Alle Teile der Saft-Fasten-Tragödie gibt es hier zu lesen.
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Werde vom Wecker unsanft aus dem Schlaf gerissen und stelle fest, dass in der letzten Nacht beide Kinder bei uns im Bett geschlafen haben. Wie sich auf Nachfrage rausstellt, nicht weil sie Albträume hatten, sondern weil sie verhindern wollten, dass wir nachts heimlich etwas essen. Die Kinder nehmen unser Fasten nämlich sehr ernst. Daher hat die Tochter auch die Küche abgeschlossen. Erst als ich ihr glaubhaft versichere, dass ich nur Frühstück und Pausenbrote für sie und ihren Bruder zubereiten möchte, schließt sie die Tür auf.
Im Kühlschrank entdecke ich die angebrochene Flasche Sauerkrautsaft von vorgestern. Sofort erscheint Fasten-Engelchen Körner-Klaus und fordert mich auf, davon zu trinken. Mein Darm würde es mir danken. Meine Geschmacksnerven wohl eher nicht.
Nehme aber ein Glas aus dem Schrank, täusche an, den Saft einzugießen, schütte ihn jedoch im letzten Moment in den Ausguss. Es kann sein, dass ich dabei laut rufe: „Eat this, Motherf***er!“ Vielleicht war es aber auch Fress-Teufelchen Fred, der in lauten Jubel ausbricht. Körner-Klaus wimmert derweil leise vor sich hin.
Mache mich danach an die Vorbereitung der Pausenstullen. Vor mir liegen die saftigen Scheiben eines frischen Weizenmischbrotes – wahrscheinlich neben Nutella das fastenunkonformste Lebensmittel der Welt. Aber es riecht sehr gut. Und es fühlt sich sehr gut an, als ich es mir über das Gesicht reibe. Fast wie zarte Babyhaut.
Ungünstigerweise kommt gerade in diesem Moment die Freundin in die Küche. Das ist nun etwas peinlich für mich. Allerdings nur so lange, bis die Freundin mir die Brotscheibe wegnimmt und ebenfalls über ihr Gesicht reibt. Danach beschließen wir, nie wieder über diese Angelegenheit zu reden. Verspreche ihr, nicht darüber im Blog zu schreiben.
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Kurze Zeit später fahre ich mit dem Rad ins Büro. Von meinem gestrigen Fasten-Hoch ist nicht viel übrig geblieben. Stattdessen beeinträchtigt die verminderte Kalorienzufuhr der letzten Tage meine Leistungsfähigkeit sehr stark. Bin auf dem Fahrrad mittlerweile so langsam, dass mich Seniorinnen mit Rollatoren überholen. Die größte Herausforderung besteht für mich darin, bei dem langsamen Tempo das Gleichgewicht auf dem Rad zu halten und nicht umzukippen. Benötige heute für den Weg, den ich sonst in knapp 30 Minuten schaffe, mehr als 40 Minuten.
Bevor ich ins Büro gehe, kaufe ich mir im Bio-Laden zur Feier des letzten Fastentages noch eine Flasche milden Orangensaft. Man will es ja nicht zu wild treiben.
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Meine mangelhafte Leistungsfähigkeit setzt sich auch bei der Arbeit fort. Schaue apathisch auf das leere Blatt auf dem Bildschirm, das sich partout nicht von selbst füllen will. Das einzige, an das ich denken kann, ist ein Schokoriegel. Es ist ein sehr großer Schokoriegel. Und ein sehr leckerer Schokoriegel.
Herrgott nochmal, ich muss mich zusammenreißen. Was sind schon fünf Tage ohne feste Nahrung. Jesus soll ja angeblich 40 Tage in der Wüste gefastet und den Versuchungen Satans getrotzt haben. Mein Satan hat die Form eines Schokoriegels und ruft: „Iss mich.“ Körner-Klaus redet mir bibelgetreu ins Gewissen: „Der Mensch lebt nicht vom Schoko-Riegel allein!“ Fress-Fred ist nicht minder bibelfest und zitiert Matthäus, Kapitel 15, Vers 11: „Was zum Munde eingehet, das verunreinigt den Menschen nicht.“
Während die beiden leidenschaftlich biblische Fasten- und Fress-Exegese betreiben, tippe ich wahllos Wörter in den Computer.
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Nach einigen Stunden der völligen Unproduktivität verlasse ich am frühen Nachmittag das Büro. Heute steht noch das Musikvorspiel des Sohns in der Schule an. Bei meinem Fahrtempo plane ich für die Strecke von sechs Kilometern sicherheitshalber eine Stunde ein. Dann kann ich wenigstens zwischendurch Pause machen. Schaffe es wider erwartend pünktlich zur ausgemachten Zeit und treffe vor der Schule die Freundin.
