Corona-Föhrien 2020 – Tag 4: Von Bäcker-Pantomime, Teletubbies-Fitness, die „No-Schatz“-Policy, dröhnenden Spielzeugbaggern, Navy-Seals-Müttern und erzwungenem Ball-Spielen

Der (fast) alljährliche Urlaubsblog. Diesmal nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Zur besseren zeitlichen Orientierung sei erwähnt, dass der Urlaub Ende Juni / Anfang Juli stattfand. Die kompletten Beiträge finden Sie hier.


No money, no Campingwecken

„Gdn Mgn! Mgn. Hllo! Gdn Dag“, begrüße ich nuschelnd durch meine Maske die anderen Wartenden vor der Bäckerei, bevor ich mich nach einem 20-minütigen Fußmarsch am Ende der Schlange einreihe. Vor mir steht ein Vater mit seinem 3-jährigen Sohn, der voller Stolz den Geldbeutel trägt. Es ist sehr niedlich, wie sein Blick und seine Körperhaltung signalisieren, dass er sich der enormen Wichtigkeit seiner Aufgabe bewusst ist. Ohne Geld, kannst du keine Brötchen kaufen. Und vor allem: Nur mit Geld bekommst du Campingwecken. Ich hoffe, der Vater hat das seinem Sohn schon beigebracht. Für diese Lektion kannst du ja gar nicht jung genug sein.

Weniger niedlich ist es übrigens, wenn deine Teenager-Kinder nach deinem Geldbeutel fragen. Dann möchten sie in der Regel da nichts reintun – zumindest ist mir das noch nie untergekommen –, sondern etwas daraus bekommen. Taschen-, Geburtstagsgeschenke-, Schulausflug- oder Dönergeld. Alles Ausgaben, von denen du selbst herzlich wenig hast. Außer natürlich dem glücklichen Gesichtsausdruck deiner Kinder beim Überreichen des Geldscheins. Und irgendwann später einen vergammelten Dönerrest, der höflich „Guten Tag“ sagt, wenn du ihn im Papierkorb des Kinderzimmers entdeckst, nachdem du die ganze Wohnung abgesucht hast, um herauszufinden, wo eigentlich die ganzen Fliegen herkommen.

Nach meinem fröhlich-genuschelten „Gdn Mgn!“-Gruß in der Bäckerei versuche ich gar nicht erst bei der Verkäuferin meine Bestellung aufzugeben, nachdem ich vor ein paar Tagen an dieser Aufgabe so spektakulär gescheitert war. Stattdessen erledige ich das jetzt mit einer varietéreifen Marcel-Marceau-Pantomime-Nummer. Bei den anderen Kund:innen löst das zwar immer Fremdscham aus, aber solange ich meine Campingwecken bekomme, ist mir das egal.

Wer nicht „Nein“ sagen kann, macht sich zum Hampelmann

Mein Pantomime-Act soll nicht die einzige körperliche Betätigung für den Morgen bleiben. In der Ferienwohnung eröffnet uns der Sohn, dass er vor dem Frühstück ein Zirkeltraining absolvieren möchte, das ihm sein Judotrainer geschickt hat. Ich begrüße sein Engagement, selbst im Urlaub aktiv zu sein, bis ich verstehe, dass wir alle mitmachen sollen. Damit würden wir ihn anspornen und motivieren, am Ball zu bleiben. Das Ganze wäre ein Speed-Zirkel, der nur ein Viertelstündchen dauern.

Ich bin mir nicht sicher, ob der Sohn die Bedeutung des Wortes „nur“ sowie die Verwendung des Diminutivs richtig verstanden hat, denn jede Minute Zirkeltraining ist für mich eine zu viel und die Verniedlichungsform in diesem Zusammenhang folglich unangebracht. Ich persönlich bevorzuge Kraftübungen, die sehr langsam ausgeführt werden, um die Wirkung zu verstärken. Okay, um ehrlich zu sein, ist mir der Speed-Zirkel des Sohnes einfach zu schnell und zu anstrengend, und um ganz ehrlich zu sein, bevorzuge ich, gar keine Kraftübungen zu machen. Wenn du dein Geld in erster Linie am Schreibtisch verdienst, benötigst du gar nicht besonders viele Muskeln. Es kommt wirklich sehr selten in meinem Job vor, dass es hilfreich wäre, 150 Kilo stemmen zu können. So lange ich über genügend Kraft verfüge, um Marmeladen- und Gurkengläser zu öffnen, ist das in meinen Augen vollkommen ausreichend.

