Irisches Tagebuch, 09. Juni | Dublin: Wo sind all die Tiere hin?

Wir waren wandern. In Irland. Hier gibt es den Bericht. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Ihnen Ihre Lebenszeit nichts wert ist und Sie alle Beiträge der Irischen Tagebücher lesen möchten, werden Sie hier fündig.


6 Uhr. Ich bin wach. Hellwach. Wenigstens schlafe ich seit zwei Tagen ein Stündchen länger und wache nicht mehr zu meiner üblichen Berliner Weckerklingeln-unter-der-Woche-Uhrzeit in auf. (Nimm das, Kapitalismus!)

Recherchiere am Handy nach Frühstücksoptionen. Die Auswahl ist riesig. In Dublin haben in den letzten Jahren viele neue Cafés mit nachhaltigen, ökologisch tadellosen und sozial unverdächtigen Angeboten aufgemacht. Die verwendeten Zutaten sind selbstverständlich regional, bio, fair, häufig vegetarisch, manchmal vegan. Schon beim Lesen fühle ich mich gesünder und moralisch gut. Die Speisen reichen von Seitan-Würstchen über glutenfreie Sandwiches, Smoothie-Bowls, Humus auf Dinkel-Toast, Chia-Porridge bis zu Avocado-Bagels und vielem mehr, was das Öko-Hipster-Herz erfreut. Komme mir vor wie ein Character in einer Sims Special Edition „Prenzlauer Berg“.

Die Fülle der Cafés überfordert mich. Ich habe keine Ahnung, wo wir hingehen sollen. Beim Wandern war das einfacher. Da hattest du dein B+B, es gab einen Frühstücksraum, du konntest aus drei bis vier Gerichten auswählen, dazu wurde Filterkaffee getrunken und fertig war die Laube. Beziehungsweise das Frühstück.

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Irisches Tagebuch, 08. Juni | Bus- und Zugfahrt – Von Dingle nach Dublin

Wir waren wandern. In Irland. Hier gibt es den Bericht. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Ihnen Ihre Lebenszeit nichts wert ist und Sie alle Beiträge der Irischen Tagebücher lesen möchten, werden Sie hier fündig.


6 Uhr. Wache durch ein summiges Brummen auf. Oder ein brummiges Summen. Wenigstens eine Stunde später und nicht durch meinen inneren protestantischen Arbeitsethiker. Dafür durch eine Wespe von beachtlicher Größe – und Lautstärke –, die sich in unserem Zimmer verirrt hat.

Die Wespe fliegt am Fenster hin und her, um einen Ausgang zu finden. Kaum dotzt sie 38-mal gegen die Scheibe und schon bemerkt sie, dass der geöffnete Fensterspalt den Weg nach draußen ermöglicht. Genau der Spalt, durch den sie zwei Minuten vorher reingeflogen kam. Wenigstens schafft sie es allein in die Freiheit und ich muss nicht aufstehen, um sie rauszubefördern.

Nun bin ich hellwach. Auf der Nachbarweide sind die Kühe zurück. Sie kauen erstaunlich geräuschvoll. Ich könnte meine Frau wecken und sie darüber informieren, lasse es aber lieber bleiben. Ein paar frühe Vögel, auf der Suche nach dem Wurm, zwitschern lautstark. In der Ferne miaut eine Katze. In die ländliche Tiergeräusch-Idylle mischt sich das sonore Schnarchen aus dem Nachbarzimmer.

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Irisches Tagebuch, 08. Juni | Bus- und Zugfahrt – Von Dingle nach Dublin (Teil 2)

Teil 1


Den Rest der Fahrt kann ich endlich genießen, denn ich denke, dass sich das Fahrkarten-Problem erledigt hat. Bei unserer Ankunft in Dublin stellt sich heraus, dass diese Annahme so vorläufig wie falsch war.

De Bahnsteige kannst du nur durch eine Absperrung verlassen. Diese öffnet sich erst, wenn du dein Ticket einscannst. Natürlich ein gültiges. Sonst bewegt sich bei der Absperrung nichts.

Ich überlege, was wir jetzt tun können. Vielleicht verbringen wir einfach den Rest unseres Lebens auf dem Bahnsteig. So wie der Mann, von dem ich mal gelesen habe, der 18 Jahre auf dem Pariser Flughafen lebte, weil er keine gültigen Papiere hatte.

Bevor meine Schweißdrüsen hochfahren können, scheucht uns die Tochter zu dem Ausgang für Rollstuhlfahrer*innen sowie Menschen mit Rädern oder sperrigem Gepäck. Dort gibt es keine Absperrung und wir huschen mit der Menge hinaus. Ich frage lieber nicht, woher die Tochter so schnell wusste, wie du den Dubliner Bahnhof ohne Fahrschein verlässt.

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Zum Hotel sind es ein paar Stationen mit der Tram, die in Dublin Luas heißt. Mein Bedarf an klandestinem Fahren ohne Ticket ist für heute – und die nächsten acht Jahre – gedeckt und wir gehen zum Ticketautomaten. Dort darf ich doch noch den doofen Touri geben.

Der Automat zeigt Dutzende von Ticketmöglichkeiten an. Für eine oder mehrere Zonen, für Tages-, Wochen- und Monatskarten, für peak- und off-peak-Zeiten, für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Senioren und so weiter und so fort. Ich habe keine Ahnung, welches Ticket wir kaufen müssen. Eigentlich fühle ich mich nicht wie ein doofer Touri, sondern wie ein tattriger Greis, der technologisch abgehängt ist und sich in dieser schnelllebigen Zeit nicht mehr zurechtfindet.

Mit ein paar flinken Fingerbewegungen auf dem Touchscreen wählt die Tochter die richtigen Karten für uns aus. Jetzt fühle ich mich erst recht wie ein überforderter Tattergreis. Trotzdem bietet mir in der Tram niemand einen Sitzplatz an.

