¡Hola España! – Tag 03 (10.09.): Dem Meer ist alles egal (Teil 2)

Teil 1


Meinen Gedanken nachhängen ist auch okay. Zum Beispiel über das Meer. Das war schon immer da und wird immer da sein. Zumindest bis die Erde verglüht, weil sich die Sonne in eine Supernova verwandelt hat.

Immer und ewig war das Meer natürlich nicht schon da. Aber schon seit tausenden Jahren. Seit zehntausenden. Oder hunderttausenden? Bestimmt noch viel länger, aber ohne Google weiß ich das nicht so genau.

Da musst du vorsichtig sein. Wenn du behauptest, das Meer und die Erde seien erst zehntausend Jahre alt, wirst du im günstigsten Fall für ungebildet gehalten und im ungünstigsten für einen die Evolution leugnenden Kreationisten. Und dann giltst du ganz schnell als Aluhut-Träger und Verschwörungstheoretiker und das will kein Mensch. (Außer du bist Kreationist, Aluhut-Träger und Verschwörungstheoretiker, dann kümmert dich das vermutlich nicht.)

Nun gut, ich weiß ohne Internetzugang nicht genau, wann der Urknall war und wann das Meer entstanden ist, aber ein paar Milliarden Jahre wird das schon her sein. (Ein paar Jahre mehr oder weniger sind bei so einer Zeitdimension nicht so entscheidend.)

Faszinierend, was das Meer schon alles erlebt hat. Die Dinosaurier, den Untergang des Römischen Reiches, die Renaissance, die Weltkriege, die Mondlandung, Helmut Kohl, Modern Talking und all die geschichtlichen Ereignisse in Asien, Afrika und Lateinamerika, von denen ich ohne Internetzugang auch nichts weiß.

Und dem Meer ist alles egal. Wirklich alles. Der Lieblingsverein hat verloren? Egal. Die private Altersvorsorge reicht nicht aus? Egal. Du schaffst es nicht, deinem ausuferndem Hüftspeck Einhalt zu gebieten? Egal. Friedrich Merz wird Bundeskanzler? Egal.

Gut, das Meer kann auch nicht „The Bear“ schauen, Käsekuchen essen oder am Kopf eines Babys riechen. Aber dafür ist ihm vollkommen wumpe, ob Friedrich Merz Bundeskanzler wird. Beneidenswert.

Bild von Strand und Meer
Meer, leidenschaftslos

Am Strand sind erstaunlich viele Frauen oben ohne unterwegs. Wegen nahtloser Bräune und so. Ebenfalls erstaunlich viele Frauen treiben am Strand barbusig Sport, spielen Beach Tennis oder machen Dehnübungen.

Für einen Moment dachte ich, wir liegen im FKK-Bereich, weil hier so viele halbnackte Frauen rumlaufen. Bestimmt ein Dutzend. Das ist ungefähr zwölfmal mehr als letztes Jahr in Portugal.

Nageln Sie mich nicht fest, ob es wirklich zwölf Oben-ohne-Frauen sind, die ich gesehen habe. Das ist eine Schätzung von mir, ich habe das nicht genau nachgezählt.

Du kannst schließlich nicht mit einer Strichliste über den Strand laufen und die Barbusigen durchzählen. Da giltst du ganz schnell als Perverser und mein Spanisch ist zu schlecht, um zu erklären, dass das rein wissenschaftlichen Zwecken dient. Dazu würde selbst mein Englisch nicht ausreichen, wahrscheinlich nicht einmal mein Deutsch.

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Abends Telefonat mit den Kindern. Zuerst mit der Tochter. Sie und C. schauen zurzeit eine Survival-Show auf Netflix, in der die Teilnehmenden mit sehr wenig Ausrüstung in Alaska überleben müssen. Das wäre nichts für sie, meint die Tochter. Sobald sie ein Geräusch hören würde, das nur im Entferntesten auf Bären oder Wölfe hindeutete, würde sie sofort die Leuchtfeuer-Pistole abfeuern, um zu signalisieren, dass sie abbrechen will.

