Eine kleine Wochenschau | KW09-2023

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


27. Februar 2023, Berlin

6.30 Uhr. Ich sitze auf dem Sofa, trinke Kaffee und bin nervös. Nicht weil ich auf dem Sofa sitze und Kaffee trinke. Das mache ich regelmäßig, da habe ich eine gewisse Routine und mein Pulsschlag erhöht sich deswegen nicht. (Erst ab der siebten Tasse Kaffee.) Heute startet für mich aber die Vorbereitung auf den Marathon in Hamburg. Darum bin ich etwas angespannt und aufgeregt.

Regelmäßige Mitleser*innen erinnern sich möglicherweise, dass der Marathon in Köln im letzten Jahr nicht besonders zufriedenstellend verlief. Mein Freund A., mein Marathon-Laufpartner in Crime, musste bei Kilometer 30 aussteigend, ich schleppte mich mehr gehend als laufend ins Ziel. Das war zwar kein existenzielles Scheitern, das mein Selbstbild und mein Selbstwertgefühl in den Grundfesten erschüttert hätte, aber genervt hat es mich trotzdem. Daher meldete ich mich kurz nach dem unbefriedigendem Lauferlebnis in Köln beim Hamburger Marathon an. Dieser findet in acht Wochen statt.

Rückblickend hatte meine letzte Marathonvorbereitung folgende Schwachstellen:

  • Ich hatte zu wenig „Angst“ vor dem Marathon. A. und ich hatten uns eine Zeit von unter vier Stunden vorgenommen. 2010 und 2013 war ich bereits Marathon in Berlin gelaufen, jeweils in etwas mehr als dreieinhalb Stunden. Daher dachte ich mit durch nichts zu rechtfertigender Überheblichkeit: „Vier Stunden packst du locker.“ Ein ziemlicher Irrglaube, denn nur weil du mal vor mehr als einem Jahrzehnt bei einem Marathon verhältnismäßig flott unterwegs warst, schaffst du 42,195 Kilometer nicht einfach locker. Es sind immer noch 42,195 Kilometer.
  • Ich habe zu „lasch“ trainiert. Da ich unsere Zielzeit für nicht ganz so ambitioniert hielt, war meine Vorbereitung nicht übermäßig anspruchsvoll. Sowohl was die Länge der langen Läufe als auch den Gesamtumfang der gelaufenen Kilometer angeht. Das war zwar alles im Einklang mit dem Plan aus der Herbert-Steffny-Laufbibel, aber ich war mental nicht so richtig bei der Sache.
  • Ich war zu schwer. Bei meinen beiden ersten beiden Marathons wog ich jeweils um die 68 Kilogramm. Das erschien mir etwas wenig, weil ich dann immer wie eine ausgemergelte Vogelscheuche aussah. Stattdessen strebte ich ein Laufgewicht von 72 Kilogramm an. Das liegt circa drei Kilogramm unter meinem Durchschnittsgewicht der letzten Jahre. Aufgrund von mangelnder Selbstdisziplin – siehe Punkt „zu wenig Angst“ und „mental nicht ganz bei der Sache“ – brachte ich beim Köln-Marathon dann 76 Kilogramm auf die Waage. Wenn Sie mathematisch nicht gänzlich unterbegabt sind, fällt Ihnen auf, dass das sogar ein Kilo mehr als mein Durchschnittsgewicht war.

Zusammengenommen führt dies – zumindest nach meiner Interpretation – zu dem eher unschönen Marathonerlebnis in Köln. Deswegen habe ich mir für die Vorbereitung auf den Hamburg Marathon folgendes vorgenommen:

  • Dieses Mal will ich bei dem Lauf tatsächlich maximal 72 Kilo wiegen. Diesbezüglich bin ich schon auf einem guten Weg. Es fehlen nur noch zwei Kilo. (Zugegebenermaßen war ich in der Vorbereitung auf den Kölner Marathon zwischendurch mal sogar nur anderthalb Kilo von meinem Lauf-Wunschgewicht entfernt, bis ich merkte, dass mein Stoffwechsel inzwischen anders funktioniert und ich nicht mehr trotz des vielen Trainings essen kann, was ich will, und trotzdem abnehme.)
  • Ich habe mir eine schnellere Zeit vorgenommen. 3:45. Das ist möglicherweise etwas größenwahnsinnig, da ich in Köln mehr als eine halbe Stunde langsamer war. Zumindest sollte das aber meinen Respekt vor dem Marathonvorhaben erhöhen.
  • Schließlich habe ich mir einen anspruchsvolleren Trainingsplan rausgesucht. Von einem Lauftrainer namens Peter Greif. Nach dessen Plänen trainiert mein Bruder regelmäßig und ist dabei schon Marathonzeiten von 3:15 gelaufen. Peter Greif ist schon ein etwas älteres Semester, leidet nicht gerade unter einem Mangel an Selbstbewusstsein und pflegt eine etwas unangenehme „Nur die Harten kommen in den Garten“-Rhetorik, die du beim Lesen ausblenden musst. Dafür sind seine Trainingspläne definitiv nicht zu lasch. Die Wochenumfänge liegen bei rund 100 Kilometern, es gibt pro Woche zwei schnelle Einheiten, einen langen 35-Kilometer-Lauf und die Erholungsläufe gehen über 18 bis 20 Kilometer. Wenn ich vor diesem Plan keine Angst habe, ist mir auch nicht zu helfen. Entweder bin ich im April in der Form meines Lebens oder in zwei Wochen ein körperliches Wrack.

