Für das Baby nur das Beste (Teil 1)
Hieven die erstaunlich schwere Matratze in den Einkaufswagen und legen gleich noch drei Spannbettlaken, zwei Babyschlafsäcke und ein Schaffell dazu. Stellen dabei überrascht fest, dass sich in dem Wagen eine Wickelauflage, ein paar Molton-Tücher sowie eine Babybadewanne befinden. Können uns nicht erinnern, sie in den Wagen gelegt zu haben. Entscheiden uns dennoch dafür, sie im Wagen zu belassen, da sie allesamt das Kriterium der elementaren Erstausstattung zu erfüllen scheinen.
Die Verkäuferin fragt uns, ob wir uns bereits Gedanken um ein Mobile für das Bett gemacht hätten. Wir müssen die Frage beschämt verneinen. Erhalten dafür ein kenntnisreiches Kurzreferat über die existenzielle Bedeutung optischer Reize für die kognitive Entwicklung des Säuglings. Wage einzuwenden, eine Kuh, ein Esel, ein Schaf, ein Pferd und ein Huhn, die zu „Old McDonald had a farm“ im Kreis tanzen, förderten vielleicht weniger die frühkindliche Gehirnentwicklung, sondern ebneten vielmehr den direkten Weg ins Unterschichtenfernsehen zum DSDS-Casting inklusiver öffentlicher Bloßstellung durch Dieter Bohlen. Ernte dafür einen fassungslosen Blick der Verkäuferin, als hätte ich soeben verkündet, unser Kind im Rahmen eines sozialpsychologischen Experiments ohne jeglichen sozialen Kontakt in einer dunklen Kammer aufwachsen lassen zu wollen. Verfrachte schleunigst zwei Mobiles in unseren Einkaufswagen, um den eher unvorteilhaften Eindruck der Verkäuferin zu zerstreuen.
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Kommen auf dem Weg zur Kasse an der Still-Ecke vorbei, wo sich die Freundin nach Still-BHs erkundigt, deren Körbchen praktischerweise vorne geöffnet werden können, um das Baby schnell und effizient zu füttern. Schlage vor, stattdessen einen preisgünstigeren und ähnlich funktionalen busenfreien BH bei Beate Uhse zu erwerben, da dieser nach der Stillzeit eine Anschlussverwendung ermögliche. Scheine die Freundin mit meinem Vorschlag nicht restlos zu überzeugen, denn sie lehnt ihn kommentarlos ab.
Wir entscheiden uns noch für den Erwerb eines angeblich für Mutter und Kind äußerst bequemen und dem Stillvorgang förderlichen wurstartigen Kissens, das um den Körper der Mutter gewunden wird, damit der Säugling sich darauf in spätrömischer Dekadenz wie auf einem Diwan ablegen kann, um sein Mahl im Liegen einzunehmen. Packe zusätzlich noch ein paar Kissenbezüge aus nachhaltig angebauter Biobaumwolle in den Wagen.
Stimme der Freundin geflissentlich zu, dass der Kauf einer Milchpumpe im Prinzip ein feministischer Akt sei, welcher einerseits die Mutter von der Bürde der permanenten Verfügbarkeit zum Stillen befreit und andererseits den Vater die Möglichkeit schenkt, durch den Akt des Fläschchengebens soziale Nähe zum Nachwuchs aufzubauen. Konsequenterweise erwerben wir einige spezielle Fläschchen und Sauger, eine Fläschchenbürste, Einfrierbeutel im 100er-Pack sowie einen Fläschchenwärmer.
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Kurz vor Erreichen der Kasse finden noch einige Strampler, Bodys im Fünferpack, vier zahn- und kieferschonende Schnuller aus Biokautschuk sowie ein paar Kirschkernkissen, die den Schmerz blähender Bäuchlein lindern sollen, auf wundersame Weise den Weg in unseren Einkaufswagen. Habe allmählich Schwierigkeiten, den zum Bersten gefüllten Wagen zu schieben oder gar zu lenken. Fahre folglich frontal in ein Regal mit Ohr-Fieberthermometern und finden für eines der nicht zerbrochenen Exemplare noch ein Plätzchen auf dem Warenberg, der aus unserem Wagen herausragt.
An der Kasse addiert eine Kassiererin mit Tränen der Freude in den Augen unsere Einkäufe zusammen. Habe ebenfalls Tränen in den Augen als sie die von uns zu entrichtende Gesamtsumme präsentiert, deren Höhe gefährlich Nahe an das Berliner Haushaltsdefizit heranreicht. Überlege, ob neben der weithin bekannten Altersarmut nicht das Phänomen der Werdende-Eltern-Armut stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden müsste.
Finde dennoch, bei den Anschaffungen handelt es sich um äußerst rationale Investitionen in die Zukunft unseres Kindes. Niemand soll uns schließlich später vorwerfen können, es habe nicht zum Physik-Nobelpreis, Oscargewinn und Olympiasieg gereicht, weil es dem Kind an intellektuellen Stimuli und einer optimalen Umgebung zur Entfaltung seines körperlichen und geistigen Potenzials gemangelt habe.
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)