Der (fast) alljährliche Urlaubsblog. Diesmal nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Zur besseren zeitlichen Orientierung sei erwähnt, dass der Urlaub Ende Juni / Anfang Juli stattfand. Die kompletten Beiträge finden Sie hier.
Schafe, Mark Forster und die Politik
„Guten Morgen, wie geht’s so?“ Es ist kurz nach acht und ich versuche, auf meiner Deich-Joggingrunde Konversation mit den freilaufenden Schafen zu betreiben. Sie bleiben einfach regungs- und wortlos stehen. Eigentlich ist das schon ein Fortschritt, denn sonst sind sie immer hektisch davongelaufen, wenn ich ihnen zu nahe gekommen bin. Ein bisschen bewundere ich die Schafe dafür, wie gelassen sie meine Besuche nehmen. Ich wäre nicht so entspannt, wenn ein Schaf durch unser Wohnzimmer laufen würde.
Allerdings finde ich auch, dass die Schafe manchmal schon etwas zu stoisch auf meine Anwesenheit reagieren. Fast schon gleichgültig. Es könnte fast der Eindruck entstehen, es sei ihnen egal, ob ich da bin oder nicht. Das tut dann schon ein wenig weh. Ab und an ein „Hallo“ wäre schon schön. Oder überhaupt irgendeine Art von Reaktion.
Zum Laufen höre ich heute den „Deutschland3000“-Podcast, für den sich die Journalistin Eva Schulz mit Menschen aus Pop, Politik und Gesellschaft trifft. Zugegebenermaßen bin ich mit Mitte 40 nicht wirklich die Zielgruppe von „Deutschland3000“. Das Format richtet sich eher an jüngere Menschen. Aber es schadet ja nicht, sich das trotzdem anzuhören, um auf dem Laufenden zu bleiben, wie die Jugend so tickt und was sie umtreibt. Vor allem interessiert es mich, ob noch ROFL und LOL gesagt wird. Oder ROFL-LOL. Laut meinen Kindern hat noch nie jemand ROFL-LOL gesagt, ich solle das auch nicht tun, vor allem nicht, wenn sie dabei sind und nie, wirklich nie, nie, niemals in der Öffentlichkeit.
In der Podcast-Folge diskutiert Eva Schulz mit dem Musiker Mark Forster unter anderem die Frage, ob er zu unpolitisch sei.
Mark Forster findet, es sei letztendlich sinnlos, wenn er auf der Bühne sagt, Nazis seien scheiße, weil das niemanden davon abhalte, die AfD zu wählen. Er überlegt außerdem, dass er mit seinen Liedern über Liebe und gute Gefühle vielleicht Menschen auch eine Botschaft vermittelt, dass es gut ist, in einer freien, liberalen Gesellschaft zu leben.
Ob das tatsächlich ausreicht, vermag ich nicht zu sagen. Meine Botschaft wäre in diesem Sinne: „Käsekuchen für alle!“ Das ist gemeinschaftsstiftend und kann Grenzen, Differenzen und Meinungsverschiedenheiten überwinden. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob das als Forderung ausreichen würde, um damit in die nächste Bundestagswahl zu ziehen. (Die Gefahr, sich einen Shitstorm von empörten Laktoseintoleranten einzuhandeln, wäre wahrscheinlich zu groß.)
„Wisst ihr, was auch eine gute politische Botschaft ist?“, frage ich die Schafe im Vorbeilaufen. Keine Reaktion. „Schafe an die Macht!“, rufe ich. „Dann wäre die Welt ein friedlicherer, ein gerechterer, ein besserer Ort.“ Ein Schaf schüttelt den Kopf, ein anderes verdreht die Augen, der Rest grast unbeeindruckt weiter. Nun gut, war ja nur eine Idee. Vielleicht ist „Käsekuchen für alle“ doch der bessere Slogan.
