Tochter-Zweikampf um den Titel des besten Familien-Knifflers aller Zeiten aus.
(Im Zuge des Trash Talks und der psychologischen Kriegsführung wird hier bewusst auf irgendwelche Gender-Sternchen oder große I verzichtet. Und falls Sie sich fragen, ob wir das Urlaubskniffeln zu Ernst nehmen, kann ich das mit einem klaren „Ja“ beantworten.)
Die kompletten Beiträge der Prag-Reise finden sie hier:
- Anreise (03.01.): Es fährt ein Zug nach Irgendwo
- Tag 1 (04.01.): So weit die Füße tragen
- Tag 2 (05.01.): Essen wie die Tschechen
- Tag 3 (06.01.): Wer zuletzt lacht, lacht zuletzt
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Der Eintrag ist zwar schon ein paar Tage alt, und die Familie mutmaßlich bereits wieder zu Hause. Aber sofern der LIDL der in der Innenstadt war, hätte ich als Sightseeing-Tip den Spielzeugladen direkt neben dem LIDL, erkennbar direkt durch den Stormtrooper (zumindest als ich dort war) im Eingangsbereich.
Dieser (also der Laden) hat neben einer beeindruckenden Größe und Angestellten welche die Spielzeuge im Laden bespielen, auch ein Kinderkarussel – nicht eben klein – im Laden. Also ich war beeindruckt, und froh, ohne Kinder in Prag zu sein.
Danke für den Hinweis, aber wir sind tatsächlich schon wieder zurück in Berlin.
Bei unseren LIDL gab es leider keinen Spielzeugladen in der Nachbarschaft. Sonst hätte ich in Stormtrooper-Uniform einkaufen gehen können.
… gerade noch mal nachgeschaut. Hamleys heißt der Laden. Bei Google Maps gibt’s Bilder.