Corona-Föhrien 2020 – Tag 1: Von Schafen, neuen Supermärkten, fehlenden Strandutensilien und Strandkorb-Adeligen

Der (fast) alljährliche Urlaubsblog. Diesmal nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Zur besseren zeitlichen Orientierung sei erwähnt, dass der Urlaub Ende Juni / Anfang Juli stattfand. Die kompletten Beiträge finden Sie hier.


Der mit den Schafen läuft

„Einen wunderschönen guten Morgen!“ Ich winke einer Gruppe von Schafen zu, um einen guten Eindruck als höflicher Tourist zu machen. Die Schafe grasen unbeeindruckt weiter.

Es ist 8.30 Uhr und ich laufe den Deich an der Ostseite der Insel entlang Richtung Norden. (Falls Sie in Geographie genauso schlecht sind wie ich: Der Deich ist rechts von der Insel und ich laufe nach oben. Bittegerne.) Vor zwei Jahren war das schon eine meiner Lieblingsstrecken, weil du hier direkt neben den freilaufenden Schafen herjoggen kannst.

Schaf auf Wiese vor Landschaft

Für einen Großstädter ist das etwas ganz Besonderes. In Berlin bist du von der Natur so entfremdet, dass du Tieren normalerweise nicht so nahekommst. Außer aufdringlichen Tauben. Und unangeleinten Kampfhunden, bei denen du nicht weißt ob von ihnen oder von ihren stiernackigen Herrchen mehr Gefahr ausgeht. Und Ratten, die im Park vor dir ungeniert den Weg queren. Okay, je länger ich darüber nachdenke, ist das mit der Entfremdung von der Natur in der Großstadt vielleicht doch keine schlechte Sache.

Im Gegensatz zu den großstädtischen Tierwesen sind Schafe aber sehr angenehme Zeitgenossen. Sie sind wollig, sie sind knuffig und sie machen lustige Geräusche. Es gibt wirklich nichts Witzigeres als das Blöken eines Schafes. Jedes Mal und immer wieder. Zumindest für jemanden, der einen eher schlichten Humor hat.

Warum gibt es eigentlich keine Jochen-Schweizer-Erlebnisgutscheine „Joggen mit Schafen“? Okay, das gibt es hier auch kostenlos und der Adrenalinkick ist nicht ganz so groß wie beim Quadfahren durch die Wüste oder beim Fallschirmspringen, aber das ist trotzdem eine phantastische Geschäftsidee. Die Schafe scheinen nicht ganz überzeugt zu sein und schauen skeptischer als Frank Thelen, als ihm bei „Die Höhle der Löwen“ eine vegane Lederhose vorgestellt wurde.

Für irgendwelche Spinnereien haben die Schafe auch gar keine Zeit, denn sie laufen hier nicht zu ihrem Vergnügen rum und auch nicht als touristische Attraktion für naturentfremdete Großstadtbewohner. Nein, sie haben eine wichtige Aufgabe zu erledigen. Getreu dem Motto „Arbeiten, wo andere Urlaub machen“ müssen sie den ganzen Tag über den Deich latschen, um ihn mit ihren Hufen fest zu treten und für Stabilität zu sorgen. Dafür sind sie aber wenigstens den ganzen Tag an der frischen Luft und verbinden außerdem das Nützliche mit dem Angenehmen: Sie fressen ununterbrochen. Für die Schafe gibt es kein „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps“, sondern sie sagen sich, wenn du auf der Arbeit Schnaps saufen kannst, solltest du das definitiv tun. Wir Menschen könnten uns ein Beispiel an diesem hedonistischen Arbeitsstil nehmen. Wobei Schafe auf der Arbeit keine hochprozentigen Getränke kippen, sondern Gras fressen. Das schränkt die Attraktivität des Konzepts doch ein wenig ein.

