Corona-Föhrien 2020 – Vorbereitung 2: Von Friseurbesuchen, Klamottenshoppingverweigerung und Kofferpackenpatriarchat

Der (fast) alljährliche Urlaubsblog. Diesmal nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Zur besseren zeitlichen Orientierung sei erwähnt, dass der Urlaub Ende Juni / Anfang Juli stattfand. Die kompletten Beiträge finden Sie hier.

Niemand hat die Absicht, wie ein zotteliger Yeti in den Urlaub zu fahren

„Hallo, ich würde mir gerne die Haare schneiden lassen“, sage ich, als ich den Friseurladen betrete. Für mich fängt der Urlaub immer schon einen Tag vor der Abreise an, wenn ich mir meinen sommerlichen Strandschnitt verpassen lasse. Entsprechend gut gelaunt und erwartungsfroh schaue ich meinen arabischen Friseur an. Er schaut teilnahmslos, fast schon unenthusiastisch zurück. Anscheinend erkennt er mich nicht.

Kein Wunder, denn ich trage meine Maske und war außerdem schon länger nicht mehr da. Zuerst waren die Friseurläden coronabedingt geschlossen und dann habe ich das Social Distancing weiter ernst genommen und die Wohnung so selten wie möglich verlassen. Daher liegt mein letzter Haarschnitt mehr als vier Monate zurück.

Allmählich dämmert meinem arabischen Friseur, wer da vor ihm steht. Er schaut auf meine Haare und für den Bruchteil einer Sekunde weiten sich seine Augen in einer Mischung aus Entsetzen und Abscheu. Trotzdem kann er seinen Blick nicht abwenden. Wie bei einem Autounfall, bei dem du nicht nicht hinschauen kannst.

Nicht schön, aber zum Glück selten.

Eine Reaktion, die ich ihm angesichts des haarigen Elends auf meinem Kopf nicht verübeln kann. Nach ein paar Wochen Corona-Isolation hatte meine Frisur zunächst eine leichte Ähnlichkeit mit der von Jim Carey in „Ace Ventura“. Etwas später sah ich auf dem Kopf aus wie Wolverine in der Räude, und anschließend erreichte ich das Stadium „Amselnest, das von einer cholerischen Krähe verwüstet wurde“, bis meine Frisur schließlich wie eine verdammte Biberfellmütze aussah, die von einer Horde Schneehasen durchgerammelt worden war.

Inzwischen sind meine Haare so wild und voluminös, dass ich auf der Straße für ein misslungenes Klon-Experiment gehalten werde. Eine verlotterte Mensch-Orang-Utan-Chimäre oder so. Vielleicht sind meine Haare mittlerweile aber einfach eine eigenständige Lebensform, die mich lediglich als Wirtstier akzeptiert, das sie mit Nahrung versorgt, sauber hält und von A nach B transportiert. (Hauptsächlich zum Kühlschrank oder zur Toilette.)

Mit der Zeit wurde es auch immer schwieriger, mich zu kämmen, ohne dabei mehrfach und vor allem schmerzhaft hängen zu bleiben. So wie damals, als ich ungefähr fünf war und meine Mutter immer versuchte, meine blonde Lockenmähne mit einem rechenartigen Kamm zu bändigen, was immer fürchterlich zog und ziepte. Eine eher unschöne Erinnerung meiner ansonsten behüteten Generation-Golf-Kindheit.

Der arabische Friseur schaut unterdessen immer noch fasziniert-angewidert auf meine Haare und überlegt wahrscheinlich, ob er eine Erschwerniszulage verlangen sollte. Dann legt er mit Kamm und Schere los und 30 Minuten später sehe ich tatsächlich wieder wie jemand aus, der eine gewisse Ähnlichkeit mit mir hat. Beim Bezahlen gebe ich ihm ein großzügiges Trinkgeld. Zum einen, weil ich so lange nicht da war, zum anderen aus Dankbarkeit, dass er mich von Chewbacca in etwas Menschenartiges zurückverwandelt hat.

