Der alljährliche Urlaubsblog. Aus Spanien. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.
6 Uhr. Der Wecker klingelt. Das ist immer unschön und in den Ferien ganz besonders. Ein klingelnder Wecker steht für Alltag, calvinistische Arbeitsmoral und schaffe-schaffe-Häusle-baue-Mentalität, aber nicht für Müßiggang, Erholung und Entspannung.
Wer auch nicht für Müßiggang, Erholung und Entspannung steht? Der 35-Kilometer-Lauf, den ich heute absolvieren muss. Der ist der Grund, warum ich so früh aufstehen muss, Urlaub hin oder her. Später wird es zu warm, zu anstrengend und obendrein bleibt dann vom Tag nicht mehr allzu viel übrig.
Selbstverständlich muss ich heute keine 35 Kilometer laufen. Das ist nicht gesetzlich vorgeschrieben und neben meinem Bett steht auch niemand mit Pistole im Anschlag und zwingt mich dazu.
Die Misere habe ich mir selbst eingebrockt. Mein Freund A. und ich haben uns vor einem dreiviertel Jahr für den Marathon in Köln angemeldet. Der findet Anfang Oktober statt und wenn du da vorher nicht fleißig lange Läufe gemacht hast, wird das eine sehr, sehr unschöne Veranstaltung. (Noch unschöner als im Urlaub um 6 Uhr aufzustehen.)
Draußen ist es stockdunkel und nieselt. Das planst du eigentlich nicht ein, wenn du Urlaub in Spanien machst. Dass es stockdunkel ist und nieselt.
Eine Banane, einen Kaffee und zwei Gläser Wasser später sowie nach einer längeren inneren Debatte, ob man nicht doch einen der langen Läufe ausfallen lassen kann, bei der ich zu dem Ergebnis komme, dass man nicht kann, breche ich schließlich auf.
Ich bin nicht als Erster und Einziger unterwegs. Regelmäßig überholen mich beneidenswert durchtrainierte Läufer*innen. Manchmal auch mäßig durchtrainierte, was keine guten Rückschlüsse auf meinen eigenen Fitnesszustand zulässt.
Auf der Strandpromenade laufe ich Richtung Cambrils. Das mit der Promenade ist praktisch, so muss ich nicht wie sonst im Urlaub am Rande von kurvigen Landstraßen entlangjoggen, wo du Gefahr läufst, als Roadkill zu enden oder in den Graben zu fallen.
Ein paar Kilometer hinter Cambrils endet die Promenade allerdings. Zwei Kilometer kann ich noch auf einem Radweg laufen, dann muss ich umdrehen, weil ich sonst auf einer Schnellstraße lande, wo Roadkill- und In-den-Graben-fallen-Gefahren lauern. Gerade einmal zehn Kilometer rum, nicht einmal ein Drittel der heutigen Strecke.
Die Temperaturen sind okay, der Himmel ist leicht bewölkt und die Sonne scheint nicht zu stark. Dafür ist die Luftfeuchtigkeit unfassbar hoch. Mein Shirt und meine Shorts sind nach gut einer Stunde schon klitschnass. Meine Unterhose ebenso, falls Sie das interessiert. Als hätte jemand einen Eimer Wasser über mich geschüttet. Hat aber niemand, sondern ich habe quasi selbst einen Eimer Schweiß über mich geschüttet, falls Sie das interessiert.
20 Kilometer rum. Ich bin wieder an der Ferienwohnung angelangt und laufe weiter die Promenade entlang, nun in Richtung Salou.
Bei Kilometer 23 steht ein Burger King, direkt daneben ein McDonald’s. Ich weiß nicht welcher der Läden zuerst da war, aber was für eine fürchterliche Business-Entscheidung, dein Fast-Food-Restaurant direkt neben ein bereits vorhandenes zu bauen. Vor allem, wenn dir der Burger King gehört und du ihn neben den McDonald’s stellst. Da kannst du dein Geld auch gleich verbrennen.
Kilometer 25. Laufe über einen Holzsteg an einer Klippe entlang. Ich glaube, das ist weder ein Steg noch eine Klippe, aber ich bin zu erschöpft, um in meinem Sprachzentrum nach den richtigen Worten zu suchen.