Als ich gegen Ende meiner Laufrunde den Deich wieder verlasse, rufe ich den Schafen ein fröhliches „Bis demnächst!“ zu. Sie bleiben stumm. Wahrscheinlich sind sie schüchtern. „Seid nicht traurig, ich komme bald wieder“, versuche ich, sie zu beruhigen. Sie reagieren immer noch nicht und grasen einfach weiter. Wahrscheinlich eine Übersprungshandlung, um den Abschiedsschmerz zu kompensieren.

Alles neu macht der Supermarkt

Nach dem erbaulichen Schaf-Joggen hält der Tag eine Enttäuschung parat: Der Sky-Markt, in dem wir sonst immer unsere Einkäufe erledigt hatten, ist durch einen REWE ersetzt worden! Gut, dass ist jetzt nicht so eine Enttäuschung wie bei Uli Hoeneß, als er 1976 im EM-Finale im Elfmeterschießen den Ball zwölf Trilliarden Kilometer über das Tor gedroschen hat. Oder wie bei Menschen, die aus Versehen ein Pur-Konzert besuchen. Oder wie bei mir, wenn ich den Kühlschrank öffne, um mir das letzte Stück Käsekuchen zu holen, und dann feststelle, dass es nicht mehr da ist. (Sicherlich haben Sie gemerkt, dass ich die Beispiele nach aufsteigendem Enttäuschungsgrad sortiert habe.) Aber wir sind immer sehr gerne zu Sky gegangen und es ist irgendwie enttäuschend, das der Markt nicht mehr da ist.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts gegen REWE. (Das möchte ich insbesondere betonen, falls ein Rechtsvertreter von REWE hier mitlesen sollte.) Zuhause in Berlin gehe ich sogar regelmäßig zu REWE. (Haben Sie das notiert?) Im Urlaub möchte ich aber gerne andere Supermärkte besuchen, um etwas Ungewohntes zu erleben. Die Einrichtung ist dann anders, die Gerüche sind anders, die Lebensmittel stehen an anderen Stellen und es gibt andere Produkte. Dieses Andersartige, das Neue, die Abwechslung vom Alltag, sie sind es doch, die den Reiz des Urlaubs ausmachen. Du verlässt die ausgetretenen Pfade, sammelst neue Eindrücke, erweiterst deinen Horizont, kommst auf neue Gedanken und findest vielleicht zu dir selbst.

Okay, einmal eine andere Müslisorte zu kaufen, ist wahrscheinlich keine bewusstseinsverändernde Erleuchtung wie bei einem buddhistischen Meditationsretreat in Kadmandu. Ein Schulkamerad von mir hat mal so etwas ähnliches gemacht, und das war ein derartiges Erweckungserlebnis für ihn, dass er sich an Ort und Stelle den kompletten Rücken hat tätowieren lassen. Vielleicht würde ich das ja auch machen, wenn ich mal eine neue Milchmarke ausprobiere. Zum Beispiel eine saftige Weide, die sich von einem Schulterblatt zum anderen erstreckt und auf der eine Herde glücklicher Kühe grast. Da es den Sky-Markt aber nicht mehr gibt, werden wir es nie erfahren!

Strandutensilien. Nie sind sie da, wenn du sie brauchst

Der erste Strandbesuch beginnt bei uns traditionell damit, dass wir erstmal fehlende Strandutensilien kaufen müssen. Eine Luftmatratze, einen Sonnenhut, ein Badetuch oder Ähnliches. Es ist nicht so, als besäßen wir diese Sachen nicht bereits. Aber meistens vergessen wir sie in Berlin. Oder wir konnten sie nicht mitnehmen, weil wir nicht genügend Platz in den Koffern hatten. Auf der Rückreise bekommen wir die neu erworbene Strandausrüstung dann aber irgendwie unter, so dass wir im Flur einen Schrank haben, der so mit Bällen, Frisbeescheiben, Beachtennisschlägern, Schippen und Boccia-Sets vollgestopft ist, dass wir im Nebenberuf einen florierenden Handel mit Strandutensilien betreiben könnten. (Falls es Sie interessiert, besuchen Sie ruhig mal www.strandgeraffel24.com)

