Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
13. September 2021, Berlin
Es ist 22 Uhr. Gegenüber vor dem Kloster streitet ein jugendliches Pärchen lautstark. Um was es genau geht, lässt sich nicht heraushören. So laut sind die beiden dann doch nicht.
Ich verstehe nur, dass die junge Frau wie eine springende Schallplatte immer wieder fragt: „Was machst du mit mir, Baby? Was machst du mit mir, Baby? Was machst du mit mir, Baby? Was machst du mit mir, Baby? Was machst du mit mir, Baby? Was machst du mit mir, Baby? Was machst du mit mir, Baby?“
Ich bin kurz davor, zu brüllen, dass Baby verdammt nochmal sagen soll, was er mit ihr macht, damit sie endlich aufhört. Baby nuschelt schließlich eine unverständliche Antwort, die mit „Walla“ endet.
Der Streit wird immer emotionaler und droht in Handgreiflichkeiten auszuarten. Von irgendwoher ruft ein Mann die beiden zur Räson. Daraufhin beschimpf das Pärchen den Mann aufs Übelste und zieht schließlich einträchtig von dannen. Es geht doch nichts über die gemeinschaftsstiftende Funktion eines gemeinsamen Feindes.
Leider werden wir, das heißt ich, nie erfahren, was Baby denn nun angestellt hat.
14. September 2021, Berlin
Nicht nur das Krankenhauspersonal in Berlin streikt, sondern auch mein Handy. Es beschließt, seinen Akku nicht mehr aufzuladen und keine Telefonate mehr entgegenzunehmen. Letzteres scheint mir zwar von Vorteil zu sein, aber so richtig praktikabel ist ein gesprächeverweigerndes Handy leider doch nicht.
Da moderne Smartphones so konzipiert sind, dass ein technisch minderbegabter Mensch, also ich, der obendrein über kein Spezialwerkzeug verfügt, ebenfalls ich, nicht in der Lage ist, den Akku selbst auszutauschen, und da die Preispolitik von Handyherstellern beziehungsweise Elektronikfachmärkte derart gestaltet ist, dass der Akkuaustausch nur unwesentlich weniger als ein Neugerät kostet, beschließe ich ein neues Handy zu bestellen.
Um mein ethisches und ökologisches Gewissen nicht übermäßig zu belasten, entscheide ich mich für ein Gebrauchtes beziehungsweise ein Wiederaufbereitetes. So kann ich mir einreden, dass die chinesischen Arbeiter*innen nicht direkt für den Zusammenbau meines Handys ausgebeutet und keine seltenen Rohstoffe nur für mich abgebaut wurden und das Gerät auch nicht über den halben Globus geschippert wurde, damit ich es in den Händen halten darf. Das geht alles schön auf das Schlechte-Karma-Konto des Vorbesitzers oder der Vorbesitzerin! Also, wenigstens zur Hälfte.
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Der Sohn schreibt morgen Englisch. Das Thema: Political Speech Analysis. Seine Vorbereitung besteht darin, dass er sich am Handy ein paar Informationen zu Stilmitteln durchliest. Das muss reichen.
Nun gut, ich muss die Arbeit ja nicht schreiben. Und ich muss auch nicht irgendwann meinen Eltern das Ergebnis präsentieren. Hoffe ich zumindest.
15. September 2021, Berlin
Laut Aussage des Sohns war die Englischarbeit okay. Ein bisschen schwierig, aber er glaubt trotzdem ganz gut.
Mit der Schwammigkeit dieser Aussage, die gleichzeitig vorsichtigen Optimismus signalisiert, qualifiziert er sich quasi für ein politisches Spitzenamt. Wahrscheinlich färbt der nicht enden wollende Wahlkampf auf ihn ab.
16. September 2021, Berlin
Seit kurzem hat der Sohn seine Leidenschaft für E-Scooter entdeckt. Es sei so angenehm und erfrischend, wenn einem der Fahrtwind ins Gesicht wehe. Mein Argument, dass könne er auch auf dem Fahrrad haben, er müsse nur fest genug in die Pedale treten, überzeugt ihn nicht.
Um einen freien Roller zu finden, nimmt er lange Fußwege in Kauf, die er sonst nie freiwillig zurücklegen würde. Da die Suche gerne mal eine halbe Stunde dauert, kommt er außerdem regelmäßig zu spät nach Hause. Die Kosten für die Fahrten laufen selbstverständlich über unsere Kreditkarte und belasten sein Taschengeldguthaben nicht.