Allerdings sind das alles keine wirklich validen Argumente, um die Bitte des Sohns auszuschlagen. In unserer Familie gilt nämlich das alte Dumbledore-Motto „In Hogwarts wird allen Hilfe zuteil, die danach fragen.“ Nur blöd, wenn die Kinder dann Unterstützung bei Lateinübersetzungen oder dem dritten Hauptsatz der Thermodynamik erbitten.

Das sind halt die Schattenseiten der liberalen Erziehung und einer „Beziehung auf Augenhöhe“ mit deinen Kindern. Früher konntest du jegliche Ansinnen einfach ohne Diskussion abschmettern, aber heutzutage geht das nicht mehr so einfach. Und dann stehst du auf einmal mit deinen Kindern im Wohnzimmer und machst Hampelmänner, Trockenschwimmen und Rückenstrecker. Ich hoffe einfach, dass die Menschen aus dem Haus gegenüber nicht rüberschauen. Was wir nämlich Fitness-Zirkel nennen, sieht für andere aus wie eine Bande von tanzenden Teletubbies auf Speed.

Schatz, das war ihr letztes Wort!

Auch heute trotzen wir dem wechselhaften April-Wetter und gehen, nach dem wir zwei Regenschauer abwarten mussten, gegen 11 Uhr zum Strand. (Sie wissen schon, erste Strandkorbreihe verpflichtet und so.)

Links von uns gibt es neue Nachbarschaft. Eine vierköpfige Familie. Auf unser freundliches „Guten Morgen!“ grüßen die beiden Eltern etwas irritiert zurück. Okay, ihre beiden Kinder sind knapp zwei und vier, da hat ihr Morgen wahrscheinlich schon vor sechs Stunden angefangen.

Die Frau und der Mann müssten knapp unser Alter sein. Das heißt, wahrscheinlich sind sie mindestens fünfzehn Jahre jünger. In letzter Zeit habe ich ein wenig Schwierigkeiten, das Alter von Menschen, die älter als zwanzig sind, richtig einzuschätzen.

Ich halte sie dann meistens für ungefähr meinen Jahrgang, weil ich häufig vergesse, dass ich selbst gar nicht mehr Anfang 30 bin. Entsprechend verwundert war ich deswegen letztes Jahr auf meinem 25-jährigen Abi-Treffen, was die ganzen alten Menschen dort machen.

Unabhängig von ihrem Alter machen die beiden aber einen ganz sympathischen Eindruck. Also, nicht Ich-muss-unbedingt-ein-Bier-mit-ihnen-trinken-gehen-sympathisch, aber als Strandkorbnachbarschaft vollkommen okay. Sie gehen sehr liebevoll und geduldig mit ihren Kindern um und die beiden Mädchen verstehen sich auch sehr gut. Letzteres könnte daran liegen, dass sie gerade Eis essen. Die Jüngere sieht aus, als habe sie sich erst das Gesicht mit ihrem Schoko-Eis großflächig eingerieben, um danach mit dem Mund Steine im Sand zu suchen. Ihr macht das aber nichts aus, sondern sie genießt ihr Eis auf diese ganz selbstvergessene Art, wie es nur Kinder können. Allerdings frage ich mich, ob sie nachher immer noch so entspannt sein wird, wenn sie das Gesicht abgewaschen bekommt.

