Eine Prager Wochenschau | Tag 3 (06.01.): Wer zuletzt lacht, lacht zuletzt

Wir sind kurzverreist. Nach Prag. Hier gibt es den Bericht. Nicht ganz live, aber dafür in Farbe und 8k. Falls Ihnen Ihre Lebenszeit nichts wert ist und Sie alle Prag-Beiträge lesen möchten, werden Sie hier fündig.


Meine morgendliche Laufrunde führt mich an der O2-Arena vorbei. Ein Display über dem Eingang kündigt einen Auftritt der Jonas Brothers an „5 Albums in 1 show!“ Ich frage mich, seit wann Magier Platten aufnehmen. Und dann gleich fünf Stück.

Es dauert ungefähr zwei Kilometer, bis mir einfällt, dass das mit der Zauberei nicht die Jonas, sondern die Ehrlich Brothers sind. Eigentlich heißt es, dass körperliche Ertüchtigung die Durchblutung des Hirns fördert und gut fürs Denkvermögen ist. Anscheinend muss ich noch sehr viel mehr Sport treiben.

Für heute nehmen wir uns einen Besuch des Nationalmuseums vor. Etwas antizyklisch wollen wir uns am letzten Tag unseres Prag-Aufenthalts über die Geschichte Tschechiens informieren.

Meine Frau kauft die Tickets online. Für die Tochter und den Sohn gibt es Studierenden- beziehungsweise Schüler-Rabatt. Wir müssen dagegen den vollen Preis bezahlen, denn ansonsten wird lediglich eine Ermäßigung für Senior*innen angeboten. Die Tochter meint, wir könnten sollten versuchen, damit durchzukommen, und der Sohn ist zuversichtlich, dass das funktioniert.

In solchen Momenten denke ich, dass früher vielleicht nicht alles, aber doch manches besser war. Im 19. Jahrhundert hätten wir uns so etwas nicht anhören müssen. Da hätten uns die Kinder gesiezt und mit „Herr Vater“ und „Frau Mutter“ angesprochen.

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Auf dem Weg zum Museum streifen wir die Altstadt, in der es erstaunlich viele Läden für Thai-Massagen und andere Wellness-Behandlungen zu sehr günstigen Konditionen gibt. Überraschenderweise merkt die Tochter an, dass es bei diesen Preisen sicherlich kein Happy Ending gibt. Ich habe mir dagegen diese Mario-Bartheske Bemerkung tunlichst verkniffen, um mich nicht als toxisch männlicher Macho bloßzustellen.

Die Wohlfühl-Behandlungen finden in diesen Läden nicht diskret hinter verschlossenen Türen oder wenigstens dicken Vorhängen statt, sondern in aller Öffentlichkeit hinter großen Schaufenstern, so dass alle Passant*innen zuschauen können. Als wir an einem dieser Wellness-Läden vorbeigehen, sitzt gerade ein junges Paar im Schaufenster. Sie halten ihre Füße in ein Aquarium und lassen sich von ein paar Fischen Hornhaut und Hautschuppen von Zehen, Sohlen und Fersen knabbern. Ich kann mich nicht entscheiden, mit wem ich weniger tauschen möchte: mit dem Paar oder mit den Fischen.

Im Laden selbst wird gerade eine Familie verwöhnt. Die Mutter bekommt die Füße massiert, der Vater den Rücken und der ungefähr achtjährige Sohn Gesicht und Kopfhaut. Für mich wäre das nichts. Eine Massage ist ein intimer Moment, in dem du dich zumindest teilweise entkleidest und von einer dir fremden Person angefasst wirst. Da würde ich nicht wollen, dass die halbe Prager Fußgängerzone dabei zuschaut.

Um ehrlich zu sein, möchte ich mich nicht einmal partiell entblößen und von Fremden betatschen lassen, wenn niemand zuschaut. (Ein Satz, den meine Frau sicherlich gerne liest.)

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Das Nationalmuseum ist das führende Kultur- und naturgeschichtliche Museum in Tschechien. Das Hauptgebäude besteht aus einem imposanten Alt- und einem modernen Neubau, die Ausstellungsfläche erstreckt sich über mehr als 11.300 Quadratmeter auf jeweils fünf Etagen.

Da kannst du eine Menge Ausstellungen unterbringen. Und das haben die Menschen vom Nationalmuseum auch getan. Es gibt Ausstellungen über die Geschichte des tschechischen Staatsgebietes vom 8. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg, die Barockzeit in Bayern und Böhmen, die Wunder der Evolution, die Geschichte Tschechiens im 20. Jahrhundert, tschechische Wintersporterfolge, archäologischen Körperschmuck, die Geschichte der Chateau Library Újezd Svatého Kříže, die 1950er Jahre, zu Expeditionen des Nationalmuseums sowie eine umfangreiche Mineraliensammlung. Die Themenvielfalt ist so groß als wären in Berlin das Naturkunde-, das Pergamon, das Neue, das Deutsche Historische, das Bode und das Märkische Museum und dazu noch ein Brandenburgisches Freilichtmuseum in ein Gebäude gepackt worden.