Diesmal wollen die Tochter und der Sohn einen Ball kaufen. So einen aus Stoff, der auf dem Wasser aufspringt. Ohne Ball sei es voll langweilig am Strand. Finden zumindest die Kinder. Bei mir löst ihr Wunsch ein gewisses Unbehagen aus. Nicht wegen der finanziellen Ausgabe – wobei die Urlaubskasse nach unserem Supermarktbesuch von vorhin da sicherlich anderer Meinung ist – und auch nicht wegen des Umstands, dass zwei solcher Bälle bereits in besagtem Flurschrank liegen. Nein, es liegt daran, dass ich ein großer Befürworter des Konzepts „Langeweile am Strand“ bin. Einfach im Strandkorb sitzen, ein wenig dösen, ein bisschen lesen und ansonsten nichts tun, so stelle ich mir einen perfekten Strandtag vor. Herrlich!

Ein Ball birgt aber das Risiko, den Strandbesuch in Stress ausarten zu lassen. So ein Ball will nämlich geworfen werden. Und gefangen. Und wenn du ihn nicht fängst, musst du ihm hinterherschwimmen oder -laufen. Alles Aktivitäten, die mit Faulenzen nicht wirklich vereinbar sind.

Der Rest der Familie tut meine Einwände als spaßbremserische Bedenkenträgerei ab und es wird demokratisch – also 3:1 – entschieden, den Ball zu kaufen. Aus mir unerklärlichen Gründen sind die Kinder aber nicht bereit, dafür ihr Urlaubsgeld einzusetzen, das sie großzügigerweise von ihrer Oma und den Großeltern bekommen hatten. Möglicherweise bräuchten sie das Geld ja noch für etwas anderes, erklären sie, und außerdem würden wir den Ball alle benutzen, da wäre es ja voll unfair, wenn sie ihn bezahlen müssten. Mein Vorschlag, sie könnten in diesem Fall ja eine Ballbenutzungsgebühr erheben, überzeugt nicht. Nun muss also ich, der ich den Ball gar nicht haben will, ihn von meinem Geld bezahlen. Okay, korrekterweise ist es nicht „mein Geld“, sondern das gemeinsame Geld der Frau und mir, aber da ich gerade den Geldbeutel rumtrage und den Kindern einen 10-Euro-Schein aushändige, fühlt es sich an, als wäre es mein Geld.

Soziale Strandkorbhierarchien

Einen Strandkorb anzumieten, ist zwar eine zusätzliche finanzielle Ausgabe, was von der Urlaubskasse mit einem Stirnrunzeln quittiert wird, aber es ist eine lohnenswerte Investition. Ein Strandkorb bietet einen guten Aufbewahrungsort für deine ganze Strandausrüstung, die du sonst täglich hin- und herschleppen müsstest, er spendet dir Schatten, wenn die Sonne zu sehr brennt, und beim Lesen sitzt du bequem und kannst die Füße hochlegen. Zusätzlich hast du jeden Tag deinen angestammten Platz. Das erspart dir nicht nur nerviges Suchen, sondern ist gerade für Menschen, die im Alltag Routinen zu schätzen wissen – außer bei Supermärkten am Ferienort –, ein nicht zu unterschätzender Vorteil.

Die Körbe sind in vier Reihen angeordnet. Ganz vorne hast du einen unverstellten Blick aufs Meer, in der letzten Reihe hockst du direkt vor der Strandpromenade, wo den ganzen Tag die Urlaubenden hinter dir vorbeilustwandeln. Außerdem musst du auf die Rückseiten unzähliger anderer Strandkörbe schauen, bevor du in der Ferne das Meer siehst.

