Den Rest der Fahrt kann ich endlich genießen, denn ich denke, dass sich das Fahrkarten-Problem erledigt hat. Bei unserer Ankunft in Dublin stellt sich heraus, dass diese Annahme so vorläufig wie falsch war.
De Bahnsteige kannst du nur durch eine Absperrung verlassen. Diese öffnet sich erst, wenn du dein Ticket einscannst. Natürlich ein gültiges. Sonst bewegt sich bei der Absperrung nichts.
Ich überlege, was wir jetzt tun können. Vielleicht verbringen wir einfach den Rest unseres Lebens auf dem Bahnsteig. So wie der Mann, von dem ich mal gelesen habe, der 18 Jahre auf dem Pariser Flughafen lebte, weil er keine gültigen Papiere hatte.
Bevor meine Schweißdrüsen hochfahren können, scheucht uns die Tochter zu dem Ausgang für Rollstuhlfahrer*innen sowie Menschen mit Rädern oder sperrigem Gepäck. Dort gibt es keine Absperrung und wir huschen mit der Menge hinaus. Ich frage lieber nicht, woher die Tochter so schnell wusste, wie du den Dubliner Bahnhof ohne Fahrschein verlässt.
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Zum Hotel sind es ein paar Stationen mit der Tram, die in Dublin Luas heißt. Mein Bedarf an klandestinem Fahren ohne Ticket ist für heute – und die nächsten acht Jahre – gedeckt und wir gehen zum Ticketautomaten. Dort darf ich doch noch den doofen Touri geben.
Der Automat zeigt Dutzende von Ticketmöglichkeiten an. Für eine oder mehrere Zonen, für Tages-, Wochen- und Monatskarten, für peak- und off-peak-Zeiten, für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Senioren und so weiter und so fort. Ich habe keine Ahnung, welches Ticket wir kaufen müssen. Eigentlich fühle ich mich nicht wie ein doofer Touri, sondern wie ein tattriger Greis, der technologisch abgehängt ist und sich in dieser schnelllebigen Zeit nicht mehr zurechtfindet.
Mit ein paar flinken Fingerbewegungen auf dem Touchscreen wählt die Tochter die richtigen Karten für uns aus. Jetzt fühle ich mich erst recht wie ein überforderter Tattergreis. Trotzdem bietet mir in der Tram niemand einen Sitzplatz an.
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Unser Hotel gehört zu einer internationalen Kette. Die Zimmer sind seelenlos-modern gestaltet, verfügen aber über eine integrierte Küchenzeile für die Selbstversorgung. Für zwei Nächte zu Dritt müssen wir einen selbst für Dublin horrenden Preis in mittlerer dreistelliger Höhe zahlen. Auf den Bildern im Internet sieht das Hotel ganz nett aus, aber auch nicht wie das Adlon, wo ich solche Preise vermuten würde. (Ich habe keine Ahnung, was Zimmer im Adlon kosten. Wahrscheinlich 500 pro Nacht. Für die Besenkammer.)
Allerdings konnte ich für dieses Wochenende trotz intensiver Recherche keine günstigere Alternative finden. Abgesehen von einem schäbigen Wohnwagen 50 Kilometer außerhalb von Dublin für 350 Euro sowie ein Hostel für 300 Euro. In einem 12er-Schlafsaal mit Gemeinschaftsdusche. Mit Mitte/Ende 40 weiß ich einen gewissen Komfort und vor allem meine Privatsphäre zu schätzen. Somit war es keine Option, in einem fragwürdigen Wohnwagen zu übernachten oder mit einem Dutzend fremder Menschen in einem Raum zu nächtigen. Vor allem als ich feststellte, dass die 300 Euro in dem Hostel der Preis für eine Nacht war.
An der Rezeption empfängt uns eine junge Frau. Nachdem sie uns eingecheckt hat, erklärt sie, unser Zimmer läge im Nachbargebäude. Um dorthin zu gelangen, müssen wir den Innenhof durchqueren. Dort stehen ein paar verwaiste orangene und lila Fahrräder von Essenslieferdiensten herum, die es auch in Berlin und wahrscheinlich in jeder Metropole weltweit gibt. Auf einer Bank sitzen zwei junge Männer und rauchen einen Joint, ein Obdachloser räumt seinen Einkaufswagen auf.
Das Zimmer ist mit einem Doppelbett und einem Schlafsessel ausgestattet. Außerdem gibt es einen kleinen Tisch mit drei Stühlen. Damit ist der Raum vollständig ausgefüllt. Soweit alles wie erwartet. Unerwartet ist dagegen der Geruch. Das Zimmer riecht stark nach Farbe. Als sei es kürzlich geweißt worden. Gestern vielleicht. Oder vor ein paar Stunden.
Nun tue ich etwas, was für mich eher unüblich ist und mich selbst überrascht. Ich gehe an die Rezeption und beschwere mich. Das widerspricht meinem Naturell und meinem Bestreben, keine Umstände machen zu wollen. Bei dem Preis, den wir bezahlen, möchte ich aber ungern das Gefühl haben, in einem Farbeimer zu übernachten.