Betreten die Eingangshalle der Schule, wo zu unserem Entsetzen ein riesiges Kuchenbuffet aufgebaut ist. Eine übereifrige Drittklässlerin bietet mir ein Stück Kuchen zum Kauf an. Wie es die Ironie des Fastenschicksals will, ist es der Kuchen, den ich gestern selbst gebacken habe. Kann ihr nur mit einem unartikulierten Grunzen antworten und bin kurz davor, mich auf das Buffet zu schmeißen und willenlos Kuchen in mich reinzustopfen. Glücklicherweise bemerkt die Freundin meinen sich anbahnenden Kontrollverlust und zerrt mich in die Aula.
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Kurze Zeit später beginnt pünktlich das Konzert. Als erstes tritt eine Gruppe Erstklässler auf, die laut Programm Blockflöte spielen. Für mich sieht es aus, als hielten sie sich ein Wiener Würstchen an den Mund. Sie spielen „Hänsel und Gretel verirrten sich im Wald“. Bei der Stelle mit dem Knusperhäuschen, muss ich die Tränen zurückhalten.
Danach ist schon der Sohn an der Reihe. Er setzt sich auf einen Stuhl auf der Bühne und klemmt sich einen riesigen Serranoschinken zwischen die Beine, dem er mit einem Bogen erstaunlicherweise Cellotöne entlockt. Er macht seine Sache sehr ordentlich. Körner-Klaus und Fress-Fred sind sich das erste Mal in der Woche einig und rufen beide „Bravissimo!“
Den Rest des Vorspiels versuche ich, mein Magenknurren unter Kontrolle zu halten, um die muszierenden Kindern nicht aus dem Takt zu bringen. Es klappt nur so semi-gut. Immer wenn der Magen zu laut knurrt, schaue ich die Freundin kritisch an und schüttele missbilligend den Kopf. Das funktioniert zwar ganz gut, um von mir abzulenken, ist der Stimmung der Freundin aber nicht gerade zuträglich.
Den abschließenden Höhepunkt des Konzerts bildet eine Vorführung der 10. Klasse. Die Schülerinnen und Schüler haben mit viel Enthusiasmus und wenig Rhythmusgespür eine Choreographie eingeübt. Und zwar zum „Burger Dance“ von DJ Ötzi. Sie wissen schon, dieses unsägliche Lied, bei dem ununterbrochen die Namen von Fast Food – Ketten aufgezählt werden.
Bis zum heutigen Tag habe ich gegenüber DJ Ötzi lediglich eine bildungsbürgerlich-elitäre Distinktionsverachtung gehegt. Seit heute ist es abgrundtiefer Hass. In meinem Kopf spielen sich Gewaltphantasien ab, die darin gipfeln, dass ich dem Austro-Popper aus der Musikanten-Hölle einen Ringel Fleischwurst in den Mund stopfe und ihn damit zum Schweigen bringe. Verweigere nach dem Lied demonstrativ den Applaus und verlasse wortlos die Aula.
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Aufgrund meines schlechten Benehmens werde ich auf dem Heimweg dazu verdonnert, für das Abendessen der Kinder einkaufen zu gehen.
Stelle fest, dass sich im Supermarkt das Oster-Sortiment wie Hausschwamm in einem modrigen Keller ausgebreitet hat. Überall liegen Schoko-Eier und Schokohasen. Wo sonst Obst und Gemüse ausgestellt sind: Schoko-Eier und Schokohasen! In der Wurst- und Käseauslage: Schoko-Eier und Schokohasen! Statt Molkereiprodukten: Schoko-Eier und Schokohasen! Bei den Spirituosen: Noch mehr Schoko-Eier und Schokohasen!
In einem kurzen Moment der Klarheit schaffe ich es irgendwie, Käse, Wurst und Butter zu erwerben.
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Nachdem ich der Freundin von dem Schoko-Eier-Hasen-Martyrium erzählt habe, erklärt sie sich bereit, den Kindern die Stullen für das Abendbrot zu schmieren. Während die Kinder mit großem Appetit ihre Brote essen, schleiche ich um den Esstisch herum. Frage die Kinder, ob sie mir nicht etwas von ihrem Salami-Brot abgeben wollen. Sie wollen nicht. Weder das Angebot, ihr Taschengeld zu verdoppeln, noch die Drohung, es ihnen zu streichen, können sie erweichen. Fress-Fred streckt ihnen die Zunge raus, während Körner-Klaus ihnen anerkennend die Köpfe tätschelt.
Im Grunde weiß ich ja, dass die Kinder nur das Beste für mich im Sinn haben. Ich werde sie trotzdem enterben. Gute Nacht!
Fortsetzung folgt.
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)