Der (fast) alljährliche Urlaubsblog. Diesmal nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Zur besseren zeitlichen Orientierung sei erwähnt, dass der Urlaub Ende Juni / Anfang Juli stattfand. Die kompletten Beiträge finden Sie hier.
No money, no Campingwecken
„Gdn Mgn! Mgn. Hllo! Gdn Dag“, begrüße ich nuschelnd durch meine Maske die anderen Wartenden vor der Bäckerei, bevor ich mich nach einem 20-minütigen Fußmarsch am Ende der Schlange einreihe. Vor mir steht ein Vater mit seinem 3-jährigen Sohn, der voller Stolz den Geldbeutel trägt. Es ist sehr niedlich, wie sein Blick und seine Körperhaltung signalisieren, dass er sich der enormen Wichtigkeit seiner Aufgabe bewusst ist. Ohne Geld, kannst du keine Brötchen kaufen. Und vor allem: Nur mit Geld bekommst du Campingwecken. Ich hoffe, der Vater hat das seinem Sohn schon beigebracht. Für diese Lektion kannst du ja gar nicht jung genug sein.
Weniger niedlich ist es übrigens, wenn deine Teenager-Kinder nach deinem Geldbeutel fragen. Dann möchten sie in der Regel da nichts reintun – zumindest ist mir das noch nie untergekommen –, sondern etwas daraus bekommen. Taschen-, Geburtstagsgeschenke-, Schulausflug- oder Dönergeld. Alles Ausgaben, von denen du selbst herzlich wenig hast. Außer natürlich dem glücklichen Gesichtsausdruck deiner Kinder beim Überreichen des Geldscheins. Und irgendwann später einen vergammelten Dönerrest, der höflich „Guten Tag“ sagt, wenn du ihn im Papierkorb des Kinderzimmers entdeckst, nachdem du die ganze Wohnung abgesucht hast, um herauszufinden, wo eigentlich die ganzen Fliegen herkommen.
Nach meinem fröhlich-genuschelten „Gdn Mgn!“-Gruß in der Bäckerei versuche ich gar nicht erst bei der Verkäuferin meine Bestellung aufzugeben, nachdem ich vor ein paar Tagen an dieser Aufgabe so spektakulär gescheitert war. Stattdessen erledige ich das jetzt mit einer varietéreifen Marcel-Marceau-Pantomime-Nummer. Bei den anderen Kund:innen löst das zwar immer Fremdscham aus, aber solange ich meine Campingwecken bekomme, ist mir das egal.
Wer nicht „Nein“ sagen kann, macht sich zum Hampelmann
Mein Pantomime-Act soll nicht die einzige körperliche Betätigung für den Morgen bleiben. In der Ferienwohnung eröffnet uns der Sohn, dass er vor dem Frühstück ein Zirkeltraining absolvieren möchte, das ihm sein Judotrainer geschickt hat. Ich begrüße sein Engagement, selbst im Urlaub aktiv zu sein, bis ich verstehe, dass wir alle mitmachen sollen. Damit würden wir ihn anspornen und motivieren, am Ball zu bleiben. Das Ganze wäre ein Speed-Zirkel, der nur ein Viertelstündchen dauern.
Ich bin mir nicht sicher, ob der Sohn die Bedeutung des Wortes „nur“ sowie die Verwendung des Diminutivs richtig verstanden hat, denn jede Minute Zirkeltraining ist für mich eine zu viel und die Verniedlichungsform in diesem Zusammenhang folglich unangebracht. Ich persönlich bevorzuge Kraftübungen, die sehr langsam ausgeführt werden, um die Wirkung zu verstärken. Okay, um ehrlich zu sein, ist mir der Speed-Zirkel des Sohnes einfach zu schnell und zu anstrengend, und um ganz ehrlich zu sein, bevorzuge ich, gar keine Kraftübungen zu machen. Wenn du dein Geld in erster Linie am Schreibtisch verdienst, benötigst du gar nicht besonders viele Muskeln. Es kommt wirklich sehr selten in meinem Job vor, dass es hilfreich wäre, 150 Kilo stemmen zu können. So lange ich über genügend Kraft verfüge, um Marmeladen- und Gurkengläser zu öffnen, ist das in meinen Augen vollkommen ausreichend.
