Eine Prager Wochenschau | Tag 2 (05.01.): Essen wie die Tschechen

Wir sind kurzverreist. Nach Prag. Hier gibt es den Bericht. Nicht ganz live, aber dafür in Farbe und 8k. Falls Ihnen Ihre Lebenszeit nichts wert ist und Sie alle Prag-Beiträge lesen möchten, werden Sie hier fündig.


Mein Tag beginnt mit einem morgendlichen Lauf. Ich bin mir durchaus bewusst, dass im Städtereisen-Kurzurlaub joggen zu gehen, nicht besonders viel Identifikationspotenzial bietet. Im Gegenteil. Das wirkt überengagiert und asketisch-freudlos. Allerdings war meine Nahrungsaufnahme in der Weihnachtszeit stark unterdiszipliniert – dafür aber hedonistisch-freudvoll. Somit ist der Frühsport kein Ausdruck von falschem Ehrgeiz, sondern schlicht dringend geboten.

(Der zwickende Hosenbund nickt, der Hüftspeck lacht und singt: „Wir sind gekommen, um zu bleiben.“)

Die Menschen, die mir beim Laufen entgegenkommen, schauen überwiegend recht grimmig. Da fühle ich mich gleich wie zuhause.

Am Neujahrstag bin ich in Friedrichshafen am Bodensee gelaufen. Da war das anders. Dort waren die Leute überaus freundlich. Und es wurde gegrüßt. Sehr viel. Nicht nur andere Jogger*innen, sondern auch Nordic Walker*innen, Radfahrer*innen und Spaziergänger*innen nickten und grüßgotteten, als gäbe es kein Morgen mehr. Manche grüßten so enthusiastisch, als würden sie mir am liebsten auch noch die Hand schütteln. Die Grüßerei hatte etwas leicht zwanghaftes und sozial kontrollierendes, war aber trotzdem eine nette Abwechslung zum doch eher stoffeligen Berlin.

In Prag wird nicht gegrüßt und genickt. Hier wird gegrimmt und gegrummelt und die Mundwinkel mürrisch nach unten gezogen. Das kann ich gut verstehen, denn das mache ich auch häufig. Aber ich habe mir vorgenommen freundlicher dreinzuschauen. Allerdings traue ich mich nicht, fröhlich grinsend durch die Gegend zu joggen. Aus Angst, jemand findet das anstößig und schubst mich auf die Straße vor das nächste Auto.

Gegen Ende meines Laufs kommt mir eine Gruppe von circa 20 Kitakindern entgegen. Sie tragen neongelbe Warnwesten und bunte Bommelmützen und gehen Hand in Hand in 2er-Reihen. Sie lachen mich an und ein paar winken mir. Ich lache und winke zurück. Das macht gute Laune.

Wir sollten alle morgens Kitakindern begegnen, die uns anlachen und zuwinken. Vielleicht sollte ich in Berlin häufiger in der Nähe von Kitas joggen. Bei einem bärtigen Endvierziger könnte das allerdings zu Missverständnissen führen.

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Nach dem gestrigen anstrengenden Stadtspaziergang und dem intellektuell herausfordernden Jazz-Abend steht dem Sohn der Sinn heute nach Profanerem: Er möchte shoppen gehen.

Der Wunsch unserer Kinder ist uns zwar nicht Befehl, aber es spricht auch nichts gegen sein Begehren. Also gehen wir ins „Palladium“, einem gigantischen Einkaufscenter mit fast 200 Geschäften auf fünf Etagen.

Bei Lacoste sehe ich durchs Schaufenster einen eng geschnittenen, lilafarbenen Jogginganzug. Wäre unser Leben eine Hollywood-Komödie, würden wir zusammen in den Laden gehen und danach alle in dem identischen Jogginganzug wieder rauskommen. Um zu zeigen, dass wir eine gute Zeit haben und uns gut verstehen. Der Anzug kostet aber 260 Euro und unser Leben ist keine Hollywood-Komödie, so dass wir in unseren jetzigen Klamotten eine gute Zeit haben und uns gut verstehen müssen.

Wir lassen das Lacoste-Geschäft links liegen und gehen stattdessen zu H+M. Wohin auch sonst, wenn wir schon mal in Prag sind. Ich bin sofort nach Betreten des Ladens gelangweilt. Ich möchte dem Rest der Familie das Einkaufserlebnis aber nicht vermiesen. Deswegen schlendere ich durch das Geschäft und tue so, als würden mich die ausgestellten, Pullover, Hemden und Hosen interessieren. Wie ein Psychopath, der menschliche Emotionen simuliert.

Bei meinem Rundgang stelle ich fest, dass weite Schnitte in sind. Persönlich finde ich das wenig kleidsam, aber nach Weihnachten ist es vielleicht nicht das Schlechteste.