Ich vermute, sie würde wahrscheinlich schon bei der Sichtung einer Spinne, einer Motte oder irgendeines Käfers die Pistole benutzen. Noch wahrscheinlicher würde sie bei so einer Show gar nicht mitmachen. Wobei das vielleicht eine interessantere Sendung wäre: eine Survival-Show mit lauter Insektenphobiker*innen.

Anschließend Video-Anruf beim Sohn. Seit unserer Abreise hat er einen Oberlippenbart und ein Kinnbärtchen kultiviert, was ihm das Aussehen eines spanischen Adligen verleiht. Zumindest aus einer bestimmten Kameraperspektive und bei schummrigem Licht. Und wenn du nicht weißt, wie spanische Adlige aussehen.

Er berichtet, er hätte jeden Tag Blumen gegossen, die sähen aber trotzdem voll trocken aus. Ich möchte nicht ausschließen, dass er die Blumengießerei irgendwann aus den Augen verloren hat und uns jetzt beibringen will, uns besser geistig schon mal von der Balkonbepflanzung zu verabschieden.

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Während des Abendessens fotografieren sich erneut zwei junge Frauen am Strand gegenseitig. Sie posieren stehend und sitzend vor den Wellen. Bestimmt war die heutige Aufgabe in der Influencer-Academy: Nutze die Natur als deine Kulisse.


Bilanz des Tages

  • 19 Kilometer gelaufen, 15 davon flott
  • 22.078 Schritte gegangen
  • 44,94 Euro im Supermarkt bezahlt
  • 1 Nickerchen vor dem Strandbesuch gemacht
  • 1 Nickerchen während des Strandbesuchs gemacht
  • 2 Telefonate mit den Kindern geführt
  • 1 Kniffel geworfen
  • 3 Partien Kniffel verloren

¡Hola España! – Tag 02 (09.09.): Do you need a good one or a normal one?

Der alljährliche Urlaubsblog. Aus Spanien. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.

Kurz nach 7. Heute kein Weckerklingeln, wache von allein auf. Gehe auf den Balkon. Kaffee und Meerblick. Die Sonne noch nicht draußen, der Wind schon. Frisch. Septembermorgen.

Noch mag ich mich nicht so recht mit dem Gedanken anfreunden, laufen zu gehen. Unten marschieren zwei Frauen mit Handtüchern unter den Armen Richtung Strand. Frühschwimmer*innen. Somit gehen mir die Entschuldigungen aus, mich vor dem Sport zu drücken.

Nach der gestrigen langen Einheit sieht der Trainingsplan heute einen Erholungslauf vor. Fünfzehn Kilometer. Den Zusammenhang mit der Erholung muss mir der Plan noch erklären. Das Tempo soll gemütlich langsam sein. Ich war gestern schon ziemlich langsam. (Aber ohne Gemütlichkeit.) Um das zu unterbieten, müsste ich gehen. Oder sitzen.

Titelbild mit einer Müslipackung, die auf einem Glastisch steht. Die Packung spiegelt sich auf der Oberfläche des Tischs.
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¡Hola España! – Tag 02 (09.09.): Do you need a good one or a normal one? (Teil 2)

Teil 1


Döse am Strand vor mich hin, lausche dem Rauschen des Meeres und lasse meine Gedanken fließen. Stelle schnell fest, dass da gar nicht so schrecklich viel fließt. Vielleicht liegt das an der Urlaubsentspannung. Oder ich habe weniger Gedanken als ich dachte und noch weniger kluge. Besser nicht weiter darüber nachdenken, sondern einfach dem rauschenden Meer lauschen. Dem ist auch alles egal.

Meine Frau probiert die neue Taucherbrille aus. Die ist tatsächlich „very good“ und lässt kein Wasser durch. Trotzdem sieht sie nicht, was unter ihr passiert. Zu viel aufgewirbelter Sand. Da hätte auch die „more good“ Brille nicht geholfen.

