Der alljährliche Urlaubsblog. Aus Spanien. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.
7 Uhr, der Handywecker klingelt. Den habe ich gestellt, weil ich in der Frühe laufen will. Der Gestern-Abend-Christian hielt das für eine gute Idee. Der Heute-Morgen-Christian ist davon wenig begeistert, hält den Gestern-Abend-Christian für einen riesigen Trottel und überlegt, das Laufvorhaben zu den Akten legen, bevor es beginnt.
Das preußische Pflichtbewusstsein und die protestantische Arbeitsethik halten aber nichts von zu-den-Akten-legen und auch nichts von Müßiggang oder Laissez-faire und übernehmen das Kommando. Also muss ich meine Laufklamotten anziehen und finde mich kurz danach vor dem Hotel wieder. Das liegt an einem Anstieg, womit sich mir zwei Optionen bieten: Entweder nach links – abwärts oder nach rechts – aufwärts.
Entscheide mich für rechts, dann kann ich später auf dem Rückweg runter laufen. In der Theorie ein bestechender Plan, in der Praxis nicht ganz so, denn nun muss ich erstmal hochlaufen. Sehr lange und sehr steil. Der Jetzt-hochlaufen-Christian hält den Später-runterlaufen-Christian für einen miesen Egoisten, was den aber nicht weiter stört, dafür darf er ja nachher gemütlich den Hügel hinabtraben.

Oben angekommen, jogge ich an der Rondo del Guinardé entlang, eine ziemlich große, stark befahrene Straße, die aber mit dem Vorzug punktet, einigermaßen eben zu sein. Irgendwann kehre ich um, damit ich nicht auf dem Seitenstreifen einer Schnellstraße lande. Das muss am ersten Urlaubstag ja nicht sein. Nicht dass da etwas schief läuft, wo doch schon alles bezahlt ist und nicht mehr storniert werden kann.
Ich biege immer wieder links ab, bis ich feststelle, dass ich im Kreis gelaufen bin. Biege daraufhin immer rechts ab, bis mir auffällt, wieder im Kreis gelaufen zu sein. Achte nun darauf, abwechselnd rechts und links abzubiegen und lande schließlich an der Stelle, wo es hinauf zum Parc Guell und zum Parc Carmel geht. Überlege kurz, ob ich heute der Typ bin, der die 320 Treppenstufen gämsengleich bis ganz nach oben hinaufspringt, und komme sehr schnell zu dem Schluss, es nicht zu sein.
Weiter aufwärts. Komme etwas überraschend an einer Rolltreppe vorbei, mit der eine ältere Frau nach oben fährt. Widerstehe der Versuchung, es ihr gleich zu tun.
Laufe stattdessen durch einen Häuserkomplex mit einer Vielzahl von Höfen, die über mehrere Ebenen angelegt sind. Frage mich, ob den Bewohner*innen das überhaupt recht ist, dass ich hier rumjogge, und vor allem ob jemandem das möglicherweise so unrecht ist, dass er oder sie rauskommt und mir das mit ein paar Ohrfeigen klarmacht.


Allmählich wird es Zeit, zum Hotel zurückzukehren. Ich weiß nicht genau, wo ich gerade bin, aber das macht nichts. So lange ich die Sagrada Familia sehe, kenne ich die grobe Richtung. Das Problem: Ich erblicke sie nirgendwo, dafür aber den Dildo-Turm.
Konsultiere Google Maps, bekomme den Weg gewiesen, laufe trotzdem in die falsche Richtung, stehe unvermittelt vor der Sagrada Familia und erreiche schließlich nach genau 10 Kilometern das Hotel.
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Frühstück. Bediene mich am Buffet zunächst am Müsli, anschließend hole ich mir einen Teller voller Obst. Wassermelone, Galia Melone, Orangen und Grapefruit. Die anderen Gäste müssen mich für einen asketischen Gesundheitsfanatiker halten.
Ich nutze aber lediglich die Gelegenheit, dass das Obst geschnitten und portioniert dargeboten wird. Meine Vitaminzufuhr wäre mindestens 300 Prozent höher, wenn mir jemand Früchte und Obst mundgerecht servierte. Meine Mutter hat damit irgendwann aufgehört, wahrscheinlich weil ich immer wollte, dass sie die Äpfel nicht nur in Achtel schneidet, sondern diese auch noch schälen sollte. Bisher macht meine Frau keine Anstalten, diesen Service zu übernehmen. Muss sie halt damit klarkommen, wenn mir Skorbut bedingt die Haare ausfallen.
Um meinen Körper, der ob des vielen Obstes sicherlich verwirrt ist, zu beruhigen, halte ich mich beim zweiten Gang an Apfelkuchen und Mini-Muffins schadlos.
Der Cappuccino aus dem Automaten schmeckt eher mittelmäßig, ist dafür aber so stark, dass er zuerst meine Lebensgeister tötet und dann wieder zum Leben erweckt. Derart Koffein gedopt bin ich zuversichtlich, genügend Energie für unsere heutige Barcelona Tour zu haben.

