Corona-Föhrien 2020 – Tag 9: Von Textilproblemen beim Joggen, Energy-Drinks-Geschmacksverwirrungen und dem Comeback der Strandkorb-Community

Der (fast) alljährliche Urlaubsblog. Diesmal nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Zur besseren zeitlichen Orientierung sei erwähnt, dass der Urlaub Ende Juni / Anfang Juli stattfand. Die kompletten Beiträge finden Sie hier.


Das Hemd klebt und die Hose rutscht

„Warum muss es denn jetzt auch noch regnen?“, beklage ich mich bei den Schafen, als ich joggend den Deich betrete. Dabei hatte die Wetterfrau im Radio vorhin gesagt, die Regenwahrscheinlichkeit läge bei zehn Prozent. Zehn Prozent sind, wenn du zehnmal auf die Torwand schießt und einmal triffst. Ich würde bei 100 Schüssen keinmal treffen, aber für die zehn Prozent Regenwahrscheinlichkeit reicht es. Vielen Dank auch!

In Hollywoodfilmen hat Regen ja häufig etwas Romantisches. Wenn das Liebespaar gegen Ende des Films endlich zusammenkommt und sich küsst, muss es auf jeden Fall – da gibt es irgendein Hollywood-Gesetz – so lange im Regen stehen, bis ihre weißen Oberhemden – auch das ist gesetzlich geregelt Gesetz, dass es immer weiße Oberhemden sein müssen – vollkommen durchnässt sind und sich ihre Oberkörper erotisch darunter abzeichnen. (Zumindest bei günstigem Kamerawinkel und guter Ausleuchtung.) In Actionfilmen ist der Regen wiederum Ausdruck der Willensstärke und Durchsetzungsfähigkeit der Hauptfiguren. Kämpfe auf Leben und Tod finden meist in monsunartigen Regengüssen statt, um dem Publikum zu zeigen, dass dem Helden oder der Heldin die Naturgewalten nichts anhaben können.

Ich bin aber kein Actionheld und mir können die Naturgewalten sehr wohl etwas anhaben. Deswegen ist es total unangenehm und überhaupt nicht romantisch, wenn mein Laufhemd unangenehm kalt und so eng am Körper klebt, dass ich jetzt schon weiß, dass ich es nie wieder ausziehen kann, sondern mir chirurgisch vom Leib operiert werden muss. (Und es gibt auch keinen Kamerawinkel und keine Ausleuchtung, damit sich mein Oberkörper erotisch unter dem Laufhemd abzeichnet.)

Die Schafe stehen aber gleichgültig grasend auf dem Damm. Denen ist alles egal. Sowohl der Regen als auch mein kaltes, nasses Laufhemd, das mir sicherlich eine Lungenentzündung und damit den sicheren Tod einbringen wird.

Das nasse, kalte Oberteil ist nicht mein einziges Textilproblem. Weil es so kühl ist, habe ich heute morgen meine lange Jogginghose angezogen, und die rutscht. Nicht, weil ich abgenommen hätte – das wissen die Camping-Wecken zu verhindern –, sondern weil das Gummiband am Bund gerissen ist. Nun muss ich die Hose alle 50 Meter nach oben ziehen, damit sie nicht in die Kniekehlen rutscht und ich meine Unterhose auf dem Deich zur Schau stelle. Okay, hier sind zwar nur die Schafe, aber auch denen gegenüber möchte ich eine gewisse Restwürde bewahren. (Schreibt der Mann, der krampfhaft versucht, sich mit Schafen zu unterhalten und Freundschaft mit ihnen zu schließen.) Wobei es den Schafen wahrscheinlich sogar egal wäre, wenn ich nackt über den Deich flitzen würde, so lange sie das nicht vom Fressen oder von der Durchführung ihrer Verdauungstätigkeit abhält.

Zugegebenermaßen ist das Gummi nicht hier auf Föhr, sondern schon vor ein paar Wochen in Berlin gerissen. Theoretisch hätte ich also schon längst eine neue Hose kaufen können. Aber Sie wissen ja, dass ich aus Nachhaltigkeitsgründen meine Klamotten sehr lange trage, bis sie vollkommen runtergerockt sind. Und vor allem weil ich eine sehr ausgeprägte Shopping-Aversion habe.

