Irisches Tagebuch, 03. Juni | Zugfahrt – Mit der Ir’schen Eisenbahne

Wir waren wandern. In Irland. Hier gibt es den Bericht. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Ihnen Ihre Lebenszeit nichts wert ist und Sie alle Beiträge der Irischen Tagebücher lesen möchten, werden Sie hier fündig.


7 Uhr. Ich wache langsam auf. Fühle mich wie gerädert. Komischer Ausdruck. „Sich wie gerädert fühlen.“ Ich weiß nicht, was rädern ist, ohne Google zu bemühen, und damit auch nicht, wie du dich dabei fühlst.

Meine Augenlider sind bleischwer. Das kann ich mit Bestimmtheit sagen. Kein Googeln erforderlich. Es kostet mich nahezu unmenschliche Kraft, sie zu öffnen. Erst das linke, dann das rechte. Draußen ist es schon hell und die Sonne scheint durch das Rollo des Hotelzimmer-Fensters.

Unten auf der Straße unterhalten sich zwei Männer.

„Good morning. How are you?”
“Fine, fine, thank you. How are you?”
“Very good. Thank you.”
“The weather is lovely, isn’t it?“
„Indeed, indeed.“

Es entwickelt sich nun eine mehrminütige Unterhaltung darüber, wie warm es ist, wann es das letzte Mal so warm war, wie lange es noch warm sein soll und ab wann es wieder regnen wird.

Durch meine vorbereitende Lektüre habe ich gelernt, dass das Wetter eines der wichtigsten Konversationsthemen in Irland ist. Angeblich erinnern sich Iren bei jedem wichtigen Ereignis, wie das Wetter damals war.

„Als Roy und Kelly geheiratet haben, gab es diesen fürchterlichen Hagelsturm.“
„An Tante Marys Geburtstag hat es so stark geregnet, dass alle Keller überschwemmt wurden.“

Häufig erinnern sich die Iren sogar besser an das Wetter als an das, was auf den Hochzeiten, Beerdigungen, Taufen oder runden Geburtstagen passiert ist.

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Meine Frau und ich drehen vor dem Frühstück eine Runde durchs Städtchen. Als Uni-Stadt hat Carlow eine verhältnismäßig junge Bevölkerung – außer in den Sommermonaten, wenn die Student*innen alle bei ihren Eltern sind. Dafür gibt es erstaunlich viele Klamottenläden, deren Angebot nicht gerade aussieht, als käme es frisch von den Laufstegen in Paris, Mailand oder New York. Eher von den Fluren der Senior*innen-Residenz „Zur Heiligen Maria“.

Carlow hat außerdem sehr viele Friseurläden. Gefühlt jeder dritte Laden. Ein Barber Shop trägt den schönen Namen „Paddy, the Türk“ – mit Ü-Pünktchen! Mehr Integration geht nicht.

Pubs gibt es auch in großer Zahl. Natürlich. Mindestens sechzehn, hat uns die Tochter kürzlich erzählt. In so vielen war sie auf einer Abschieds-Pub-Crawl-Tour mit J., einem ihrer amerikanischen Freunde, bevor der zurück in die USA flog. In jedem Pub hätten sie ein Pint getrunken Eine Leistung, die bei mir eine Mischung aus Faszination, Respekt und Irritation auslöst.

J. hätte die ganze Zeit Bier getrunken, sie dagegen Cider, der sei schließlich nicht ganz so stark. Die Vorstellung achteinhalb Liter Apfelwein trinken zu müssen, ruft bei mir eine Mischung aus Übelkeit und Spontandurchfall hervor.

Sie hätten die Pints aber über einen längeren Zeitraum getrunken, versuchte uns die Tochter zu beruhigen. Sie hätten bereits um 13 Uhr mit ihrer Tour begonnen. Eine Information, die nur so semi-beruhigend ist und eher die Frage aufwirft, wie hart das Studium in Irland sein kann, wenn du schon ab mittags durch die Pubs ziehen kannst.

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Frühstück im Brooks, dem Café, das zum Hotel gehört. Fast alle Tische sind besetzt. Ich deute das als gutes Zeichen. Die Gäste sind hauptsächlich ältere Damen und Herren sowie Familien mit kleinen Kindern. Somit fallen wir genau in den Durchschnitt. Zumindest in meinen Augen.

Unser Frühstück reicht von gesund (Avocado-Toast für die Tochter) über deftig (Irish Breakfast für meine Frau) und süß (French Toast für mich) bis noch süßer (Stack of Pancakes mit Nutella und Ahornsirup für alle, das heißt hauptsächlich für mich, denn die anderen beiden sind schon satt).

Wir nehmen so viel Kalorien zu uns, als müssten wir gleich schon 20 Kilometer wandern. Müssen wir aber nicht. Heute fahren wir fünf Stunden Zug mit dreimal umsteigen. Aber auch dafür musst du gestärkt sein, das Gepäck trägt sich schließlich nicht von allein.

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Wir durchqueren einen kleinen Park. Am Eingang begrüßt uns eine freundlich Banddurchsage, die uns dann ermahnt, Rücksicht auf andere zu nehmen, Abfall in den vorgesehenen Mülltonen zu entsorgen, und für den Fall, dass man einen Hund mit sich führt, gefälligst dessen verdammte Kacke wegzuräumen. Okay, im Englischen klingt das etwas freundlicher. „Please, clean up after your dog.“ Die Ansage endet mit einem versöhnlichen. „Enjoy your walk”.

Ich weiß nicht, ob es mit der Lautsprecher-Pädagogik zusammenhängt, aber der Park ist tatsächlich sehr sauber. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass in den Semesterferien keine Student*innen da sind, die den Park vermüllen.

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Unsere Zugreise führt uns von Carlow über Kildare, Portlaoise und Mallow nach Tralee. Um die Fahrkarten hat sich die Tochter gekümmert. Die haben die Größe einer Kreditkarte und auf ihnen ist der Name des Reisenden, die Anfangs- und Endstation sowie die Reservierungen für die unterschiedlichen Züge abgedruckt. Die Umsteigehalte allerdings nicht. Die musst du dir so merken.

Meine Frau und ich sind dazu nicht in der Lage, wir müssen alle fünfzehn Minuten die Tochter danach fragen. Die erträgt das mit bemerkens-werter Geduld. (Das ist aber auch nur recht und billig, denn wir haben sie schließlich früher gefüttert, gewickelt und in den Schlaf gewogen. Außerdem bezahlen wir ihr Studium in Irland.)

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In den Zügen kannst du oberhalb deiner reservierten Plätze deinen Namen digital einblenden lassen. Datenschutzrechtlich ist das zwar etwas bedenklich, aber es macht trotzdem Spaß, im Zug deinen Namen zu lesen, denn es gibt dir das Gefühl von Prominenz und Wichtigkeit. Außerdem erleichtert es die Platzsuche.

Unsere reservierten und namentlich gekennzeichneten Sitze sind trotzdem belegt. Von drei kräftig gebauten Männern. Die haben nicht die gleichen Namen wie wir, aber auf ihren Plätzen sitzen bereits ein paar Frauen. Die wir nun vertreiben müssen. Die Männer sichern uns aber Unterstützung zu, falls wir um die Sitze kämpfen müssen.

Das ist aber nicht nötig. Die Frauen gehen einfach zu ihren eigenen Plätzen, auf denen es sich jemand anderes bequem gemacht hat.


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