Eines muss ich allerdings doch kritisch zu den Eltern anmerken: So nett die beiden auch sein mögen, sie nennen sich gegenseitig „Schatz“. Das ist selbstverständlich ein „No Go“, das ist ja bekannt. Sollten meine Frau und ich nachträglich noch einen Ehevertrag aufsetzen, dann werden wir einvernehmlich im allerersten Punkt festhalten, dass die Verwendung der Bezeichnung „Schatz“ durch eine:n der Ehepartner:innen zur sofortigen und automatischen Annullierung der Ehe führt. Das gleiche gilt für Abwandlungen des Wortes „Schatz“ (z.B. „Schatzi“, „Schätzchen“, „Schatzilein“) sowie für Kosenamen aus dem Tierreich (z.B. „Mausi“, „Hasi“, „Bärchen“) oder aus der Obstabteilung (z.B. „Apfelbäckchen“, „Chérie“ und Ähnliches). Im Prinzip dürfen wir uns nur gegenseitig mit dem Vornamen anreden. (Ich hätte auch nichts dagegen, wenn wir uns siezen würden, glaube aber nicht, dass ich das durchgesetzt bekomme.)

Der Formel-1-Bagger

Der Strandkorb rechts von uns wird immer noch von der Familie beziehungsweise den Familien mit der großen Kinderschar bevölkert. Der kleine Junge, der gestern das lila Kleid trug, hat heute eine Art Jumpsuit, der mit Elefanten bedruckt ist, an. Möglicherweise hat er einfach seinen Schlafanzug angelassen. (Beneidenswert!) Der Kleine hat mir auf jeden Fall einiges voraus, was modischen Geschmack und Stilsicherheit angeht. Und bequem sieht sein Ensemble auch noch aus. Vielleicht kann ich mir später ein paar Modetipps von ihm geben lassen. (Meine Frau nickt zustimmend.)

Einer der anderen Jungs spielt mit einem Bagger und kündigt an, den Strand umzugraben. (Viel Glück!) Dabei macht er, wie sich das gehört, laute Baggergeräusche. Ohne ihn kränken zu wollen, klingt seine Baggerimitation aber nicht gerade super realistisch. Hört sich eher nach Formel 1-Rennwagen an, der im ersten Gang auf maximale Geschwindigkeit beschleunigt wird. Dafür ist aber die Ausdauer, die der Junge an den Tag legt, wirklich bemerkenswert. Kinder im Alter von sechs oder sieben haben ja eher die Aufmerksamkeitsspanne eines hyperaktiven Backenhörnchens und können sich maximal vierzehn Sekunden mit der gleichen Sache beschäftigen. Außer sie dürfen in ein mobiles Endgerät schauen. Dann glotzen sie stundenlang auf den Monitor, als seien sie von Kaa, der Schlange, hypnotisiert.

Sein Vater, der aufgrund des fortwährenden Motorengeräuschs kurz davor ist, einen Nervenzusammenbruch zu erleiden und sich alle Wimpern einzeln auszureißen, schlägt vor, es könne doch ein Elektrobagger sein, der ganz leise ist. (Netter Versuch!) Der Junge zeigt aber keinerlei Interesse an klima- und umweltfreundlicher Motorentechnologie und brummt weiter in Düsenjet-Lautstärke.

Als der Knabe der Baggerei überdrüssig ist, geht er mit seinen Geschwistern ans Wasser, um Steine ins Meer zu schmeißen. Kurze Zeit später ist eine wilde Wasserschlacht im Gange, bei der sich die Kinder gegenseitig vollspritzen und nass machen. Es geht hoch her und die Kinder krakeelen und kreischen wild durcheinander. Irgendwann wird es einer ihrer Mütter zu bunt und sie brüllt in dreifacher Lautstärke: „Schreit gefälligst nicht so rum. Hier sind noch andere Menschen, die ihre Ruhe haben wollen.“ Ihr Tonfall ist einer Navy-Seals-Ausbilderin mehr als würdig und ich bin mir sicher, dass Menschen am anderen Ende der Insel ihre Unterhaltungen unverzüglich eingestellt haben, aus Angst, einen Einlauf von der Mutter zu bekommen. Etwas versöhnlicher schiebt sie dann ein: „Wer kommt alles mit, Eis essen?“ hinterher, woraufhin die Kinderschar jubelnd und grölend wie eine brandschatzende Wikinger-Horde über den Strand stürmt, dass es an ein Wunder grenzt, dass keine Strandkörbe niedergewalzt werden und keine Strandbesucher:innen zu Schaden kommen.

