Cassis 2022 – Vorbereitung 2 (07.07.): Auch Nicht-Nicht-Stammfriseurinnen können gut Haare schneiden

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„Hallo, haben Sie einen Termin?“, begrüßt mich die Frau im Friseurgeschäft. Sie ist jung, mittelgroß, aufwändig geschminkt, hat mittellanges Haar und ich habe ein Problem. Also, nicht weil sie jung, mittelgroß und aufwändig geschminkt ist und mittellanges Haar hat, sondern weil ich nicht weiß, ob sie meine Stammfriseurin ist.

Hört sich komisch an und ist es auch. Meine Stammfriseurin ist nämlich gar nicht meine Stammfriseurin, sondern die meiner Frau. Vor ungefähr sieben Monaten, kurz vor Weihnachten, habe ich mir von Ayşe – so hieße die Stammfriseurin meiner Frau, wenn ich mir den Namen nicht ausgedacht hätte – die Haare schneiden lassen. Weil ich sehr zufrieden war, habe ich seitdem immer Termine bei ihr gebucht. Allerdings war sie nie da und stattdessen hat sich dann eine ihrer Kolleginnen um meine Haare gekümmert.

Weil ich im Urlaub in Cassis nicht rumlaufen möchte, als trüge ich eine Mütze aus räudigem Yak-Fell, habe ich gestern übers Internet einen Termin bei Ayşe ausgemacht. Nun stehe ich hier und weiß ich nicht, ob die Frau, die mich gerade so freundlich begrüßt hat, meine Stammfriseurin beziehungsweise meine Möchtegern-Stammfriseurin ist.

Das ist natürlich peinlich und wirft kein gutes Licht auf mich. Aber ich war ja auch nur einmal bei Ayşe und das ist, wie gesagt, schon sieben Monate her. Außerdem sehen sich die Friseurinnen hier alle recht ähnlich – jung, mittelgroß, aufwändig geschminkt, mittellanges Haar. Da kann es schon mal passieren, dass du nicht weißt, wer dir gerade gegenübersteht. Zumindest, wenn du ein Trottel bist.

Vielleicht finde ich irgendwie heraus, ob es sich um meine Nicht-Stammfriseurin handelt. Ich könnte „Hallo Ayşe!“ zurückgrüßen. Wäre ziemlich unangenehm, falls sie es nicht sein. Oder ich frage: „Ist Ayşe gar nicht da?“ Sollte sie es aber selbst sein, wäre das ebenfalls doof. Ich sage lieber gar nichts, damit mir kein Fauxpas passiert. Schließlich möchte ich nicht als oberflächlicher Chauvi gelten, der die Kolleginnen nicht auseinanderhalten kann, weil sie für ihn alle wie junge, mittelgroße, aufwändig geschminkte Frauen mit mittellangem Haar aussehen.

Bevor ich an der Reihe bin, bekommt eine hochschwangere Frau die Wimpern gefärbt. Was es nicht alles gibt. Kostet 40 Euro. Fast doppelt so viel wie mein Haarschnitt. Obwohl ich viel mehr Haar als sie Wimpern hat. (Zumindest noch.)

Die Frau ist trotzdem zufrieden. Das sei die beste Entspannungskur der letzten neun Monate gewesen, sagt sie beim Bezahlen. Wahrscheinlich auch für die nächsten anderthalb bis drei Jahre, denke ich, behalte das aber für mich. Das wäre irgendwie übergriffig und ich will auch nicht ihr bevorstehendes Mutterglück trüben.

Nun bin ich an der Reihe. Zuerst bekomme ich die Haare gewaschen. Mit einem Shampoo das dezent nach Pfirsich duftet. Mag ich eigentlich nicht. Shampoo, das nach Obst riecht. Außer damals in der Oberstufe bei Bärbel. Die hat immer ein Shampoo mit Vanille-Aroma benutzt. Fand ich toll. Weil ich Bärbel toll fand. Außerdem ist Vanille kein Obst, sondern ein Gewürz. Und Bärbel sah so unfassbar gut aus, die hätte sich von mir aus ihre Haare auch mit Gülle-Shampoo waschen können.