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Unser Hotel gehört zu einer internationalen Kette. Die Zimmer sind seelenlos-modern gestaltet, verfügen aber über eine integrierte Küchenzeile für die Selbstversorgung. Für zwei Nächte zu Dritt müssen wir einen selbst für Dublin horrenden Preis in mittlerer dreistelliger Höhe zahlen. Auf den Bildern im Internet sieht das Hotel ganz nett aus, aber auch nicht wie das Adlon, wo ich solche Preise vermuten würde. (Ich habe keine Ahnung, was Zimmer im Adlon kosten. Wahrscheinlich 500 pro Nacht. Für die Besenkammer.)

Allerdings konnte ich für dieses Wochenende trotz intensiver Recherche keine günstigere Alternative finden. Abgesehen von einem schäbigen Wohnwagen 50 Kilometer außerhalb von Dublin für 350 Euro sowie ein Hostel für 300 Euro. In einem 12er-Schlafsaal mit Gemeinschaftsdusche. Mit Mitte/Ende 40 weiß ich einen gewissen Komfort und vor allem meine Privatsphäre zu schätzen. Somit war es keine Option, in einem fragwürdigen Wohnwagen zu übernachten oder mit einem Dutzend fremder Menschen in einem Raum zu nächtigen. Vor allem als ich feststellte, dass die 300 Euro in dem Hostel der Preis für eine Nacht war.

An der Rezeption empfängt uns eine junge Frau. Nachdem sie uns eingecheckt hat, erklärt sie, unser Zimmer läge im Nachbargebäude. Um dorthin zu gelangen, müssen wir den Innenhof durchqueren. Dort stehen ein paar verwaiste orangene und lila Fahrräder von Essenslieferdiensten herum, die es auch in Berlin und wahrscheinlich in jeder Metropole weltweit gibt. Auf einer Bank sitzen zwei junge Männer und rauchen einen Joint, ein Obdachloser räumt seinen Einkaufswagen auf.

Das Zimmer ist mit einem Doppelbett und einem Schlafsessel ausgestattet. Außerdem gibt es einen kleinen Tisch mit drei Stühlen. Damit ist der Raum vollständig ausgefüllt. Soweit alles wie erwartet. Unerwartet ist dagegen der Geruch. Das Zimmer riecht stark nach Farbe. Als sei es kürzlich geweißt worden. Gestern vielleicht. Oder vor ein paar Stunden.

Nun tue ich etwas, was für mich eher unüblich ist und mich selbst überrascht. Ich gehe an die Rezeption und beschwere mich. Das widerspricht meinem Naturell und meinem Bestreben, keine Umstände machen zu wollen. Bei dem Preis, den wir bezahlen, möchte ich aber ungern das Gefühl haben, in einem Farbeimer zu übernachten.

Dennoch möchte ich gegenüber der Hotelmitarbeiterin selbstverständlich nicht den polternden und fordernden Teutonen geben. Deswegen lege ich eine Höflichkeit an den Tag, die leicht ins Unterwürfige spielt. Ich erkundige mich, ob es möglicherweise sein könnte, also ganz eventuell, dass unser Zimmer unter Umständen kürzlich frisch gestrichen worden sei. Aufgrund des nicht ganz unerheblichen Farbgeruchs sei diese Möglichkeit nicht vollkommen auszuschließen.

Die junge Frau geht an den Computer und sucht nach irgendetwas. Sehr lange. Ich weiß nicht, nach was. Vielleicht checkt sie ihre Social-Media-Accounts.

Schließlich sagt sie, es gäbe im System keine Bemerkung zu unserem Zimmer, dass es in den letzten Tagen renoviert worden sei. Sie könne uns aber einen Luftreiniger hochbringen lassen. Dazu müssten wir allerdings für ein paar Stunden rausgehen, denn die Maschine würde nicht nur üble Gerüche aufsaugen, sondern auch den Sauerstoff.

Ich erkläre, dies sei schwierig, da wir den Abend im Zimmer verbringen wollten. Damit weiterhin nicht der Eindruck entsteht, ich würde mich beschweren, streue ich eine Reihe von „I am afraid“, „unfortunately“ und „very sorry“ ein.

Die Mitarbeiterin blickt erneut für längere Zeit auf den Monitor – wahrscheinlich sind jetzt die restlichen Social-Media-Accounts dran. Dann erklärt sie, sie habe ein anderes Zimmer für uns gefunden. Das liegt zwar immer noch im Hinterhaus, dafür ist es aber auf der obersten Etage und mehr als doppelt so groß. Vielleicht sollte ich mich häufiger überwinden und nachfragen, wenn etwas nicht passt.

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Wir sind des vielen vielen Pub-Foods der letzten Tage überdrüssig. Meine Frau will außerdem endlich mal wieder etwas Gesundes essen. Sie schlägt vor, dass wir die Küchenzeile unseres Zimmers nutzen und uns selbst bekochen. Die Urlaubskasse findet die Idee prima.

In einem kleinen Supermarkt um die Ecke holen wir Nudeln und Tomatensauce. Meine Frau besteht noch auf Salat, Tomaten und Paprika. Sie meint es mit dem „endlich mal wieder etwas Gesundes essen“ anscheinend tatsächlich ernst. Aber auch nicht zu ernst. Sie packt noch eine Packung Crisps in unseren Einkaufskorb. Damit diese sich nicht so allein fühlen, lege ich ein paar Kekse dazu.

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Nach dem langen Reisetag sind wir müde und würden am liebsten im Hotel bleiben. Wenn du aber schon mal in Dublin bist und so viel dafür bezahlst, bist du quasi verpflichtet, rauszugehen und möglichst viel von der Stadt zu sehen. Wobei die teure Unterkunft eigentlich dafür spricht, sie möglichst wenig zu verlassen, um sie ausgiebig zu nutzen

Wir beschließen, auf ein Getränk in einen Pub zu gehen. Die Urlaubskasse findet das nur so mittel. Vor allem als sie feststellt, dass die Preise in Dubliner Pubs noch höher als auf dem irischen Land sind.