Nie sind die Kinder handysüchtig, wenn du es brauchst

So spannend und liebenswert ich die ganzen kleinen Kinder am Strand auch finde, bin ich trotzdem froh, dass die Tochter und der Sohn schon größer sind, und die Phase vorbei ist, in der wir sie permanent beaufsichtigen und bespaßen mussten. Für einen entspannten Strandtag ist es, trotz aller Diskussionen über den ausufernden Medienkonsum der heutigen Jugend, nicht das Schlechteste, wenn die Kinder ein Alter erreichen, in dem sie ein eigenes Smartphone bekommen, mit dem sie sich so ausgiebig beschäftigen, bis sie Krämpfe in den Daumen bekommen. Da kommst du dann nach Jahren endlich mal wieder dazu, am Strand in Ruhe zu dösen, dir den Wind um die Nase wehen zu lassen und am Stück, ohne größere Unterbrechung, ein Buch zu lesen. Oder dich ungestört am Handy in die Top10 der Candy-Crush-Weltrangliste vorzuspielen. Das geht natürlich auch.

Allerdings entpuppt sich meine idyllische Vorstellung eines relaxten Strandtages als naive Illusion. Plötzlich wollen die Tochter und der Sohn unbedingt Ball spielen. Das wäre ja nicht weiter schlimm, aber ich soll mitspielen. (Ich wusste, dass es ein Fehler war, den Ball zu kaufen.) Können die beiden nicht wie ganz normale Teenager handysüchtig am Strand abhängen und so lange Tik-Tok-Videos anschauen, bis sich ihre letzten Gehirnzellen aus dem Staub gemacht haben? Wofür haben sie denn ihre 3 GB Surfvolumen? Doch nicht, damit wir uns am Strand einen Ball zuwerfen, wie so Höhlenmenschen. Das wollen die beiden aber tatsächlich.

Bevor den Kindern jetzt ein Heiligenstatus zugesprochen wird, weil sie dem Smartphone kritisch-distanziert gegenüberstehen und ein mobiles Endgerät allenfalls benutzen, um Informationen für die Schule zu recherchieren, die sie in „Meyers großes Taschenbuchlexikon in 25 Bänden“ nicht finden konnten, so sei hier versichert, dass die beiden am heutigen Tag und im gesamten Urlaub ausreichend viel Zeit mit ihren Handys verbracht haben. Ich möchte auch nicht ausschließen, dass ihre Motivation am Strand zu spielen, in erster Linie daher rührt, dass ihre Handy-Akkus leer sind.

Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss mich beim Ballspielen konzentrieren. Wir wollen doch nicht, dass ich den Ball versehentlich so weit ins Meer werfe, dass wir ihn nicht wiederbekommen und ich morgen dann die ganze Zeit lesen muss.


Unser tägliches Kniffel-Spiel gib uns heute

Mit einer sensationellen Runde mit drei Kniffeln setzt sich der Sohn an die Spitze des Leaderboards. Wir gönnen es ihm. Aber nur weil die Challenge noch nicht vorbei ist.

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Erwähnungen

  • Der (fast) alljährliche Urlaubsblog. Diesmal nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Zur besseren zeitlichen Orientierung sei erwähnt, dass der Urlaub Ende Juni / Anfang Juli stattfand. Die kompletten Beiträge finden Sie hier.

    Eine Radtour, die ist lustig, aber nur ein kleines bisschen

    „Ich habe da eine super App empfohlen bekommen, mit der kannst du dir ganz einfach Radtouren zusammenstellen.“ Das hatte die Frau vor ein paar Wochen beim Abendessen in Berlin gesagt. Die Kinder und ich schauten uns alarmiert an. „Für Föhr habe ich schon mal einen schönen Rundkurs rausgesucht“, fuhr sie ungerührt fort. Unser Unbehagen wuchs und wir rutschten nervös auf unseren Plätzen hin und her, was die Frau aber gekonnt ignorierte. „Sind auch nur 40 Kilometer.“ Das war der Moment, als wir richtig panisch wurden, denn mit Familien-Radausflügen haben wir nur so mittelmäßig gute Erfahrungen gemacht.