Inzwischen bin ich mir ziemlich sicher, dass die Friseurin, die inzwischen zum Schneiden meiner Haare übergegangen ist, nicht meine Nicht-Stammfriseurin ist. Ayşe ist zwar ebenfalls jung, aber nicht mittelgroß, sondern eher mittelklein, ihre Haare sind nicht mittellang, sondern mittelkurz und ihr Make-up ist auch mehr so mittelaufwändig. Sofern ich mich richtig erinnere.

Trotzdem bin ich mit der Schneideleistung der Nicht-Nicht-Stammfriseurin sehr zufrieden. Mich irritieren lediglich die vielen grauen Haare, die unter meinem Stuhl liegen. Müssen von einem früheren Kunden sein. Ayşe hätte die vorher weggefegt.

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Ich stehe in der Buchhandlung in der Reiseabteilung und bin überfordert. Meine Frau hatte mich gestern gebeten, einen Reiseführer für die Provence zu besorgen. Inzwischen sind wir in einem Alter, in dem wir das haptische Erlebnis eines ausgedruckten Reiseführers zu schätzen wissen. Wir wollen nicht vor einer verfallenen Ruine hektisch googeln müssen, um was für ein Gebäude es sich handeln könnte. Stattdessen möchten wir in einem Buch nachschauen, für das der Autor hektisch ergoogelt hat, um welches Gebäude es sich handeln könnte.

Wer hätte gedacht, dass es so viele Provence-Reiseführern gibt? (Ich nicht, wie sie an der Frage merken.) Bei der großen Auswahl weiß ich nicht, für was ich mich entscheiden soll. Für einen Lonely-Planet-Reiseführer fühle ich mich zu alt und zu uncool, für einen Baedeker nicht intellektuell und klug genug. Ich entscheide mich für einen Marco-Polo-Reiseführer. Dessen Mainstreamigkeit scheint mir gut zu meiner eigenen Mittelmäßigkeit zu passen. Außerdem verbinde ich damit nostalgische Kindheitserinnerungen. Meine Eltern hatten für unseren letzten gemeinsamen Urlaub – eine Reise nach Marokko – auch einen Marco-Polo-Reiseführer gekauft. (Womit ich unter keinen Umständen andeuten möchte, meine Eltern seien uncool, unintellektuell oder mittelmäßig.)

Damals fand ich die Insider-Tipps in dem Marco-Polo-Reiseführer besonders toll. Das klang für mich, als bekämen ausschließlich wir ganz exklusive Informationen über außergewöhnliche Sehenswürdigkeiten, besondere Aussichtspunkte oder exzellente Restaurants. Als Erwachsener frage ich mich dagegen, wie insidig ein Insider-Tipp noch ist, nachdem er in einem Buch mit hunderttausendfacher Auflage abgedruckt wurde.

Ich kaufe den Reiseführer trotzdem. Zuhause stelle ich fest, dass der Abschnitt über Cassis ganze vier Sätze umfasst. Und die sind nicht einmal ein Insider-Tipp.

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Fortsetzung


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2 Kommentare zu “Cassis 2022 – Vorbereitung 2 (07.07.): Auch Nicht-Nicht-Stammfriseurinnen können gut Haare schneiden

Erwähnungen

  • Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.

    13. Februar 2023, Berlin

    Die Woche beginnt mit einer Hiobsbotschaft. Ich gehe zum Friseur und meine Stamm-Friseurin Ayşe ist nicht da. Nicht nur heute, sondern gar nicht mehr. Okay, das ist zugegebenermaßen keine Hiobsbotschaft, wie „dein Arzt diagnostiziert eine tödliche Krankheit bei dir“ oder „dein Chef teilt dir mit, dass du gefeuert bist“, sondern eher so ein First-World-Problem eines privilegierten, weißen Mittelschichtlers. Aber es hat sehr lange gedauert, bis ich mir den Status des Stamm-Kunden bei Ayşe erarbeiten konnte und ich kann bei Friseur*innen mit Veränderungen nur sehr schlecht umgehen. Wie gesagt, ein First-World-Problem eines privilegierten, weißen Mittelschichtlers.