An der Theke unterhalten sich zwei Männer. Sie sind ungefähr Ende 20. Der eine ist Einheimischer, der andere Amerikaner auf Backpacking-Tour in Irland. Sie smalltalken. Anderthalb Stunden und drei Guinness später hat der Ire seinen Arm um die Schulter des Amerikaners gelegt. Vielleicht ziehen sie bald zusammen.

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Im Hotel telefonieren wir kurz mit dem Sohn. Er hätte sich heute etwas erkältet gefühlt. Mit einem kräftigen Husten unterstreicht er seine Aussage. Deswegen sei er heute nicht in der Schule gewesen und habe sich stattdessen ausgeruht. Morgen steige schließlich die große Fete für seinen Freund T., der von seinem Austauschjahr in den USA zurückkommt, und da müsse er fit sein.

Schön, dass der Sohn auf seine Gesundheit und seine School-Life-Balance achtet.


Gewinnspiel

Die For Me-Karten wurden verlost und die Gewinnerinnen benachrichtigt. Herzlichen Dank an alle, die so fleißig kommentiert haben, und den Gewinnerinnen viel Spaß beim Festival.


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Irisches Tagebuch, 07. Juni | Etappe 4: Von Dunquin nach Cuas (Teil 2)

Teil 1


Vor einer Schule wartet Dingle Dude. Wir sollen links abbiegen. In der Ferne sehe ich einen Hund. Eine Art Collie-Mischling. Oder so etwas ähnliches. Meine Hundeexpertise ist in den letzten paar Stunden nicht größer geworden. Auf jeden Fall ist der Hund nicht so klein, dass er mir vollkommen egal ist. Dingle Dude hat sich auch schon aus dem Staub gemacht.

Hoffentlich sieht der Hund uns nicht als Eindringlinge an und jagt uns zurück zu den Kühen. Oder zur Töpferei. Oder nach Dunquin.

Wir bleiben ganz eng beieinander. Vielleicht hält er uns dann für ein Rudel und hat Respekt vor uns. Im Gänsemarsch schieben wir uns langsam an ihm vorbei und vermeiden jedweden Blickkontakt. Der Hund beäugt uns misstrauisch, stuft uns als ungefährlich ein und trottet von dannen.

Knapp 300 Meter später kommt ein Haus zu unserer linken. Im Hof liegt ein Hund. Wieder eine Collie-Mischung. Oder was auch immer das eben war. Der Hund hebt kurz den Kopf, mustert uns und döst weiter. Die Hunde hier scheinen uns nicht als Gefahr ernst zu nehmen. Das ist beruhigend, gleichzeitig aber ein wenig kränkend.

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Wir gehen auf einem staubigen Weg durch die Ausläufer eines Wohngebiets. Auf einem Grundstück steht ein älterer Mann und winkt. Ich winke zurück.

Von hinten kommt ein monströs großer Traktor angefahren. Der Fahrer winkt, ich winke zurück. Auf dem Anhänger steht ein Mann. Er winkt auch, ich winke zurück. Die Tochter sieht aus, als würde sie ihn am liebsten vom Hänger schubsen, um an seiner Stelle mitzufahren.

Ein Hund rennt hinter dem Traktor her. Schon wieder diese Collie-Mischung-Art. Entweder ist es hier gesetzlich untersagt, andere Hunderassen zu halten, oder es ist immer der gleiche Hund, der uns gehörig verarscht.

Es ist heiß und kein Lüftchen sorgt für etwas Abkühlung. Meine Frau ist erschöpft, der Tochter schmerzen die Füße. Beide trotten schweigsam und mit überschaubar guter Laune den Weg entlang. Ich fühle mich noch ziemlich gut, erkläre aber, meine Hüfte täte schon auch ein wenig weh, damit ich als vollwertiges Mitglied unserer kleinen Wandergruppe zähle. Frau und Tochter sagen nichts dazu. Meine Lippenbekenntnisse reichen wohl nicht aus, um zum Club der Versehrten zu gehören.

Am letzten Haus des Ortes sitzt eine Familie vor der Tür. Die Eltern winken. Noch schöner wäre es, wenn sie uns eiskalte Cola reichen würden. Ich winke trotzdem zurück. Vielleicht zerre ich mir bei der ganzen Winkerei die Schulter und meine Frau und die Tochter akzeptieren mich dann doch als einen der ihren.

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Die letzten zwei Kilometer brechen an. Mittels einer kleinen Leiter überqueren wir einen Zaun, um auf einen engen, knapp 30 Zentimeter breiten Pfad zu gelangen. Er ist links von dornigen Ranken und rechts von Brennnesseln gesäumt. Ich trage kurze Hosen.

Die Schafe der benachbarten Weide recken ihre Hälse über den Zaun und schauen mir zu, wie ich über den Weg tripple. Bestimmt haben sie Wetten abgeschlossen, ob ich mir zuerst die linke Wade zerkratze und dann das rechte Bein verbrennnessle oder umgekehrt. Überraschend gewinnt der Außenseiter-Tipp „Der Trottel mit dem Zottelbart kommt vollkommen unbeschadet durch.“

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Nach insgesamt 26 Kilometern erreichen wir das Ziel der heutigen Etappe und des gesamten Wandertrips: den Pub An Bóthar in Cuas. Meine Frau und die Tochter sind zu kaputt, als dass wir uns jubelnd in die Arme fallen könnten. Wir nicken uns zu.

Cuas ist so klein, dass der Ort keine offizielle Website und keinen Wikipedia-Eintrag hat. Somit habe ich keine Angaben zur Einwohner*innenzahl, schätze aber, sie liegt im sehr niedrigen dreistelligen, vielleicht sogar im zweistelligen Bereich.

Berühmtester Sohn der Region ist der irische Heilige St. Brendan. Der segelte im sechsten Jahrhundert in der Nähe von Cuas von Brandon Creek aus los, um den Garten Eden zu erreichen. Überraschenderweise kam er dort nie an, dafür aber angeblich in Amerika. Fast 900 Jahre vor Christoph Kolumbus.