Funktionale Arbeitsteilung im Supermarkt
Bevor wir zum Strand gehen, müssen wir noch ein paar Einkäufe erledigen. Vor unserem Urlaub war die Frau mehr als drei Monate nicht im Supermarkt. Durch ihre Herzerkrankung gehört sie zu den Risikogruppen, die sich besser nicht mit Corona infizieren sollten, und deswegen habe ich das Einkaufen alleine übernommen. Das ist jetzt kein Grund für Standing Ovations, denn immerhin gab mir das die Möglichkeit, zwei Mal in der Woche die Wohnung zu verlassen. Okay, das bedeutete allerdings auch, zwei Mal in der Woche auf andere Menschen zu treffen, und das kann dann schon mal zu der Erkenntnis führen, dass, sich alle Güter des täglichen Bedarfs liefern zu lassen und nie wieder die Wohnung zu verlassen, eigentlich eine recht attraktive Alternative zum Einkaufen gehen ist.
In ihrer 100-tägigen Supermarkt-Abstinenz hat die Frau die Kulturtechnik des Einkaufens aber nicht verlernt und wir können unsere bewährte funktionale Arbeitsteilung praktizieren. Ihre Aufgabe besteht darin, verschiedene nachhaltig und unter Wahrung des Tierwohls hergestellte Produkte auszusuchen, die allesamt dem höherpreisigen Warensegment zuzuordnen sind. Mir obliegt es wiederum, unmerklich mit dem Kopf zu schütteln – aber nicht so unmerklich, dass sie es nicht merkt – und etwas von „die billigen Lebensmittel sind auch in Ordnung und entsprechen der deutschen Lebensmittelhygieneverordnung“ zu murmeln, als würde ich mich als Pressesprecher von Julia Klöckner bewerben. Die Frau tut dann einfach so, als würde sie denken, ich runzle die Stirn, weil ich aus welchen Gründen auch immer – nach 23 Jahren Beziehung hinterfragst du manches besser nicht mehr – gerade einen chinesischen Faltenhund imitiere und legt die Sachen trotzdem in den Einkaufswagen.
Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Ich möchte auf gar keinen Fall den Eindruck erwecken, die Frau sei verschwenderisch und würde Geld zum Fenster hinausschmeißen. Das ist nicht der Fall, sie legt einfach wert auf hochwertige Lebensmittel, die unter ökologisch und ethisch untadeligen Bedingungen produziert werden, und das ist auch richtig so. Das eigentliche Problem ist eher, dass ich einfach schon von klein auf ein sehr kostenbewusster Mensch bin. (Eine Formulierung, die vorteilhafter klingt, als „Er war schon als Kind krankhaft geizig.“) Eine Eigenschaft die dich zwar bei Finanzministern recht populär macht, nicht aber unbedingt bei der eigenen Familie während des Großeinkaufs.
Die Kinder suchen derweil die Lebensmittel und Produkte zusammen, die im Urlaub für eine ausgewogene Ernährung essenziell sind: Schokocreme, Erdnussbutter, Kekse und Chips. Falls Sie sich jetzt fragen, was das bitteschön mit ausgewogener Ernährung zu tun haben soll, sei Ihnen gesagt, dass die Urlaubs-Ernährungspyramide etwas anders gestaltet ist, als die für den normalen Schul- und Arbeitsalltag. Im Urlaub muss mehr Wert auf Nahrungsmittel gelegt werden, die größtenteils aus kurzkettigen Kohlenhydraten, ungesättigten Fetten und Weißmehl bestehen. Solche Lebensmittel sprechen direkt das Belohnungszentrum im Gehirn an, was zu guter Stimmung führt, die ja für das Gelingen eines Urlaubs nicht unwichtig ist. (Die Stimmung ist allerdings nicht mehr so gut, wenn du nach dem Urlaub auf die Waage steigst oder versuchst, eine frischgewaschene Jeans anzuziehen.)
Die Kinder sorgen somit dafür, dass wir für die nächsten Tage leckere Sachen zu essen haben, und damit erfüllen sie ihre Aufgabe in unserer funktionalen Einkaufs-Arbeitsteilung.
Wikinger-Schach. Oder: Rette sich wer kann!
