Wenn Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des Sardinien-Urlaubs-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.
06.07.2021, Santa Teresa di Gallura
Die Sonne scheint, ich sitze auf dem Balkon, trinke einen Espresso und schaue aufs Meer. Auf der Aussichtsplattform oberhalb des Strandes startet ein Mann ein ambitioniertes Fitnessprogramm für Fortgeschrittene. Als erstes zieht er sein Oberteil aus. Natürlich. Wer viel trainiert, möchte selbstverständlich zeigen, dass er viel trainiert. Dann macht der Mann Burpees, Mountain Climbers, Russian Twists, Liegestütze in verschieden Variationen sowie Crunches ebenfalls in verschiedenen Variationen. Außerdem absolviert er eine Vielzahl an koordinativ sehr anspruchsvollen Übungen, die ich noch nie gesehen habe, deren Bezeichnungen ich nicht kenne und die so komplex sind, dass ich sie nicht beschreiben kann.
Würde ich in einem Anflug aus geistiger Umnachtung und totaler Selbstüberschätzung versuchen, dieses Fitnessprogramm nachzumachen, zöge ich mir multiple Verletzungen zu: Vom Muskelfaserriss über ausgekugelte Gelenke bis hin zu Oberschenkelhalsbrüchen. Aber ich würde bei den Übungen ohnehin an meiner mangelhaften Gelenkigkeit, defizitären Muskulatur und körperklausigen Motorik scheitern. Unsportlichkeit zur Vorbeugung von Sportverletzungen sozusagen.
Egal. Ich nehme einen Schluck Espresso und schaue aufs Meer.
###
Erkenntnis auf der morgendlichen Joggingrunde: Du sollst beim Laufen nicht gegen die Windrichtung spoizen, du sollst beim Laufen nicht gegen die Windrichtung spoizen, du sollst beim Laufen nicht gegen die Windrichtung spoizen.
*spoizt gegen die Windrichtung*
###
Update von meinem Lippen-Herpes: Er ist über Nacht weiter gewachsen. Vielleicht sollte ich ihm fürs Frühstück einen eigenen Platz zu decken.
###
Nachdem meine Fortschritte beim Anwenden der italienischen Sprache gestern ein wenig ins Stocken geraten sind, komme ich nicht umhin, heute von einem weiteren kleinen, aber schmerzlichen Rückschlag zu berichten.
Ich betrete die Bäckerei mit einer Spur weniger Selbstbewusstsein als in den letzten Tagen, begrüße die Anwesenden mit einem demütigen „buon giorno“ und erbitte, als ich an der Reihe bin, meine „quattro panini, per favore.“ Die Verkäuferin erwidert: „Quattro!” Aber nicht als Rückfrage, um sich meiner Bestellung zu vergewissern, sondern um meine Aussprache zu korrigieren. Sie spricht das q betont weich aus und rollt zusätzlich demonstrativ das r. „Guattrrro!“. Ich möchte nicht ausschließen, dass ich dagegen eher „kwattro“ gesagt habe, und, um ganz ehrlich zu sein, unter Umständen sogar „kwattre“.
Die Unterstützung der Verkäuferin ist zwar gut gemeint, aber für mich auch etwas unangenehm. In dem Laden beziehungsweise vor der geöffneten Ladentür steht eine Vielzahl an Menschen, die mich jetzt für einen minderbegabten Schulbub halten müssen, der nicht einmal bis vier zählen kann. Um diesen unvorteilhaften Eindruck zu korrigieren, sage ich besonders akzentuiert: „Si, guuuaaatrrro!“
Als ich mit meinen vier Brötchen zurück zum Ferienhaus gehe, überlege ich mir, es morgen doch mit den „otto panini“ zu probieren. Das scheint mir, was die Aussprache angeht, unverfänglicher zu sein. Außerdem haben wir dann die doppelte Menge Brötchen und ich muss erst wieder in zwei Tagen zur Bäckerei.
###
Kleine Kinder am Strand sind unfassbar niedlich. Neben uns liegt eine Familie mit einem ungefähr anderthalbjährigen Jungen. Er trägt eine voluminöse Schwimmwindel und hat offenbar gerade erst Laufen gelernt. Wie ein kleiner Betrunkener taumelt er mit unsicherem Schritt über den Sand. Dabei verliert er regelmäßig das Gleichgewicht, was er dann mit kleinen Trippelschritten ausgleicht.
Als sein Papa ihm helfen will, reagiert er ebenfalls wie ein Betrunkener. Unwirsch schlägt er die angebotene Hand zur Seite und wankt weiter, bis er stolpert, vornüber in den Sand fällt und dann seinen Vater wütend und anklagend anheult.
Kleine Kinder am Strand sind unfassbar niedlich. Trotzdem bin ich froh, dass unsere Kinder schon älter sind. Dass sie nicht wie große Betrunkene über den Strand torkeln, darüber bin ich auch froh.