Niemand hat die Absicht, neue Klamotten zu kaufen

Vor dem Urlaub steht aber nicht nur das Haareschneiden, sondern auch das Kofferpacken an. Daher hatte ich schon vor meinem Friseurbesuch meine Urlaubsklamotten auf dem Bett gerichtet. Ungefähr 95 Prozent davon waren bereits bei unserem letzten Föhr-Urlaub vor zwei Jahren dabei. Und 70 Prozent bei unserem Föhr-Urlaub vor sieben Jahren. Das zeigt wenigstens, dass ich in den letzten Jahren mein Gewicht gehalten habe. Oder dass meine Klamotten einen überdurchschnittlich hohen Elasthananteil haben. Egal.

Auf jeden Fall ist es nachhaltig, sich nicht andauernd neue Kleidungsstücke zu kaufen. Sie wissen schon, unnötiger Ressourcenverbrauch, exzessiver CO2-Fußabdruck, globale Lieferketten und dann auch noch Kinderarbeit unter inakzeptablen Bedingungen. Das muss ja alles nicht sein. Deswegen trage ich meine Sachen immer so lange, bis sie Löcher haben. Und dann noch etwas länger.

Nach 23 Jahren Beziehung hat die Frau es aufgegeben, mich mehr oder weniger subtil darauf hinzuweisen, den Inhalt meines Kleiderschranks mal wieder aufzufrischen. („Soll das wirklich nochmal gewaschen werden?“) Allerdings habe ich sie im Verdacht, ab und an ein paar besonders zerschlissene Kleidungsstücke heimlich verschwinden zu lassen. Nun gut, so lange sie mir keine neuen Klamotten kauft oder mir abends meine Anziehsachen für den nächsten Tag rauslegt, denke ich, dass wir eine halbwegs normale Ehe führen. (Im Rahmen unserer Möglichkeiten zumindest.)

Bevor sie mir für meinen umweltverträglichen Klamottenkonsum die Greta-Thunberg-Gedächtnismedaille am langen Bande verleihen, muss ich ein Geständnis ablegen: Der hat gar nicht wirklich ökologische Gründe. Ich bin einfach sehr, sehr träge, und ich hasse Shoppen abgrundtief.

Das hat nichts damit zu tun, dass zur Zeit jeder Einkauf ein potenziell tödliches Ansteckungsrisiko darstellt. Nein, es war mir schon immer ein Graus, die Wohnung verlassen zu müssen, um etwas zu tun, das so wenig Befriedigung verspricht, wie Klamotten anzuprobieren, die bereits mit Hunderten anderen Körpern in Berührung gekommen sind. (Meine Eltern werden Ihnen das bestätigen können. Mit mir als Kind neue Anziehsachen zu kaufen, ist eine eher unschöne Erinnerung ihrer ansonsten harmonischen Generation-Golf-Elternschaft.)

Schon das Suchen nach Kleidungsstücken empfinde ich als Zumutung. Wenn ich nicht innerhalb von 30 Sekunden nach Betreten des Ladens etwas sehe, das mir gefällt, ist der Einkauf quasi schon gelaufen. Dann habe ich keinen Bock mehr. Meistens kommt dann eine eifrige Verkäuferin oder ein überengagierter Verkäufer und fragt etwas zu fröhlich-kundenorientiert: „Kann ich Ihnen helfen?“ Am liebsten würde ich antworten: „Ja, indem Sie mich in Ruhe lassen.“ Das Verkaufspersonal ist nämlich meistens mindestens 25 Jahre jünger als ich und da ruft die Frage „Kann ich Ihnen helfen?“ unangenehme Assoziationen von mir als tatterigem Altersheim-Bewohner hervor, dem auf die Bettpfanne geholfen wird. Bis jetzt hatte ich mich aber immer noch im Griff und murmle dann „Ich schaue mich erstmal um.“

Falls ich doch etwas Akzeptables zum Anziehen entdecke, stehe ich vor dem nächsten Problem. Weil ich so selten shoppen gehe, weiß ich meine Klamottengrößen nicht. Wahrscheinlich käme es nicht so gut an, eine junge Verkäuferin anzusprechen, sie könne mir jetzt tatsächlich helfen und zwar, indem sie mal hinten in meinem Hosenbund reinschaut und mir meine Hosengröße mitteilt. Stattdessen muss ich also vier bis fünf unterschiedlich große Hosen mit in die Umkleide nehmen, in der Hoffnung, dass mir eine davon schon passen wird. (Mehr als einmal hat sich diese Hoffnung als trügerisch erwiesen.)