Dennoch möchte ich gegenüber der Hotelmitarbeiterin selbstverständlich nicht den polternden und fordernden Teutonen geben. Deswegen lege ich eine Höflichkeit an den Tag, die leicht ins Unterwürfige spielt. Ich erkundige mich, ob es möglicherweise sein könnte, also ganz eventuell, dass unser Zimmer unter Umständen kürzlich frisch gestrichen worden sei. Aufgrund des nicht ganz unerheblichen Farbgeruchs sei diese Möglichkeit nicht vollkommen auszuschließen.
Die junge Frau geht an den Computer und sucht nach irgendetwas. Sehr lange. Ich weiß nicht, nach was. Vielleicht checkt sie ihre Social-Media-Accounts.
Schließlich sagt sie, es gäbe im System keine Bemerkung zu unserem Zimmer, dass es in den letzten Tagen renoviert worden sei. Sie könne uns aber einen Luftreiniger hochbringen lassen. Dazu müssten wir allerdings für ein paar Stunden rausgehen, denn die Maschine würde nicht nur üble Gerüche aufsaugen, sondern auch den Sauerstoff.
Ich erkläre, dies sei schwierig, da wir den Abend im Zimmer verbringen wollten. Damit weiterhin nicht der Eindruck entsteht, ich würde mich beschweren, streue ich eine Reihe von „I am afraid“, „unfortunately“ und „very sorry“ ein.
Die Mitarbeiterin blickt erneut für längere Zeit auf den Monitor – wahrscheinlich sind jetzt die restlichen Social-Media-Accounts dran. Dann erklärt sie, sie habe ein anderes Zimmer für uns gefunden. Das liegt zwar immer noch im Hinterhaus, dafür ist es aber auf der obersten Etage und mehr als doppelt so groß. Vielleicht sollte ich mich häufiger überwinden und nachfragen, wenn etwas nicht passt.
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Wir sind des vielen vielen Pub-Foods der letzten Tage überdrüssig. Meine Frau will außerdem endlich mal wieder etwas Gesundes essen. Sie schlägt vor, dass wir die Küchenzeile unseres Zimmers nutzen und uns selbst bekochen. Die Urlaubskasse findet die Idee prima.
In einem kleinen Supermarkt um die Ecke holen wir Nudeln und Tomatensauce. Meine Frau besteht noch auf Salat, Tomaten und Paprika. Sie meint es mit dem „endlich mal wieder etwas Gesundes essen“ anscheinend tatsächlich ernst. Aber auch nicht zu ernst. Sie packt noch eine Packung Crisps in unseren Einkaufskorb. Damit diese sich nicht so allein fühlen, lege ich ein paar Kekse dazu.
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Nach dem langen Reisetag sind wir müde und würden am liebsten im Hotel bleiben. Wenn du aber schon mal in Dublin bist und so viel dafür bezahlst, bist du quasi verpflichtet, rauszugehen und möglichst viel von der Stadt zu sehen. Wobei die teure Unterkunft eigentlich dafür spricht, sie möglichst wenig zu verlassen, um sie ausgiebig zu nutzen
Wir beschließen, auf ein Getränk in einen Pub zu gehen. Die Urlaubskasse findet das nur so mittel. Vor allem als sie feststellt, dass die Preise in Dubliner Pubs noch höher als auf dem irischen Land sind.
An der Theke unterhalten sich zwei Männer. Sie sind ungefähr Ende 20. Der eine ist Einheimischer, der andere Amerikaner auf Backpacking-Tour in Irland. Sie smalltalken. Anderthalb Stunden und drei Guinness später hat der Ire seinen Arm um die Schulter des Amerikaners gelegt. Vielleicht ziehen sie bald zusammen.
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Im Hotel telefonieren wir kurz mit dem Sohn. Er hätte sich heute etwas erkältet gefühlt. Mit einem kräftigen Husten unterstreicht er seine Aussage. Deswegen sei er heute nicht in der Schule gewesen und habe sich stattdessen ausgeruht. Morgen steige schließlich die große Fete für seinen Freund T., der von seinem Austauschjahr in den USA zurückkommt, und da müsse er fit sein.
Schön, dass der Sohn auf seine Gesundheit und seine School-Life-Balance achtet.
Gewinnspiel
Die For Me-Karten wurden verlost und die Gewinnerinnen benachrichtigt. Herzlichen Dank an alle, die so fleißig kommentiert haben, und den Gewinnerinnen viel Spaß beim Festival.
Alle Beiträge der Irischen Tagebücher finden Sie hier:
- Vorbereitung: Wie alles begann
- Anreise (02. Juni): Da wackelt nichts
- Zugfahrt (03. Juni): Mit der Ir’schen Eisenbahne
- Etappe 1 (04. Juni): Von Camp nach Annascaul
- Etappe 2 (05. Juni): Von Annascaul nach Dingle
- Etappe 3 (06. Juni): Von Dingle nach Dunquin
- Etappe 4 (07. Juni): Von Dunquin nach Cuas
- Bus- und Zugfahrt (08. Juni): Von Dingle nach Dublin
- Dublin (09. Juni): Wo sind all die Tier hin?
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Die Oma ist klasse! 😅
Diese hohen Preise schrecken mich von einer Irland-Tour ab 😵