Dämmere weiter vor mich hin. Das Meeresrauschen lässt mich allmählich in ein Nickerchen abdriften. Von links weht spanisches Stimmengewirr herüber, das in seinem schnellen Stakkato an Maschinengewehrsalven erinnert.

In der Ferne ist Kinderlärm zu hören. Kein fröhliches Juchzen oder glucksendes Kichern, sondern die Art von Kreischen, vor dem sich alle Eltern fürchten. Weil du entweder keine Ahnung hast, was deinem Kind nicht passt, oder du weißt es, kannst aber nichts daran ändern. Weil das Kind nun mal beim Straße überqueren an der Hand gehen soll, egal ob es will oder nicht, oder noch mal eingecremt werden muss oder seine nasse Badehose ausziehen soll.

Ich bin froh, dass unsere Kinder so groß sind, dass sie nicht mehr hysterisch kreischen, wenn ihnen etwas nicht passt. (Und ein bisschen wehmütig, dass sie so groß sind, dass sie nicht mehr mit uns in Urlaub fahren.) Am liebsten würde ich den Eltern des eskalierenden Kindes zurufen: „Fürchtet euch nicht. Alles wird gut.“

Menschenleerer Strand, Meer und wolkenloser Himmel
Strand, Tag am

„Hola, Massages?“ Eine Frau läuft über den Strand und bietet Massagen an. Ich stehe Massagen eher ablehnend gegenüber. Ich möchte nicht von einer mir unbekannten Person angefasst und durchgeknetet werden. Ich möchte nicht einmal von einer mir bekannten Person durchgeknetet werden. Die Vorstellung, dass ich dabei auf dem Strand liege und mir Sand an alle Körperteile und in alle Körperöffnungen weht, macht das Ganze noch unattraktiver.

Die Masseurin stampft resolut über den Sand. Ihr „Hola, Massages?“ klingt weniger nach Frage, sondern mehr nach Aufforderung, wenn nicht gar Befehl. Ich lehne trotzdem mit einem schüchternen „No, gracias“ ab. Die Frau geht missmutig weiter und bellt weiter ihr „Massages“ über den Strand.

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Während des Abendessens beobachten wir diesmal zwei Frauen am Meer, die sich gegenseitig dabei fotografieren oder filmen, wie sie ins Meer rennen. Immer wieder stürmen sie in die Wellen, kontrollieren die Aufnahme, sind nicht zufrieden und es geht wieder von vorne los. 20 Minuten lang. Dann verlassen sie pitschnass den Strand und gehen in Richtung des Hotels, das hinter unserer Ferienwohnung liegt.

Vielleicht findet dort eine Influencer-Academy statt, bei der die Teilnehmer*innen jeden Tag Content am Strand erstellen müssen.

Blick vom Balkon auf den menschenleeren, abendlichen Strand
Strand, abendlich (ohne Strandfluencerinnen)

Bilanz des Tages

  • 15,01 Kilometer gelaufen
  • 27. 875 Schritte gegangen
  • 1 Supermarktbesuch (37,88 Euro)
  • 0 Fake-Produkte an der Promenade gekauft
  • 1 Paar Fake-Flip-Flops in Salou erworben
  • 1 “good one” Taucherbrille in Cambrils erstanden
  • 2 Irish Pubs gesehen
  • 3 Kniffel geworfen (alle ich)

¡Hola España! – Tag 01 (08.09.): Lauf, Christian, lauf

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6 Uhr. Der Wecker klingelt. Das ist immer unschön und in den Ferien ganz besonders. Ein klingelnder Wecker steht für Alltag, calvinistische Arbeitsmoral und schaffe-schaffe-Häusle-baue-Mentalität, aber nicht für Müßiggang, Erholung und Entspannung.