Ob das wirklich stimmt, ist nicht belegt. Falls ja, hat der Heilige Brendan in Amerika weit weniger Eindruck hinterlassen als Kolumbus und hat den amerikanischen Ureinwohner*innen weder Pocken, Masern und Influenza noch Ausbeutung und Auslöschung gebracht, was diese sicherlich begrüßt haben.

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An Bóthar ist der einzige Pub im Umkreis von mehreren Kilometern. Gerade als wir uns gesetzt haben, geht die Tür auf. Das amerikanische no-nonsens Paar, das wir im Frühstückraum in Annascaul gesehen hatten, betritt den Pub. Beide humpeln stark. Anscheinend war ihre Ausrüstung doch nicht so professionell. Oder sie sind weniger erfahrende Wander*innen, als ich dachte. Oder beides.

Wir bestellen zwei Beef-Burger (für meine Frau und mich) sowie einen vegetarischen Gemüse-Pattie-Burger (für die Tochter). Auf den Burgern sind autoreifengroße, frittierte Zwiebelringe drapiert, von denen du allein satt werden könntest. Außer du bist fast 26 Kilometer gewandert. Dann willst du mehr als frittierte Autoreifen essen.

Geschmacklich rangieren die Burger und die Chips eher im Mittelfeld. Zum Nachtisch gönnen wir uns warme Brownies mit Vanilleeis. Nach 92 Wander-Kilometern in vier Tage haben wir uns das verdient. Finden zumindest wir. Dingle Dude nickt, wir geben ihm ein Stück Brownie ab.

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An Dooneen – The Hurley Farm, unser B+B für heute Nacht, liegt in Kilcooley, circa fünf Kilometer vom Pub entfernt. Ein Ort, der so klein ist, dass Cuas dagegen als Großstadt-Metropole gilt.

Wir warten vor dem Pub auf usnere Landlady Mary, die uns freundlicherweise abholt. Ich hatte im Vorfeld einen angeregten Mailaustausch mit ihr, um unsere Ankunfts- und Abholzeit abzuklären. Aufgrund ihres Namens und weil sie immer so schnell geantwortet hat, hatte ich das Bild einer 35-bis 40-jährigen Frau vor Augen. Keine Ahnung warum.

Aus dem Auto, das auf den Parkplatz vom An Bóthar einbiegt, steigt eine schätzungsweise Mittsiebzigerin mit schwarz gefärbtem Haar aus. Ihre Stimme ist erstaunlich tief und kratzig. Ich schätze, sie hat in ihrem Leben den ein oder anderen Whiskey getrunken.

Mary fährt einen ziemlich flotten Stiefel und stört sich nicht weiter daran, dass die Straße kurvenreich und eng ist. Entgegenkommenden Fußgänger*innen weicht sie kaum aus und das Tempo verringert sie auch nur geringfügig. Interessant, das mal aus der anderen Perspektive zu erleben.

Ich winke den Menschen freundlich zu, damit nicht das letzte, was sie sehen, ein muffeliger Deutscher ist.

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Das An Dooneen entpuppt sich als das B+B-igste B+B unserer Reise. Mary betreibt es seit über 50 Jahren, hat es stil- und liebevoll mit alten Möbeln eingerichtet und der Teppich ist so dick, dass er es mit seinem Kollegen im Dinn Rí in Carlow aufnehmen kann.

Mary führt uns eine steile, knarzende Treppe hinauf zu unserem Zimmer. Von diesem aus haben wir einen Ausblick auf weite Felder, Hügel und den St. Brandon.

Nebenan ist eine Weide. In kurzen Abständen schauen ein paar schwarz-weiß gefleckte Kühe vorbei und verschwinden wieder. Ich kommentiere das jedes Mal mit: „Da sind die Kühe wieder.“ und „Jetzt sind sie weg.“ Meine Frau zuckt irgendwann mit dem linken Auge und ich glaube sie setzt diesen Moment auf ihre „Warum eine Scheidung nicht vollkommen ausgeschlossen ist“-Liste.

Die Wände des Hauses sind sehr dünn. Im Nachbarzimmer unterhalten sich zwei Personen. Unglücklicherweise verstehen wir nicht jedes Wort. Das ist ja immer wahnsinnig nervig, wenn du die Gespräche andere Menschen nur halb belauschen kannst.

Ich befürchte, unser Fernseher könnte zu laut sein und unsere Zimmernachbar*innen stören. Tut er aber nicht. Zumindest beschwert sich niemand. Vielleicht weil sie wissen, was noch kommt. In der Nacht wird im Nachbarzimmer ein derartiges Schnarchgelage veranstaltet, das ich überlege, ob dort vielleicht ein Dutzend kanadische Holzfäller übernachtet.

Nun weiß ich wenigstens, warum auf der Packliste unseres Reiseanbieters Ohrstöpsel standen.


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Irisches Tagebuch, 07. Juni | Etappe 4: Von Dunquin nach Cuas

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Wache wieder kurz nach 5 auf. Versuche meinem Körper klarzumachen, wir wären im Urlaub und müssten nicht arbeiten. Er könnte ruhig noch zwei Stündchen schlafen, das wäre gar kein Problem, sondern voll supi. Mein Körper antwortet nicht, schläft aber auch nicht mehr ein. (Vielleicht mag er es nicht, wenn jemand „voll supi“ sagt.)

Ich weiß nicht, welcher Wochentag ist und im wievielten B+B wir geschlafen haben. Ich sehe das positiv. Als Zeichen maximaler Erholung und Entspannung und nicht des fortschreitenden Verfalls meines Denk- und Erinnerungsvermögens. Außerdem weiß ich noch, was ich jeden Morgen zum Frühstück hatte. So schlecht kann es um mein Gedächtnis nicht bestellt sein. Vielleicht ist das meine Inselbegabung. Oder ich bin so verfressen, dass ich immer an Essen denke.

