Der alljährliche Urlaubsblog. Aus Spanien. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.
Balkon, Kaffee, Keks, aufs Meer schauen. Das Laufen ein wenig rauszögern. Das muss auch mal sein. Sonst wirkt man so überehrgeizig, überambitioniert, überdiszipliniert. Und überunsympathisch. Lieber noch ‘nen Kaffee. Und noch ‘nen Keks.
Wenn ich mich nicht täusche, ist heute Sonntag. Falls das stimmt, wäre die Hälfte des Urlaubs rum. Vielleicht schon mehr als die Hälfte. Ich weiß es nicht, ich habe da ein wenig den Überblick verloren.
Bei Halbzeit fängt die Rechnerei an, welche Lebensmittel bis zum Ende des Urlaubs reichen.
- Müsli? Vielleicht.
- Nocella? Nein. (Unbedingt nachkaufen)
- Marmelade? Auf jeden Fall.
- Kekse? Möglicherweise. (Sicherheitshalber nachkaufen)
- Butter? Definitiv ja.
- Kaffee? Definitiv nein. (Unter allen Umständen nachkaufen)
Zur Erholung von den gestrigen 35 Kilometern steht heute ein sogenannter Shake-out-run auf dem Plan. Keine Ahnung, was da outgeshaket wird. Auf jeden Fall 15 Kilometer lang und in gemächlichem Tempo. Ich weiß, das klingt abgehoben, überheblich und überunsympathisch, aber ich freue mich auf die entspannte, kleine 15er-Einheit.
Schlimm. Was kommt als nächstes? Erzähle ich, dass ich morgens statt Kaffee grüne Smoothies trinke, weil die sind total lecker und geben mir Energie für den ganzen Tag? (Keine Angst, Kaffee, das wird nicht passieren. Nur über meine Leiche.)
Beobachtungen während des Laufes:
- Eine Frau und ein Mann machen am Strand Sit-ups. Sie trägt einen neonpinken Sport-BH, er farblich abgestimmte Shorts im identischen neonpink. Toll.
- Ein Mann mit Metalldetektor findet etwas am Strand. Wahrscheinlich keine Golddublone. Zumindest bricht er nicht in einen Freudentanz aus.
- Ein Mann angelt im Meer. Ich glaube, es beißt nichts an. Zumindest bricht er nicht in einen Freudentanz aus.
- Eine Entenfamilie schwimmt in einer Flussmündung in der Nähe des Meers.
- Auf einer Wiese treibt eine circa 20-köpfige Gruppe im Kreis Sport. Ein Mann, der Rest alles Frauen. Entweder findet er das richtig, richtig gut oder richtig, richtig kacke.
- Am Rande der Promenade überwacht ein Personal Trainer jenseits der 70, mit Pfeife um den Hals sowie Stoppuhr und Klemmbrett in der Hand, die Kniebeugen eines circa 40-jährigen leicht übergewichtigen Mannes.
- Ein älterer Mann steht auf dem Strand und macht schnelle Tai-Chi-Bewegungen. Oder er hat sich in einen Bewusstseinszustand meditiert, in dem er Sachen aus der Luft fängt, die nur er sieht.
Von weitem sehe ich am Ortseingang von Cambrils einen größeren Menschenauflauf. Am Rande des Hafenbeckens sind Pavillons aufgereiht, auf einer Bühne redet ein Mann, im Hintergrund läuft Musik, an verschiedenen Ständen wird Essen verkauft.
Als ich näherkomme, stellt sich heraus, dass dort eine Art Friseurleistungsschau stattfindet. Unter den Pavillons sind 30, 40 Friseur*innen am Werk und schneiden Haare. (Was sonst?) Sie kommen aus Barcelona, Tarragona, Valencia, Cambrils, Salou und anderen Orten. (Also, die Friseure, nicht die Haare. Wobei, vielleicht auch die.) Es wird in den Kategorien Kinder, Männer, ältere Frauen geschnitten. (Bei letzteren wahrscheinlich auch onduliert und gelegt.)
Der Moderator auf der Bühne ist voller Eifer bei der Sache. Nicht ganz auf dem Level „brasilianischer Fußballreporter“, aber trotzdem mit etwas zu viel Energie und Enthusiasmus, dafür dass er kommentiert, wie Menschen Haare schneiden.
Auf meinem Rückweg schmachtet ein junger Mann auf der Bühne eine spanische Schnulze. (Niveau: Vorrundenaus bei „Spain got talent“) Zum Glück kann ich schnell wegrennen. Einige der Friseur*innen und der Haar-Models sehen aus, als würden sie das auch gerne tun.
Kurz vor Ende des Laufs trete ich gegen eine Nuss, die auf dem Weg liegt. Ich treffe sie punktgenau und schieße sie in einem 30-Grad-Winkel in einer perfekten Geraden nach vorne. Ungünstigerweise joggt dort eine junge Frau und die Nuss trifft sie knapp unter ihrer rechten Pobacke. Sehr unangenehm. (Wahrscheinlich auch für die Frau.)
Zurück in der Wohnung. Setze mich auf den Balkon und esse ein Eis. Calippo Erdbeere. Phantastisch! (Noch phantastischer wäre ein Calippo Lime Lemon, aber das nur am Rande.)
Das ist das Großartige am Erwachsensein: Du kannst vor dem Frühstück Eis essen und niemand kann es dir verbieten. (Falls meine Eltern das lesen: Das ist selbstverständlich eine absolute Ausnahme. Zuhause in Berlin esse ich nie Eis vor dem Frühstück. Ehrenwort.)
Alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs finden Sie hier:
- Vorbereitung (03.09.): Zurück in die Vergangenheit
- Anreise (04.09.): Auf Kaffeefahrt mit der Deutschen Bahn
- Barcelona (1) (05.09.): Immer geradeaus
- Barcelona (2) (06.09.): Saubere Brillen und wütende Kartoffeln
- Ankunft (07.09.): Blick aufs Meer (und ein bisschen Parkplatz)
- Tag 01 (08.09.): Lauf, Christian, lauf
- Tag 02 (09.09.): Do you need a good one or a normal one?
- Tag 03 (10.09.): Dem Meer ist alles egal
- Tag 04 (11.09.): Nationalfeiertagsfeierlichkeiten Fehlanzeige
- Tag 05 (12.09.): Vom Winde gemobbt
- Tag 06 (13.09.): Mein Name ist nicht Bond
- Tag 07 (14.09.): Man spricht kein Deutsch
- Tag 08 (15.09.): Das ganze Leben ist ein Fake. (Zumindest auf der Strandpromenade Richtung Salou)
- Tag 09 (16.09.): Ein Hollywood-Blockbuster für einen Käsekuchen
- Tag 10 (17.09.): Der mittelalte weiße Mann und das Meer
- Tag 11 (18.09.): Kein Regen im Nichts
- Tag 12 (19.09.): Helga, die Schreckliche
- Tag 13 (20.09.): Ein nasser Abschied
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)