Wir haben am Strand mal wieder neue Nachbar:innen. Den Strandkorb rechts von uns belegt jetzt nicht mehr die Kindermeute, sondern eine drei-Generationen-Familie mit Großeltern, Eltern und zwei Kindern. Das Mädchen ist ungefähr dreizehn, der Junge circa zehn. Das heißt, ihr Alter kann irgendwo zwischen sechs und zwanzig liegen, denn im Einschätzen des Alters von Kindern bin ich noch schlechter als bei Erwachsenen.
Die beiden Kinder spielen Wikinger-Schach. Ich schaue ihnen zu und überlege, wie ich ihr Talent für dieses Spiel möglichst wertschätzend ausdrücken kann. Vielleicht so: Möglicherweise können sie ja hübsch malen.
Bei der nächsten Partie steigen die Eltern und Großeltern mit ein und es wird schnell klar, dass das mangelhafte Wikinger-Schach-Können anscheinend genetisch bedingt ist und in der Familie von Generation zu Generation weitergetragen wird. Aber das ist ja auch nicht schlimm. Nicht jede:r muss gut im Wikinger-Schach sein. Ein bisschen besser wäre allerdings schon gut, denn die Holzklötze und -stäbe schlagen gefährlich nahe an unserem Strandkorb ein und es dauert sicherlich nicht mehr lange, bis mir einer davon den Schädel spalten wird. Vielleicht sollte ich mich besser in Sicherheit bringen. Ich könnte zum Beispiel in den Buchladen gehen und für unsere neuen Strandkorbnachbar:innen ein paar Malbücher kaufen.
Kuck mal, wer da grinst
In der Strandkorbreihe hinter uns, erblicke ich einen alten Bekannten: Grinse-Ole. Der hat vor zwei Jahren auch schon mit seiner Familie Urlaub auf Föhr gemacht. Ich weiß nicht, ob er wirklich Ole heißt, aber damals trug er häufiger ein T-Shirt, auf dem groß Ole stand. Daraus habe ich Sherlock-mäßig geschlossen, dass es wohl sein Name ist. Warum sollte er das T-Shirt sonst tragen? Ich besitze ja auch keine Oberteile, auf denen Dieter oder Waldemar steht.
Und gegrinst hat Ole immer. So richtig breit. Ununterbrochen. Wie eine Mischung aus Michael Fassbinder und dem Beißer aus den James-Bond-Filmen. Das war etwas irritierend. Warum grinst ein Mensch pausenlos? Okay, vielleicht weil er total nett ist und einfach immer gute Laune hat. Aber das macht einen ja auch irgendwie verdächtig. Das geht eigentlich nur mit Drogen. Vielleicht rührt Grinse-Ole sein Müsli ja immer mit Kokain an.
In den letzten zwei Jahren war Grinse-Ole nicht untätig. Er trägt ein kleines Baby, das nur wenige Monate alt ist, auf dem Arm. (Es ist sein drittes Kind.) Trotzdem strahlt Ole immer noch die gleiche jugendliche Fitness und Vitalität aus wie beim letzten Mal. Beneidenswert. Ich selbst bin bei jedem der Kinder in den ersten zwölf Monaten nach der Geburt zehn Jahre gealtert. Seither werde ich in besseren Momenten für den jüngeren Bruder meines Vaters gehalten. Und in den schlechteren für den älteren.
Leo Lausemaus meets John McEnroe
Die Familie zu unserer Linken gibt sich heute sportlich. Die Eltern spielen Beachtennis und die zweijährige Tochter darf als Ballmädchen mitmachen. Allerdings vergessen der Vater und die Mutter das immer wieder und heben den Ball meistens selbst auf, bis die Kleine einen John-McEnroe-Gedächtnis-Tobsuchtsanfall bekommt.