In der Umkleide beginnt dann der richtige Horror. Anscheinend schreibt „Das große Buch des Umkleidekabinen-Designs“ vor, dass das Spiegel- und Lichtkonzept derart gestaltet werden muss, dass du selbst nach einem dreiwöchigen Südseeurlaub aussiehst, als hättest du die letzten acht Jahre in einem Kellerverließ gelebt und als wäre dein Körper großflächig mit besorgniserregenden Hautanomalien übersät. Würde Dante Alighieri seine Göttliche Komödie heute schreiben, wäre der neunte Höllenkreis eine Umkleidekabine, in der du dich tagein tagaus ohne Unterbrechung umziehen und dabei im Spiegel anschauen musst.

Und das, liebe Kinder, ist der Grund, warum ich fast nie Klamotten shoppen gehe.

Niemand hat die Absicht, sich vor dem Kofferpacken zu drücken

Gerade als ich mit dem Kofferpacken anfangen will, vibriert mein Handy. Mehrfach. Zeitgleich kommen drei Kunden-Mails rein. Eine Präsentation muss dringend finalisiert, ein Memo ergänzt und ein Angebot überarbeitet werden. Schnell verstaue ich meine Sachen in dem großen Reiserucksack und gehe dann ins Wohnzimmer, wo ich der Frau erkläre, sie müsse die restlichen Koffer leider, leider alleine packen. Dabei setze ich einen möglichst geschäftigen Gesichtsausdruck auf, damit es keine Missverständnisse bezüglich der Dringlichkeit der von mir zu erledigenden Aufgaben angeht, die mich vom Kofferpacken abhalten.

Ein bisschen schäbig komme ich mir trotzdem vor. Während der feine Herr wichtig am Schreibtisch sitzt, muss die Frau sich um Familiengedöns wie Kofferpacken kümmern. (Das Patriarchat zuckt gleichgültig mit den Schultern, der Feminismus spuckt Gift und Galle, bis er im Strahl kotzt.)

Anscheinend trage ich auch nicht gerade zur Verbesserung der Situation bei, indem ich regelmäßig ins Wohnzimmer gehe und die Frau freundlich daran erinnere, meine Laufschuhe einzupacken, die Badehosen nicht zu vergessen und zu kontrollieren, ob die Kinder bei ihren Sachen an alles gedacht haben. Merkwürdigerweise versteht die Frau das nicht als wertvolle Unterstützung meinerseits, damit sie nicht alleine an alles denken muss (Stichwort „Mental Load“ und so). Ganz im Gegenteil. Irgendwann schaut sie so genervt, dass ich glaube, sie benötigt dringend Erholung. Zum Glück fängt morgen der Urlaub an.

Gute Nacht!

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61 Kommentare zu “Corona-Föhrien 2020 – Vorbereitung 2: Von Friseurbesuchen, Klamottenshoppingverweigerung und Kofferpackenpatriarchat

Erwähnungen

  • Der (fast) alljährliche Urlaubsblog. Diesmal nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Zur besseren zeitlichen Orientierung sei erwähnt, dass der Urlaub Ende Juni / Anfang Juli stattfand. Die kompletten Beiträge finden Sie hier.

    Das Hemd klebt und die Hose rutscht

    „Warum muss es denn jetzt auch noch regnen?“, beklage ich mich bei den Schafen, als ich joggend den Deich betrete. Dabei hatte die Wetterfrau im Radio vorhin gesagt, die Regenwahrscheinlichkeit läge bei zehn Prozent. Zehn Prozent sind, wenn du zehnmal auf die Torwand schießt und einmal triffst. Ich würde bei 100 Schüssen keinmal treffen, aber für die zehn Prozent Regenwahrscheinlichkeit reicht es. Vielen Dank auch!

