Eine kleine Wochenschau | KW15-2023 (Teil 2)

Teil 1


14. April 2023, Berlin

Besuch beim Friseur. Unglücklicherweise arbeitet meine Stammfriseurin Ayşe nicht mehr hier. Mit dem Haarschnitt, den ich das letzte Mal von einer der anderen Friseurinnen bekam, war ich nur so mittel zufrieden. Daher habe ich vor ein paar Tagen online einen Termin bei der Chefin ausgemacht, in der Hoffnung, diese beherrscht das Coiffeur-Handwerk besser als ihre Angestellten.

Als ich den Laden betrete, begrüßt mich eine junge Frau. Nachdem sie kurz auf den Computer-Bildschirm geschaut hat, erklärt sie, die Chefin käme erst später, und fragt, ob es mir etwas ausmache, wenn sie mir die Haare schneiden würde. Ich zögere ganz leicht. Um ehrlich zu sein, macht es mir etwas aus. Das möchte ich so aber nicht sagen, um ihre Gefühle nicht zu verletzen.

Außerdem kann ich mich nicht erinnern, ob es diese junge Frau war, die mir letztens die Haare zu meiner Unzufriedenheit geschnitten hatte. Die Friseurinnen in dem Laden sehen sich alle sehr ähnlich – jung, mittelgroß, mittellanges schwarzes Haar, aufwändiges Make-up – und ich habe Schwierigkeiten, sie zu unterscheiden.

Möglicherweise tue ich ihr Unrecht, was ihre friseurischen Kompetenzen angeht und sie war gar nicht für meinen letzten Haarschnitt verantwortlich. Ohnehin weiß ich gar nicht mehr so genau, was mir damals an diesem nicht so gut gefiel. Dann kann ich eigentlich nicht so wahnsinnig unzufrieden gewesen sein. Hätte sie mir versehentlich eine Tonsur verpasst, könnte ich mich bestimmt erinnern. Dann wäre es moralisch auch okay, auf den Termin mit der Chefin zu bestehen. So sage ich, das sei kein Problem und ich würde mir gerne von ihr die Haare schneiden lassen. Wenngleich eine Sekunde zu spät, um vollends glaubwürdig zu sein.

Zunächst wäscht mir die junge Frau die Haare. Sie fragt mich, ob die Wassertemperatur so gut sei. In einer Art Übersprungshandlung wegen meiner verzögerten Antwort von eben überkompensiere ich und erwidere: „Phantastisch.“

Phantastisch?!? Meine Güte, Christian, geht’s nicht eine Nummer kleiner? Das Wasser ist wohltemperiert, was das Haarewasch-Erlebnis okay, gut oder angenehm macht. Die Bezeichnung „phantastisch“ sollte dagegen für anderes, außergewöhnlicheres verwendet werden. Ein Violinkonzert von Itzhak Perlman ist zum Beispiel phantastisch. Oder ekstatischer Sex. Oder frischer Käsekuchen, der gerade aus dem Backofen kommt.

Nach dem Haarewaschen schneidet mir die junge Frau recht zügig und schweigsam die Haare. Beides weiß ich beim Friseurbesuch sehr zu schätzen. Als sie fertig ist, hält sie mir einen Spiegel an den Hinterkopf, damit ich das Ergebnis ihrer Arbeit begutachten kann. Sie will wissen, ob ich zufrieden bin. Ich habe meine Brille noch nicht wieder aufgesetzt und sehe mein Gesicht nur schemenhaft, Details meiner frisch geschnittenen Haare sehe ich gar nicht. Ich sage trotzdem: „Phantastisch!“

15. April 2023, Berlin

Heute steht der letzte lange Lauf vor dem Marathon nächste Woche an. Noch einmal 35 Kilometer. Diesmal aber ohne Marathongeschwindigkeit zum Schluss, sondern einfach in gemütlichem Tempo. So gemütlich wie dreieinhalb Stunden Laufen sein können.

Ich nutze das Training, um Trinken zu üben. Das hört sich etwas merkwürdig an. Trinken ist eigentlich eine Tätigkeit, die einen weder intellektuell noch motorisch überfordert. Zumindest wenn du älter als anderthalb bist.

Beim Laufen ist das allerdings gar nicht so einfach. Dabei musst du gleichzeitig das Trinken, Atmen, Schlucken und Rennen koordinieren. Da kannst du schon mal durcheinanderkommen. Zum Beispiel wenn du einen zu großen Schluck nimmst. Oder beim Schlucken einatmest.

Wenigstens habe ich eine Trinkflasche mit einem Trinkventil, das sicherstellt, dass das Getränk in deinem Mund ankommt. Im Gegensatz zu Bechern, die es bei den Läufen an den Verpflegungsstationen gibt. Wenn du aus denen während des Laufens trinkst, landet die Hälfte der Flüssigkeit in deinem Gesicht, dreißig Prozent auf deiner Brust und fünfzehn Prozent auf der Straße. Die restlichen fünf Prozent schüttest du versehentlich in deine Luftröhre und bekommst einen epischen Hustenanfall, der dir deine kümmerliche Restenergie entzieht, so dass du das Rennen am liebsten sofort beenden würdest.

Die Verwendung der Trinkflasche klappt heute aber ganz problemlos. Mein anderthalbjähriges Ich klatscht begeistert in die Hände.

16. April 2023, Berlin

Beim Spazierengehen komme ich in der Nachbarschaft am Büro eines Sicherheitsdienstes vorbei. Auf dem Schaufenster ist aufgedruckt, welche Dienstleistungen angeboten werden. Wachschutz, Objektschutz und Personenschutz. Außerdem etwas sachfremd Empfangs- sowie Reinigungsservices.

Richtig gut zu lesen ist das alles allerdings nicht. Irgendjemand hat einen Stein in die Schaufensterscheibe geschmissen und diese ist großflächig zersplittert. Die Tat einer Schutzgelderpresser-Bande? Oder eines rivalisierenden Sicherheitsdienstes?

Auf jeden Fall ist das zerstörte Glas keine besonders gute Werbung. Wer möchte sich schon von einem Sicherheitsdienst beschützen lassen, der nicht einmal in der Lage ist, Backsteinattacken gegen das eigene Schaufenster zu verhindern? Da würde ich eher Herrn Schwan als Wachschutz engagieren.


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2 Kommentare zu “Eine kleine Wochenschau | KW15-2023 (Teil 2)

  1. Lieber Christian,

    vielen lieben Dank, das du uns immer an deiner phantastischen Woche teilhaben lässt. Ich mag deinen Schreibstil total und freue mich immer, wenn du etwas Neues geschrieben hast.

    Danke, danke, danke

    Meli

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