Der Vater versucht, das Mädchen schnell wieder zu beruhigen, denn so einen kleinkindlichen Wutanfall in der Öffentlichkeit empfinden Eltern ja meistens als peinlich, quasi als Beweis für erzieherische Inkompetenz und elterliches Versagen. Ich beobachte ihn mitfühlend und denke nur: „Das muss dir nicht unangenehm sein, das haben alle Eltern schon mal mitgemacht.“ Und dann denke ich selbstverständlich noch: „Zum Glück ist es nicht mein Kind.“
Die Zweijährige scheint heute aber ohnehin ein wenig unleidlich zu sein. Vielleicht hat sie schlecht geschlafen. Oder sie ist hungrig. Oder ihr sitzt einfach ein Pups quer. Geht einem ja auch als Erwachsenem manchmal so. Auf jeden Fall ist die Kleine im „Wille nich“-Modus.
„Möchtest du nicht lieber deinen Pulli ausziehen, Mäuschen? Das ist doch viel zu warm?“
„Wille nich!“
„Spätzchen, ich muss dich noch eincremen.“
„Wille nich!“
„Du musst mal was trinken, Schatz, du hast doch bestimmt Durst.“
„Wille nich!“
„Bärchen, du kannst die Mütze leider nicht abziehen, die Sonne brennt viel zu heiß.“
„WILLE NICH!“
Die Mutter lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen. Bewundernswert. Möglicherweise hat sie heute Morgen ihr Müsli mit Valium angerührt.
Jetzt schlägt sie ihrer Tochter vor, sie könne ihr aus dem neuen Leo-Lausemaus-Buch vorlesen. „Wille nich!“ Dagegen ist nichts zu sagen, das spricht viel mehr für den guten Büchergeschmack des Mädchens. Wobei ihr Leo Lausemaus eigentlich sympathisch sein müsste, denn sie haben etwas gemeinsam. Leo Lausemaus will nämlich auch nie etwas.
Zumindest war das so in dem Leo-Lausemaus-Buch, das wir früher hatten. In der Geschichte ging es darum, dass Leo Lausemaus nicht das machen will, was seine Mutter ihm sagt. Morgens nicht das Gesicht waschen, seinen Kakao nicht trinken, sich nicht anziehen, das Zimmer nicht aufräumen und so weiter und so fort. Ich weiß nicht mehr, wie das Buch hieß. Wahrscheinlich „Leo Lausemaus hat kein‘ Bock“. Oder „Leo Lausemaus ist richtig scheiße drauf“.
Mir war diese Leo-Lausemaus-Reihe irgendwie suspekt. Was sollte das sein? Eine Art Fortbildung für Kita-Kinder? Ein Life-Coaching für die Trotzphase? Eine Art „50 Wege anti zu sein und Spaß dabei!“ Oder „Wie treibe ich meine Eltern am effektivsten in den Wahnsinn?“ Ich habe das Gefühl, die meisten Kinder können das auch ohne die Nachhilfe von Leo Lausemaus ganz gut.
Deswegen hatten wir auch nur dieses eine Leo-Lausemaus-Buch. Irgendwann war es dann nicht mehr aufzufinden. Ich weiß wirklich nicht, wo es abgeblieben ist.
Unser tägliches Kniffel-Spiel gib uns heute
Der Sohn verteidigt knapp seine Führung und es gibt leichte Tendenzen zu einer gegenderten Zweiklassengesellschaft, aber noch ist die Challenge ja nicht vorbei.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Grandios!
Ich möchte auch mal eine Theorie zu Grinse-Ole aufstellen:
Liegt am Namen! 😉 Unser Zweijähriger grinst nämlich- zwischen seinen Wutanfällen- auch immerzu! Wirklich! Insofern freue ich mich, ob der Aussicht, dass er sich das später erhalten kann…
Überprüfen kann ich die Theorie leider selbst nicht, denn hier ist der Name extrem selten. 😄
Ach und zu Leo… “lifecoach” trifft es voll. Wir bekamen just das erste Buch dieser Reihe und ich bete, es möge auch das Letzte bleiben… als Deutsch-/Geschichtslehrerin bin ich nämlich grundsätzlich gegen Bücherverbrennung 😉!