Somit ist die dir zugewiesene Strandkorbreihe Ausdruck deiner sozialen Stellung am Strand. In der ersten Reihe gehörst du zur gehobenen Gesellschaft. Das ist quasi wie in einer Villa in Berlin-Grunewald zu residieren. In der letzten Reihe wirst du dagegen als kaum geduldeter sozialer Bodensatz angesehen, gewissermaßen als müsstest du in einer abgerissenen Bude eines Berliner Außenbezirks hausen. (Interessanterweise ist die Monatsmiete für einen Strandkorb nur unwesentlich günstiger als eine Zweiraumwohnung eines Marzahner Plattenbaus, aber das ist eine andere Geschichte.)

1. Strandkorb-Reihe: Wo der Strand-Adel residiert

In unseren früheren Föhr-Urlauben, hatten wir es maximal in die zweite Reihe geschafft. Diesmal hatte ich aber nichts dem Zufall überlassen und ganz almanhaft den Korb schon neun Monate im Voraus reserviert, so dass wir diesmal tatsächlich einen Erste-Reihe-Strandkorb beziehen können und damit Teil des Strand-Adels sind. Das fühlt sich zwar ein bisschen unangenehm elitär an, was im Widerspruch zu meiner eigentlich eher links-liberalen Einstellung steht, aber diese kognitive Dissonanz lässt sich ganz gut ertragen, wenn du den Meerblick genießt.

Allerdings wissen wir ja alle, dass das Leben nicht perfekt ist. So wie ein Goldlöffel im Hals kratzen kann, hat auch ein Strandkorb in der ersten Reihe nicht nur Vorteile: Das Strandleben spielt sich größtenteils in deinem Rücken ab und du bekommst viel weniger mit, was so alles passiert. Dagegen ist ja eigentlich nichts einzuwenden. Zumindest so lange du nicht so krankhaft neugierig bist, dass du eine verhaltenstherapeutische Behandlung nötig hast, und dir die Augenbrauen rausreißt, wenn du nicht über alle Geschehnisse in deiner Umgebung minutiös Bescheid weißt. Für mich ist es aber problematisch, weil es mir die Beobachtung skurriler Alltagssituationen erschwert, die quasi das Salz in der täglichen Blogberichterstattung sind. Dies nur als Vorwarnung, dass es hier möglicherweisen in den nächsten Tagen ausschließlich ausschweifende Beschreibungen des Farbenspiels des Meeres bei wechselnder Sonneneinstrahlung zu lesen gibt. Oder philosophische Betrachtungen über die Symbolik des Sands für den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft.

Gute Nacht!


Unser tägliches Kniffel-Spiel gib uns heute

Kleines Déjà-vu von der Corona-Kniffel-Challenge, in der die Tochter triumphierte und der Sohn den letzten Platz einnahm, aber noch ist nichts entschieden.

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100 Kommentare zu “Corona-Föhrien 2020 – Tag 1: Von Schafen, neuen Supermärkten, fehlenden Strandutensilien und Strandkorb-Adeligen

  1. Entspannt. Für einen sorgenarmen Strandtag empfehle ich, die Kinder auf das Trampolin bei Pitschi’s zu schicken. Man sieht sie dann quasi den ganzen tag nicht. Mein Sohn passt da schon gut auf die Kids auf :)


Erwähnungen

  • Der (fast) alljährliche Urlaubsblog. Diesmal nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Zur besseren zeitlichen Orientierung sei erwähnt, dass der Urlaub Ende Juni / Anfang Juli stattfand. Die kompletten Beiträge finden Sie hier.

    Das Hemd klebt und die Hose rutscht

    „Warum muss es denn jetzt auch noch regnen?“, beklage ich mich bei den Schafen, als ich joggend den Deich betrete. Dabei hatte die Wetterfrau im Radio vorhin gesagt, die Regenwahrscheinlichkeit läge bei zehn Prozent. Zehn Prozent sind, wenn du zehnmal auf die Torwand schießt und einmal triffst. Ich würde bei 100 Schüssen keinmal treffen, aber für die zehn Prozent Regenwahrscheinlichkeit reicht es. Vielen Dank auch!