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    In Hollywoodfilmen hat Regen ja häufig etwas Romantisches. Wenn das Liebespaar gegen Ende des Films endlich zusammenkommt und sich küsst, muss es auf jeden Fall – da gibt es irgendein Hollywood-Gesetz – so lange im Regen stehen, bis ihre weißen Oberhemden – auch das ist gesetzlich geregelt Gesetz, dass es immer weiße Oberhemden sein müssen – vollkommen durchnässt sind und sich ihre Oberkörper erotisch darunter abzeichnen. (Zumindest bei günstigem Kamerawinkel und guter Ausleuchtung.) In Actionfilmen ist der Regen wiederum Ausdruck der Willensstärke und Durchsetzungsfähigkeit der Hauptfiguren. Kämpfe auf Leben und Tod finden meist in monsunartigen Regengüssen statt, um dem Publikum zu zeigen, dass dem Helden oder der Heldin die Naturgewalten nichts anhaben können.

    Ich bin aber kein Actionheld und mir können die Naturgewalten sehr wohl etwas anhaben. Deswegen ist es total unangenehm und überhaupt nicht romantisch, wenn mein Laufhemd unangenehm kalt und so eng am Körper klebt, dass ich jetzt schon weiß, dass ich es nie wieder ausziehen kann, sondern mir chirurgisch vom Leib operiert werden muss. (Und es gibt auch keinen Kamerawinkel und keine Ausleuchtung, damit sich mein Oberkörper erotisch unter dem Laufhemd abzeichnet.)

    Die Schafe stehen aber gleichgültig grasend auf dem Damm. Denen ist alles egal. Sowohl der Regen als auch mein kaltes, nasses Laufhemd, das mir sicherlich eine Lungenentzündung und damit den sicheren Tod einbringen wird.

    Das nasse, kalte Oberteil ist nicht mein einziges Textilproblem. Weil es so kühl ist, habe ich heute morgen meine lange Jogginghose angezogen, und die rutscht. Nicht, weil ich abgenommen hätte – das wissen die Camping-Wecken zu verhindern –, sondern weil das Gummiband am Bund gerissen ist. Nun muss ich die Hose alle 50 Meter nach oben ziehen, damit sie nicht in die Kniekehlen rutscht und ich meine Unterhose auf dem Deich zur Schau stelle. Okay, hier sind zwar nur die Schafe, aber auch denen gegenüber möchte ich eine gewisse Restwürde bewahren. (Schreibt der Mann, der krampfhaft versucht, sich mit Schafen zu unterhalten und Freundschaft mit ihnen zu schließen.) Wobei es den Schafen wahrscheinlich sogar egal wäre, wenn ich nackt über den Deich flitzen würde, so lange sie das nicht vom Fressen oder von der Durchführung ihrer Verdauungstätigkeit abhält.

    Zugegebenermaßen ist das Gummi nicht hier auf Föhr, sondern schon vor ein paar Wochen in Berlin gerissen. Theoretisch hätte ich also schon längst eine neue Hose kaufen können. Aber Sie wissen ja, dass ich aus Nachhaltigkeitsgründen meine Klamotten sehr lange trage, bis sie vollkommen runtergerockt sind. Und vor allem weil ich eine sehr ausgeprägte Shopping-Aversion habe.

    Nun ist ein gerissenes Gummiband natürlich auch kein Grund, eine Hose, die ansonsten vollkommen okay ist – die Frau ist hier möglicherweise anderer Meinung –, wegzuwerfen und durch eine neue zu ersetzen. Es ist ja kein Problem da einfach ein neues Gummiband einzuziehen. Für mich allerdings schon. Ich kann nicht nur keine platten Reifen flicken, sondern bin auch ein totaler Handarbeits-Loser. Die einzige 4, die ich in meiner Grundschulzeit hatte, bekam ich auf einen gewebten kleinen Teppich, der so unförmig und misslungen war, dass nicht einmal meine Eltern Worte finden konnten, was für ein interessantes Stück ich da doch produziert hätte.