Nun ist ein gerissenes Gummiband natürlich auch kein Grund, eine Hose, die ansonsten vollkommen okay ist – die Frau ist hier möglicherweise anderer Meinung –, wegzuwerfen und durch eine neue zu ersetzen. Es ist ja kein Problem da einfach ein neues Gummiband einzuziehen. Für mich allerdings schon. Ich kann nicht nur keine platten Reifen flicken, sondern bin auch ein totaler Handarbeits-Loser. Die einzige 4, die ich in meiner Grundschulzeit hatte, bekam ich auf einen gewebten kleinen Teppich, der so unförmig und misslungen war, dass nicht einmal meine Eltern Worte finden konnten, was für ein interessantes Stück ich da doch produziert hätte.

Wahrscheinlich denken Sie jetzt, meine Güte, dann bring‘ die Buxe halt zur Schneiderei, da machen die das für schmales Geld. Das stimmt selbstverständlich, aber die physikalischen Gesetze der Massenträgheit hindern mich daran, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Somit habe ich keine andere Wahl und muss so lange in dieser Hose joggen, bis sie mir auf Knöchelhöhe rutscht, und ich mir bei dem daraus resultierenden Sturz den Oberschenkelhals breche.

„Macht’s gut“, rufe ich den Schafen zum Abschied zu. „Hoffentlich bis übermorgen. Also, sofern ich mit der Hose nicht verunglücke und ins Krankenhaus eingeliefert werde.“ Die Schafe zeigen – mal wieder – keine Reaktion und grasen einfach weiter. Aber es ist ja gut, Freunde zu haben, die nicht gleich in Panik verfallen und auch bei drohenden Katastrophen einen kühlen Kopf bewahren.

Altglas-Interpretationen

Nach dem Frühstück bringen der Sohn und ich unser Altglas in den Müllraum. Die Kiste für den Glasmüll ist bereits zur Hälfte gefüllt. Mit zehn Weinflaschen, alle mit dem gleichen Etikett. Anscheinend versucht jemand sich mit einem 2018er Grauburgunder aus der Pfalz die Sonne und wärmere Temperaturen herbeizutrinken.

Als wir gehen, ist die andere Hälfte der Kiste voll mit leeren Schokocreme-, Erdnussbutter- und Spekulatiusaufstrich-Gläsern. Ich schätze, jede:r hat eine ganz eigene Art, das schlechte Wetter zu verarbeiten.

Supermarktbesuch: Energy-Drinks, die deinem Mageninhalt Flügel verleihen

Anschließend gehen wir in den Supermarkt, um unsere Essensvorräte aufzufüllen. Für den Sohn ist, mit den Eltern einkaufen zu gehen, sicherlich keine besonders attraktive Freizeitbeschäftigung. Er macht aber das Beste daraus, indem er sich immer wieder andere Energy-Drinks mit den absurdesten Geschmacksrichtungen aussucht. Anscheinend haben Kinder, die die Pubertät erreichen, hormonell bedingt das unbändige Verlangen, ihre komplette Flüssigkeitsaufnahme ausschließlich mit taurin-, koffein- und matehaltigen Getränken zu bestreiten. Einfach mit irgendetwas, das reinkickt. Wahrscheinlich evolutionär bedingt, weil Teenager ebenfalls hormonell bedingt von einer unfassbaren Müdigkeit und Trägheit befallen werden, die dazu führen, dass sie am Wochenende und in den Ferien tagsüber mehr schlafen als früher im Babyalter nachts. (Ironischerweise schlafen sie dann nachts noch weniger als im Babyalter, weil sie stundenlang mit ihren Kumpels zocken müssen.)