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Irisches Tagebuch, 06. Juni | Etappe 3 – Von Dingle nach Dunquin

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Heute Morgen konfrontieren meine Frau und die Tochter mich mit schweren Anschuldigungen: Ich hätte heute Nacht geschnarcht. Das kann nicht stimmen, denn ich schnarche nie. Aufgrund der vielen Burger der letzten Tage kann es allenfalls sein, dass ich im Schlaf geringfügig lauter geatmet habe. Egal, ohne audiovisuellen Beweis weise ich diese infame Unterstellung entschieden zurück. Und ohne Anwalt werde ich mich nicht weiter äußern. Ich habe alle Folgen Boston Legal geschaut, da weiß ich, wie ich mich in solchen kniffligen Situationen juristisch schadlos halte.

Ich glaube, meine Frau und die Tochter sind einfach schlecht gelaunt. Die mehr als 40 Kilometer Wanderung der letzten beiden Tage haben ihre Spuren hinterlassen. Meine Frau klagt über zwickende Waden, die Tochter hat zwei Blasen an den Füßen. Ich spüre lediglich meine Hüftknochen etwas stärker als gewöhnlich. Richtig schlimm ist es nicht, ich betone es aber trotzdem. Damit ich nahbarer und Teil der Gruppe bin. Insbesondere nach den Schnarch-Anschuldigungen. (Den unbewiesenen Schnarch-Anschuldigungen, wie ich betonen möchte.)

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Irisches Tagebuch, 06. Juni | Etappe 3 – Von Dingle nach Dunquin (Teil 2)

Teil 1


Kilometer 14. Wir wollen eine Pause machen, finden aber keinen guten Ort zum Hinsetzen. Ohnehin ist die Zahl der Bänke entlang des Dingle Ways eher überschaubar. (Dingle Dude zuckt entschuldigend mit den Schultern.)

Wir hocken uns schließlich einfach an den Wegesrand. Zum Essen gibt es die Sandwiches, Rosinenbrötchen und Chips beziehungsweise Crisps. Richtig gemütlich ist unser Platz nicht und wir brechen bald wieder auf.

250 Meter weiter kommen wir an einem großen, flachen Felsbrocken vorbei. Ein idealer Rastplatz mit phantastischem Ausblick über die grünen Hügel und aufs Meer. Der Dingle Way kann also doch gute Sitzmöglichkeiten vorweisen. (Dingle Dude nickt zufrieden.)

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Der Weg bleibt steil, wird noch steiler und dann viel steiler. Dafür ist der Untergrund steinig und rutschig. Die Sonne brutzelt weiter.

Wir gehen an einer der vielen Steinmauer entlang, die die Hügel durchziehen. Auf einer Wiese stehen mehrere Steingebäude, die aussehen wie Bienennester. Ich hoffe, sie sind menschengemacht und nicht von riesigen Bienen, die ihre Nester aus Steinen bauen.

Nach zweieinhalb Kilometern Anstieg ist der höchste Punkt erreicht. Zur Belohnung dürfen wir mit Hilfe einer Leiter über ein Gatter klettern und über eine Schafweide laufen. Die Schafe sind klar in der Überzahl. 80:1 schätze ich. Dingle Dude spricht uns Mut zu: „Don’t be shy, mates, just move on.“

Wir halten respektvollen Abstand zu den Schafen. Zumindest versuchen wir es. Das ist nicht einfach, denn es sind so viele. Ganz am Rand an der Steinmauer zu laufen, funktioniert nicht, denn dort haben es sich ein paar Schafe im Schatten bequem gemacht.

Mir fällt auf, dass auch die weiblichen Schafe Hörner haben. Ich dachte bisher, dass nur Böcke damit ausgestattet sind. Vielleicht handelt es sich um eine besondere Rasse, die sich im Laufe der Evolution Hörner zugelegt hat, um nervige Wander*innen von ihrer Weide zu jagen. Die Schafe schauen uns aber lediglich mit einer Mischung aus Gleichgültigkeit und Phlegma an. Wir durchqueren die Weide unbehelligt.

Als wir wieder über das Gatter klettern, applaudiert uns Dingle-Dude: „Good job, mates, good job.“

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Jetzt geht es kontinuierlich bergab. Was nicht viel angenehmer als der Aufstieg ist, denn es ist steil und auch steinig und rutschig. Als wir unten angekommen sind, können wir uns an einem Bach abkühlen.

Ich benetze mir Hände und Arme und schütte mir kaltes Wasser über den Kopf. Fühle mich wie in einem Abenteuer-Film, in dem ich auf einer Insel gestrandet bin und diese durchqueren muss.

Das ist zum Glück nicht der Fall. Ich verfüge über keinerlei Fähigkeiten, die hilfreich wären, um eine Nacht in der Wildnis zu überleben. Bei einer Gruppe von Überlebenden eines Flugzeugabsturzes wäre ich der erste, der von den anderen gegessen wird, weil ich zu sonst nichts zunutze bin.

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Kilometer 19. Die Moral unserer familiären Wandergruppe lässt zunehmend zu wünschen übrig. Die Tochter plagt sich weiter mit ihren Blasen rum, meine Frau klagt über Schmerzen in den Beinen. Mir geht es immer noch ziemlich gut. Ich sage trotzdem wieder, dass meine Hüfte zwicken, um mich dazugehörig zu fühlen. Die anderen glauben mir nicht, sind aber zu erschöpft, um mir zu widersprechen.

Unsere Wegbeschreibung kündigt ein „lovely“ Café an. Das kommt uns sehr gelegen, denn es gelüstet uns nach kalter Cola und mich nach Apple Pie. Daraus wird nichts, das Café hat heute geschlossen. How unlovely. 500 Meter weiter kommt ein weiteres Café. Es hat ebenfalls zu. How very unlovely.

Für die Stimmung der Truppe ist das nicht förderlich. „Sorry, mates“, entschuldigt sich Dingle Dude und trottet mit hängenden Schultern vorweg.