Wer auch nicht für Müßiggang, Erholung und Entspannung steht? Der 35-Kilometer-Lauf, den ich heute absolvieren muss. Der ist der Grund, warum ich so früh aufstehen muss, Urlaub hin oder her. Später wird es zu warm, zu anstrengend und obendrein bleibt dann vom Tag nicht mehr allzu viel übrig.

Selbstverständlich muss ich heute keine 35 Kilometer laufen. Das ist nicht gesetzlich vorgeschrieben und neben meinem Bett steht auch niemand mit Pistole im Anschlag und zwingt mich dazu.

Die Misere habe ich mir selbst eingebrockt. Mein Freund A. und ich haben uns vor einem dreiviertel Jahr für den Marathon in Köln angemeldet. Der findet Anfang Oktober statt und wenn du da vorher nicht fleißig lange Läufe gemacht hast, wird das eine sehr, sehr unschöne Veranstaltung. (Noch unschöner als im Urlaub um 6 Uhr aufzustehen.)

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¡Hola España! – Barcelona (2) (06.09.): Saubere Brillen und wütende Kartoffeln

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7 Uhr, der Handywecker klingelt. Den habe ich gestellt, weil ich in der Frühe laufen will. Der Gestern-Abend-Christian hielt das für eine gute Idee. Der Heute-Morgen-Christian ist davon wenig begeistert, hält den Gestern-Abend-Christian für einen riesigen Trottel und überlegt, das Laufvorhaben zu den Akten legen, bevor es beginnt.

Das preußische Pflichtbewusstsein und die protestantische Arbeitsethik halten aber nichts von zu-den-Akten-legen und auch nichts von Müßiggang oder Laissez-faire und übernehmen das Kommando. Also muss ich meine Laufklamotten anziehen und finde mich kurz danach vor dem Hotel wieder. Das liegt an einem Anstieg, womit sich mir zwei Optionen bieten: Entweder nach links – abwärts oder nach rechts – aufwärts.

Entscheide mich für rechts, dann kann ich später auf dem Rückweg runter laufen. In der Theorie ein bestechender Plan, in der Praxis nicht ganz so, denn nun muss ich erstmal hochlaufen. Sehr lange und sehr steil. Der Jetzt-hochlaufen-Christian hält den Später-runterlaufen-Christian für einen miesen Egoisten, was den aber nicht weiter stört, dafür darf er ja nachher gemütlich den Hügel hinabtraben.

Titelbild mit einer Wandinstallation aus rot-pinken Getränkedosen, auf denen "I wann love you every day and every night" steht.
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¡Hola España! – Barcelona (2) (06.09.): Saubere Brillen und wütende Kartoffeln (Teil 2)

Teil 1


Im Anschluss an die Tour schlendern wir durch den Stadtteil El Raval, durch eine enge Gasse, die links und rechts von kleinen Geschäften und Shops gesäumt ist, manche trashig, manche hochwertig.

Normalerweise bin ich gegen das Werben von Straßenhändlern immun. Ich laufe mit mittelmäßig freundlichem Gesicht an ihnen vorbei und sage mittelmäßig freundlich „No, thank you“, ohne richtig darauf zu hören, was sie zu mir sagen.

Nicht weil ich per se ein unhöflicher Mensch bin. Eher im Gegenteil. Das ist Selbstschutz. Bin ich erstmal in ein Gespräch verwickelt worden, gibt es für mich so gut wie keine Möglichkeit, was auch immer mir angeboten wird, nicht zu kaufen. Schließlich möchte ich die Person nicht kränken. (Beweisstück A: Eine WWF-Fördermitgliedschaft, die ich während des Zivildiensts an der Tür meines Schwesternwohnheim-Zimmers abschloss und erst fünfzehn Jahre später kündigte.)

Heute erwischt mich allerdings ein junger Mann auf dem falschen Fuß. Auf sein „Hello, Sir, how are you?“ versagt mein reflexartiges „No, thank you“. Stattdessen erwidere ich: „Pardon?“ (Warum, Christian, warum?)