    Zeitgleich mit mir betritt ein anderer Mann den Laden. Er ist circa Mitte 30 und seine Haare signalisieren, dass der Friseurbesuch dringend nötig ist. Das heißt, ungefähr genauso nötig wie bei mir. Wir sitzen zuerst nebeneinander am Waschbecken zum Haarewaschen und dann später vom Spiegel beim Haareschneiden.

    Unsere Friseurinnen unterhalten sich derweil über ihre geplanten Gewichtsreduktionen – ambitionierte minus zehn Kilo bis Juni und noch mal zehn bis Oktober –, über Nahrungsergänzungsmittel und die Verdauungsprobleme, die sie hervorrufen können, sowie über die Nachteile von minderwertigem Kollagen. Der andere Mann und ich fühlen uns leicht unwohl und rutschen auf unseren Stühlen rum. Ich bin mir nicht sicher, ob von uns erwartet wird, uns an der Unterhaltung zu beteiligen, aber ich befürchte ohnehin, dass ich keinen sinnvollen Input beizusteuern hätte. Als meine Friseurin fertig ist, zeigt sie mir mit einem Spiegel von hinten und von der Seite das Ergebnis ihrer Arbeit. Um ehrlich zu sein, bin ich nur semi-zufrieden. Deswegen sage ich: „Super, vielen Dank!“ Irgendwie muss ich nun herausfinden, wo Ayşe jetzt arbeitet.

    14. Februar 2023, Berlin

    Valentinstag fällt dieses Jahr auf einen Dienstag. Das freut mich mehr als es sollte. Als Kind fand ich es nämlich immer verwirrend, wenn Valentinstag an irgendeinem anderen Wochentag war, weil er doch so ähnlich wie Dienstag klingt.

    Meine Frau und ich haben den Valentinstag noch nie begangen. Nicht zuletzt, weil wir ungefähr zwei Wochen vorher unseren Jahrestag haben. Innerhalb von vierzehn Tagen unsere Liebe zweimal zu zelebrieren, erscheint uns etwas krampfhaft bemüht. Okay, meistens vergessen wir unseren Jahrestag, so dass wir überhaupt nicht unsere Liebe zelebrieren. Aber das scheint, kein größeres Problem zu sein, denn wir sind trotzdem seit 26 Jahren zusammen.

    Der Sohn moniert, dass wir total unromantisch seien, weil wir an Valentinstag nichts zusammen unternähmen. Ich bin mir nicht sicher, ob er tatsächlich um die Romantik in unserer Beziehung besorgt ist oder uns einfach einen Abend aus dem Haus haben will. Er meint, er würde später seine Freundin an Valentinstag zum Essen einladen. Schön für ihn. Und noch schöner für die Freundin in spe.

    15. Februar 2023, Berlin/Köln

    Sitze im Zug auf dem Weg zum Kölner Karneval. Schräg vor mir sitzt ein Typ an seinem Laptop und programmiert. Sein Bildschirm hat etwas leicht matrixhaftes und ist voll mit Codezeilen, Ziffern und Buchstaben. Vielleicht programmiert er auch nicht, sondern hackt.

    Neben ihm sitzt eine Frau und bearbeitet Fotos für eine Präsentation, eine andere Frau führt ein berufliches Telefonat und verwendet dabei so viele englische Marketingfloskeln, als würde sie den ersten Preis beim Businesssprech-Bullshit-Bingo anstreben.