    View this post on Instagram Guten Morgen, Morgen! #latergram #20200703 #coronaföhrien #föhr A post shared by Familienbetrieb (@betriebsfamilie) on Aug 13, 2020 at 11:23pm PDT

    Da die Temperaturen heute mal wieder eher ins Herbstliche spielen, es aber wenigstens nicht regnen soll, beschließen wir, es heute mit der Radtour anzugehen. Wobei „beschließen wir“ vielleicht etwas zu sehr nach gemeinschaftlich getroffener Entscheidung klingt. Tatsächlich schlug die Frau die Radtour vor, und da uns anderen außer „Muss das wirklich sein?“ kein gutes Gegenargument und auch kein besserer Vorschlag für eine alternative Freizeitgestaltung einfielen – mit seiner Idee, den ganzen Tag am Handy zu zocken, konnte sich der Sohn nicht durchsetzen –, liehen wir also Räder aus und machten uns auf den Weg.

    Im Feldversuch stellt sich heraus, dass die „super App“ doch nicht ganz so super ist. Wir sind noch nicht wahnsinnig lang unterwegs, da hat die App uns schon zum siebten Mal zum Umdrehen aufgefordert. Es ist nicht auszuschließen, dass dies damit zusammenhängt, dass die Frau, die vorneweg fährt, direkt am Anfang falsch losgefahren ist. Die App will sich aber partout nicht darauf einlassen, den Rundkurs aus der anderen Richtung zu befahren, sondern weist uns beharrlich darauf hin, wir mögen bitte umkehren. Die Frau hält an, fummelt hektisch am Handy rum, murmelt ein paar unterdrückte Flüche und fährt schließlich mit den Worten „Das müsste eigentlich auch gehen.“ wieder los.

    Ich weiß ja nicht, wie Ihnen das geht, aber bei einer Routenplanung finde ich die Verwendung des Konjunktivs und dann noch in Verbindung mit dem Wort „eigentlich“ nicht sehr vertrauenserweckend. So willkürlich, wie die Frau die nächsten Abzweigungen nimmt, habe ich zeitweise das Gefühl, sie würfelt das aus. Es würde mich nicht wundern, wenn sich unsere 40km-Radwanderung zu einer stattlichen Tour-de-France-Etappe auswachsen würde. (Dazu müssten wir die Insel zwar vier- bis fünfmal umrunden, aber zum jetzigen Zeitpunkt möchte ich das nicht ausschließen.)

    View this post on Instagram Noch nie ‘ne Kuh gesehen, oder was? #latergram #20200703 #coronaföhrien #föhr A post shared by Familienbetrieb (@betriebsfamilie) on Aug 14, 2020 at 3:06am PDT

    Aber ich sollte mich nicht beschweren. Schließlich könnte ich selbst unser kleines Peloton anführen und mir von der App den Weg weisen lassen. Tue ich aber nicht. Das würde nämlich auch nicht viel ändern. Sehr wahrscheinlich würde es die Situation noch verschlimmern. Ich verfüge nämlich über den Orientierungssinn einer Stubenfliege mit Links-rechts-Schwäche und chronischem Schwipp-Schwindel.

    Landkarten sind mir auch keine große Hilfe. Ich kann Entfernungen nicht abschätzen, brauche ewig, bis ich meinen Standort finde – „ewig“ ist hier übrigens wörtlich zu verstehen –, und halte die Karte prinzipiell erstmal falsch rum. Falls es so etwas wie eine Landkarten-Leseschwäche gibt, habe ich sie definitiv.

    Daher sind Navigationssysteme für mich eine segensreiche Erfindung, denn es ist für mich eine riesige Erleichterung, wenn mir jemand vorsagt, wie ich von A nach B komme. Allerdings auch nicht immer. Wenig hilfreich ist es zum Beispiel, wenn das Navi sagt: „Fahren Sie Richtung Norden zur Ludwig-Klein-Allee.“ Wo zur Hölle soll die Ludwig-Klein-Allee sein? Wenn ich das wüsste, bräuchte ich das Navi wahrscheinlich gar nicht. Und woher soll ich bitteschön wissen, wo Norden ist? Bin ich ein verdammter Kompass, oder was? Warum sagt es nicht gleich „Fahren sie grob Richtung 52° 31′ 50.995″ N 13° 20′ 45.154″ E, dann werden Sie Ihr Ziel mit etwas Glück erreichen. Fragen Sie zur Not unterwegs nochmal nach.“