Daraufhin lässt er ein paar Small-Talk-Floskeln los, um dann festzustellen, meine Brille sei schmutzig. Das ist einerseits etwas distanzlos, fast schon unverschämt, andererseits aber auch zutreffend. Meine Brille ist tatsächlich schmutzig. Eigentlich immer.

Wenig überraschend hat der Verkäufer eine Lösung für mein Schmutzige-Brille-Problem: ein Putzmittel auf Aloe-Vera-Basis, das durch irgendeine Weltraumtechnologie dafür sorgt, dass die Brille nach der Reinigung tagelang nicht von neuem Schmutz behelligt wird. Das demonstriert er an meiner Brille und weil er schon dabei ist, auch an der meiner Frau.

Für ein überschaubar großes Fläschchen des Wundermittels, circa 200 Milliliter, ruft er einen Preis von 25 Euro auf. Weil ich dazu nichts sage, geht er auf 20 Euro runter. Allerdings ist mir das auch zu teuer. Mein Schweigen ist keine Verhandlungstaktik, sondern ich würde das Putzmittel nicht einmal für fünf Euro kaufen.

Ich nehme all meine Kraft zusammen, die mir als People Pleaser zur Verfügung steht, und erkläre, wir hätten kein Interesse. Der junge Mann sagt, dass sei kein Problem, falls wir es uns anders überlegten, könnten wir ja wieder kommen. Im beiderseitigen Wissen, dass das nicht passieren wird, verabschieden wir uns und gehen weiter.

Mir tut das etwas leid. Hätte ich sofort „No, thank you“ gesagt, hätte ich ihm – und uns – Zeit gespart. Allerdings hätte ich dann nicht tagelang eine saubere Brille.

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Um etwas zu entspannen, suchen wir die Jardins de Rubio i Lurch auf, einen Stadtpark in einem historischen Krankenhaus, der von Mit Vergnügen als „unerwartete Oase“ angepriesen wurde. Dort könne man eine „Pause vom Trubel der Stadt“ einlegen, unter blühenden Orangenbäumen lesen oder Schach mit katalanischen Opas spielen. Das hört sich gut an. (Außer das mit den Schach spielenden katalanischen Opas. Auf die könnte ich verzichten. Nicht weil sie Opas sind und aus Katalonien stammen, sondern wegen des Schachspielens.)

Als wir den Park erreichen, entpuppt er sich als weit weniger idyllisch als bei Mit Vergnügen beschrieben. Eher als Sammel- und Schlafplatz von Obdachlosen und Drogenabhängigen, was nicht unbedingt meinem Verständnis von „unerwarteter Oase” entspricht. (Wobei, unerwartet war es auf seine Weise schon.)

Also legen wir unsere Rast stattdessen am nahegelegenen Playa de Sant Josep ein, einem Platz an einer großen Markthalle mit vielen Lokalen und Bars. Wer dort allerdings auch Rast macht, sind monströs große Möwen. Die machen den Eindruck, als duldeten sie die herumsitzenden Menschen lediglich. Wir beschließen, Ausruhen ist überbewertet und gehen weiter.

Unschönes Erlebnis auf dem Rückweg zum Hotel: In El Born werden wir Zeuge eines Diebstahls. Ein junger Typ versucht einer indischen Touristin die Kette vom Hals zu reißen, was ihm nach kurzem Gerangel gelingt. Meine Frau und ich wollen der Inderin zur Hilfe eilen, aber bis wir kapiert haben, was da gerade passiert, rennt der Dieb schon weg.

Reflexhaft laufe ich ihm ein Stück hinterher, um ihn zu verscheuchen. Dann fällt mir auf, dass er die Kette ja bereits hat und ich ihn folglich einholen müsste, um hier irgendetwas zu bewirken. Was würde aber passieren, wenn ich ihn tatsächlich stelle. Muss ich ihm dann eine reinhauen? Oder macht er das bei mir? Halte das zweite Szenario für wesentlich realistischer und breche die Verfolgung nach wenigen Metern ab.