Allerdings sind das alles keine wirklich validen Argumente, um die Bitte des Sohns auszuschlagen. In unserer Familie gilt nämlich das alte Dumbledore-Motto „In Hogwarts wird allen Hilfe zuteil, die danach fragen.“ Nur blöd, wenn die Kinder dann Unterstützung bei Lateinübersetzungen oder dem dritten Hauptsatz der Thermodynamik erbitten.
Das sind halt die Schattenseiten der liberalen Erziehung und einer „Beziehung auf Augenhöhe“ mit deinen Kindern. Früher konntest du jegliche Ansinnen einfach ohne Diskussion abschmettern, aber heutzutage geht das nicht mehr so einfach. Und dann stehst du auf einmal mit deinen Kindern im Wohnzimmer und machst Hampelmänner, Trockenschwimmen und Rückenstrecker. Ich hoffe einfach, dass die Menschen aus dem Haus gegenüber nicht rüberschauen. Was wir nämlich Fitness-Zirkel nennen, sieht für andere aus wie eine Bande von tanzenden Teletubbies auf Speed.
Schatz, das war ihr letztes Wort!
Auch heute trotzen wir dem wechselhaften April-Wetter und gehen, nach dem wir zwei Regenschauer abwarten mussten, gegen 11 Uhr zum Strand. (Sie wissen schon, erste Strandkorbreihe verpflichtet und so.)
Links von uns gibt es neue Nachbarschaft. Eine vierköpfige Familie. Auf unser freundliches „Guten Morgen!“ grüßen die beiden Eltern etwas irritiert zurück. Okay, ihre beiden Kinder sind knapp zwei und vier, da hat ihr Morgen wahrscheinlich schon vor sechs Stunden angefangen.
Die Frau und der Mann müssten knapp unser Alter sein. Das heißt, wahrscheinlich sind sie mindestens fünfzehn Jahre jünger. In letzter Zeit habe ich ein wenig Schwierigkeiten, das Alter von Menschen, die älter als zwanzig sind, richtig einzuschätzen.
Ich halte sie dann meistens für ungefähr meinen Jahrgang, weil ich häufig vergesse, dass ich selbst gar nicht mehr Anfang 30 bin. Entsprechend verwundert war ich deswegen letztes Jahr auf meinem 25-jährigen Abi-Treffen, was die ganzen alten Menschen dort machen.
Unabhängig von ihrem Alter machen die beiden aber einen ganz sympathischen Eindruck. Also, nicht Ich-muss-unbedingt-ein-Bier-mit-ihnen-trinken-gehen-sympathisch, aber als Strandkorbnachbarschaft vollkommen okay. Sie gehen sehr liebevoll und geduldig mit ihren Kindern um und die beiden Mädchen verstehen sich auch sehr gut. Letzteres könnte daran liegen, dass sie gerade Eis essen. Die Jüngere sieht aus, als habe sie sich erst das Gesicht mit ihrem Schoko-Eis großflächig eingerieben, um danach mit dem Mund Steine im Sand zu suchen. Ihr macht das aber nichts aus, sondern sie genießt ihr Eis auf diese ganz selbstvergessene Art, wie es nur Kinder können. Allerdings frage ich mich, ob sie nachher immer noch so entspannt sein wird, wenn sie das Gesicht abgewaschen bekommt.