Für heute haben wir eine Stadtführung gebucht. Im gotischen Viertel, dem ältesten Teil Barcelonas. Damit wir nicht nur staunend durch die Stadt laufen, sondern etwas lernen. Beziehungsweise etwas erzählt bekommen, das wir direkt wieder vergessen.
Wir fahren mit der U-Bahn zur Station Jaume I., von dort laufen wir zum Plaça Nova, wo der Treffpunkt für die Führung ist. Ein paar als Clowns verkleidete Männer und Frauen laufen über den Platz und versuchen Kindern Luftballon-Tiere anzudrehen, die ihre Eltern dann bezahlen sollen. Ihre Kostüme sind angeschmuddelt, ihre Perücken ebenso und sie schauen so mürrisch drein, dass Pennywise dagegen als Gute-Laune-Bär gelten kann. Falls sich die Kinder bisher nicht vor Clowns gegruselt haben, jetzt tun sie es definitiv.
Ein ergrautes, amerikanisches Paar fragt, ob wir ein Foto von ihnen machen können. Direkt neben den Barcelona-Buchstaben, die auf dem Platz aufgestellt sind. Die Frau drückt mir ihr Handy in die Hand. Was sie wohl machen würde, wenn ich jetzt mit ihrem iPhone Reißaus nähme. Noch mehr würde mich interessieren, was ich dann mit einem Handy, dessen Zugangsdaten ich nicht habe, anfinge.
Als ich mit der Knipserei fertig bin, fragt die Frau, ob sie uns auch fotografieren soll. Wir verneinen. Sie fragt: „Are you sure?“, wir erwidern erneut: „No, thanks. We are fine“ Vielleicht etwas zu vehement und zu energisch. Fehlt nur noch, dass wir sagen: „We are just friends.“
Gegenüber unseres Treffpunkts ist die katalanische Architekten-Vereinigung angesiedelt. Ironischerweise im hässlichsten Gebäude am Platz. Über dem Eingang ist eine Zeichnung von Pablo Picasso angebracht. Mit Ereignissen, die er mit Barcelona verbindet.
Ich bin künstlerisch vollkommen unbegabt, aber bei Bildern von Picasso denke ich häufig: „Ich glaube, das könnte ich auch.“ Selbstverständlich eine spektakuläre Fehleinschätzung meinerseits.
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12 Uhr, die Stadtführung beginnt. Wir haben extra eine englischsprachige Tour gebucht, weil wir keine Lust hatten, mit einem Haufen Deutscher durch die Stadt zu latschen. Unsere Gruppe besteht neben uns aus einem schwedischen Paar, einer Kolumbianerin und einem Schweizer. Die haben vielleicht die englische Führung gewählt, weil sie keine Lust hatten, mit Schweden, Kolumbianern und Schweizern durch die Stadt zu latschen.
Unser Guide heißt Tami und kommt aus Chile. Sie führt uns durch die mittelalterlichen, engen Straßen, unter anderem zur Kathedrale von Barcelona, zum Rathaus und dem Palast der Generalität, zu diversen Kirchen, zur Seufzer-Brücke, an der Foto-Installation „Die Welt beginnt mit einem Kuss” vorbei und durchs jüdische Viertel.
Am Platz der Inquisition, wo früher die Hinrichtungen stattfanden, lernen wir, dass der Henker im direkt angrenzenden Gebäude lebte. Somit führte er die Hinrichtungen quasi im Home Office durch.
Zum Abschluss bekommen wir eine kurze Einführung in die spanische und katalanische Küche. Zu Sangria, Paella und Tapas. Eines der typischen Tapas-Gerichte sei Patatas Bravas, was so viel wie „Wütende Kartoffel“ heiße. Eigentlich auch eine gute Bezeichnung für AfD-Wähler*innen, aber darüber möchte ich nicht nachdenken, weil mir sonst der Appetit auf Patatas Bravas vergeht.
Alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs finden Sie hier:
- Vorbereitung (03.09.): Zurück in die Vergangenheit
- Anreise (04.09.): Auf Kaffeefahrt mit der Deutschen Bahn
- Barcelona (1) (05.09.): Immer geradeaus
- Barcelona (2) (06.09.): Saubere Brillen und wütende Kartoffeln
- Ankunft (07.09.): Blick aufs Meer (und ein bisschen Parkplatz)
- Tag 01 (08.09.): Lauf, Christian, lauf
- Tag 02 (09.09.): Do you need a good one or a normal one?
- Tag 03 (10.09.): Dem Meer ist alles egal
- Tag 04 (11.09.): Nationalfeiertagsfeierlichkeiten Fehlanzeige
- Tag 05 (12.09.): Vom Winde gemobbt
- Tag 06 (13.09.): Mein Name ist nicht Bond
- Tag 07 (14.09.): Man spricht kein Deutsch
- Tag 08 (15.09.): Das ganze Leben ist ein Fake. (Zumindest auf der Strandpromenade Richtung Salou)
- Tag 09 (16.09.): Ein Hollywood-Blockbuster für einen Käsekuchen
- Tag 10 (17.09.): Der mittelalte weiße Mann und das Meer
- Tag 11 (18.09.): Kein Regen im Nichts
- Tag 12 (19.09.): Helga, die Schreckliche
- Tag 13 (20.09.): Ein nasser Abschied


Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)