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    In Hollywoodfilmen hat Regen ja häufig etwas Romantisches. Wenn das Liebespaar gegen Ende des Films endlich zusammenkommt und sich küsst, muss es auf jeden Fall – da gibt es irgendein Hollywood-Gesetz – so lange im Regen stehen, bis ihre weißen Oberhemden – auch das ist gesetzlich geregelt Gesetz, dass es immer weiße Oberhemden sein müssen – vollkommen durchnässt sind und sich ihre Oberkörper erotisch darunter abzeichnen. (Zumindest bei günstigem Kamerawinkel und guter Ausleuchtung.) In Actionfilmen ist der Regen wiederum Ausdruck der Willensstärke und Durchsetzungsfähigkeit der Hauptfiguren. Kämpfe auf Leben und Tod finden meist in monsunartigen Regengüssen statt, um dem Publikum zu zeigen, dass dem Helden oder der Heldin die Naturgewalten nichts anhaben können.

    Ich bin aber kein Actionheld und mir können die Naturgewalten sehr wohl etwas anhaben. Deswegen ist es total unangenehm und überhaupt nicht romantisch, wenn mein Laufhemd unangenehm kalt und so eng am Körper klebt, dass ich jetzt schon weiß, dass ich es nie wieder ausziehen kann, sondern mir chirurgisch vom Leib operiert werden muss. (Und es gibt auch keinen Kamerawinkel und keine Ausleuchtung, damit sich mein Oberkörper erotisch unter dem Laufhemd abzeichnet.)

    Die Schafe stehen aber gleichgültig grasend auf dem Damm. Denen ist alles egal. Sowohl der Regen als auch mein kaltes, nasses Laufhemd, das mir sicherlich eine Lungenentzündung und damit den sicheren Tod einbringen wird.

    Das nasse, kalte Oberteil ist nicht mein einziges Textilproblem. Weil es so kühl ist, habe ich heute morgen meine lange Jogginghose angezogen, und die rutscht. Nicht, weil ich abgenommen hätte – das wissen die Camping-Wecken zu verhindern –, sondern weil das Gummiband am Bund gerissen ist. Nun muss ich die Hose alle 50 Meter nach oben ziehen, damit sie nicht in die Kniekehlen rutscht und ich meine Unterhose auf dem Deich zur Schau stelle. Okay, hier sind zwar nur die Schafe, aber auch denen gegenüber möchte ich eine gewisse Restwürde bewahren. (Schreibt der Mann, der krampfhaft versucht, sich mit Schafen zu unterhalten und Freundschaft mit ihnen zu schließen.) Wobei es den Schafen wahrscheinlich sogar egal wäre, wenn ich nackt über den Deich flitzen würde, so lange sie das nicht vom Fressen oder von der Durchführung ihrer Verdauungstätigkeit abhält.

    Zugegebenermaßen ist das Gummi nicht hier auf Föhr, sondern schon vor ein paar Wochen in Berlin gerissen. Theoretisch hätte ich also schon längst eine neue Hose kaufen können. Aber Sie wissen ja, dass ich aus Nachhaltigkeitsgründen meine Klamotten sehr lange trage, bis sie vollkommen runtergerockt sind. Und vor allem weil ich eine sehr ausgeprägte Shopping-Aversion habe.

    Nun ist ein gerissenes Gummiband natürlich auch kein Grund, eine Hose, die ansonsten vollkommen okay ist – die Frau ist hier möglicherweise anderer Meinung –, wegzuwerfen und durch eine neue zu ersetzen. Es ist ja kein Problem da einfach ein neues Gummiband einzuziehen. Für mich allerdings schon. Ich kann nicht nur keine platten Reifen flicken, sondern bin auch ein totaler Handarbeits-Loser. Die einzige 4, die ich in meiner Grundschulzeit hatte, bekam ich auf einen gewebten kleinen Teppich, der so unförmig und misslungen war, dass nicht einmal meine Eltern Worte finden konnten, was für ein interessantes Stück ich da doch produziert hätte.