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Die Marathonvorbereitung startet heute mit einem sogenannten intensiven Dauerlauf. 15 Kilometer in circa 5:14 pro Kilometer. Dazu zwei bis drei Kilometer ein- und ebenso viele Kilometer auslaufen. 5:14 ist für mich nicht überfordernd schnell, aber über 15 Kilometer schon anspruchsvoll. Vor allem an einem Montagmorgen.

Die ersten Kilometer laufen aber recht gut. Ich fühle mich frisch – trotz Montagmorgen –, das Tempo macht mir nichts aus – trotz dem gerade abgeschlossenen Fasten – und ich denke, dass ich so fit bin, dass ich die Marathonvorbereitung problemlos durchziehen kann. Schnell verdränge ich diese Gedanken wieder. Nach 30 Minuten Training ist es vielleicht noch etwas früh für ausufernden Enthusiasmus. Außerdem möchte ich durch meine Euphorie keine Ereigniskette auslösen, durch die ich innerhalb der nächsten zwei Wochen einen desaströsen Leistungseinbruch erleide oder mir einen Kreuzbandriss zuziehe.

Zwischendurch setzt leichter Schneefall ein und sorgt für Rocky-Feeling beim Laufen. Schnell stelle ich fest, dass Trainieren im Schnee im Fernsehen wesentlich mehr Romantik entfaltet, insbesondere wenn du auf dem Sofa sitzt und Kekse futterst, als in der Realität, wo dir die Schneeflocken ins Gesicht rieseln.

Nach ungefähr zwölf Kilometern macht sich das flotte Tempo allmählich bemerkbar. Ich verspüre ein leichtes Brennen in meinen Oberschenkeln. Der Laufgott will anscheinend jeglichen Übermut im Keim ersticken, damit ich mir nicht einbilde, ich werde in Hamburg kenianische Zeiten laufen.

28. Februar 2023, Berlin

Wir gehen abends ins Mokka, ein italienisches Restaurant bei uns in der Nähe. Das passt zwar nicht ganz zu einer asketischen Marathonvorbereitung, aber wir wollen noch das Ende unseres Fastens und die Teilnahme des Sohns bei den Deutschen Judo-Meisterschaften feierlich begehen.

Die Pizza ist köstlich. Der Boden ist dünn, die Tomatensauce tomatig, der Büffelmozarella büffelig und das Basilikum basilikumig. (Wobei ich Basilikum auf einer Pizza geschmacklich eigentlich für verzichtbar halte, aber fürs Aroma und für die Optik ist er nicht ganz unwichtig.) Die Pizza schmeckt fast so gut, wie ich es mir im Fastenwahn vorgestellt habe. Für so eine Pizza hätte ich letzte Woche getötet. So weit würde ich inzwischen nicht mehr gehen. Vor allem weil es im Gefängnis wahrscheinlich nicht so leckere Pizza gibt.

Meine Frau schafft ihre Pizza nicht ganz. Sogar nur knapp die Hälfte. Das liegt einerseits daran, dass die Aufnahmekapazität ihres Magens nach der Fastenwoche noch eingeschränkt ist, andererseits haben die Pizzen im Mokka den Umfang von mittelgroßen Traktorreifen. (Mich hindert weder das eine noch das andere daran, meine Pizza bis auf den letzten Krümel zu vertilgen.)

Der Sohn, der bereits einen stattlichen Teller Linguine Scampi verputzt hat, nimmt sich der Pizza seiner Mutter an. Allerdings gelingt es auch ihm nicht, sie komplett aufzuessen. Das ist ihm sehr unangenehm, denn nun könnte der Kellner denken, er wäre am Aufessen einer Pizza gescheitert. Wahrscheinlich widerspricht das seinem Bild von Männlichkeit.


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