Mein liebes Tagebuch,
du hast dich sicherlich schon gewundert, warum ich mich so lange nicht gemeldet habe. Vielleicht hast du mich auch ein wenig vermisst? Oder dich gesorgt, ob mir etwas zugestoßen ist?
Ich kann dich beruhigen. Bei mir ist alles in bester Ordnung. Nur viel zu tun habe ich gerade. In den letzten Wochen hat mich die Erwerbsarbeit fest im Griff. In unserer gleichberechtigten Partnerschaft wird nämlich erwartet, dass ich meinen Teil zum Haushaltsbudget beisteuere. Die Kinder sollen ja ab und an eine warme Mahlzeit bekommen. Und da mich meine Kunden nicht fürs Nichtstun bezahlen – was sehr schade ist –, musste ich unzählige Konzepte, Strategiepapiere und Präsentationen entwickeln, was mich davon abhielt, soziale Kontakte zu pflegen und mich bei dir zu melden.
Für das Buchprojekt musste ich eine für mich schier unüberwindbare Hürde meistern: das Autorenfoto. Manuela Thieme vom Seitenstraßen Verlag teilte mir ganz nonchalant mit, dass sie ein gutes Foto von mir bräuchte. Meinen Einwand, sie fände eher den Heiligen Gral als ein gutes Foto von mir, ließ sie nicht gelten. Und meinen Vorschlag eine gute Kinderzeichnung von mir oder noch besser ein Bild von George Clooney zu verwenden, lehnte sie kategorisch ab. Nein, sie bestand darauf, dass ich selbst abgebildet sein müsse. Das sei authentischer. (Warum Authentizität wünschenswert und vorteilhaft sein soll, war mir schon immer ein Rätsel und in diesem Fall ganz besonders.)
Du musst wissen, mein liebes Tagebuch, die Geschichte von Foto-Shootings mit mir ist eine Geschichte voller Wut, Selbsthass und Verzweiflung. Von den Gefühlen des Fotografen ganz zu schweigen.
Fotografiert werden ist für einen Menschen wie mich, der über eine sehr eingeschränkte Mimik verfügt und ungefähr so fotogen wie eine Schrankwand ist, eine Anfechtung, die seinesgleichen sucht. Als vor vielen Jahren im Büro Mitarbeiter-Bilder gemacht wurden, gab der Fotograf nach der Sitzung mit mir seinen Job auf und lebt nun als Schafhirte in Schottland. Und ich hätte fast eine Abmahnung bekommen, da der Chef der Meinung war, ich hätte meine Fotos absichtlich sabotiert.
Manuela meinte aber, sie kenne eine ganz tolle Fotografin, mit der sie häufig zusammenarbeiteten und die immer ganz tolle Bilder mache. Sie heiße Stefanie Fiebrig und fotografiere auch bei Union Berlin. Diese Information sollte mir das ganze Vorhaben wohl schmackhaft machen, verstörte mich aber zutiefst. Stefanie macht also regelmäßig Bilder von jungen, athletischen Männern, die es gewöhnt sind, im Rampenlicht zu stehen, und Gefallen daran finden, vor der Kamera zu posieren. Quasi die Fotomodel-Antithese zu mir.
Da Manuela unerbittlich blieb, fuhr ich also nach Köpenick zu Stefanie ins Atelier. Mit dem Rad. Ein spektakulärer Fehler: Obwohl ich extrem langsam fuhr – Senioren mit Rollatoren überholten mich und zeitweise befürchtete ich, aufgrund meiner geringen Geschwindigkeit das Gleichgewicht zu verlieren –, schwitzte ich bei der Ankunft wie ein Bergmann, der nach Feierabend aus der Grube fährt. Nicht gerade die besten Voraussetzungen für seriöse Autorenfotos.
Stefanie begrüßte mich und zur Auflockerung der Atmosphäre erklärte sie ganz ruhig, wie alles ablaufen wird. Ich nickte zu allem und schlug vor, dass wir erstmal ein Gläschen Johanisbeerlikör trinken, dann liefe dass Shooting wie von selbst. Unerklärlicherweise fasste Stefanie meine Bemerkung als Witz auf und, anstatt sich um die Alkohol-Zufuhr zu kümmern, lachte sie nur schallend. So locker sollte die Atmosphäre anscheinend doch nicht werden.