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Nach fast sechseinhalb Stunden Wanderzeit erreichen wir das Ortsschild von Dunquin. Im Deutschen bedeutet Dunquin so viel wie „freundliche Festung“. Ausgesprochen wird der Name wie Freddy Quinn, nicht wie Dunkin’ Donuts, wie ich dachte. Wobei ich persönlich eine Festung, in der es Donuts gibt, freundlicher fände als eine, in der ein 50er-Jahre-Schlagersänger „Brennend heißer Wüstensand“ singt.

Dunquin hat ungefähr 160 Einwohner*innen, zu den berühmtesten Töchtern und Söhnen zählen verschiedene Literat*innen und (Folk-)Musiker*innen, deren Bekanntheitsgrad sich außerhalb Irlands knapp über Normalnull bewegt. (Möglicherweise auch außerhalb von Dunquin.)

Am Ortseingang gibt es eine Art Aussichtsplattform, die einen spektakulären Blick auf zerklüftete Klippen, das Meer und Blasket Island ermöglicht. Richtig genießen können wir den Ausblick nach mehr als 23 Kilometer in den Beinen aber nicht mehr.

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Bis zu unserem B+B An Portán müssen wir noch ein gutes Stück durch Dunquin. Die Strecke zieht sich. An jeder Biegung denken wir, das B+B müsste jetzt endlich auftauchen. Das tut es aber erst nach einem guten Kilometer. Wir werden von Geraldine empfangen. Sie strahlt weniger irische Fröhlichkeit, sondern mehr britische Zurückhaltung aus. (Vielleicht ist sie Protestantin.)

Das B+B besteht aus einem Haupthaus sowie einer Gruppe von zwölf bis fünfzehn Bungalows. Es erinnert mehr an ein Motel als an ein klassisches B+B. Wenigstens heißen die Besitzer*innen nicht Bates.

Wer auch immer für die Innenarchitektur der Zimmer zuständig war, hat sein Faible für Brauntöne ausgelebt. Die Wände sind ockerfarben, Türen, Möbel und Fußleisten aus dunklem Holz. Bei dem bräunlichen Teppichboden hoffe ich, dass er ursprünglich nicht weiß war.

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Bevor wir Essen gehen, muss ich einen Anruf tätigen. Ich telefoniere generell nicht gerne, in einer anderen Sprache schon gar nicht. Für morgen hat unser Reiseanbieter aber ein Taxi für uns organisiert, das uns am Ende der Wanderetappe abholt an einem Pub abholt und zu unserem B+B bringt. Allerdings bereits um 17 Uhr, was uns zu früh ist, denn wir würden gerne vorher essen.

Ich rufe bei dem Taxiunternehmen und hoffe, dass, war auch immer abhebt, nicht ausschließlich gälisch spricht. Ich habe Glück. Ein freundlicher Mann meldet sich in einigermaßen gut verständlichem Englisch. Wir spielen kurz das „How are you?“ – „How are you?“-Spiel, dann schildere ich kurz mein Anliegen, dass wir gerne erst um 19 Uhr abgeholt werden möchten.

In meiner Berliner Großstadt-Ignoranz bin ich überrascht, als er mir erklärt, dies sei leider möglich. Sie würden nur bis 17.30 Uhr fahren. Wahrscheinlich, weil es später in der Gegend ohnehin kaum Bedarf an Taxifahrten gibt. Außerdem wollen die Taxifahrer*innen auch irgendwann in den Pub. Wir verbleiben so, dass ich mich nochmal melden würde, wenn ich eine alternative Fahrmöglichkeit gefunden hätte.

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Der einzige Pub im Ort ist Kruger’s Bar. Laut eigenen Angaben ist es der westlichste in Irland und Europa. 1971 wurde hier die Campaign for Real Ale (CAMRA) gestartet, eine Initiative, die die Interessen der Biertrinker*innen und Pub-Besucher*innen in Irland und Großbritannien vertritt. Schön, dass es Menschen gibt, die sich für das Gemeinwohl und den sozialen Zusammenhalt einsetzen.

Auf der Speisekarte gibt es einen vegetarischen „Beyond meat“-Burger, der es mir erlaubt meinen aus dem Ruder gelaufenen Fleischkonsum ein wenig zu reduzieren. Die Frau entscheidet sich für einen Beef Burger (quasi einen „not beyond meat“-Burger), die Tochter für eine Pizza Margherita.

Das Essen ist nicht sensationell. Wenn du über das örtliche Pub-Monopol verfügst, musst du dich nur bedingt anstrengen. Aber wir sind hungrig genug, dass es uns trotzdem schmeckt. Außerdem sind die Getränke kalt und lecker und wir können bei bestem Wetter draußen sitzen. Was willst du mehr nach einem anstrengenden Wandertag?

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Im B+B telefonieren wir mit dem Sohn. Er hat bereits die Blumen gegossen, ohne dass wir ihn daran erinnern mussten. Ihm scheint die Zeit allein nicht gut zu bekommen.


Gewinnspiel

Die For Me-Karten wurden verlost und die Gewinnerinnen benachrichtigt. Herzlichen Dank an alle, die so fleißig kommentiert haben, und den Gewinnerinnen viel Spaß beim Festival.


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Irisches Tagebuch, 05. Juni | Etappe 2: Von Annascaul nach Dingle

Wir waren wandern. In Irland. Hier gibt es den Bericht. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Ihnen Ihre Lebenszeit nichts wert ist und Sie alle Beiträge der Irischen Tagebücher lesen möchten, werden Sie hier fündig.


Wache auch heute pünktlich um 6 Uhr auf. Der arbeitswütige Preuße ist stark in mir. In Deutschland ist es jetzt 7. Wenn alles gut läuft, steht der Sohn gerade auf und geht zur Schule. Wenn nicht alles gut läuft, sammelt er ein paar unentschuldigte Fehlstunden.

Kontrolliere meine Mails. Eine Mrs. Cynthia Eddie schreibt. Sie habe eine Spende in Höhe von 9.500.000 Euro für mich. Bei den irischen Pub-Preisen käme mir ein Millionenbetrag sehr gelegen.