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    Nach rund 20 Minuten Radelei kann festgehalten werden: Der Spaßfaktor unseres Familien-Ausflugs ist ausbaufähig. Die ansonsten sehr resiliente Frau wirkt leicht angespannt, weil sie sich von der App gegängelt fühlt, die Tochter klagt, ihre Handgelenke täten wegen des komischen Lenkers weh, der Sohn merkt an, dass Radfahren doch weniger Spaß macht, als er vorher gedacht hat – und ich glaube, seine Erwartungen diesbezüglich waren schon nicht besonders hoch –, und ich denke derweil darüber nach, dass wir für die Drei-Tage-Leihgebühr für die vier Räder fast 100 Euro bezahlt haben. Eigentlich hätte ich das Geld auch verbrennen können. Dann wäre der Schein zwar auch futsch, aber wir hätten zumindest weniger Stress.

    Wer auch keinen guten Tag hat, ist die Fahrrad-App. Sie fragt sich gerade bestimmt, warum sie nichts Ordentliches geworden ist, zum Beispiel Fortnite Battle Royal oder FIFA mobile. Halt irgendetwas, was den User:innen Spaß macht, und wofür sie der App dann eine Masse 5-Sterne-Ratings geben. Stattdessen muss sie vier vollkommen plan- und orientierungslose Vollhonks, deren intellektuellen Informationsverarbeitungsfähigkeiten nicht einmal dazu ausreichen, um die einfachsten Anweisungen zu befolgen, über eine Nordseeinsel lotsen.

    Wahrscheinlich macht die App heute die fünf Phasen der Trauer durch:

    Leugnen: „Nein, dass kann nicht sein, dass die jetzt zum fünften Mal genau in die entgegengesetzte Richtung gefahren sind, als ich angesagt habe. Das ist einfach nicht möglich, das kann nicht wahr sein. Nein, nein, nein!“Wut: „Habt ihr Penner die falsche Spracheinstellung gewählt und ihr lasst mich die ganze Zeit Esperanto labern, so dass ihr mich nicht versteht? Oder denkt ihr Dumpfbrumsen so langsam, dass ihr schon an der Kreuzung vorbei seid, wenn die Information in eurem Gehirn ankommt, dass ihr abbiegen müsst? Trottel!“Verhandeln: „Einmal, nur einmal könntet ihr doch darauf hören, was ich euch sage. Das wäre voll nett. Ich könnte euch auch den Weg zu einer Eisdiele zeigen.“Depression: „Warum? Warum ich nur? Wir werden nie wieder Zuhause ankommen, irgendwann ist der Akku leer und das war’s dann mit mir.“Akzeptanz: „Ach, fuck it, ich sage einfach irgendwas. Ihr rafft es ja sowieso nicht. Wird schon schiefgehen.“Nach knapp drei Stunden erreichen wir schließlich wieder unsere Ferienwohnung. „Sie haben ihr Ziel erreicht“, verkündet die Rad-App und seufzt vor Erleichterung. Und wenn ich mich nicht täusche, höre ich noch ein leises: „Und jetzt deinstalliert mich bitte!“

    Grab! Ein! Loch!

    Die Temperaturen sind zwar immer noch nicht so prickelnd, aber wir gehen trotzdem nochmal an den Strand. Dort sehe ich von Weitem Grinse-Ole und seine Familie. Seine Frau sitzt mit dem Baby im Strandkorb, er spielt mit den beiden größeren Kindern, die circa drei und sechs sind. Das Spiel scheint eine Art Manchester-Kapitalismus-im-frühen-19.-Jahrhundert-Live-Simulation zu sein. Grinse-Ole muss die Rolle des ausgebeuteten Arbeiters übernehmen, seine Kinder sind tyrannische Fabrikbesitzer:innen. Gerade ist Grinse-Ole dabei, ein Loch zu graben. Er fragt, wie tief er buddeln soll, der Sohn sagt lapidar: „Bis du unten bist.“ Gut, die Angabe ist etwas unpräzise, aber da die Tochter die ganze Zeit ruft: „Grab‘, Papa, grab‘!“, weiß Grinse-Ole zumindest, dass er noch lange nicht fertig ist.