Ein paar junge Männer kümmern sich derweil um die indische Frau. Wir gehen weiter und halten unsere Rucksäcke und Taschen etwas fester als vorher.

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Fürs Abendessen hat meine Frau eine weitere Tapas-Bar bei Google ausfindig gemacht. La Pepita kann eine 4,5-Sternebewertung vorweisen und liegt knapp zwei Kilometer von unserem Hotel entfernt im Künstlerviertel Gracia.

Der Stadtteil verströmt leichte Prenzlauer-Berg-Vibes, nur die Leute sehen hier nicht ganz so unangenehm hip aus. Vielleicht kann ich das aber auch nicht so gut beurteilen, weil ich nicht weiß, was in Spanien als hip gilt. (Um ehrlich zu sein, vermag ich das in Deutschland ebenso wenig einzuschätzen.)

Graffiti-Bild auf einem bodentiefen Rolladen: Ein grüner Comic-Drachen, neben seinem Kopf ist ein Herz
Drache, herzlich

Nach kurzer Wartezeit vor der Bar (Stichwort: Freitagabend und keine Reservierung) bringt uns eine junge Frau an der Theke vorbei in den hinteren Teil des Lokals zu unserem Tisch.

Ein junger Mann hinter dem Tresen trägt ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck: „I am not rude I just have the balls to say what everyone else is thinking.“ Ein erstaunliches Statement für jemanden, der in der Gastronomie arbeitet. Gleichermaßen überheblich und unhöflich. Vielleicht ist sein „I am not rude I am just a fucking asshole“-Shirt gerade in der Wäsche.

Bei der Bestellung überfordert mich das Prinzip Tapas ein wenig. Ich möchte fast alles probieren, was auf der Karte steht, weiß aber nicht, wie groß die Portionen sind und wie viele Gerichte du nehmen kannst, bevor die Leute dich für Jumbo Schreiner halten, der versucht, einen Weltrekord im Tapas-Essen aufzustellen.

Wir ordern Chorizo, Käse mit Weintrauben und Rosinen, frittierte Auberginen auf Ziegenfrischkäse mit Apfelraspeln und die wütenden Kartoffeln. So wütend finde ich sie später gar nicht, nur gut gewürzt. Dazu nehmen wir einen halben Liter Sangria und weil man auf einem halben Bein schlecht steht, später noch einen halben.

Als die ersten Speisen auf unserem Tisch stehen, bin ich unsicher, ob ich sofort mit dem Essen anfangen kann oder auf den Rest warten muss oder das gerade nicht tun sollte, weil dann jeder weiß, dass ich ein ignoranter Trottel bin, der hier eigentlich nichts zu suchen hat. (Kulinarischer Luxus-Stress im Urlaub)

Neben uns sitzt ein amerikanisches Paar, etwas älter als wir. Sie bekommen ununterbrochen neue Tellerchen, Schüsselchen und Brettchen mit Leckereien gebracht. Ich glaube, sie haben das Tapas-Game noch weniger verstanden als wir.

Wir kommen mit ihnen ins Gespräch und erfahren, dass sie aus North Carolina sind, er hat deutsche Vorfahren, die er aber nicht kennt. Amerikaner*innen sind so angenehm small-talk erprobt, da fällt selbst mir eine Unterhaltung leicht. Sie wollen nie etwas von dir und freuen sich überschäumend, wenn du sagst, du kommst aus Deutschland („That’s amazing!“) – sicherlich freuen sie sich genauso, wenn Italiener oder Franzosen erzählen, wo sie herkommen – und nach ein paar Minuten gehen alle fröhlich ihrer Wege.

Damit die beiden sich mit ihrem vielen Essen nicht so schlecht fühlen, bestellen wir noch Nachtisch. Irgendetwas sehr Schokoladiges und Mais-Eis mit Popcorn. Beides köstlich.