    Wahrscheinlich denken Sie jetzt, meine Güte, dann bring‘ die Buxe halt zur Schneiderei, da machen die das für schmales Geld. Das stimmt selbstverständlich, aber die physikalischen Gesetze der Massenträgheit hindern mich daran, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Somit habe ich keine andere Wahl und muss so lange in dieser Hose joggen, bis sie mir auf Knöchelhöhe rutscht, und ich mir bei dem daraus resultierenden Sturz den Oberschenkelhals breche.

    „Macht’s gut“, rufe ich den Schafen zum Abschied zu. „Hoffentlich bis übermorgen. Also, sofern ich mit der Hose nicht verunglücke und ins Krankenhaus eingeliefert werde.“ Die Schafe zeigen – mal wieder – keine Reaktion und grasen einfach weiter. Aber es ist ja gut, Freunde zu haben, die nicht gleich in Panik verfallen und auch bei drohenden Katastrophen einen kühlen Kopf bewahren.

    Altglas-Interpretationen

    Nach dem Frühstück bringen der Sohn und ich unser Altglas in den Müllraum. Die Kiste für den Glasmüll ist bereits zur Hälfte gefüllt. Mit zehn Weinflaschen, alle mit dem gleichen Etikett. Anscheinend versucht jemand sich mit einem 2018er Grauburgunder aus der Pfalz die Sonne und wärmere Temperaturen herbeizutrinken.

    Als wir gehen, ist die andere Hälfte der Kiste voll mit leeren Schokocreme-, Erdnussbutter- und Spekulatiusaufstrich-Gläsern. Ich schätze, jede:r hat eine ganz eigene Art, das schlechte Wetter zu verarbeiten.

    Supermarktbesuch: Energy-Drinks, die deinem Mageninhalt Flügel verleihen

    Anschließend gehen wir in den Supermarkt, um unsere Essensvorräte aufzufüllen. Für den Sohn ist, mit den Eltern einkaufen zu gehen, sicherlich keine besonders attraktive Freizeitbeschäftigung. Er macht aber das Beste daraus, indem er sich immer wieder andere Energy-Drinks mit den absurdesten Geschmacksrichtungen aussucht. Anscheinend haben Kinder, die die Pubertät erreichen, hormonell bedingt das unbändige Verlangen, ihre komplette Flüssigkeitsaufnahme ausschließlich mit taurin-, koffein- und matehaltigen Getränken zu bestreiten. Einfach mit irgendetwas, das reinkickt. Wahrscheinlich evolutionär bedingt, weil Teenager ebenfalls hormonell bedingt von einer unfassbaren Müdigkeit und Trägheit befallen werden, die dazu führen, dass sie am Wochenende und in den Ferien tagsüber mehr schlafen als früher im Babyalter nachts. (Ironischerweise schlafen sie dann nachts noch weniger als im Babyalter, weil sie stundenlang mit ihren Kumpels zocken müssen.)

    Ich selbst stehe Energy-Drinks eher kritisch gegenüber. Aber nicht in erster Linie wegen ihrer grenzwertigen Nährwertprofile, weil sie ausschließlich aus Zucker, artifiziellen Geschmacksverstärkern sowie irgendwelchen Abfallprodukten bestehen, die in Chemieproduktionen anfallen und deren fachgerechte Entsorgung zu teuer wäre, so dass sie in den Energie-Getränken landen. Vor allem mag ich sie nicht, da der Geschmack für mich absolut scheußlich ist. Als in meiner Jugend – Achtung: Opa erzählt vom Krieg – Red Bull neu auf den deutschen Markt kam, habe ich mal eine halbe Dose davon getrunken und fand es widerlich. Viel zu künstlich und süß. (Das schreibt der Mann, der in seiner Kindheit gerne mal acht Löffel Kaba in seine Milch gerührt hat.) Ich schüttete den Rest weg und dachte dabei: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das durchsetzt.“ (Damit war sehr früh klar, dass ich nicht zum Börsenanalysten taugen würde.)

