24. März 2023, Berlin
Ich stehe im dm vor dem Regal mit den Körperpflegeprodukten und bin ratlos. Meine Frau hat auf unsere Einkaufslisten-App Body Lotion geschrieben. Einfach nur Body Lotion. Ohne weitere Erläuterung. Das ist sehr unspezifisch. Im Regal stehen ungefähr 324.312 verschiedene Body Lotions. Um genau zu sein, gibt es Body Lotion, Body Balsam, Pflegecreme, Creme-Öl, Körperöl, Körpermilch, Körperbutter und vieles mehr. (Körperkäse und Körperquark kann ich allerdings nicht entdecken.) Wie soll ich da wissen, welche Body Lotion meine Frau mitgebracht haben will?
Ich überlege, welche Körperlotion meine Frau bei uns im Bad stehen hat, kann mich aber nicht erinnern. Auf der Ablage vor unserem Spiegel sind sehr viele Tiegelchen, Tübchen, Döschen und Fläschchen aufgereiht, die zu unterschiedlichen Tageszeiten und für verschiedene Körperregionen zum Einsatz kommen. Da kannst du schon mal den Überblick verlieren. Vor allem, wenn nichts davon dir gehört. Vielleicht sollte ich einfach etwas aufmerksamer sein. Sonst entgleitet einem so etwas schnell. An einem Tag weißt du nicht, welche Body Lotion deine Frau verwendet und am nächsten vergisst du ihren Geburtstag.
Ich entscheide mich schließlich für eine hautstraffende Lotion Q10 der dm-Hausmarke. Keine Ahnung, für was Q10 steht. Es scheint auf jeden Fall ein vielversprechender Inhaltsstoff zu sein, denn es gibt mehrere Produkte, bei denen das groß auf dem Etikett steht.
Ein bisschen unsicher bin ich dennoch, ob das die richtige Wahl ist. Deiner Frau eine hautstraffende Lotion mitzubringen, kann leicht als wenig subtiler Hinweis verstanden werden, dass du findest, ihre Haut sei zu schlaff und hängend, und sie solle da besser mal mit ein wenig Lotion gegenwirken. Das ist fast schon wie einen Gutschein vom Schönheitschirurgen für Facelifting und Fettabsaugung zu verschenken.
Ich glaube jedoch mich zu erinnern, dass meine Frau kürzlich von genau dieser Lotion gesprochen hat. Die hätte bei Öko-Test viel besser als die teureren Markenprodukte abgeschnitten. Möglicherweise irre ich mich aber auch. Ich sollte vielleicht bei Unterhaltungen mit meiner Frau ebenfalls aufmerksamer sein.
25. März 2023, Berlin
Heute ist Tag der Waffel. Ein sehr begrüßenswerter Feiertag verglichen mit den doch häufig skurrilen Gedenktagen, die mir unterkommen. Leider kann ich den Tag nicht gebührend begehen, indem ich mir eine Waffel einverleibe. Oder besser gleich mehrere. Noch habe ich mein mir gesetztes Ziel-Laufgewicht nicht ganz erreicht. Der Verzehr eines Lebensmittels, das größtenteils aus kurzkettigen Kohlenhydraten und Fett besteht und zusätzlich mit Puderzucker – das heißt, mit Kohlenhydraten in Pulverform – bestreut wird, bringt mich diesem Ziel sicherlich nicht näher.
Außerdem ist Waffelbacken eine recht nervige Angelegenheit. Es schränkt den Genuss doch erheblich ein, dass das Säubern des Waffeleisens mehr Zeit in Anspruch nimmt als das Backen und das Essen. Außer bei den Kindern. Die lassen das Waffeleisen einfach auf der Küchenanrichte stehen – „Das muss ja erst abkühlen!“ –, wo es dann in Vergessenheit gerät. Bis es sich irgendwann wie von Zauberhand selbst reinigt. (Die Zauberhände gehören zufälligerweise zu Personen, die große Ähnlichkeit mit meiner Frau oder mir aufweisen.)
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Samstag. Das heißt für mich wieder 35-Kilometer-Lauf. Diesmal mit neun Kilometern Endbeschleunigung im Marathon-Tempo. So weit so ungut. Noch unguter ist, dass der lange Lauf zum noch längeren Lauf wird, weil wir im Grunewald statt 17 fast 20 Kilometer laufen. Inklusive Hinweg habe ich somit schon 29 Kilometer auf der Uhr und vor allem in den Beinen. Bis ich zuhause bin, werde ich auf 38 Kilometer kommen.