Bilanz des Tages

  • 10 Kilometer gelaufen
  • 34.235 Schritte gegangen
  • 0 Brillenputzmittel gekauft
  • 0 Überfälle vereitelt
  • 1 Liter Sangria getrunken

¡Hola España! – Barcelona (1) (05.09.): Immer geradeaus

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6.45 Uhr. Die sphärischen Klänge meines Handyweckers beenden die Nacht in unserem Low-Budget-Hotel in Avignon. Habe geschlafen wie ein Stein und fühle ich mich auch so: schwer, steif und unfähig, mich zu bewegen.

Die Dusche wartet dafür mit erfreulich ordentlichem Wasserdruck auf. Nicht zu doll, dass dir die Haut vom Leib gekärchert wird, aber auch nicht zu lasch, dass du dreißig Minuten benötigst, um dir Shampoo und Seife von Kopf und Körper zu spülen.

Weil ich zu faul bin, mein Duschgel zu suchen, benutze ich die All-in-one-Allzweckwaffe, die in der Dusche hängt. Was genau da drin ist, kann ich ohne Brille nicht lesen. Vielleicht auch besser. Wahrscheinlich ein Körperpflege-Badreiniger-Hybrid, der sowohl zum Einseifen als auch zum Entfernen von Kalk und Schimmel verwendet werden kann. Und als Rohrfrei.

Zumindest riecht, was auch immer in der Flasche ist, neutral und mir fallen nicht spontan die Haare aus. Somit sind die Mindestanforderungen an eine Duschgel-Shampoo-Kombi erfüllt.

Beim Auschecken müssen wir die City Tax von 1,10 Euro pro Person entrichten. Das ist nicht besonders viel. Da wir gestern lediglich 500 Meter vom Bahnhof zum Hotel gelaufen sind und achteinhalb Stunden geschlafen haben, fühlt es sich trotzdem an, als sei das ein Scam der Stadt Avignon.

Titelbild mit einem Käseteller und einer Weißbrotscheibe, die mit passierten Tomaten bestrichen ist. Der Teller steht auf einem Tisch in einer Tapas-Bar.
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¡Hola España! – Anreise (04.09.): Auf Kaffeefahrt mit der Deutschen Bahn

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Wache orientierungslos auf und weiß nicht wer, wo und wann ich bin. Laut dem Stand der Dämmerung könnte es 4 oder schon 9 Uhr sein. Letzteres wäre ungünstig, Unser Zug fährt um 8.30 Uhr am Hauptbahnhof los.

Der Radiowecker zeigt 5.30 Uhr an. Alles im grünen Bereich. Außer dass ich eine Stunde länger hätte schlafen können.

Dafür kann ich alles etwas geruhsamer angehen lassen. (Positiv denken.) Kaffee trinken, aufs Klo gehen, Spülmaschine ausräumen, einen weiteren Kaffee trinken, duschen, Provianttasche fertig richten, Kaffee Nummer drei, nochmal Toilette. Als ich den nächsten Kaffee machen will, sagt die Blase, jetzt sei es mal gut mit dieser Kaffeetrinkerei, sonst würde ich die halbe Fahrt auf der Bordtoilette verbringen und das sei wirklich der letzte Ort, an dem du dich in einem Zug aufhalten möchtest.

Titelbild mit einem Papp-Kaffeebecher der Deutschen Bahn, der auf einem Ausklapptischchen in einem ICE steht. Auf dem Becher steht: Genuss auf ganzer Strecke.
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¡Hola España! – Anreise (04.09.): Auf Kaffeefahrt mit der Deutschen Bahn (Teil 2)

Teil 1


Der TGV hat schon bessere Tage gesehen. Hoffe ich zumindest. Die Sitze sind durchgesessen, der Teppichboden könnte eine Reinigung vertragen – noch besser: rausreißen und verbrennen – und an der Rückenlehne vor mir sind rorschachartige Spritzer von etwas Undefinierbarem, die ich mir lieber nicht näher anschaue, weil ich gar nicht wissen möchte, was das mal gewesen sein könnte. Dafür sitzen keine Rammstein-Assis in unserem Waggon. (Positiv denken.)