Körperlich geht es uns allen nach der gestrigen Wanderung gut. Es sind keine Blessuren zu vermelden. Eine wandererfahrene Kollegin meiner Frau meinte, schlimm wäre erst der dritte Tag. Danke für den Pep-Talk.

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Irisches Tagebuch, 05. Juni | Etappe 2: Von Annascaul nach Dingle (Teil 2)

Teil 1


Kilometer 14. Die Wegbeschreibung bietet zwei Optionen an. Entweder weiter den Dingle Way entlang, der nun hauptsächlich über Weiden und Feldwege führt. Oder der Straße direkt nach Dingle folgen. Wir entscheiden uns für Option 1, obwohl das anderthalb Kilometer mehr bedeutet. Aber wir wollen Dingle Dude nicht enttäuschen, der uns erwartungsvoll anschaut.

Zunächst setzen wir uns erstmal hin, um etwas zu essen. Wir packen unsere Lunch Packs aus, die wir heute früh im B+B gekauft haben. Baguettes mit Ziegenkäse und getrockneten Tomaten. Nicht besonders irisch, aber sehr lecker. Obwohl die Baguettes dreieinhalb Stunden lang ungekühlt durch die Sonne getragen wurden.

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Weiter geht’s. Wir müssen über eine kleine Leiter klettern, um auf eine abgezäunte Kuhweide zu gelangen. Meinem ängstlichen, übervorsichtigen Ich ist das nicht ganz geheuer. Das wird schon seinen Grund haben, warum es den Zaun gibt. Zum Beispiel wegen der beiden Kühe, die uns anschauen, als wir die Weide betreten. Ich fühle mich wie ein Eindringling. (Gibt es den Straftatbestand Weidenfriedensbruch?)

Die Kühe sind gut 20 Meter entfernt. Das ist nicht so nah. Außerdem wirken die beiden ziemlich teilnahmslos. Als wäre es ihnen egal, was wir da machen.

Wir gehen ganz rechts am Rand der Weide am Zaun entlang. Nach einer kleinen Biegung tauchen etwas überraschend zwei weitere Kühe auf. In 15 Metern Entfernung. Das ist schon etwas näher. Nach der nächsten Kurve sehen wir uns den nächsten beiden Kühen gegenüber. 10 Meter entfernt. Das ist schon ziemlich nah.

Die Kühe sind deutlich in der Überzahl. Solange sie uns nicht für Heu halten, sollten wir aber auf der sicheren Seite sein. Außer es sind fleischfressende Kühe, eine weitestgehend unbekannte Rasse, von der noch nie jemand etwas gehört hat, weil sie alle auffressen, die sie sehen.

Wir beschließen, die Kühe zu ignorieren. Mit starr auf den Boden gerichtetem Blick schieben wir uns an den beiden vorbei. Wir vermeiden jeden Blickkontakt sowie ruckartige Bewegungen, die als Provokation missverstanden werden könnten.

Am Ende der Weide klettern wir wieder über eine kleine Leiter. Geschafft. Dingle Dude hebt den Daumen und sagt: „Well done, mates, well done.“ Dann schickt er uns weiter nach links.

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Kilometer 18. Wir machen an einem Anstieg eine Trink-und-wir-essen-die-halb-geschmolzenen-Snickers-aus-unserem-Lunch-Paket-Pause.

Ein Mann kommt den Hang hinauf. Er hat weißes, halblanges Haar und trägt eine Sonnenbrille, ein blaues, knitterfreies Hemd, eng geschnittene Jeans sowie modische, braune Sneakers. Sieht aus wie ein Best-Ager-Model auf dem Weg zum Foto-Shooting.

Mit zügigem Schritt geht der Model-Mann an uns vorbei. Er sagt „How are you?“, wir antworten: „How are you?“ und ich finde das immer noch merkwürdig.

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Ein paar enge Wege, Kuh- und Schafweiden, Stiegen, Leitern und Hecken später sehen wir in der Ferne Dingle. Noch zwei Kilometer abwärts und wir haben die Stadt erreicht. „See you tomorrow, mates“, verabschiedet sich Dingle Dude von uns.

Dingle hat 2.000 Einwohner*innen. Die genaue Zahl der Pubs ist mir nicht bekannt, aber die Dichte scheint mir wieder sehr hoch zu sein.

Berühmtester Sohn der Stadt ist Fungi. Ein Delfin, der 37 Jahre im Hafen von Dingle lebte. Vor drei Jahren verschwand er, so dass wir ihn uns leider nicht anschauen können. Die Tochter fragt sich, warum die Stadt nicht einfach einen anderen Delfin in den Hafen steckt. Den Unterschied würde sowieso niemand bemerken. Außer der Delfin natürlich.

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Unsere Unterkunft für heute Nacht ist Brosnan’s B+B. Ob die Betreiber*innen mit Pierce Brosnan verwandt sind? Vielleicht heißt er uns persönlich willkommen und macht morgen das Frühstück. 007 – Licence to cook.

Ganz unwahrscheinlich ist das nicht. Also, dass Pierce Brosnan das Frühstück serviert schon, aber eine verwandtschaftliche Bande zwischen unseren B+B-Hosts und dem James-Bond-Darsteller ist durchaus möglich. Bei der überschaubaren Einwohner*innenzahl Irlands sind fast alle über ein paar Ecken miteinander verwandt.

Die Mutter einer irischen Freundin der Tochter hat beispielsweise in ihrer Verwandtschaft eine Cousine zweiten oder dritten Grades von Pierce Brosnan und hat ihn mal auf einer Familienfeier getroffen. Das sind meine fünfzehn Minuten Ruhm: Die Mutter der Freundin meiner Tochter ist über ein paar Dutzend Ecken mit James Bond verwandt und war mal im gleichen Raum wie er. (Autogrammwünsche bitte an info@familienbetrieb.info.)

