Der alljährliche Urlaubsblog. Aus Spanien. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.
Sitze mit Prä-Lauf-Kaffee und Prä-Lauf-Keks auf dem Balkon und genieße den Prä-Lauf-Meerblick. Der Kollege, der gestern mit dem Rasenkantenschneider zugange war, fängt an, Rasen zu mähen. Um 9.12 Uhr.
Ich beklage mich weiterhin nicht, ich stelle lediglich fest. Oder wie Thomas Gottschalk zu seinem neuen Buch „Ungefiltert“ schreibt: „Ich beschwere mich aber nicht, sondern wundere mich nur.“ Was übersetzt so viel bedeutet wie, dass er sich auf jeden Fall und definitiv beschwert. Ein Grund, das Buch nicht zu lesen.
Auch sonst fallen mir keine Gründe für die Lektüre ein. Möglicherweise tue ich Thomas Gottschalk unrecht, aber ich glaube nicht, dass sein Buch ausreichend horizonterweiternd für mich ist. Dafür habe ich meinen eigenen inneren Boomer, den ich manchmal nur mit Mühe zähmen kann. Der wundert sich schon genug. (Fasst aber wenigstens dienstlich keine Frauen an. Undienstlich auch nicht.)
In der Buchankündigung schreibt Thomas Gottschalk noch, dass er sich nicht nur Gedanken über die Zeit macht, in der wir leben, sondern sie auch ausspricht. Mir wäre lieber, er behielte sie für sich, und falls nicht, dass er sie nur gefiltert kundtut.
Unterdessen erinnert mich Booking.com an unseren bevorstehenden Aufenthalt in Avignon. Ich möchte das nicht. Das bezieht sich auf unsere Übernachtung am Wochenende, was mit unserer Heimreise und folglich mit dem Ende unseres Urlaubs verbunden ist.
Genauso wenig möchte ich daran erinnert werden, dass demnächst unsere Kreditkarte belastet wird. Das belastet unser Konto und damit auch mich. Gedanken, mit denen man sich im Urlaub nicht beschäftigen möchte. (Sonst auch nicht.)
Zum Glück steht heute nur eine 10-Kilometer-Einheit auf dem Trainingsplan. Nach unserer gestrigen abendlichen Völlerei laufen heute Kartoffeln, Käseplatte, Knoblauchbrot, Hühnchen. Scampi, Brownie und Käsekuchen auch mit. (Vielleicht wäre ich doch besser vorher nochmal richtig auf Toilette gegangen. Falls Sie das interessiert.) Ob ein halber Liter Sangria mit einer optimalen Marathonvorbereitung-Ernährung vereinbar ist, scheint mir auch eher fraglich zu sein.
Nach schleppendem Beginn geht es besser als gedacht. Erreiche gegen halb elf Salou. In einem der Strandcafés schädelt sich eine englische Familie das erste Frühstücksbier rein. Ob sich Thomas Gottschalk darüber wundern würde? Oder gehört das zur Früher-war-alles-besser-Folklore, dass du dir im Urlaub morgens ein paar Bier reingeorgelt hast. („Hat uns auch nicht geschadet, höhöhö.“)
Wenigstens das Kind im Buggy trinkt Kakao. Heutzutage ist doch nicht alles schlecht.
Überrasche nach dem Frühstück meine Frau: Ich ziehe meine Badeshorts an. (Meine eigene Überraschung ist mindestens genauso groß.) Mit ihrem Karomuster in verschiedenen Blautönen ist die Hose von fragwürdiger Ästhetik. Als ich sie vor rund fünfzehn Jahren gekauft habe, galt sie vermutlich auch schon nicht als schön. (Wahrscheinlich auch zu keinem anderen Zeitpunkt in der Vergangenheit und ebenso wenig in der nahen, mittleren oder fernen Zukunft. Vielleicht in einer anderen Galaxie.)