Aber was soll’s. Der Sohn ist nur einmal fünfzehn und wenn ihm das E- Scooter-Fahren ein unbeschwertes Easy-Rider-Gefühl der unbegrenzten Freiheit gibt, möchte ich nicht der Spießer sein, der ihm das vermiest.
Fun Fact am Rande: In der Schweiz werden E-Scooter angeblich E-Trotti genannt. Ich hätte das gerne als Bezeichnung für Menschen, die ihren benutzten E-Scooter einfach mitten auf dem Gehweg liegenlassen.
17. September 2021, Berlin
Auf dem Heimweg vom Einkaufen stehe ich an einer roten Ampel und überlege, die Straße trotzdem zu überqueren, weil weit und breit kein Auto kommt. Allerdings wartet auf der anderen Seite eine Gruppe hibbeliger Kita-Kinder, die lautstark skandieren: „Rote Ampel, rote Ampel, stopp! Rote Ampel, rote Ampel, stopp!“
Ich schätze, es wäre diesmal tatsächlich schlecht für mein eigenes Karma-Konto, wenn ich vor den Kindern die rote Ampel ignorierte und einfach weiterginge. Außerdem würden die Kinder meine Missachtung der Straßenverkehrsordnung sicherlich nicht dulden und mich durch die Straßen Moabits jagen, bis sie mich dingfest machen und der Polizei übergeben.
Während ich mir das ausmale, springt die Ampel auf Grün, was ich aber erst merke, als die Kleinen in 2er-Reihen unter lauten „Grün, grün, grün“-Rufen loslaufen.
18. September 2021, Berlin
In den Radionachrichten wird eine Demo mit dem Namen „Give peace a dance” angekündigt. Das Motto ist so gut, dass ich hoffe, es ist keine Demo von irgendwelchen bescheuerten Querdenkern. Das ist ja leider nicht auszuschließen.
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Meine Frau gönnt sich heute einen Besuch im Hamam. Mit Peeling, Ganzkörpermassage und Saunieren. Für mich als wellness-aversem Körper-Klaus, der nicht von fremden Menschen durchgeknetet und auch nicht mit ebenfalls fremden und obendrein nackten Menschen in einem heißen Raum schwitzen möchte, liegt ein Hamam-Besuch irgendwo zwischen „Zahnwurzelextraktion ohne Betäubung” und „Abendessen mit Friedrich Merz”, das heißt für mich wäre das der reinste Horror. Da meine Frau in ein Women-Only-Hamam geht, wäre es für die Besucherinnen allerdings auch der reinste Horror, wenn ich dort aufkreuzte.
19. September 2021, Berlin
Mein Namensvetter mit der fast identischen E-Mail-Adresse, die er anscheinend häufig nachlässig eingibt, hat wieder zugeschlagen. Diesmal geht es nicht um die Jägerei, sondern in meiner Inbox ist die Bestätigung für seine Anmeldung bei einem Babyklamotten-Basar in einer süddeutschen Kleinstadt gelandet. Das freut mich. Anscheinend hat sein romantisches Pärchen-Wochenende, für das ich vor ein paar Jahren die Buchungsbestätigung erhielt, in dessen Anschluss er sich eine neue King-Size-Matratze kaufte (Bestellbestätigung ging ebenfalls an mich), zu Nachwuchs geführt. Jedenfalls möchte ich mir diese Kausalkette so vorstellen.
Betrüblich ist lediglich, dass er die Baby-Second-Hand-Klamotten nicht verkaufen werden kann, da er keine Anmeldebestätigung hat, die er laut der Babyklamotten-Basar-Vorschriften vor Ort vorweisen muss, um seinen Stand aufbauen zu dürfen. Vielleicht sollte ich an die Organisatoren schreiben und ankündigen, dass ich voraussichtlich meine Anmeldeunterlagen nicht mitbringen werde und unter Umständen einen riesigen Aufstand veranstalten werde, dass mir die Bestätigung nie zugeschickt wurde, dass das eine Riesensauerei sei und ob sie ihren Saftladen nicht im Griff hätten. Dann gibt es am Baby-Basar-Tag wenigstens keine bösen Überraschungen.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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