Eine kleine Wochenschau | KW16-2023 (Teil 2)

Teil 1


Der Sohn erzählt, dass er morgen eine Philo-Exkursion hat. Zum Deutschen Ethikrat. Das erstaunt mich. Also, nicht dass der Philosophie-LK eine Exkursion macht. Das kommt häufiger vor. Sondern dass diese zum Deutschen Ethikrat geht. Mir war zwar die Existenz desselbigen bekannt – in erster Linie aufgrund irgendwelcher Verlautbarungen während der Corona-Pandemie zum Thema Impfpflicht, wenn ich mich richtig erinnere –, aber es war mir nicht bewusst, dass der Ethikrat abseits seiner Mitglieder physisch existiert. Mit richtigen Büros und richtigen Arbeitsplätzen in einem richtigen Gebäude, das anscheinend besucht werden kann.

Was sie beim Ethikrat genau machen, kann mir der Sohn nicht sagen. Seine Freunde wüssten das auch nicht. Ich gehe davon aus, das liegt nicht daran, dass der Lehrer ihnen nicht erklärt hat, was auf der Exkursion passiert, sondern dass die Schüler*innen dies als irrelevante Informationen eingestuft haben, mit denen sie ihre Kurzzeitgedächtnisse nicht belasten wollten.

21. April 2023, Berlin

Als der Sohn morgens die Wohnung verlässt, hat er keine Tasche dabei und trägt lediglich seine Kopfhörer in der Hand. Ich frage ihn, ob er bei der Exkursion nichts zum Schreiben benötigt. Er erwidert, sie hätten die erste Stunde noch in der Schule, da würde er sich einen Kuli leihen. Das führt mich zu der in meinen Augen nicht unberechtigten Frage, worauf er denn mit dem Kuli schreiben wolle. Für den Sohn erfüllt die Frage allerdings nicht die erforderlichen Relevanzkriterien, um sie mit einer Antwort zu würdigen. Er deutet lediglich ein Achselzucken an, gibt mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und geht. Wahrscheinlich fehlt ihm die Energie, um sein Sprachzentrum zu aktivieren.

Nachdem der Sohn später zurückkommt, kann er immer noch nicht sagen, was sie beim Ethikrat gemacht haben. Es sei sehr, sehr langweilig gewesen und er sei zwischendurch fast eingeschlafen. Dabei zuckt er wieder mit den Achseln. Während eines Vortrags beim Deutschen Ethikrat ein Nickerchen zu machen, stellt für ihn anscheinend kein größeres moralisches Problem dar.

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In Vorbereitung auf den Marathon muss ich nicht nur ausreichend trinken, sondern auch dafür sorgen, dass mein sogenannter Glykogenspeicher ausreichend gefüllt ist. Damit ich für die 42 Kilometer genügend Energie habe. Oder wenigstens für so viele Kilometer wie möglich.

Den Glykogenspeicher füllst du durch die Zufuhr von Kohlehydraten. In Läufer*innen-Kreisen heißt das Carbo-Loading. Das soll etwas cooler klingen als „Kohlehydrate fressen bis zur Verstopfung“.

Abends schauen meine Frau und ich eine Back-Show. Einer der Kandidaten stellt ein komplettes, maßstabgetreues Drumset aus Schokolade her. Weil das noch nicht genug Kalorien sind, packt er in die Snare Drum einen Chocolate Fudge Cake, in eine andere Trommel einen Käsekuchen und in die Base Drum Karamell-Schnitten.

Mir läuft das Wasser im Munde zusammen. Damit könnte ich meine Glykogenspeicher für mindestens zehn Marathons füllen. Kuchen, Kekse und Schokolade sind beim Carbo loaden aber natürlich nicht erlaubt. Stattdessen beiße ich in eine Kartoffel. Die ist auch lecker, belüge ich mich selbst. Ich muss sie nur ausreichend mit dem Salz meiner Tränen würzen.

22. April 2023, Berlin

Einen Tag vor dem Marathon stellt sich die große Bart-Frage. Kanadische Eishockeyspieler rasieren sich während Weltmeisterschaften oder in den Playoffs nicht. Aus einer Mischung aus Ritual und Aberglaube. Oder sie haben Angst, bei der Rasur ihre Halsschlagader zu perforieren und durch ihr Ableben das Team zu schwächen. Das willst du dir ja nicht vorwerfen lassen: Dass deine Mannschaft gescheitert ist, weil du tot warst.

Schaffen es die Spieler bis ins Finale, zieren ihre Gesichter stattliche Bärte. Das soll den Gegnern wahrscheinlich Respekt einflößen. Da mit Ausnahme der Schiedsrichter aber alle auf dem Spielfeld so aussehen, neutralisiert sich dieser Effekt ein klein wenig.

Schaue mich im Spiegel an und komme zu dem Schluss, dass ich kein kanadischer Eishockeyspieler bin und meine Gesichtsbehaarung keinen Respekt einflößt. Wirklich niemandem. Mein struppiger Bart sieht eher aus, als hätte ich die Kontrolle über mein Leben verloren, als wäre ich nicht einmal mehr zur basalsten Körperpflege imstande und als wäre mir einfach alles egal. (Dass ich Jogginghosen und ein uraltes T-Shirt mit zerschlissenem Kragen trage, verstärkt diesen Eindruck zusätzlich.)

Also greife ich zum Haarschneider und stutze den meinen Bart auf eine kurze, einigermaßen gleichmäßige Länge. Somit sollte ich auf den unzähligen Fotos, die am Sonntag während des Laufs gemacht werden, nicht aussehen, als hätte ich drei Monate im Wald gelebt und würde gerade vollkommen orientierungslos in die Zivilisation zurückkehren. Sondern wie jemand, der sich zu viel zugemutet hat und vollkommen orientierungslos versucht, das Ziel zu erreichen. (Hoffentlich in der richtigen Richtung.)


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Ein Kommentar zu “Eine kleine Wochenschau | KW16-2023 (Teil 2)

  1. gback: Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 25.4.2023 – Buddenbohm & Söhne

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