    Normalerweise machen wir die Reste unseres erzieherischen Einflusses gegenüber unserem Sohn geltend und erlauben ihm nicht, den ganzen Tag und rund um die Uhr Engergy-Drinks zu sich zu nehmen. Hier im Urlaub – wo die elterliche Durchsetzungsfähigkeit von Tag zu Tag an Schlagkraft verliert – machen wir aber eine Ausnahme, was eine euphemistische Umschreibung dafür ist, dass er sich durch die komplette Palette an Energy-Drinks probieren darf, die sich durch bunte, komplementärfarbige Dosendesigns und die absonderlichsten Geschmacksrichtungen auszeichnet. Kokosnuss-Blaubeere, Kiwi-Apfel und Granatapfel-Birne sind da noch die weniger absurden Mischungen.

    Wider besseres Wissen probiere ich abends einen der Drinks. Er schmeckt, als hätte eine Heerschar von Lebensmittelchemikern sehr, sehr hart und erfolgreich daran gearbeitet, ein Geschmacks-Potpourri von Hustensaft, Fruchtkaugummi und Zahnpasta zusammenzupanschen. Das ist wirklich das ekelhafteste Getränk, das mir jemals untergekommen ist. (Das schreibt der Mann, der mal eine Saftkur gemacht hat, bei der es regelmäßig Sauerkraut- und Rote-Beete-Saft gab.) Nun gut, ich muss das ja nicht trinken. Ich muss es nur bezahlen.

    Die Strandkorb-Community: Sie sind wieder da!

    Am frühen Nachmittag passiert etwas vollkommen Unerwartetes. Die Sonne ist am Himmel zu sehen. Wir liegen uns schluchzend in den Armen und nachdem wir unsere Freudentränen getrocknet haben, gehen wir an den Strand. Dort treffen wir auf alte Bekannte: Die Community, die vor zwei Jahren die Strandkörbe um uns herum belegt hatten, ist wieder da.

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    Alle sind sie wieder da: Die Anwaltsfamilie mit ihrem pubertierenden Sohn, der mit jeder Faser seines Körpers ausstrahlt, dass es wahnsinnig uncool ist, mit den Alten am Strand abzuhängen, während sie bereuen ihn nicht im Ferienlager angemeldet zu haben. Der Arzt mit seiner etwas herrischen Frau und ihrer elfjährigen Tochter sowie dem siebzehnjährigen Sohn, der mich nachhaltig beeindruckt, weil er mit 38 unterschiedlichen Arten des Augenrollens zum Ausdruck bringen kann, dass er genervt ist. Oder die Schuldirektorin, deren Mann fast nie zu sehen ist, weil er so viele Stunden auf dem Tennis- oder Golfplatz steht, als würde er eine späte Profikarriere anstreben. (Vielleicht will er auch einfach seine Ruhe haben.) Lauter gut betuchte Hamburger Familien, die auf der Insel eigene Ferienhäuser haben. Die erholen sich zuerst auf Föhr, um dann woanders irgendwo anders richtig Urlaub zu machen.

    Was ich schon damals an der Gruppe mochte: Sie unterhalten sich wirklich sehr laut und über mehrere Strandkörbe hinweg – man kennt sich ja –, so dass du bei ihren Gesprächen nicht nicht mithören kannst, sofern du nicht sehr gute Noise-Cancelling-Kopfhörer trägst. Das erleichtert meine Arbeit als Strand-Chronist erheblich, denn so muss ich mich nicht beiläufig an fremde Strandkörbe anlehnen und wie ein übereifriger Stasi-IM Mitschriften in meinem Notizbuch anfertigen, sondern bekomme auch so alles gut und deutlich mit.

    View this post on Instagram Nein, @tilem0306 hat sich nicht am Strand gelangweilt. #latergram 20200706 #coronaföhrien #föhr A post shared by Familienbetrieb (@betriebsfamilie) on Aug 17, 2020 at 7:25am PDT

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    Wie schon vor zwei Jahren telefoniert der Anwalt regelmäßig geschäftlich am Strand. Was die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen oder die Vertraulichkeit der Anwalts-Mandanten-Beziehung angeht, ist das vielleicht ein wenig grenzwertig, aber trotzdem verständlich. Er hat das corona-bedingte Home Office in Hamburg verlassen und gegen ein Föhrer Beach Office eingetauscht. Genial! Vor allem, wenn du einen Stundensatz von 500 Euro hast und mit drei, vier längeren Telefonaten deinen Urlaub gegenfinanzieren kannst.