Zuerst lichtete mich Stefanie auf einem Schemel sitzend vor einer hellen Wand ab. Die ersten Bilder hätten sich gut als Fahndungsfotos für die FBI-Most-Wanted-Liste geeignet. Zudem sah mein Hals auf den Fotos unnatürlich dick aus. Wie bei einem Bodybuilder, der ausschließlich seine Hals- und Nackenmuskulatur trainiert. Stefanie beschwichtigte mich, so schlimm wie bei Tim Wiese sähe es aber nicht aus. Ich weiß bis heute nicht, ob das nett gemeint war, oder der subtilste Diss war, den ich je gehört habe.
Als nächstes drapierte mich Stefanie auf einen thronartigen Sessel. Das erzeugte ein geradezu royales Gefühl bei mir. Im Kamera-Display sah ich aber eher aus wie ein grenzdebiler Hofnarr, der dümmlich in die Kamera grinst. Verstärkt wurde dieser Eindruck möglicherweise, durch das rosa Stoffschwein, dass ich mir auf den Schoß setzte und zu meiner Beruhigung kraulte.
Zum Abschluss schlug Stefanie vor, noch ein paar Bilder im Park zu machen. (Wahrscheinlich brauchte sie dringend frische Luft.) Dort schlenderte ich krampfhaft lässig die Wege auf und ab, setzte mich, den Blick silbrig in die Ferne schweifen lassend, an einen Brunnen, und lehnte laienhaft lasziv an einem Baum. Gerade als ich befürchtete, Anne-Geddes-mäßig im Blumenbeet liegend fotografiert zu werden, verkündete Stefanie, sie sei jetzt fertig. Ob sie damit die Foto-Session oder ihr Nervenkostüm meinte, war mir nicht ganz klar. (Und ich traute mich nicht, zu fragen.)
Am Abend schickte Stefanie dann eine Trilliarde Bilder, aus denen ich welche aussuchen sollte. Aufgrund von Stefanies magischen Fotografierkünsten und ihrer Photoshop-Fähigkeiten, die ihresgleichen suchen, waren tatsächlich einige Bilder dabei, von denen selbst ich den Eindruck hatte, sie wirkten nicht verkaufsschädigend, wenn sie irgendwo im Buch abgedruckt werden.
So war das also, mein liebes Tagebuch, mit dem Fotoshooting. Nun muss nur noch das Manuskript abgeschlossen und Korrektur gelesen, ein Cover entworfen und das Ganze gedruckt werden und schon ist das Buch fertig. Verrückt!
Bis bald,
Dein Christian
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Ein ganz großes Dankeschön an Stefanie für ihre Engelsgeduld und ansteckend gute Laune bei unserer Foto-Session. Und Stefanie hat mir eins voraus: Sie hat ein grandioses Buch geschrieben. Über Fußball. Das sollten Sie unbedingt lesen. Und ihre anderen Bücher sollten Sie auch lesen.
Website: Stefanie Fiebrig; Textilvergehen
Twitter: @Rudelbildung
Buch: Bring mich zum Rasen: Wie Fußball mein Leben veränderte.
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Outtakes
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Alle Kapitel von „The Making of ‚Das Buch’“ gibt es hier.
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Du bist zu hart zu dir. Selbst auf den Outtakes siehst du gut aus. Und eine Schrankwand kann mitunter auch fotogen sein, sie muss ja nicht von IKEA sein.
Vielen Dank für die freundlichen Worte.
Ach, ich kenne das! Entweder sind beide Augen zu oder nur eins oder ich hab so einen Schlafzimmerblick oder ein Mundwinkel hängt oder oder oder und wenn jmd. eine Fotolinse auf mich richtet, entgleist sofort mein ganzes Gesicht…
LG aus der Schweiz, Katarina
Da loben wir uns doch die Zeiten, als man am Hofe noch gemalt wurde.
Wie ich das nachfühlen kann. Ich bekomme auch jedes Mal eine Krise, wenn mich jemand ablichten will.
Aber die Fotos sind doch hervorragend.
Vielleicht gibt es eine evolutionsbiologische Erklärung, warum wir nicht abgelichtet werden wollen. Allerdings fällt mir keine ein.
Warum Outtakes? Das mit den Hasenohren finde ich total sympathisch u das soll jetzt nicht ironisch sein!
Vielen Dank.
*mümmelt eine Möhre*
Sorry aber…”sexiest man alive” ist einfach zum knutschen! Bin dafür! Pro Zunge raus und habt mich gern! yeay…