Trage dazu ein graues, ausgeleiertes T-Shirt, meine weiße Kappe, weiße Sportsocken sowie ausrangierte Joggingschuhe in schwarz mit neongelben dünnen Streifen an der Seite. Sehe quasi aus wie ein Dreijähriger, der sich seine Klamotten selbst aussuchen durfte.
Meine traditionellen weißen Strand-Sneaker kann ich leider nicht mehr anziehen. Die hatte ich ungefähr zur gleichen Zeit wie die Badehose gekauft. Letztes Jahr in Portugal gingen sie kaputt, die Sohle brach durch. Das war zwar bedauerlich, aber vielleicht auch besser. Das Profil war so abgelaufen und glatt, dass ich mehrmals mit ihnen ausgerutscht war. Nur mit letzter Mühe konnte ich Stürze verhindern, die mich mit Oberschenkelhalsbruch ins Krankenhaus befördert hätten. Das braucht im Urlaub kein Mensch.
Zunächst wollte ich mir neue Schuhe für den Strand kaufen. Angesichts meiner tiefen Abneigung gegen das Shoppen nahm ich Abstand davon. Unser Konto, das durch die Abiturfeierlichkeiten des Sohns, sein Erreichen der Volljährigkeit sowie den Umzug der Tochter nach Kiel tiefrot im Minus war, begrüßte diese Entscheidung außerordentlich.
Ich befand stattdessen, meine alten Joggingtreter seien noch gut genug für den Strand. Das sparte nicht nur Geld, sondern war auch noch umweltfreundlich und nachhaltig. Außerdem kennt mich in Vilafortuny ohnehin niemand, so dass mir egal sein kann, wenn sich jemand an meinem Schuhwerk stört.
Als ich meiner Frau diese Argumentation präsentierte, signalisierte ihr Gesichtsausdruck für den Bruchteil einer Sekunde, dass sie mich kennt und mir daher nicht egal sein sollte, wenn sie sich an der Wahl meines Schuhwerks stört. Dann hatte sie sich sofort wieder im Griff. Wir sind seit 27 Jahren zusammen und ihr ist meine Gleichgültigkeit gegenüber meiner Strandkleidung bekannt. Das fällt für sie unter die schlechten Zeiten unseres Eheversprechens.
Alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs finden Sie hier:
- Vorbereitung (03.09.): Zurück in die Vergangenheit
- Anreise (04.09.): Auf Kaffeefahrt mit der Deutschen Bahn
- Barcelona (1) (05.09.): Immer geradeaus
- Barcelona (2) (06.09.): Saubere Brillen und wütende Kartoffeln
- Ankunft (07.09.): Blick aufs Meer (und ein bisschen Parkplatz)
- Tag 01 (08.09.): Lauf, Christian, lauf
- Tag 02 (09.09.): Do you need a good one or a normal one?
- Tag 03 (10.09.): Dem Meer ist alles egal
- Tag 04 (11.09.): Nationalfeiertagsfeierlichkeiten Fehlanzeige
- Tag 05 (12.09.): Vom Winde gemobbt
- Tag 06 (13.09.): Mein Name ist nicht Bond
- Tag 07 (14.09.): Man spricht kein Deutsch
- Tag 08 (15.09.): Das ganze Leben ist ein Fake. (Zumindest auf der Strandpromenade Richtung Salou)
- Tag 09 (16.09.): Ein Hollywood-Blockbuster für einen Käsekuchen
- Tag 10 (17.09.): Der mittelalte weiße Mann und das Meer
- Tag 11 (18.09.): Kein Regen im Nichts
- Tag 12 (19.09.): Helga, die Schreckliche
- Tag 13 (20.09.): Ein nasser Abschied
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Wow, was für ein toller Reisebericht. Vielen Dank! Und Respekt für die sportliche Ausdauer im Urlaub.
Bis nach Spanien haben wir uns mit unseren zwei Kindern bisher noch nicht gewagt. Aber jetzt habe ich auf jeden Fall Lust bekommen. Kurz mal das Konto checken, ob ich jetzt schon buchen kann. :)