    Wahrscheinlich denken Sie jetzt, meine Güte, dann bring‘ die Buxe halt zur Schneiderei, da machen die das für schmales Geld. Das stimmt selbstverständlich, aber die physikalischen Gesetze der Massenträgheit hindern mich daran, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Somit habe ich keine andere Wahl und muss so lange in dieser Hose joggen, bis sie mir auf Knöchelhöhe rutscht, und ich mir bei dem daraus resultierenden Sturz den Oberschenkelhals breche.

    „Macht’s gut“, rufe ich den Schafen zum Abschied zu. „Hoffentlich bis übermorgen. Also, sofern ich mit der Hose nicht verunglücke und ins Krankenhaus eingeliefert werde.“ Die Schafe zeigen – mal wieder – keine Reaktion und grasen einfach weiter. Aber es ist ja gut, Freunde zu haben, die nicht gleich in Panik verfallen und auch bei drohenden Katastrophen einen kühlen Kopf bewahren.

    Altglas-Interpretationen

    Nach dem Frühstück bringen der Sohn und ich unser Altglas in den Müllraum. Die Kiste für den Glasmüll ist bereits zur Hälfte gefüllt. Mit zehn Weinflaschen, alle mit dem gleichen Etikett. Anscheinend versucht jemand sich mit einem 2018er Grauburgunder aus der Pfalz die Sonne und wärmere Temperaturen herbeizutrinken.

    Als wir gehen, ist die andere Hälfte der Kiste voll mit leeren Schokocreme-, Erdnussbutter- und Spekulatiusaufstrich-Gläsern. Ich schätze, jede:r hat eine ganz eigene Art, das schlechte Wetter zu verarbeiten.

    Supermarktbesuch: Energy-Drinks, die deinem Mageninhalt Flügel verleihen

    Anschließend gehen wir in den Supermarkt, um unsere Essensvorräte aufzufüllen. Für den Sohn ist, mit den Eltern einkaufen zu gehen, sicherlich keine besonders attraktive Freizeitbeschäftigung. Er macht aber das Beste daraus, indem er sich immer wieder andere Energy-Drinks mit den absurdesten Geschmacksrichtungen aussucht. Anscheinend haben Kinder, die die Pubertät erreichen, hormonell bedingt das unbändige Verlangen, ihre komplette Flüssigkeitsaufnahme ausschließlich mit taurin-, koffein- und matehaltigen Getränken zu bestreiten. Einfach mit irgendetwas, das reinkickt. Wahrscheinlich evolutionär bedingt, weil Teenager ebenfalls hormonell bedingt von einer unfassbaren Müdigkeit und Trägheit befallen werden, die dazu führen, dass sie am Wochenende und in den Ferien tagsüber mehr schlafen als früher im Babyalter nachts. (Ironischerweise schlafen sie dann nachts noch weniger als im Babyalter, weil sie stundenlang mit ihren Kumpels zocken müssen.)

    Ich selbst stehe Energy-Drinks eher kritisch gegenüber. Aber nicht in erster Linie wegen ihrer grenzwertigen Nährwertprofile, weil sie ausschließlich aus Zucker, artifiziellen Geschmacksverstärkern sowie irgendwelchen Abfallprodukten bestehen, die in Chemieproduktionen anfallen und deren fachgerechte Entsorgung zu teuer wäre, so dass sie in den Energie-Getränken landen. Vor allem mag ich sie nicht, da der Geschmack für mich absolut scheußlich ist. Als in meiner Jugend – Achtung: Opa erzählt vom Krieg – Red Bull neu auf den deutschen Markt kam, habe ich mal eine halbe Dose davon getrunken und fand es widerlich. Viel zu künstlich und süß. (Das schreibt der Mann, der in seiner Kindheit gerne mal acht Löffel Kaba in seine Milch gerührt hat.) Ich schüttete den Rest weg und dachte dabei: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das durchsetzt.“ (Damit war sehr früh klar, dass ich nicht zum Börsenanalysten taugen würde.)