Auf einem Werbeposter trägt ein bärtiger, langhaariger Mann ein weißes Lammfelljäckchen über einem schwarzen Lederhemd und dazu eine dunkle Stoffhose. Bei einem H+M-Model scheint so ein Ensemble sozial und modisch akzeptiert zu sein. Würde ich so etwas anziehen, würde meine Frau mich zum Drogentest schicken.

Nachdem sich der Sohn mit Hose, T-Shirt und Sweatshirt ausgestattet hat, gehen wir weiter. Meine Frau und die Kinder wollen zu GAP. Mich irritiert das, denn wir waren doch gerade in einem Bekleidungsgeschäft. Sie wollten nur mal schauen, erklären die anderen. Das irritiert mich noch mehr. Das Konzept „Klamotten anschauen“ erschließt sich mir nicht.

Vor dem GAP-Store wird ein Aufnähservice angeboten. Du kannst dir verschiedene Aufnäher aussuchen – zum Beispiel ein Gryffindor- oder ein Slytherin-Wappen, ein Muffin, ein Schmetterling, eine Blume oder eine Biene –, und die näht dann ein junger Mann mittels einer futuristisch aussehenden Nähmaschine an deine neue erstandenen GAP-Klamotten.

Wer macht so etwas, frage ich mich. Zuerst kaufst du dir überteuerte Klamotten kaufen, um sie dir dann mit albernen Aufnähern zu verschandeln, so dass sie nicht mehr nach Markenkleidung, sondern wie das missglückte Ergebnis eines VHS-Nähprojekts aussehen? Aber vielleicht ist das auch eine Art Diebstahl-Schutz. Um zu verhindern, dass dir jemand deine Hose oder Jacke klaut.

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Zum Mittagessen gehen wir zu McDonald’s. Das machen wir immer im Ausland. Zugegebenermaßen klingt es etwas ignorant, bei einer US-amerikanischen Fast-Food-Kette zu essen, anstatt lokale Spezialitäten auszuprobieren. Aber auch durch einen Besuch bei McDonald’s kannst du viel über die örtlichen kulinarischen Gepflogenheiten lernen, da sich das Sortiment von Land zu Land unterscheidet.

Wir schauen uns in aller Ruhe auf dem Bestell-Touchscreen das Angebot an. Zu lange für einen der McDonald’s-Angestellten. Er fragt auf Deutsch, ob er uns mit der Bestellung behilflich sein könne. Anscheinenden sehen wir aus, als hätten wir noch nie einen Touchscreen bedient. Oder er will nur zeigen, wie gut sein Deutsch ist.

Wir bedanken uns und erklären, wir kämen zurecht. Der Mann zieht die Augenbrauen nach oben, um seiner Skepsis Ausdruck zu verleihen, und widmet sich dann einem Tablett mit Essensresten, das auf einem Tisch zurückgelassen wurde.

Besondere lokale Spezialitäten scheint es bei dem tschechischen McDonald’s nicht zu geben. Zumindest wird kein McKoleno und auch keine Knedliky als Beilage angeboten.

Ob sich das tschechische McDonalds’s-Sortiment ansonsten groß von dem deutschen unterscheidet, kann ich gar nicht beurteilen. Ich gehe nur sehr selten zu McDonald’s. Das letzte Mal vor anderthalb Jahren. Das war in Marseille.

Der Sohn hat bezüglich des McDonalds-Angebots mehr Expertise vorzuweisen. Er meint, es gäbe hier ein paar Double-Burger mit extra Patties, die er nicht kennt. Laut der Tochter ist die vegetarische Auswahl etwas geringer. Außerdem kannst du bei ausgewählten Burgern glutenfreie Brötchen auswählen, was in Deutschland nicht möglich ist.

Somit haben wir durch unseren McDonald’s-Besuch doch einiges gelernt: In Tschechien wird gerne viel Fleisch gegessen, Vegetarismus spielt eine untergeordnete Rolle und Tschech*innen vertragen Weizen nicht so gut.

Schließlich haben wir alle unsere Burger und Getränke ausgesucht. Beim Bezahlvorgang wählen wir versehentlich „zum Mitnehmen“ aus. Und mit wir meine ich mich.

Deswegen laufen wir nun mit zwei riesigen braunen Papiertüten durchs Restaurant und suchen einen freien Tisch. Hoffentlich sieht uns der deutsch sprechende Mitarbeiter nicht. Sonst fragt er bestimmt schnippisch, ob wir tatsächlich gut mit der Bestellung zurechtgekommen seien. Dann könnte er auch demonstrieren, dass der die deutschen Worte für unfähige Trottel beherrscht.


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