Ich selbst stehe Energy-Drinks eher kritisch gegenüber. Aber nicht in erster Linie wegen ihrer grenzwertigen Nährwertprofile, weil sie ausschließlich aus Zucker, artifiziellen Geschmacksverstärkern sowie irgendwelchen Abfallprodukten bestehen, die in Chemieproduktionen anfallen und deren fachgerechte Entsorgung zu teuer wäre, so dass sie in den Energie-Getränken landen. Vor allem mag ich sie nicht, da der Geschmack für mich absolut scheußlich ist. Als in meiner Jugend – Achtung: Opa erzählt vom Krieg – Red Bull neu auf den deutschen Markt kam, habe ich mal eine halbe Dose davon getrunken und fand es widerlich. Viel zu künstlich und süß. (Das schreibt der Mann, der in seiner Kindheit gerne mal acht Löffel Kaba in seine Milch gerührt hat.) Ich schüttete den Rest weg und dachte dabei: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das durchsetzt.“ (Damit war sehr früh klar, dass ich nicht zum Börsenanalysten taugen würde.)

Normalerweise machen wir die Reste unseres erzieherischen Einflusses gegenüber unserem Sohn geltend und erlauben ihm nicht, den ganzen Tag und rund um die Uhr Engergy-Drinks zu sich zu nehmen. Hier im Urlaub – wo die elterliche Durchsetzungsfähigkeit von Tag zu Tag an Schlagkraft verliert – machen wir aber eine Ausnahme, was eine euphemistische Umschreibung dafür ist, dass er sich durch die komplette Palette an Energy-Drinks probieren darf, die sich durch bunte, komplementärfarbige Dosendesigns und die absonderlichsten Geschmacksrichtungen auszeichnet. Kokosnuss-Blaubeere, Kiwi-Apfel und Granatapfel-Birne sind da noch die weniger absurden Mischungen.

Wider besseres Wissen probiere ich abends einen der Drinks. Er schmeckt, als hätte eine Heerschar von Lebensmittelchemikern sehr, sehr hart und erfolgreich daran gearbeitet, ein Geschmacks-Potpourri von Hustensaft, Fruchtkaugummi und Zahnpasta zusammenzupanschen. Das ist wirklich das ekelhafteste Getränk, das mir jemals untergekommen ist. (Das schreibt der Mann, der mal eine Saftkur gemacht hat, bei der es regelmäßig Sauerkraut- und Rote-Beete-Saft gab.) Nun gut, ich muss das ja nicht trinken. Ich muss es nur bezahlen.

Die Strandkorb-Community: Sie sind wieder da!

Am frühen Nachmittag passiert etwas vollkommen Unerwartetes. Die Sonne ist am Himmel zu sehen. Wir liegen uns schluchzend in den Armen und nachdem wir unsere Freudentränen getrocknet haben, gehen wir an den Strand. Dort treffen wir auf alte Bekannte: Die Community, die vor zwei Jahren die Strandkörbe um uns herum belegt hatten, ist wieder da.

Alle sind sie wieder da: Die Anwaltsfamilie mit ihrem pubertierenden Sohn, der mit jeder Faser seines Körpers ausstrahlt, dass es wahnsinnig uncool ist, mit den Alten am Strand abzuhängen, während sie bereuen ihn nicht im Ferienlager angemeldet zu haben. Der Arzt mit seiner etwas herrischen Frau und ihrer elfjährigen Tochter sowie dem siebzehnjährigen Sohn, der mich nachhaltig beeindruckt, weil er mit 38 unterschiedlichen Arten des Augenrollens zum Ausdruck bringen kann, dass er genervt ist. Oder die Schuldirektorin, deren Mann fast nie zu sehen ist, weil er so viele Stunden auf dem Tennis- oder Golfplatz steht, als würde er eine späte Profikarriere anstreben. (Vielleicht will er auch einfach seine Ruhe haben.) Lauter gut betuchte Hamburger Familien, die auf der Insel eigene Ferienhäuser haben. Die erholen sich zuerst auf Föhr, um dann woanders irgendwo anders richtig Urlaub zu machen.

Was ich schon damals an der Gruppe mochte: Sie unterhalten sich wirklich sehr laut und über mehrere Strandkörbe hinweg – man kennt sich ja –, so dass du bei ihren Gesprächen nicht nicht mithören kannst, sofern du nicht sehr gute Noise-Cancelling-Kopfhörer trägst. Das erleichtert meine Arbeit als Strand-Chronist erheblich, denn so muss ich mich nicht beiläufig an fremde Strandkörbe anlehnen und wie ein übereifriger Stasi-IM Mitschriften in meinem Notizbuch anfertigen, sondern bekomme auch so alles gut und deutlich mit.