    Normalerweise machen wir die Reste unseres erzieherischen Einflusses gegenüber unserem Sohn geltend und erlauben ihm nicht, den ganzen Tag und rund um die Uhr Engergy-Drinks zu sich zu nehmen. Hier im Urlaub – wo die elterliche Durchsetzungsfähigkeit von Tag zu Tag an Schlagkraft verliert – machen wir aber eine Ausnahme, was eine euphemistische Umschreibung dafür ist, dass er sich durch die komplette Palette an Energy-Drinks probieren darf, die sich durch bunte, komplementärfarbige Dosendesigns und die absonderlichsten Geschmacksrichtungen auszeichnet. Kokosnuss-Blaubeere, Kiwi-Apfel und Granatapfel-Birne sind da noch die weniger absurden Mischungen.

    Wider besseres Wissen probiere ich abends einen der Drinks. Er schmeckt, als hätte eine Heerschar von Lebensmittelchemikern sehr, sehr hart und erfolgreich daran gearbeitet, ein Geschmacks-Potpourri von Hustensaft, Fruchtkaugummi und Zahnpasta zusammenzupanschen. Das ist wirklich das ekelhafteste Getränk, das mir jemals untergekommen ist. (Das schreibt der Mann, der mal eine Saftkur gemacht hat, bei der es regelmäßig Sauerkraut- und Rote-Beete-Saft gab.) Nun gut, ich muss das ja nicht trinken. Ich muss es nur bezahlen.

    Die Strandkorb-Community: Sie sind wieder da!

    Am frühen Nachmittag passiert etwas vollkommen Unerwartetes. Die Sonne ist am Himmel zu sehen. Wir liegen uns schluchzend in den Armen und nachdem wir unsere Freudentränen getrocknet haben, gehen wir an den Strand. Dort treffen wir auf alte Bekannte: Die Community, die vor zwei Jahren die Strandkörbe um uns herum belegt hatten, ist wieder da.

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    Alle sind sie wieder da: Die Anwaltsfamilie mit ihrem pubertierenden Sohn, der mit jeder Faser seines Körpers ausstrahlt, dass es wahnsinnig uncool ist, mit den Alten am Strand abzuhängen, während sie bereuen ihn nicht im Ferienlager angemeldet zu haben. Der Arzt mit seiner etwas herrischen Frau und ihrer elfjährigen Tochter sowie dem siebzehnjährigen Sohn, der mich nachhaltig beeindruckt, weil er mit 38 unterschiedlichen Arten des Augenrollens zum Ausdruck bringen kann, dass er genervt ist. Oder die Schuldirektorin, deren Mann fast nie zu sehen ist, weil er so viele Stunden auf dem Tennis- oder Golfplatz steht, als würde er eine späte Profikarriere anstreben. (Vielleicht will er auch einfach seine Ruhe haben.) Lauter gut betuchte Hamburger Familien, die auf der Insel eigene Ferienhäuser haben. Die erholen sich zuerst auf Föhr, um dann woanders irgendwo anders richtig Urlaub zu machen.

    Was ich schon damals an der Gruppe mochte: Sie unterhalten sich wirklich sehr laut und über mehrere Strandkörbe hinweg – man kennt sich ja –, so dass du bei ihren Gesprächen nicht nicht mithören kannst, sofern du nicht sehr gute Noise-Cancelling-Kopfhörer trägst. Das erleichtert meine Arbeit als Strand-Chronist erheblich, denn so muss ich mich nicht beiläufig an fremde Strandkörbe anlehnen und wie ein übereifriger Stasi-IM Mitschriften in meinem Notizbuch anfertigen, sondern bekomme auch so alles gut und deutlich mit.