Heute gibt es ein neues Schmuck- und Accessoireangebot am Strand. Ein junger, attraktiver Mann setzt sich zu einer Gruppe junger Frauen und flechtet für sie mit flinken Fingern Hals-, Arm- und Fußbändchen. Er trägt eine verwegene, aber nicht zu verwegene Rasta-Frisur und hat einen beeindruckend durchtrainierten Oberkörper, den er zur Schau stellt, indem er auf das Tragen eines T-Shirts verzichtet (siehe oben). Während er die Bändchen herstellt, schäkert und scherzt er mit den Frauen. So verträumt wie die ihn anschauen, denken sie wahrscheinlich darüber nach, ob er auch ansonsten mit seinen Händen so geschickt ist.
Beim Wasser-Volleyball pritschen und baggern der Sohn und ich uns heute in einen wahren Rausch. Wir pulverisieren den alten Familien-Rekord und stellen einen neuen Fabelrekord auf: 279!
[Kleine Pause, damit die Leser*innen anerkennend nicken können.]
Es gibt nur einen kleinen Wermutstropfen: Niemand am Strand nimmt davon Notiz und es gibt keinen frenetischen Jubel, als die neue Bestmarke feststeht. Der Bürgermeister von Santa Teresa kommt auch nicht vorbei, um uns zu dieser außergewöhnlichen Höchstleistung zu gratulieren. Das ist besonders enttäuschend, weil wir dem Ort damit einen Eintrag in die familieninternen Wasser-Volleyball-Geschichtsbücher gesichert haben. Das wird sich sicherlich positiv auf den örtlichen Fremdenverkehr auswirken. (Vielleicht sollte ich unseren Wasser-Volleyball-Rekord in dem Wikipedia-Artikel zu Santa Teresa ergänzen.)
###
Die Verstopfung hat sich in meinem Ohr häuslich eingerichtet und macht keinerlei Anstalten, sich zu verziehen. Vielleicht gefallen ihr die täglichen Strandbesuche zu gut und sie sieht keinen Grund, sich eine andere Bleibe zu suchen. Wahrscheinlich hat sie auch kein Geld, um sich eine eigene Ferienwohnung zu nehmen. (Bei solchen Gedanken frage ich mich immer, ob es nicht besser wäre, mein Gehirn ein bisschen weniger der direkten Sonneneinstrahlung auszusetzen.)
Da sich auch die Hausmittel-Salzmischung, die mir meine Frau regelmäßig ins Ohr tröpfelt, als ziemlich wirkungslos erwiesen hat, um die Verstopfung zu vertreiben, greife ich zu rigoroseren Maßnahmen. Als ich vor Jahren schon mal ein verstopftes Ohr hatte, ging ich zum HNO-Arzt, der mir das Ohr mit einer kleinen Dusche freispülte. Nun, eine Dusche haben wir hier auch und die hat einen amtlichen Strahl, da sollte es ja wohl nicht so schwer sein, sich damit eine ordentliche Ladung Wasser ins Ohr zu spritzen, die dann, was auch immer sich in meinem Gehörgang befindet, rausschwemmt.
Um es kurz zu machen: Mein kleines DYI-HNO-Experiment bringt nicht den erhofften Erfolg und das Ohr bleibt verstopft. Schon merkwürdig, dass ein Mensch, der jahrelang das menschliche Ohr theoretisch und praktisch studiert hat und über professionelles medizinisches Equipment verfügt, bessere Resultate beim Ohrentspülen erzielt als ein diplomierter Sozialwissenschaftler mit einem handelsüblichen Brausekopf.
###
Das abendliche Kniffeln verläuft unerfreulich. Zumindest für mich. Meine Frau gewinnt mit 358 Punkten und der Sohn holt 322 Punkte. Dadurch erobert er den 2. Platz zurück und hat nur noch 16 Punkte Rückstand auf mich. Aber egal. Das gehört zur Dramaturgie eines guten Sportfilms dazu. Dass es nochmal knapp wird, bevor der bärtige Protagonist, mit dem alle mitfiebern, den Pokal und die Wundertüte in die Höhe stemmen kann.
Alle Beiträge des Sardinien-Urlaubs-Blogs finden Sie hier.
Kann seit dem 21. März bestellt werden. Muss aber nicht. Wäre aber trotzdem schön. (Affiliate-Link)
Sie möchten informiert werden, damit Sie nie wieder, aber auch wirklich nie wieder einen Familienbetrieb-Beitrag verpassen?
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Möglicherweise zollte die Bäckersfrau ihren Bemühungen mit ihre wohlwollenden Verbesserung Tribut? Vielleicht freute sie sich, dass da nicht so ein bärtiger Lulatsch stumpf: vier schrippen! Blökt.