Nach 26 Kilometern ist die Laufstrecke zu Ende. Wobei das nicht ganz korrekt ist. Der Weg ist nicht plötzlich weg, sondern wird sehr steil. So steil, dass ich ihn für mich als beendet erkläre und umdrehe.
Zurück am Strand von Salou. Die Cafés und Restaurants sind gut besucht. Für kurz vor halb elf wird erstaunlich viel Bier getrunken. Nicht einmal von Gruppen junger Männer, bei denen du das erwartest. (Vor allem, wenn sie aus England kommen.) An einem Tisch sitzt ein Mann, circa Anfang 50, mit seinem ungefähr 20-jährigen Sohn, beide mit einem großen Glas Bier vor sich.
Was für eine interessante Wahl für ein Frühstücksgetränk. Und mit „interessant“ meine ich: „What the fuck?“ Nun gut, jeder wie er will. Denken die beiden vielleicht auch, als sie mich vorbeilaufen sehen. (Noch wahrscheinlicher denken sie: „What a cunt.“)
Bei Kilometer 32 komme ich wieder bei unserem Appartement an. Drei Kilometer fehlen noch. Spiele mit dem Gedanken, den Lauf zu beenden und mich ins Meer zu stürzen. Ein untrügliches Zeichen, dass ich dem Wahnsinn nahe bin.
Schleppe mich die letzten 3.000 Meter im Schneckentempo über die Promenade. Verbuche es als Erfolg, dass meine Kilometer-Zeiten nicht zweistellig sind.
Endlich, die 35 Kilometer sind geschafft. Meine Laufuhr bezeichnet meinen Trainingszustand als Erholung. Meine Trainingsbelastung sei zu niedrig, um Fortschritte zu erzielen. Ich glaube die Uhr und ich haben sehr unterschiedliche Auffassungen davon, was „Erholung“ und „niedrige Trainingsbelastung“ bedeuten.
Beim Frühstück erzählt meine Frau, sie befürchte, sie werde allmählich boomerig. Heute Morgen auf der Promenade habe sie sich über zwei ältere Frauen in Flip-Flops aufgeregt, weil die geschlurft sind und ihre Füße nicht ordentlich angehoben haben.
Ich weiß genau, was sie meint. Seit Jahren bin ich der festen Überzeugung, dass alle Menschen in keinem Schuhwerk uneleganter und würdeloser gehen als in Flip-Flops. Egal ob groß, klein, dick, dünn, sportlich oder untrainiert, selbst Models, die für gewöhnlich anmutig über Laufstege stolzieren. Sobald sie Strandlatschen anziehen, watscheln, patschen und trampeln sie wie eine Mischung aus Ente und schwangerem Nilpferd.
Obwohl ich mich für einen einigermaßen liberalen und halbwegs toleranten Menschen halte, würde ich ein gesetzliches Flip-Flop-Verbot begrüßen. Anscheinend bin ich ein noch größerer Boomer als meine Frau. Oder ein Snob. Oder ein versnobter Boomer.
Alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs finden Sie hier:
- Vorbereitung (03.09.): Zurück in die Vergangenheit
- Anreise (04.09.): Auf Kaffeefahrt mit der Deutschen Bahn
- Barcelona (1) (05.09.): Immer geradeaus
- Barcelona (2) (06.09.): Saubere Brillen und wütende Kartoffeln
- Ankunft (07.09.): Blick aufs Meer (und ein bisschen Parkplatz)
- Tag 01 (08.09.): Lauf, Christian, lauf
- Tag 02 (09.09.): Do you need a good one or a normal one?
- Tag 03 (10.09.): Dem Meer ist alles egal
- Tag 04 (11.09.): Nationalfeiertagsfeierlichkeiten Fehlanzeige
- Tag 05 (12.09.): Vom Winde gemobbt
- Tag 06 (13.09.): Mein Name ist nicht Bond
- Tag 07 (14.09.): Man spricht kein Deutsch
- Tag 08 (15.09.): Das ganze Leben ist ein Fake. (Zumindest auf der Strandpromenade Richtung Salou)
- Tag 09 (16.09.): Ein Hollywood-Blockbuster für einen Käsekuchen
- Tag 10 (17.09.): Der mittelalte weiße Mann und das Meer
- Tag 11 (18.09.): Kein Regen im Nichts
- Tag 12 (19.09.): Helga, die Schreckliche
- Tag 13 (20.09.): Ein nasser Abschied
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)