    Nachdem die beiden der Meinung sind, dass er genug gegraben hat, nötigen sie ihn, mit einem Eimer, Wasser aus dem Meer zu holen und in das Loch zu schütten. Seinen Einwand, das Wasser würde immer im Sand versickern, lassen sie nicht gelten: „Ist doch nicht schlimm, das macht trotzdem Spaß!“ Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Grinse-Ole dieser Aussage uneingeschränkt zustimmt, denn er ist es, der dutzende Male und immer mit einem Kind auf den Schultern oder dem Arm zum Meer latschen muss. Aber Ole soll das Ganze einfach positiv sehen: Das Lochgraben und Wasserholen ist ein spitzen Work-out und hilft ihm dabei, in Form zu bleiben. Zugegebenermaßen eine rosarote Sichtweise, die einem recht leicht fällt, wenn du im Strandkorb sitzt und keine Löcher buddeln und kein Wasser schleppen musst.

    View this post on Instagram Water, waves, clouds, camera, TV. #latergram #20200703 #coronaföhrien #föhr A post shared by Familienbetrieb (@betriebsfamilie) on Aug 14, 2020 at 7:10am PDT

    Das mysteriöse Tatoo

    Auch gut in Form ist der Typ, der sich ungefähr fünfzehn bis zwanzig Meter vor unserem Strandkorb mit seiner Freundin niedergelassen hat. Bei den beiden erkenne selbst ich, dass sie nicht unser Alter sind, sondern schätzungsweise fünf Jahre jünger. (Also 20).

    Der Typ hat ein ziemliches beeindruckendes Tattoo, das sich über seinen gesamten Brustkorb erstreckt. Ungefähr in der Mitte, wo der Solarplexus ist, leuchtet etwas rötlich. Aus der Entfernung kann ich leider nicht erkennen, was das Tattoo genau darstellt. Es könnte ein großer Greifvogel mit ausgebreiteten Schwingen sein, und was da leuchtet, ist vielleicht sein Schnabel. Oder es ist ein Suchbild und der rote Punkt ist Walter, den der Typ schon seit Jahren erfolglos auf seiner Brust sucht.

    Möglicherweise hatte der Tattoo-Artist aber einfach einen sehr lange andauernden Schluckauf und hat unkontrolliert Kringel und Kreise in den Oberkörper gestochen. Das kann auch gut sein.

    Stadt, Land, Stuss

    Nach dem Abendessen spielen wir „Stadt, Land, Vollpfosten“. Das funktioniert wie das normale „Stadt, Land, Fluss“ nur mit etwas außergewöhnlicheren Kategorien. Zu meinem Leidwesen sind aber Stadt, Land und Fluss als Kategorien gesetzt. Fluss ist der totale Horror für mich. Meine Erdkunde-Kenntnisse sind jetzt zwar nicht so ausgeprägt, dass ich mich Jemandem als Wer-wird-Millionär-Telefonjoker für Geographiefragen aufdrängen würde, aber meine Allgemeinbildung bewegt sich durchaus auf Kreuzworträtsel-Niveau und reicht für gängige Flüsse wie Rhein, Mosel und Donau. Spree, Isar und Alster sind mir ebenfalls bekannt. Zumindest normalerweise. Nicht aber unter dem Druck eines „Stadt, Land, Fluss“-Spiels. Dann ist der Bereich meines Gehirns, in dem die Flüsse abgespeichert sind, plötzlich total leer. Vollkommen blank. Da ist nichts mehr. Nada, nothing, rien, niente, niets, ничего, なんでもない, 毫无.

    Wahrscheinlich rührt meine Fluss-Phobie und -Amnesie daher, dass ich im Alter von circa neun oder zehn auf einem Paddelausflug mit einer befreundeten Familie im Altrhein gekentert bin. So ein traumatisches Erlebnis kann einen beim „Stadt, Land, Fluss“-Spielen schon mal blockieren.