Das motiviert nicht gerade. Dass ich den kompletten Heimweg in der Endbeschleunigung bestreiten muss, ebenfalls nicht. Die darf laut Peter „Der Schinder“ Greiff, von dem ich den Laufplan übernommen habe, auf gar keinen Fall abgekürzt werden. In diesen letzten Kilometern stecke überproportional viel Nutzen. Bei ihm liest sich das so, dass du, wenn du die Endbeschleunigungs-Kilometer nicht bis zum letzten Meter läufst, das Marathonvorhaben gleich ganz sein lassen kannst. Dass er dafür nur Verachtung übrighat, versteht sich von selbst.
In einer Mischung aus unterwürfiger Obrigkeitshörigkeit, preußischem Pflichtgefühl und Angst vor dem Marathon laufe ich den Heimweg also im angestrebtem Renntempo. Aber es fühlt sich nicht schön an und ich bin mir ziemlich sicher, dass es auch nicht schön aussieht.
Gegen Ende des Laufs muss ich an einer roten Ampel anhalten. Ich schnaufe kurzatmig und fluche: „Fuck, fuck, fuck, fuck!“ Die junge Frau neben mir schaut irritiert und vergrößert sicherheitshalber den Abstand zu mir. Dass ich mir unterdessen mit dem Handrücken Schmodder vom Mund wische, macht unsere Begegnung für sie sicherlich nicht erquicklicher.
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Meine Frau und der Sohn sind dieses Wochenende wieder in Greifswald. Wieder auf einem Judoturnier. Eigentlich wäre es an mir gewesen, ihn zu begleiten, aber die Marathonvorbereitung bietet mir die perfekte Entschuldigung, nicht mitfahren zu können. Wobei ich auf dem letzten Endbeschleunigungskilometer zu dem Schluss komme, dass die Wortwahl „perfekte Entschuldigung“ möglicherweise etwas unpräzise ist.
Aber meine Frau fährt auch gerne zu den Turnieren mit. Heute allerdings nicht ganz so sehr. Auf der Hinfahrt lässt sie ihre Umhängetasche samt Geldbeutel und damit samt EC- und Kreditkarte sowie Perso im Zug liegen.
Der Sohn tritt heute bei den Erwachsenen an. Ich schaue mir seine Wettkämpfe nachmittags am Schreibtisch per Livestream an. Auf meiner Schreibtischunterlage klebt ein Foto des Sohns. Auf dem Bild ist er knapp ein Jahr alt, sitzt im Strampler in seinem Hochstuhl und strahlt in die Kamera. Der Sohn auf dem Bildschirm versucht derweil, sich gegen hünenhafte Männer zu behaupten und zu vermeiden, dass diese ihn abwürgen. Das gelingt ihm sogar erfolgreich und belegt einen unerwarteten fünften Platz. Der Einjährige im Hochstuhl lacht fröhlich.
26. März 2023, Berlin
Heute ist Erfinde-deinen-eigenen-Feiertag-Tag. Ich glaube die Betreiber des Kalenders, dem ich immer die ganzen Gedenktage entnehme, haben jeden Tag Erfinde-deinen-eigenen-Feiertag-Tag.
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Beim Sohn läuft es heute nicht so gut in Greifswald. Er knickt im ersten Kampf um und beendet das Turnier lieber. Dafür sind meine Frau und er wenigstens früh zuhause.
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In Berlin wird mal wieder abgestimmt. Diesmal ein Volksentscheid. Ob Berlin bis 2030 klimaneutral sein soll, anstatt bis 2045, wie es bisher vorgesehen ist.
Ist die Mehrheit der Berliner*innen informiert genug, um eine solche weitreichende Entscheidung zu treffen? Wahrscheinlich nicht. (Und ich schließe mich da explizit ein.) Ist das Ziel realistisch und umsetzbar? Wahrscheinlich auch nicht. Hat Berlin genügend Geld, um das alles zu bezahlen? Definitiv nicht. (Zumindest nicht ohne Schulden zu machen.) Ist die Initiative trotzdem richtig und wichtig? Ich denke schon. Ein wenig Klimaschutz-Druck schadet dem neuen, voraussichtlich schwarz-roten Senat sicherlich nicht. Außerdem ist Berlin nicht gerade dafür bekannt, politische Vorhaben reibungslos, effizient und pünktlich umzusetzen. Deswegen bin ich eher skeptisch, ob das mit der Klimaneutralität bis 2045 klappt. Außer die Vorgabe lautet 2030. Dann vielleicht doch.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Sie können uns doch nicht mit diesen Cliffhangern stehen lassen!
Ich möchte bitte dringend wissen, ob das die richtige Bodylotion war und ob Ihre Frau ihre Sachen wieder bekommen hat.
Lieben Dank und weiterhin viel, äh, Freude beim Marathonttraining.
Es war fast die richtige Bodylotion.
Und es wird sich noch zeigen, ob meine Frau ihre Sachen wiederbekommt.