An der Tür des B+B hängt eine handgeschriebene Notiz. Wir sollen uns zum Check-in im Nachbarhaus melden. Dort öffnet nicht Pierce Brosnan, sondern eine ältere Dame in Schürze die Tür. Die Senior B+B-Chefin.

Sie begrüßt uns und flechtet die obligatorische Wetterbemerkung ein: „The weather is lovely, isn’t it?” „Yes, beautiful.” Anschließend bringt sie uns zu unserem Zimmer.

Wir duschen erstmal und spülen uns Staub, Schweiß und Sonnenmilch von der Haut. Danach fühle ich mich vielleicht nicht wie ein neuer Mensch, aber wie ein deutlich sauberer.

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In Dingle suchen wir nach einem netten Pub fürs Abendessen. Auf dem Bürgersteig versperrt meine Frau einem Mann versehentlich den Weg. Als sie es bemerkt, geht sie zur Seite und sagt pflichtschuldig „Sorry.“ Der Mann erwidert: „You are no problem.“ und ich finde das eine ganz bezaubernde Antwort. Die Welt wäre ein freundlicherer Ort, wenn wir alle unsere Mitmenschen nicht als Problem ansehen würden. (Naja, fast alle.) Im Weitergehen sagt der Mann noch: „Lovely weather, isn’t it?“, aber bevor meine Frau ihm zustimmen kann, ist er schon weg.

Die Pub-Suche gestaltet sich schwierig. In Irland ist Feiertag und die Menschen sind ausgehfreudig. Nach mehreren erfolglosen Anläufen bekommen wir einen Platz im Marina Inn.

Die vegetarischen Optionen auf der Karte sind sehr übersichtlich. Die Tochter muss sich mit Garlic Bread begnügen. Meine Frau nimmt ihre obligatorischen Fish & Chips, ist bei der Bestellung aber nicht mehr ganz so enthusiastisch wie in den letzten beiden Tagen. Meine Wahl fällt auf den Homemade Beef Burger und ich nehme mir vor, mich in Berlin mindestens einen Monat nur von Gemüse zu ernähren. (Oder von Kuchen. Da ist ja auch kein Fleisch drin.)

Auf dem Heimweg gönnen die Tochter und ich uns ein Eis bei Murphy’s, einer lokalen Eismanufaktur, die Läden in ganz Irland hat. Die Kugel kostet rekordverdächtige sechs Euro, wird aber trotzdem nicht in einem goldenen Becher serviert. Das Eis ist gut, aber nicht unbedingt sechs-Euro-gut.

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Zurück im B+B telefonieren wir mit dem Sohn. Der ist davon überzeugt, einen grünen Daumen zu haben. Bisher sei noch keine der Balkon-Pflanzen eingegangen. Außer eine, aber die habe schon von Anfang an nicht besonders fit ausgesehen, da könne man ihm keinen Vorwurf machen.

Dann lässt er sich in die Funktionsweise der Waschmaschine einweisen, da die Zahl seiner sauberen Kleidungsstücke nur noch überschaubar ist.

Aus der Schule berichtet er, dass er Chemie zurückbekommen hat. 7 Punkte. Ohne dafür gelernt zu haben und ohne eine Ahnung vom Thema zu haben, wie er betont. Somit seien seine 7 Punkte eigentlich wie 15 Punkte. Ich bin mir nicht sicher, ob ich dieser Argumentation folgen möchte. Da er aber 7 Punkte mehr als ich in meiner letzten Chemieklausur hat, lasse ich das mal so stehen.

Zum Schluss fordert er noch seine Schwester auf, sie solle uns beim Wandern filmen. Wenn wir stolpern, hätte er etwas zu lachen. Das Alleinsein scheint ihm nicht zu bekommen.


Gewinnspiel

Die For Me-Karten wurden verlost und die Gewinnerinnen benachrichtigt. Herzlichen Dank an alle, die so fleißig kommentiert haben, und den Gewinnerinnen viel Spaß beim Festival.


Alle Beiträge der Irischen Tagebücher finden Sie hier:



Ab heute überall erhältlich, wo es Bücher gibt.

Irisches Tagebuch, 04. Juni | Etappe 1 – Von Camp nach Annascaul

Wir waren wandern. In Irland. Hier gibt es den Bericht. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Ihnen Ihre Lebenszeit nichts wert ist und Sie alle Beiträge der Irischen Tagebücher lesen möchten, werden Sie hier fündig.


Wache um 5 Uhr auf. In Deutschland ist es jetzt 6. Um diese Zeit klingelt immer mein Wecker. Auch im Urlaub bin ich ein gut konditionierter Lohnabhängiger des Kapitalismus.

Draußen gurren ein paar Tauben. Sehr ausdauernd, sehr laut und sehr penetrant. Wie in Berlin. Nur ohne Straßenlärm.

Liege zwei Stunden wach, kurz nach 7 schlafe ich ein. Eine Viertelstunde später reißt mich der Handywecker aus dem Tiefschlaf. Ich fühle mich wieder wie gerädert und weiß immer noch nicht, was das bedeutet.

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Frühstück. Für unsere Wanderung müssten wir uns ordentlich stärken, meint unsere B+B-Landlady Sorcha. Sie schlägt ein Full Irish Breakfast vor. Ich bin zwar noch satt vom gestrigen Abendessen, willige aber trotzdem ein. Erstens will ich nicht widersprechen und zweitens möchte ich später nicht irgendwo auf dem Wanderweg zusammenklappen, weil ich mich der morgendlichen Nahrungsaufnahme verweigert habe.

Der kleine Frühstücksraum ist hell eingerichtet und bietet Platz für vier Tische. Außer uns frühstücken noch zwei irische Frauen aus Dublin. Sie sind ungefähr unser Alter. Vielleicht auch nicht. Ich verschätze mich bei so etwas häufig. Die beiden denken wahrscheinlich: „Außer uns sitzt eine deutsche Familie im Frühstücksraum. Die beiden Eltern sind ungefähr fünf bis zehn Jahre älter als wir. Eher fünfzehn.“

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