¡Hola España! – Tag 03 (10.09.): Dem Meer ist alles egal

Der alljährliche Urlaubsblog. Aus Spanien. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.

Erinnere mich beim Aufwachen, geträumt zu haben, aber nicht an was. Der Traum hat sich verflüchtigt, ist aus meinem Unterbewusstsein, meinem Bewusstsein und meinem Gedächtnis geflohen, aus der offenen Balkontür hinaus aufs offene Meer entflogen.

Das hat sich in meinem Kopf poetischer angehört als hier so niedergeschrieben. Ich lass’ das trotzdem stehen. So ein Urlaubsblog füllt sich schließlich nicht von allein.

Zu Träumen habe ich ein ambivalentes Verhältnis. Prinzipiell träume ich gerne. (Ausnahme: Albträume) Häufig erlebe ich schöne Dinge im Traum. (Nicht das, was Sie jetzt denken.) Umso größer ist die Enttäuschung, sobald sich herausstellt, dass alles gar nicht echt war. Als Kind war mein Lieblingstraum, mit Boris Becker Tennis zu spielen. Sie können sich nicht vorstellen, wie niedergeschlagen ich jedes Mal war, wenn mir klar wurde, ich habe nur geträumt.

Heute früh bin ich mir ziemlich sicher, dass mir Boris Becker nicht im Schlaf erschienen ist. Daran könnte ich mich erinnern.

Titelbild mit einem Rettungsschwimmer-Wachturm aus Holz, der am Strand steht. Der Turm ist von hinten mit Blick aufs Meer fotografiert.

Schaue beim Kaffee trinken in meinen Marathon-Trainingsplan. Ernüchterung breitet sich aus. Der Kaffee trinkende, auf dem Balkon sitzende Gegenwarts-Christian hat fest mit einem kurzen, gemütlichen 10-Kilometer-Lauf gerechnet. Der für die Erstellung des Plans verantwortliche Vergangenheit-Christian sieht dagegen für heute einen 15-Kilometer-Lauf in flottem Tempo für den heutigen Tag vor. Plus zwei Kilometer ein- und auslaufen. Arschloch.

Auf dem Weg, der an der Wohnanlage vorbeiführt, fotografiert unterdessen ein Mann eine Straßenlaterne. Oder das Haus. Oder mich. Vielleicht gibt es eine Fetisch-Website, auf der du mit Bildern von Endvierzigern/Anfangfünfzigern, die in Laufklamotten Kaffee trinken, Geld verdienen kannst. Hoffentlich. Dann könnte meine Frau Fotos von mir machen und wir cashen richtig ab.

Eine Idee, die sich weniger nach OnlyFans, sondern mehr nach ZeroFans anhört.

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Das Laufen gestaltet sich zäh. Wegen des Tempos, das flotter ist als gedacht, und weil ich vorher keine Banane gegessen habe. Der oberschlaue Vor-dem-Lauf-Christian dachte, das ist nicht so wichtig, weil so ambitioniert sind die Kilometerzeiten gar nicht, der Bei-Kilometer-Fünf-Christian findet doch und der Bei-Kilometer-Zehn-Christian würde den Vor-dem-Lauf-Christian gerne ohrfeigen. Am liebsten mit einer Bananenschale. Aber die gibt es ja nicht, weil keine Banane gegessen wurde, wobei dann das Verlangen nach Bananenschalen-Ohrfeigen möglicherweise gar nicht so groß wäre.

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Im Supermarkt. Meine Frau legt Plattpfirsiche in unseren Einkaufswagen, der eigentlich ein großer Korb mit Rollen ist. Ich stehe dem Plattpfirsich skeptisch gegenüber. Geschmacklich okay, wobei er nicht an seine Cousine, die Nektarine, heranreicht, aber ästhetisch eine Herausforderung.

Zum einen visuell. Plattpfirsiche sehen so aus, wie sie heißen: platt. Einfach kein schöner Anblick. Wer kam wohl ursprünglich auf die Idee, einen Plattpfirsich zu essen? „Mensch, das sieht aus, wie ein Pfirsich, auf den sich ein dicker Mann gesetzt hat, auf den sich noch ein dicker Mann gesetzt hat. Da beiß ich doch gleich mal rein.“

Zum anderen ist platt kein schönes Wort. Das harte p, die doppelten t, wie soll da etwas Wohlklingendes herauskommen? Platt klingt hart, unfreundlich, patzig, aber nicht wie etwas, das ich essen möchte.

Meine negativen Gedanken über Plattpfirsiche machen mir ein schlechtes Gewissen. Die können schließlich auch nichts dafür, wie sie aussehen und klingen. Deswegen tausche ich sie nicht gegen Nektarinen aus, sondern lasse sie in unserem Einkaufswagen liegen, der eigentlich ein großer Korb mit Rollen ist.

Patsch, patsch, patsch. Wir verlassen unsere Wohnung, um zum Strand zu gehen. Die neuen Flip-Flops meiner Frau sind sehr laut auf der Steintreppe, die vom zweiten Stock hinunter ins Erdgeschoss führt. Sehr, sehr laut. Patsch, patsch, patsch.

Meine Frau versucht so leise, wie möglich aufzutreten, aber ohne Erfolg. Patsch, patsch, patsch. Sie geht fast auf Zehenspitzen, trotzdem hallt es im ganzen Treppenhaus. Patsch, patsch, patsch.

Wahrscheinlich ist das eine weitere Strafe des Flip-Flop-Gotts, weil sie sich vorgestern über die schlurfenden Seniorinnen echauffiert hat. Patsch, patsch, patsch.

Ganz vorsichtig setzt meine Frau einen Fuß vor den anderen, trotzdem erzeugt sie Geräusche, als klatschte jemand synchron zu jedem ihrer Schritte. Patsch, patsch, patsch. Nicht zaghaft und zurückhaltend, sondern energisch und mit viel Enthusiasmus. Patsch, patsch, patsch.

Ich bin überzeugt, inzwischen haben alle mitbekommen, dass wir zum Strand unterwegs sind. Im Haus, patsch, in der Ferienwohnung-Anlage, patsch, patsch, in Vilafortuny, in Cambrils und in Salou, patsch, patsch, patsch. Wahrscheinlich auch in Tarragona, patsch, patsch, patsch, patsch. Und in Barcelona ebenso, patsch, patsch, patsch, patsch, patsch.

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Liege am Strand und habe keine Ahnung, welcher Tag heute ist. Beziehungsweise ich muss sehr lange überlegen und rechnen. Wann wir losgefahren sind, wie viele Tage wir im Zug saßen, wie viele Tage wir durch Barcelona gelaufen sind, wann wir den Zug nach Salou bestiegen und wie lange wir schon hier sind. Wenn ich mich nicht verzählt habe, ist Dienstag. Nach dem Datum müssen Sie mich aber nicht fragen. Beim Monat tippe ich auf September.

Am Strand möchte ich auch gar nicht übers Datum, über Wochentage, Monate oder gar Jahreszahlen nachdenken. Am Strand möchte ich ausschließlich faulenzen und entspannen. Quasi chillen, aber meine Kinder haben mir untersagt dieses Wort zu benutzen. Wahrscheinlich habe ich dafür nicht genügend Swag.

Ich will nur auf meinem Badetuch liegen. Nicht schwimmen, nicht spazieren, keine Muscheln sammeln und auch nicht Ball, Boccia oder Beachtennis spielen. Ich möchte nur das tun, wozu ich zuhause im Alltag nicht komme: Nichts. Einfach gar nichts. Herrlich.


Fortsetzung

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