    Zwei der Frauen aus der Clique äußern eine gewisse Unzufriedenheit darüber, dass die Großeltern fast überhaupt nichts mit ihren Enkeln unternähmen, sondern stattdessen die ganze Zeit golften. Ich habe den leisen Verdacht, dass die beiden Frauen sich nicht nur um die fehlende Großeltern-Enkel-Beziehung sorgen, sondern auch befürchten, ihr Plan, am Strand mit einem Glas Apérol Spritz zu entspannen, während die Kinder mit Oma und Opa unterwegs sind, könnte nicht aufgehen. Das ist halt der Nachteil, wenn die rüstigen Golden Ager aufgrund der Errungenschaften der pharmazeutischen Industrie bis ins hohe Alter zu sportlichen Aktivitäten verdammt sind und überhaupt nicht mehr dazu kommen, sich mit den Enkelkindern zu beschäftigen.

    Die Arztgattin erzählt von ihrem neuen Badeanzug, den sie sich bestellt habe, aber noch nicht tragen würde, weil die Körbchen so komisch aussähen. Sie wisse nicht, ob sie den lieber wieder zurückgibt, da solle doch ihr Mann erstmal einen Blick darauf werfen. Der zeigt sich sehr interessiert und sagt, da wäre er selbstverständlich gerne behilflich. Heute Abend hätte er nichts vor, da würde er den Badeanzug und dessen Inhalt mal sehr genau inspizieren. Den Rest verstehe ich leider nicht, da die Tochter „Papa, das ist eklig“ ruft und dann sehr laute und sehr realistische Kotzgeräusche macht.

    Rummikub: Wer Energy trinkt, gewinnt

    Abends spielen wir in der Ferienwohnung Rummikub. Die Frau sagt, das funktioniere im Prinzip wie Rommee, aber halt nicht mit Karten, sondern mit Steinen. Eine wirklich hilfreiche Erklärung, wäre es nicht ungefähr 100 Jahre her, dass ich das erste und einzige Mal Rommee gespielt habe. Bei der weiteren Erläuterung der Spielregeln verweist sie dennoch mehrmals auf die Rommee-Regeln. Ob ich wohl eine andere Sprache als sie spreche? Ich habe doch gerade erst gesagt, dass ich mit den Rommee-Regularien nicht mehr im Detail vertraut wäre. Oder blendet sie einfach aus, was ich sage? Gut, wer will es ihr nach 23 Jahren Beziehung verübeln.

    Wir spielen zwei Runden, die der Sohn beide sehr souverän gewinnt. Aufgrund der vielen Energy-Drinks läuft sein Gehirn wahrscheinlich im Turbo-Modus und er kann fünf-dimensionale Zusammenhänge erkennen, so dass er mir strategisch haushoch überlegen ist. Oder ich spiele einfach sehr schlecht Rummikub und sollte mir doch noch mal die Rommee-Regeln anschauen.

    Unser tägliches Kniffel-Spiel gib uns heute

    Ich übernehme die Führung in der Kniffel-Challenge. Ein bisschen unangenehm ist mir das schon, weil ich ja schon den Kniffel-Pokal gewonnen habe. Andererseits kann ich jetzt ein Spaghetti-Eis gewinnen. Da kannst du dann nicht zu viel Rücksicht auf die eigenen Befindlichkeiten oder die der Familie nehmen.

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    Wenn du ein Mensch bist, lasse das Feld leer:

    Christian HanneChristian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel „Nackte Kanone“ geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
    Im September erscheint sein neues Buch „Papa braucht ein Fläschchen“. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind „Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter“, „Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit“ sowie „Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith“*. (*Affiliate-Links)
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