Eines muss ich allerdings doch kritisch zu den Eltern anmerken: So nett die beiden auch sein mögen, sie nennen sich gegenseitig „Schatz“. Das ist selbstverständlich ein „No Go“, das ist ja bekannt. Sollten meine Frau und ich nachträglich noch einen Ehevertrag aufsetzen, dann werden wir einvernehmlich im allerersten Punkt festhalten, dass die Verwendung der Bezeichnung „Schatz“ durch eine:n der Ehepartner:innen zur sofortigen und automatischen Annullierung der Ehe führt. Das gleiche gilt für Abwandlungen des Wortes „Schatz“ (z.B. „Schatzi“, „Schätzchen“, „Schatzilein“) sowie für Kosenamen aus dem Tierreich (z.B. „Mausi“, „Hasi“, „Bärchen“) oder aus der Obstabteilung (z.B. „Apfelbäckchen“, „Chérie“ und Ähnliches). Im Prinzip dürfen wir uns nur gegenseitig mit dem Vornamen anreden. (Ich hätte auch nichts dagegen, wenn wir uns siezen würden, glaube aber nicht, dass ich das durchgesetzt bekomme.)
Der Formel-1-Bagger
Der Strandkorb rechts von uns wird immer noch von der Familie beziehungsweise den Familien mit der großen Kinderschar bevölkert. Der kleine Junge, der gestern das lila Kleid trug, hat heute eine Art Jumpsuit, der mit Elefanten bedruckt ist, an. Möglicherweise hat er einfach seinen Schlafanzug angelassen. (Beneidenswert!) Der Kleine hat mir auf jeden Fall einiges voraus, was modischen Geschmack und Stilsicherheit angeht. Und bequem sieht sein Ensemble auch noch aus. Vielleicht kann ich mir später ein paar Modetipps von ihm geben lassen. (Meine Frau nickt zustimmend.)
Einer der anderen Jungs spielt mit einem Bagger und kündigt an, den Strand umzugraben. (Viel Glück!) Dabei macht er, wie sich das gehört, laute Baggergeräusche. Ohne ihn kränken zu wollen, klingt seine Baggerimitation aber nicht gerade super realistisch. Hört sich eher nach Formel 1-Rennwagen an, der im ersten Gang auf maximale Geschwindigkeit beschleunigt wird. Dafür ist aber die Ausdauer, die der Junge an den Tag legt, wirklich bemerkenswert. Kinder im Alter von sechs oder sieben haben ja eher die Aufmerksamkeitsspanne eines hyperaktiven Backenhörnchens und können sich maximal vierzehn Sekunden mit der gleichen Sache beschäftigen. Außer sie dürfen in ein mobiles Endgerät schauen. Dann glotzen sie stundenlang auf den Monitor, als seien sie von Kaa, der Schlange, hypnotisiert.
Sein Vater, der aufgrund des fortwährenden Motorengeräuschs kurz davor ist, einen Nervenzusammenbruch zu erleiden und sich alle Wimpern einzeln auszureißen, schlägt vor, es könne doch ein Elektrobagger sein, der ganz leise ist. (Netter Versuch!) Der Junge zeigt aber keinerlei Interesse an klima- und umweltfreundlicher Motorentechnologie und brummt weiter in Düsenjet-Lautstärke.
Als der Knabe der Baggerei überdrüssig ist, geht er mit seinen Geschwistern ans Wasser, um Steine ins Meer zu schmeißen. Kurze Zeit später ist eine wilde Wasserschlacht im Gange, bei der sich die Kinder gegenseitig vollspritzen und nass machen. Es geht hoch her und die Kinder krakeelen und kreischen wild durcheinander. Irgendwann wird es einer ihrer Mütter zu bunt und sie brüllt in dreifacher Lautstärke: „Schreit gefälligst nicht so rum. Hier sind noch andere Menschen, die ihre Ruhe haben wollen.“ Ihr Tonfall ist einer Navy-Seals-Ausbilderin mehr als würdig und ich bin mir sicher, dass Menschen am anderen Ende der Insel ihre Unterhaltungen unverzüglich eingestellt haben, aus Angst, einen Einlauf von der Mutter zu bekommen. Etwas versöhnlicher schiebt sie dann ein: „Wer kommt alles mit, Eis essen?“ hinterher, woraufhin die Kinderschar jubelnd und grölend wie eine brandschatzende Wikinger-Horde über den Strand stürmt, dass es an ein Wunder grenzt, dass keine Strandkörbe niedergewalzt werden und keine Strandbesucher:innen zu Schaden kommen.
