Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
12. Juli 2021, Berlin
Mein erster Termin nach dem Urlaub führt mich zum HNO-Arzt. Er spült mein verstopftes Ohr aus, das ich mir im Meer vor Santa Teresa eingehandelt habe. Währenddessen fragt er mich, ob wir gemeinsam mit den Italienern den EM-Titel gefeiert hätten. Ich verneine, wir hätten uns von größeren Menschenansammlungen ferngehalten. Dass es auch schlicht unmöglich wäre, gestern Abend mit den Tifosi zu feiern und heute früh in seinem Behandlungsstuhl zu sitzen, behalte ich für mich.
Der Arzt findet, so eine EM auf dem ganzen Kontinent sei zwar gut für die Völkerverständigung, aber schlecht für die Pandemiebekämpfung. Jubelnde Fußball-Fans würden sich mal nicht so gut benehmen wie das Publikum bei den Wagner-Festspielen und mehr Aerosole verströmen.
Trotz des damit verbundenen Distinktionsdünkels hat er mit dieser These wohl Recht. Es ist nur schwer vorstellbar, dass die Bayreuth-Besucher:innen in ihren Abendroben und Smokings angeleitet vom Anführer der Rheingold Ultras Wolfenbüttel bei den Aufführungen grölen: „Steh‘ auf, wenn du ‘ne Walküre bist, steh‘ auf, wenn du ‘ne Walküre bist.“
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In dem Baum vor unserem Schlafzimmer ist es ungewohnt still. Das Taubennest, das ein Ort des Spektakels und des Trubels war und in dem vor unserem Urlaub zwei Eier lagen, ist verwaist. Es ist wohl eher unwahrscheinlich, dass die Küken innerhalb von zwei Wochen geschlüpft und flügge geworden sind. Hoffentlich hat sich wenigstens nicht wieder der Habicht wie letztes Jahr zum Kükenessen eingeladen. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. (Möglicherweise zeitgleich mit den Taubenküken.)
14. Juli 2021, Berlin
Die Kinder sind die ganze Woche im Judo-Trainingslager und meine Frau und ich haben sturmfrei. Wir können tun und lassen, was wir wollen. In Restaurants gehen. Oder ins Kino, ins Theater, ins Konzert oder in Bars. Die Möglichkeiten sind grenzenlos.
Allerdings sind die Kinder schon so groß, dass wir immer tun und lassen können, was wir wollen. Daher unternehmen wir überhaupt nichts Besonderes, sondern finden es nur schade, dass die Kinder nicht da sind.
16. Juli 2021, Berlin
Unsere Spülmaschine eifert unserer alten Waschmaschine nach: Sie geht kaputt. Da sie schon zweimal repariert wurde, müssen wir wohl oder übel eine neue kaufen.
Dafür können wir uns die nächsten Tage wieder wie im Studium fühlen: Wenn wir das schmutzige Geschirr von Hand abwaschen. Diese sentimentale und nostalgische Überhöhung der Studi-Zeit ist aber vollkommen unangebracht und führt dir letztlich nur die eigene Verspießerung vor Augen. Damals hattest du eine erstaunlich hohe Toleranzschwelle gegenüber dreckigen Geschirrstapeln in der Spüle und hast die Türme von schmutzigen Tellern, Töpfen und Tassen einfach zu Kunst-Installationen von Beuysscher Qualität umgedeutet. Und wenn sich irgendwann pelziger Schimmel ausbreitete, freutest du dich einfach über den neuen Mitbewohner.
Heute denkst du dagegen: „Das Besteck trockne ich schnell noch ab. Sonst bilden sich so unschöne Wasserflecken.“ Schlimm.
17. Juli 2021, Berlin
Die Kinder sind aus dem Trainingslager zurück. Sie wollen aber nicht von uns abgeholt werden, sondern fahren lieber allein mit der S-Bahn nach Hause.
Merkwürdig? So peinlich sind meine Frau und ich doch gar nicht? Die Kinder sind da anscheinend anderer Meinung.
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Heute ist mein zweiter Impftermin. Nachdem ich das erste Mal AstraZeneca bekommen habe, gibt es diesmal Biontech. Ist mir eigentlich ziemlich egal. Hauptsache rein mit dem Zeug.
Im Wartebereich der Praxis blättere ich in meinem Impfausweis. Er ist ein bisschen zerfleddert, aber er hat auch fast 46 Jahre auf dem Buckel. Ich bin ohnehin erstaunt, dass ich ihn nie verloren habe. Okay, die ersten rund 25 Jahre haben meine Eltern ihn aufbewahrt und die sind die ordentlichsten Menschen, die ich kenne. Abgesehen von der einen Küchen-Schublade, ihrer „Kramschublade”. Die ist allerdings immer noch aufgeräumter als die ordentlichste Schublade meines Schreibtisches.
Im Vergleich zum Impfpass meiner Nachbarin zur Linken sieht mein Ausweis aber tippi-toppi aus. Ihrer ist vollkommen aufgeweicht und eher eine Art Masse als ein Büchlein. Die Frau sieht meinen kritischen Blick. „Habe ihn aus Versehen mitgewaschen.“
Der Mann rechts von mir holt demonstrativ seinen Impfausweis aus der Innentasche seiner Jacke. Er steckt in einem kleinen durchsichtigen Heftumschlag und sieht makellos aus. Streber!
Im Behandlungszimmer führt die Arzthelferin das Aufklärungsgespräch durch. Ich solle heute unter anderem kein Sonnenbad nehmen. Der Himmel ist wolkenverhangen, von daher bin ich zuversichtlich, dass ich das schaffen werde. Außerdem soll ich keinen Alkohol trinken. Es ist 10 Uhr morgens! Für wie versoffen hält mich die Frau?