    In Hannover betritt eine fünfköpfige Gruppe, die ebenfalls zum Karneval nach Köln fährt, den Zug und lockert die geschäftliche Atmosphäre im Abteil ein wenig auf. Oder stört sie, je nach Perspektive. Aus einem Telefonat lässt sich raushören, dass sie in der Nähe des Kölner Hauptbahnhofs in einem Brauhaus andere Kolleg*innen treffen werden.

    Der Mann und die vier Frauen packen Sekt, Bier und Schnäpschen aus, dazu auch noch Schnittchen, Schokolädchen, kleine Salamis und Trauben. Trotz des Alkoholkonsums verhalten sie sich aber recht gesittet und leise. Sie wirken so brav, korrekt und ein klein wenig spießig, als wären sie die Buchhaltungsabteilung eines mittelständischen Schraubenherstellers. Aber das muss sie ja nicht daran hindern, an Karneval richtig steil zu gehen.

    16. Februar 2023, Köln

    Auf dem Weg zu der Kneipe, wo ich wie immer mit Stadt-Land-Mama-Lisa Karneval feiern, komme ich an einer Kita vorbei. Drinnen hüpfen, lachen und klatschen ein paar Erdbeeren, Hummeln, Bären und Prinzessinnen zu irgendeinem kölschen Karnevalslied. Mittendrin steht eine Erzieherin, die etwas gequält aussieht und nur so semi- enthusiastisch mitmacht. Wahrscheinlich würde sie lieber in einer Kneipe zu irgendeinem kölschen Karnevals Lied hüpfen, lachen und klatschen.

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    Dieses Jahr habe ich mich als Matrose verkleidet. Mit blau weiß geringeltem T-Shirt, weißer Jogginghose und einem Matrosenmützchen, bei dem der Versand mehr gekostet hat, als die Mütze selbst. Ich hoffe, meine Verkleidung wird erkannt und meine Kostüm wird nicht für „abgehalfterter Stripper, der seine beste Zeit, die er nie hatte, hinter sich hat“ gehalten.

    Zumindest dem schwulen Barkeeper im Batman-Kostüm scheint meine Verkleidung zu gefallen. Jedes Mal, wenn ich Kölsch hole, gibt er mir ein Getränk zusätzlich. Vielleicht steht er auf Matrosen. Oder auf abgehalfterte Stripper. Oder er ist sehr schlecht im Zählen.

    Einer seiner Kollegen ist ein hünenhafter menschgewordener Muskelberg. Er trägt ein American-Football-Oberteil, das bei ihm weniger nach Kostüm, sondern nach normaler Sportbekleidung aussieht. Später ist er nur noch mit einem engen Höschen bekleidet und zapft oberkörperfrei Kölsch. Ich habe meine Zweifel, dass das den allgemeingültigen Hygienevorschriften in der Gastronomie entspricht, aber es ist bestimmt gut für Umsatz und Trinkgeld.

    17. Februar 2023, Köln

    Heute ist Tag der grundlosen Nettigkeit. Ich glaube, in Berlin wird der nicht gefeiert. Da gibt es nicht einmal den Tag der begründeten Nettigkeit.

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    In Köln hat sich das mit der grundlosen Nettigkeit anscheinend auch noch nicht rumgesprochen. Ich beobachte, wie ein DHL-Fahrer mit einem älteren Autofahrer streitet, der nicht ganz optimal geparkt hat. Schließlich sagt der Autofahrer: „Wer glaubst du eigentlich, wer du bist, du Heini?“ Ich finde das ein bisschen lustig. Einen Streit, der mit der Beleidigung „du Heini“ endet, kann ich irgendwie nicht ernstnehmen. Der DHL-Fahrer sieht das möglicherweise anders.

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    Kurz vor 12, ich laufe am Chlodwigplatz vorbei. Ein paar fröhliche Karnevalist*innen schädeln sich die ersten Kölsch rein. Also, alles normal.

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    Christian HanneChristian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
    Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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  • Noel

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