Nie sind die Kinder handysüchtig, wenn du es brauchst
So spannend und liebenswert ich die ganzen kleinen Kinder am Strand auch finde, bin ich trotzdem froh, dass die Tochter und der Sohn schon größer sind, und die Phase vorbei ist, in der wir sie permanent beaufsichtigen und bespaßen mussten. Für einen entspannten Strandtag ist es, trotz aller Diskussionen über den ausufernden Medienkonsum der heutigen Jugend, nicht das Schlechteste, wenn die Kinder ein Alter erreichen, in dem sie ein eigenes Smartphone bekommen, mit dem sie sich so ausgiebig beschäftigen, bis sie Krämpfe in den Daumen bekommen. Da kommst du dann nach Jahren endlich mal wieder dazu, am Strand in Ruhe zu dösen, dir den Wind um die Nase wehen zu lassen und am Stück, ohne größere Unterbrechung, ein Buch zu lesen. Oder dich ungestört am Handy in die Top10 der Candy-Crush-Weltrangliste vorzuspielen. Das geht natürlich auch.
Allerdings entpuppt sich meine idyllische Vorstellung eines relaxten Strandtages als naive Illusion. Plötzlich wollen die Tochter und der Sohn unbedingt Ball spielen. Das wäre ja nicht weiter schlimm, aber ich soll mitspielen. (Ich wusste, dass es ein Fehler war, den Ball zu kaufen.) Können die beiden nicht wie ganz normale Teenager handysüchtig am Strand abhängen und so lange Tik-Tok-Videos anschauen, bis sich ihre letzten Gehirnzellen aus dem Staub gemacht haben? Wofür haben sie denn ihre 3 GB Surfvolumen? Doch nicht, damit wir uns am Strand einen Ball zuwerfen, wie so Höhlenmenschen. Das wollen die beiden aber tatsächlich.
Bevor den Kindern jetzt ein Heiligenstatus zugesprochen wird, weil sie dem Smartphone kritisch-distanziert gegenüberstehen und ein mobiles Endgerät allenfalls benutzen, um Informationen für die Schule zu recherchieren, die sie in „Meyers großes Taschenbuchlexikon in 25 Bänden“ nicht finden konnten, so sei hier versichert, dass die beiden am heutigen Tag und im gesamten Urlaub ausreichend viel Zeit mit ihren Handys verbracht haben. Ich möchte auch nicht ausschließen, dass ihre Motivation am Strand zu spielen, in erster Linie daher rührt, dass ihre Handy-Akkus leer sind.
Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss mich beim Ballspielen konzentrieren. Wir wollen doch nicht, dass ich den Ball versehentlich so weit ins Meer werfe, dass wir ihn nicht wiederbekommen und ich morgen dann die ganze Zeit lesen muss.
Unser tägliches Kniffel-Spiel gib uns heute
Mit einer sensationellen Runde mit drei Kniffeln setzt sich der Sohn an die Spitze des Leaderboards. Wir gönnen es ihm. Aber nur weil die Challenge noch nicht vorbei ist.
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Nur 3 GB? Deine armen Kinder.
Immerhin 1 GB mehr, as ich habe.
Nächstes Jahr buchen wir alle die Strandkörbe nebeneinander und das mit dem Düsenjet-Bagger bekommt eine Neuauflage.
Thema Campingwecken dieses Jahr eher unterrepräsentiert- Schade! 🌝
So schön!