Wir schauen uns die Ausstellung zur Geschichte Tschechiens im 20. Jahrhundert. Die ist bezeichnenderweise mit einem Panzer-Icon gekennzeichnet. Der Rundgang startet mit einem History Elevator. Dort läuft ein circa dreiminütiges 360-Grad-Video über die tschechische Geschichte. Mit ziemlich viel Krieg, Gewalt und Unterdrückung. Was für ein Griff ins Klo muss es gewesen sein, die Nazi-Besetzer loszuwerden, damit dann die stalinistische Sowjetunion dein neuer bester Freund und Beschützer wird.

Gegen Ende des Films wird es mit demokratischem Wandel und Aufschwung optimistischer. Schlusspunkt ist der Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union unterlegt mit dem obligatorischen „Freu dich schöner Götterfunken“. So verlässt du den History Elevator nicht vollkommen deprimiert, sondern mit Zuversicht und Hoffnung. Die halten so lange an, bis du in den ersten Raum mit Exponaten zum Ersten Weltkrieges kommst.

Die Ausstellung behandelt nicht nur Politik und Krieg, sondern auch Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft, Sport und Alltagsleben. Da die Austellungsführung nicht immer ganz eindeutig ist, lande ich direkt von einem Schaukasten mit Ausstellungsstücken aus der Nazi-Besatzung in einer nachgebauten 90er-Jahre Küche. Die sieht aus wie eine westdeutsche Küche uns den 70ern.

Die obere Etage der Ausstellung beherbergt eine Galerie mit Büsten bedeutender tschechischer Politiker*innen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Wenn ich mir die Köpfe so anschaue, hoffe ich, dass niemals eine Büste von mir erstellt wird, denn keine der Personen ist besonders vorteilhaft getroffen. Möglicherweise sind die Darstellungen aber doch sehr exakt und diese Personen waren einfach hässlich.

Neben der Büstengalerie stehen zwei große Touchscreens, die interaktive und kindgerechte Informationen bereitstellen. Mein Wissensstand über die tschechische Geschichte bewegt sich ungefähr auf dem Niveau eines dreijährigen Kindes. Somit ist das für mich die perfekte Informationsquelle.

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Eigentlich ist mein Wissensdurst für heute – und den Rest des Monats – gestillt. Meine Frau möchte aber noch in die Ausstellung „Miracles of the evolution“. Diese befindet sich im historischen Altbau. Um dort hinzugelangen, müssen wir mehrere Stockwerke runtergehen, einen längeren Fußmarsch absolvieren und schließlich wieder mehrere Stockwerke hochgehen.

In dem Übergangskorridor von Alt- zu Neubau wird eine Videoinstallation an die Wand projiziert. (Tschechische Museumskurator*innen haben wohl ein Faible für bewegte Bilder.)

Der Film startet mit dem Urknall vor fast vierzehn Milliarden Jahren, im Zeitraffer geht es zehn Milliarden Jahre weiter zu den ersten Einzellern im Wasser, 500 Millionen Jahre später gehen die ersten Lebewesen an Land, nach rund 250 Millionen Jahren erscheinen die Dinos und irgendwann ist das 20. Jahrhundert erreicht, das mit faschistischen Aufmärschen, Krieg und Gewalt bebildert ist.

Da wird sich die Evolution schön bedanken: „Alter, wofür mach’ ich den ganzen Scheiß hier, ihr Hohlbirnen? Ich hab` mich vierzehn Milliarden Jahre abgemüht, damit ihr nicht ewig als Amöben in der Ursuppe rumschwimmt und ihr habt nichts Besseres zu tun, als euch die Köppe einzuschlagen, ihr Volltrottel? Dafür hab’ ich euch keine beweglichen Daumen gegeben, ihr Arschgeigen. Hoffentlich knallt bald mal wieder ein Komet auf die Erde. Alles dumme Pissflitschen hier.“
(Die Evolution scheint zu cholerischen Ausbrüchen zu neigen und hat ein leichtes Anger-Management-Problem.)


Weiter zu Teil 2


Die kompletten Beiträge der Prag-Reise finden sie hier:



2 Kommentare zu “Eine Prager Wochenschau | Tag 3 (06.01.): Wer zuletzt lacht, lacht zuletzt

  1. Ein Abstecher in die Mineraliensammlung hätte gelohnt – da gibt es doch tatsächlich ein Gestein aus dem heimischen Westerwald (was mich anno 1992 in einem der wenigen nüchternen Momente anlässlich einer Studienfahrt doch arg erstaunt hat)

    • Beim nächsten Prag-Besuch, werde ich mir den Westerwald Stein in der Mineraliensammlung anschauen. Oder ich schaue mir einfach bei meinem nächsten Besuch bei meinen Eltern ein paar Steine an.

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