    Die anderen Kategorien, die wir auswählen und mit denen ich hoffe, meine Fluss-Schwäche wettzumachen, sind die folgenden:

    SäugetiereSchimpfworteWas man heimlich machtKündigungsgrundTrennungsgrundDie Säugetiere-Kategorie ist natürlich etwas lame, bietet aber gute Anknüpfungspunkte für die anderen Kategorien, wie Sie gleich sehen werden. Zum Beispiel für die Kategorie Schimpfworte. Da kombinierst du die Tiere einfach mit einem ordinären Ausdruck für Hintern und schon hast du eine 1a-Beleidigung: Igelarsch, Eselarsch, Ponyarsch, Otterarsch, Stachelschweinarsch, Ziegenarsch und so weiter. Die anderen finden das zwar wenig originell, aber da sie die Frage verneinen, ob sie es für ein Kompliment hielten, wenn ich sie Dromedararsch nennen würde, zählen meine Antworten.

    Die Sachen, die die Kinder in der Was-man-heimlich-macht-Kategorie aufschreiben, klingen wiederum ein wenig, als hätte sich die Dr.-Sommer-Redaktion zum Brainstorming getroffen: Onanieren, Masturbieren, Fummeln, Fellatio, Petting oder Züngeln. Wenigstens scheinen sie im Sexualkundeunterricht aufgepasst zu haben.

    Längere Diskussionen gibt es, als die Frau in dieser Kategorie Fechten einträgt. Sie erklärt, wenn du nicht fechten kannst, möchtest du dabei nicht gesehen werden und machst das deswegen immer nur heimlich. Das ergibt durchaus Sinn. Das ist auch der Grund, warum Sie mich in der Öffentlichkeit niemals beim Yoga, Square Dancing oder Hummer essen sehen.

    Ich lasse mich für die Was man heimlich macht-Kategorie wieder von den Säugetieren inspirieren. Igel küssen, Esel küssen, Pony küssen, Otter küssen, Stachelschweine küssen, Ziegen küssen. Die anderen finden das zwar grenzwertig, aber stimmen mir zu, dass du definitiv nicht dabei beobachtet werden willst, wie du ein Frettchen küsst. Eine super Strategie von mir. Trotzdem sollte ich mich vielleicht mal mit einem Therapeuten unterhalten. Bestimmt hängt diese Tiere-küssen-Obsession damit zusammen, dass mir meine Eltern früher kein Haustier erlaubt haben.

    Besonders genial ist aber mein Schachzug, die Antworten aus der Heimlich-machen-Kategorie einfach auch bei Kündigungsgrund und Scheidungsgrund einzutragen. Erneut gibt es Proteste vom Rest der Familie, aber ich kann überzeugend argumentieren, dass du ja wohl deinen Job verlieren wirst, wenn du auf der Arbeit einen Esel küsst. (Insbesondere, wenn du Tierpfleger bist.)

    Bei der Kategorie Scheidungsgrund sage ich zur Frau, dass sie sich sicherlich von mir trennen würde, wenn ich ein Stachelschwein küssen würde. Darauf entgegnet sie, mit Hinblick auf meinen Bart, könne durchaus argumentiert werden, dass sie seit über 20 Jahren sogar Sex mit einem Stachelschwein hat, und ich mich ja auch nicht scheiden lassen würde. Die Kinder wissen nicht so recht, ob sie lachen oder sich übergeben sollen. Vielleicht sollten wir doch lieber etwas anderes als „Stadt, Land, Fluss“ spielen.

    Unser tägliches Kniffel-Spiel gib uns heute

    Return of the Tochter, die nach der Corona-Kniffel-Challenge auch die Urlaubs-Challenge für sich entscheiden will. Und nein, die Frau hat entgegen anderslauternder Meldungen nicht eine Runde ausgesetzt.

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    Christian HanneChristian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel „Nackte Kanone“ geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
    Im September erscheint sein neues Buch „Papa braucht ein Fläschchen“. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind „Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter“, „Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit“ sowie „Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith“*. (*Affiliate-Links)
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