Ungefähr 20 Minuten später radle ich mit dem Gefühl der baldigen Unsterblichkeit nach Hause.
18. Juli 2021, Berlin
Besonders weit ist es mit meiner Unsterblichkeit doch nicht her. Ich liege den größten Teil des Tages mit erhöhter Temperatur, leichten Kopfschmerzen und allgemeiner Schlappheit im Bett.
19. Juli 2021, Berlin
Die Impferei geht weiter. Ich begleite die Tochter zu ihrem Termin. Im Impfzentrum an der Messe ist alles perfekt organisiert und die Ordner:innen und Helfer:innen sind alle extrem freundlich. Wirklich alle. Ohne einzige Ausnahme. In Berlin fällt das einem sofort auf.
Der Impfarzt ist etwa Ende 50/Anfang 60, er hat kurzes graues Haar und trägt eine randlose Brille. Er stellt sich mit Namen und als Anästhesist vor. Das ist einerseits gut, denn dann ist er erfahren im Umgang mit Spritzen. Andererseits wird Anästhesisten nachgesagt, sie hätten leichte Defizite, was die soziale Kompetenz angeht. (Der Anästhesist bei der Geburt der Tochter hat beispielsweise, nachdem meine Frau schon 40 Stunden in den Wehen lag, den zutreffenden, aber in der Situation dennoch unangemessenen Spruch gebracht: „Rein geht’s leichter als raus.“) Da anästhesierte Patient:innen aber die meiste Zeit betäubt sind, ist das vielleicht nicht so wichtig.
Der Impf-Anästhesist ist aber ausgesprochen freundlich. Trotzdem ist die Tochter vor der Impfung etwas ängstlich. Sie ist keine Freundin von piksenden Nadeln. Ich muss aber nur ihre Hand nehmen und wir müssen sie nicht wie bei ihrer Tetanus-, Diphterie- und Keuchhusten-Impfung vor neun Jahren mit zwei Leuten festhalten, damit der Arzt ihr die Spritze verabreichen kann. Schön, wenn die Kinder groß werden!
20. Juli 2021, Berlin
Impfbegleitung, die Zweite. Heute ist der Sohn an der Reihe. Die Impfärztin erzählt beim Smalltalk von ihrem Kontrastprogramm. Im Februar und März habe sie die Ü80-jährigen geimpft, mit denen etwas lauter und langsamer gesprochen werden musste, nun kämen die U20-jährigen.
„Da haben sie ja lauter 50-jährige geimpft“, erkläre ich und schäme mich sofort für den Spruch. (Sie wissen ja, mit Small Talk und mir ist es kompliziert.)
„Sie sind wohl Mathematiker“, erwidert die Ärztin. Ich bin mir nicht sicher, ob in ihrer Stimme Bewunderung oder Verachtung mitklingt.
22. Juli 2021, Berlin
Die neue Spülmaschine wird geliefert. Kein Abwasch mehr per Hand. Yay!
Ich packe die Maschine aus und stelle fest, dass wir die falsche bestellt haben. Nay!
24. Juli 2021, Berlin
Gestern wurden die Olympischen Spiele eröffnet, so dass ich den Tag sportiv verbringe: Ich sitze auf dem Sofa, trinke Kaffee und schaue anderen Menschen beim Säbelfechten, Hockey, Tennis, Schwimmen, 3×3-Basketball, Beach-Volleyball, Judo und Tischtennis zu.
Als Kind war es mein Traum, irgendwann bei Olympia mitzumachen. Da ich mir meiner eigenen Unsportlichkeit bewusst war und keine Chance sah, mich für das deutsche Team zu qualifizieren, dachte ich, dass ich für irgendein afrikanisches Land in einer Sportart, die dort nicht besonders verbreitet ist, starten könnte. Zum Beispiel für Kenia im Tennis. Mein genialer Plan scheiterte daran, dass ich niemanden in Kenia kannte, der mich zwecks Einbürgerung hätte adoptieren können. Außerdem war ich so unsportlich, dass selbst Kenianer, die noch nie in ihrem Leben einen Tennisschläger in der Hand gehalten haben, bessere Tennisspieler als ich gewesen wären. So werden Kinderträume zerstört.
Aber das ist eigentlich gar nicht schlimm. So muss ich nicht in der schwülen Hitze von Tokio Tennis spielen, sondern kann auf dem Sofa sitzen, Kaffee trinken und anderen Menschen beim Säbelfechten, Hockey, Tennis, Schwimmen, 3×3-Basketball, Beach-Volleyball, Judo und Tischtennis zuschauen. Ein Stück Kuchen wäre nett.
25. Juli 2021, Berlin
Auf unserer sonntäglichen Laufrunde kommen wir an einem kleinen Basketballfeld vorbei. Dort dribbelt ein älterer Mann, der weit über 80 ist, einen Basketball über den Court. Ich würde jetzt gerne schreiben, wie er sich in die Höhe geschraubt und den Ball mit einem spektakulären Slam Dunk versenkt hat, aber er wirft von der Freiwurflinie und verfehlt den Korb. Das Leben schreibt leider doch nicht die besten Geschichten.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Danke, das wir alle mit in den Urlaub durften. Hab mich bei dem Blog sehr amüsiert.
Dito. Jeden Morgen bei der Gassi Runde ohne Wahrnehmung meiner Umwelt lesend auf das Handy gestarrt. Es war sehr unterhaltsam, Mille Grazie