Wie schon vor zwei Jahren telefoniert der Anwalt regelmäßig geschäftlich am Strand. Was die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen oder die Vertraulichkeit der Anwalts-Mandanten-Beziehung angeht, ist das vielleicht ein wenig grenzwertig, aber trotzdem verständlich. Er hat das corona-bedingte Home Office in Hamburg verlassen und gegen ein Föhrer Beach Office eingetauscht. Genial! Vor allem, wenn du einen Stundensatz von 500 Euro hast und mit drei, vier längeren Telefonaten deinen Urlaub gegenfinanzieren kannst.

Zwei der Frauen aus der Clique äußern eine gewisse Unzufriedenheit darüber, dass die Großeltern fast überhaupt nichts mit ihren Enkeln unternähmen, sondern stattdessen die ganze Zeit golften. Ich habe den leisen Verdacht, dass die beiden Frauen sich nicht nur um die fehlende Großeltern-Enkel-Beziehung sorgen, sondern auch befürchten, ihr Plan, am Strand mit einem Glas Apérol Spritz zu entspannen, während die Kinder mit Oma und Opa unterwegs sind, könnte nicht aufgehen. Das ist halt der Nachteil, wenn die rüstigen Golden Ager aufgrund der Errungenschaften der pharmazeutischen Industrie bis ins hohe Alter zu sportlichen Aktivitäten verdammt sind und überhaupt nicht mehr dazu kommen, sich mit den Enkelkindern zu beschäftigen.

Die Arztgattin erzählt von ihrem neuen Badeanzug, den sie sich bestellt habe, aber noch nicht tragen würde, weil die Körbchen so komisch aussähen. Sie wisse nicht, ob sie den lieber wieder zurückgibt, da solle doch ihr Mann erstmal einen Blick darauf werfen. Der zeigt sich sehr interessiert und sagt, da wäre er selbstverständlich gerne behilflich. Heute Abend hätte er nichts vor, da würde er den Badeanzug und dessen Inhalt mal sehr genau inspizieren. Den Rest verstehe ich leider nicht, da die Tochter „Papa, das ist eklig“ ruft und dann sehr laute und sehr realistische Kotzgeräusche macht.

Rummikub: Wer Energy trinkt, gewinnt

Abends spielen wir in der Ferienwohnung Rummikub. Die Frau sagt, das funktioniere im Prinzip wie Rommee, aber halt nicht mit Karten, sondern mit Steinen. Eine wirklich hilfreiche Erklärung, wäre es nicht ungefähr 100 Jahre her, dass ich das erste und einzige Mal Rommee gespielt habe. Bei der weiteren Erläuterung der Spielregeln verweist sie dennoch mehrmals auf die Rommee-Regeln. Ob ich wohl eine andere Sprache als sie spreche? Ich habe doch gerade erst gesagt, dass ich mit den Rommee-Regularien nicht mehr im Detail vertraut wäre. Oder blendet sie einfach aus, was ich sage? Gut, wer will es ihr nach 23 Jahren Beziehung verübeln.

Wir spielen zwei Runden, die der Sohn beide sehr souverän gewinnt. Aufgrund der vielen Energy-Drinks läuft sein Gehirn wahrscheinlich im Turbo-Modus und er kann fünf-dimensionale Zusammenhänge erkennen, so dass er mir strategisch haushoch überlegen ist. Oder ich spiele einfach sehr schlecht Rummikub und sollte mir doch noch mal die Rommee-Regeln anschauen.


Unser tägliches Kniffel-Spiel gib uns heute

Ich übernehme die Führung in der Kniffel-Challenge. Ein bisschen unangenehm ist mir das schon, weil ich ja schon den Kniffel-Pokal gewonnen habe. Andererseits kann ich jetzt ein Spaghetti-Eis gewinnen. Da kannst du dann nicht zu viel Rücksicht auf die eigenen Befindlichkeiten oder die der Familie nehmen.

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