Eine kleine Wochenschau | KW17-2023 (Teil 2)

Teil 1


28. April 2023, Berlin

Heute ist einer dieser Morgen, an denen ich im Wohnzimmer auf dem Sofa sitze, versuche, mittels Kaffee meine Lebensgeister zu wecken, und mich die Aussicht auf meine Erwerbsarbeit nur bedingt mit Vorfreude und Enthusiasmus erfüllt. An solchen Tagen sage ich mir zur Aufmunterung immer: „Na, wenigstens muss ich heute keine Mathearbeit schreiben.“

Der Sohn würde sich das sicherlich auch gerne sagen, kann es aber nicht, denn er muss heute eine Mathearbeit schreiben. Eine Aussicht, die ihn auch nicht mit Vorfreude und Enthusiasmus erfüllt. Dafür mache ich ihm einen doppelten Espresso. Der weckt hoffentlich seine Lebensgeister und wenn er Glück hat, kennen die sich mit Integralen, Graphen und Funktionen aus.

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Gegen 13 Uhr kommt der Sohn zurück. Die Arbeit sei ganz gut gelaufen. Er hoffe, dass es für fünf Punkte reicht.

Nach der Klausur seien sie zur Humboldt-Uni gefahren. Exkursion mit dem Philo-LK. (So oft wie sie mit dem Kurs Ausflüge machen, vermute ich allmählich, dass ihr Lehrer unter einer Klassenzimmer-Phobie im fortgeschrittenen Stadium leidet.) Sie hätten einen Vortrag von einem Philosophie-Professor gehört, der sei voll interessant gewesen.

Er habe über Moral und Dilemma gesprochen. Mehr bekomme ich aus dem Sohn nicht heraus. Trotzdem kann der Professor sich darauf etwas einbilden. Einer Gruppe von16-/17-Jährigen, deren Aufmerksamkeitsspanne ungefähr die Länge eines TikTok-Videos umfasst, als Reaktion aufn einen philosophischen Vortrag die Reaktion “interessant” zu entlocken ist durchaus eine Leistung. Auf jeden Fall ein deutlicher Fortschritt gegenüber der Exkursion zum Deutschen Ethikrat letzte Woche. Dort ist der Sohn nach eigenen Angaben fast eingeschlafen ist. (Und wenn er „fast“ sagt, gehe ich davon aus, dass er tatsächlich ein Nickerchen eingelegt hat.)

29. April 2023, Berlin

Der Volksmund befiehlt bekanntlich, dass du morgens wie ein Kaiser speisen sollst, denn das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages. (Dicht gefolgt von einem Stück Kuchen am Nachmittag. Aber das ist meine ganz persönliche Meinung und volksmündlich nicht abgesichert.)

Ein Frühstück wird noch besser, wenn du dir Freunde einlädst. So wie wir das gemacht haben. Heute kommen B. und M. mit ihrer Tochter H. zu Besuch. Ihr Sohn N. kann leider nicht, er muss arbeiten. Das ist sehr schade, denn bei unserem letzten Treffen hat er mich sehr mit seiner Lebensweisheit beeindruckt.

N. geht in die 10. Klasse und legte recht ausführlich dar, wie du eine gute Mitarbeitsnote bekommst, insbesondere in Fächern, in denen du nicht so richtig viel Ahnung hast.

  • Erstens musst du unbedingt Blickkontakt halten, wenn der Lehrer dich anschaut. Unter gar keinen Umständen darfst du wegschauen. Im Gegenteil, du musst ihm leicht zunicken. So denkt er, du wüsstest Bescheid und er nimmt dich nicht einfach dran, um zu sehen, ob du etwas verstanden hast.
  • Zweitens musst du dich immer melden, wenn sich sehr viele andere auch melden. Selbst wenn du die Antwort nicht weißt, da die Wahrscheinlichkeit dann sehr klein ist, dass du aufgerufen wirst.
  • Drittens musst du ab und an eine Frage stellen und dich am Ende der Stunde beim Rausgehen lautstark verabschieden. Durch beides stellst du sicher, dass sich der Lehrer an dich erinnert.

Ich fand seine Ausführungen sehr klug. Sie zeugten von strategischem Denken, Kenntnissen der Psychologie und einer gewissen Zielstrebigkeit. N. wird vielleicht nicht das beste Abitur aller Zeiten machen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er später in der Arbeitswelt sehr gut zurechtkommen wird.

30. April 2023, Berlin

Heute ist Ehrentag der Frisuren. Wahrscheinlich wurde der während der Corona-Pandemie in einem der Lockdowns erfunden.

Als Teil ihrer regelmäßigen Westerwälder Presseschau haben mir meine Eltern kürzlich einen Artikel geschickt, der die schöne Überschrift „Waschen, schneiden, schweigen“ trug. In diesem ging es um den Trend des Silent Cuts, bei dem während des Haareschneidens, wie es der Name vermuten lässt, auf Small Talk verzichtet wird.

Der Silent Cut sei eine gute Werbemaßnahme, um Kunden anzusprechen, die von Gesprächen beim Friseurbesuch genervt sind, erklärt in dem Artikel Antonio Weinitschke, seines Zeichens Art Director beim Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks. (Ich weiß nicht, ob mich mehr überrascht, dass ein Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks existiert, oder dass es in diesem die Position des Art Directors gibt.) Die Aussage ist zwar nicht übermäßig originell, aber ich würde ihr trotzdem zustimmen. Zum einen weil Antonio Weinitschke ein phantastischer Name ist, zum anderen, weil ich im Prinzip diese Zielgruppe bin.

Dennoch würde ich nie einen Silent Cut buchen. Für mich klänge das, als würde ich zu der Friseurin sagen: „Halt gefälligst die Fresse, während du mir die Haare schneidest.“ Ich hätte Angst, dass sie mich dann für elitär und ungehobelt hält. Das möchte ich noch weniger, als mich beim Friseur unterhalten.


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