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    Wie schon vor zwei Jahren telefoniert der Anwalt regelmäßig geschäftlich am Strand. Was die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen oder die Vertraulichkeit der Anwalts-Mandanten-Beziehung angeht, ist das vielleicht ein wenig grenzwertig, aber trotzdem verständlich. Er hat das corona-bedingte Home Office in Hamburg verlassen und gegen ein Föhrer Beach Office eingetauscht. Genial! Vor allem, wenn du einen Stundensatz von 500 Euro hast und mit drei, vier längeren Telefonaten deinen Urlaub gegenfinanzieren kannst.

    Zwei der Frauen aus der Clique äußern eine gewisse Unzufriedenheit darüber, dass die Großeltern fast überhaupt nichts mit ihren Enkeln unternähmen, sondern stattdessen die ganze Zeit golften. Ich habe den leisen Verdacht, dass die beiden Frauen sich nicht nur um die fehlende Großeltern-Enkel-Beziehung sorgen, sondern auch befürchten, ihr Plan, am Strand mit einem Glas Apérol Spritz zu entspannen, während die Kinder mit Oma und Opa unterwegs sind, könnte nicht aufgehen. Das ist halt der Nachteil, wenn die rüstigen Golden Ager aufgrund der Errungenschaften der pharmazeutischen Industrie bis ins hohe Alter zu sportlichen Aktivitäten verdammt sind und überhaupt nicht mehr dazu kommen, sich mit den Enkelkindern zu beschäftigen.

    Die Arztgattin erzählt von ihrem neuen Badeanzug, den sie sich bestellt habe, aber noch nicht tragen würde, weil die Körbchen so komisch aussähen. Sie wisse nicht, ob sie den lieber wieder zurückgibt, da solle doch ihr Mann erstmal einen Blick darauf werfen. Der zeigt sich sehr interessiert und sagt, da wäre er selbstverständlich gerne behilflich. Heute Abend hätte er nichts vor, da würde er den Badeanzug und dessen Inhalt mal sehr genau inspizieren. Den Rest verstehe ich leider nicht, da die Tochter „Papa, das ist eklig“ ruft und dann sehr laute und sehr realistische Kotzgeräusche macht.

    Rummikub: Wer Energy trinkt, gewinnt

    Abends spielen wir in der Ferienwohnung Rummikub. Die Frau sagt, das funktioniere im Prinzip wie Rommee, aber halt nicht mit Karten, sondern mit Steinen. Eine wirklich hilfreiche Erklärung, wäre es nicht ungefähr 100 Jahre her, dass ich das erste und einzige Mal Rommee gespielt habe. Bei der weiteren Erläuterung der Spielregeln verweist sie dennoch mehrmals auf die Rommee-Regeln. Ob ich wohl eine andere Sprache als sie spreche? Ich habe doch gerade erst gesagt, dass ich mit den Rommee-Regularien nicht mehr im Detail vertraut wäre. Oder blendet sie einfach aus, was ich sage? Gut, wer will es ihr nach 23 Jahren Beziehung verübeln.

    Wir spielen zwei Runden, die der Sohn beide sehr souverän gewinnt. Aufgrund der vielen Energy-Drinks läuft sein Gehirn wahrscheinlich im Turbo-Modus und er kann fünf-dimensionale Zusammenhänge erkennen, so dass er mir strategisch haushoch überlegen ist. Oder ich spiele einfach sehr schlecht Rummikub und sollte mir doch noch mal die Rommee-Regeln anschauen.

    Unser tägliches Kniffel-Spiel gib uns heute

    Ich übernehme die Führung in der Kniffel-Challenge. Ein bisschen unangenehm ist mir das schon, weil ich ja schon den Kniffel-Pokal gewonnen habe. Andererseits kann ich jetzt ein Spaghetti-Eis gewinnen. Da kannst du dann nicht zu viel Rücksicht auf die eigenen Befindlichkeiten oder die der Familie nehmen.

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    Christian HanneChristian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel „Nackte Kanone“ geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
    Im September erscheint sein neues Buch „Papa braucht ein Fläschchen“. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind „Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter“, „Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit“ sowie „Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith“*. (*Affiliate-Links)
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