Ein Mann, der Richtung Toilette geht, tritt mir versehentlich auf den Fuß. Er ist fast zwei Meter groß, hat das Kreuz eines Möbelpackers und trägt eine Jeffrey-Dahmer-Brille. Deswegen entschuldige ich mich bei ihm und beteure, es sei ganz allein meine Schuld, dass ich meinen Fuß unter seinen gestellt habe.

Bei jedem Halt ertönt kurz vor der Ankunft im Bahnhof eine Frauenstimme aus dem Bordlautsprecher. Sie sagt auf die passiv-aggressivste Weise, die du dir vorstellen kannst: „Wir sind da. Sicherlich nichts zurückgelassen? Ein letzter Blick schadet nicht.“

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21 Uhr. Ankunft in Avignon. Ich weiß nichts über die Stadt. Nur dass dort eine Brücke steht. Vermute ich zumindest, weil wir diese regelmäßig im Grundschul-Musikunterricht besangen.

Auf dem Weg zu unserer Unterkunft. Bin ein wenig nervös, da ich sie gebucht habe. Ein Low-Budget-Appartement-Hotel, bei dem mir Preis und Nähe zum Bahnhof wichtiger als Ausstattung und Komfort waren. Ich hoffe, das Hotel genügt den Ansprüchen meiner Frau.

Andererseits darf sie sich nicht beschweren, sie hätte ja selbst ein Zimmer raussuchen können. Das ist ein ehernes Gesetz unserer mehr als 27-jährigen Partnerschaft und Basis unserer meist harmonischen Ehe: Du darfst dich nicht über etwas beklagen, um das du dich selbst hättest kümmern können.

Gegen diese Regel verstoßen wir fast nie. Zur Not habe ich den Satz einer Kundinnen parat: „Nur wer nichts macht, macht keine Fehler.“ Ein großartiges Motto, mit dem du den größten Bockmist, den du anrichtest, rechtfertigen kannst. („Du hast mich mit meiner Schwester betrogen?“ „Nur wer nichts macht, macht keine Fehler.“)

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Im Hotel ist der Empfang nicht mehr besetzt. Das wussten wir schon, denn ich hatte gestern eine Mail mit detaillierten Anweisungen erhalten:

  • Das Appartement liegt in der 8 Rue de la gare.
  • Wenn die Tür zum Hotel verschlossen ist, benutze den Code 2793.
  • Gehe nicht zur Rezeption, gehe direkt zu dem schwarzen Safe und öffne ihn mit der Kombination 779218.
  • In dem Safe liegt ein Umschlag mit deinem Namen und einem Schlüssel. Gehe damit in den dritten Stock zu Zimmer 314.

Klingt wie der Quest eines 90er-Jahre Text Adventures, bei dem du einen Topf Gold hinter dem Regenbogen suchst, ist aber leider nur der Zugang zu unserer Schlafstätte. Ein schlichtes Zimmer mit zu weißen Wänden und zu greller Beleuchtung und leicht müffelndem Abfluss im Bad. Ich darf das kritisch anmerken, schließlich habe ich es gebucht.

  • Langer Hotelflur. Die Wände sind weiß, die Decke ist niedrig, links und rechts sind Türen.
  • Bett mit aufgestellten Kissen am Kopfende
  • Topf mit Reis in Tomatensauce

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Zum Abendessen machen wir in der Kochnische Express-Beutel-Reis mit passierten Tomaten aus dem Tetrapak. Um den Abwasch zu reduzieren, löffeln wir direkt aus dem Topf. Essen wie Gott in Frankreich neu interpretiert.


Bilanz des Tages

  • 12 Stunden Zug gefahren
  • rund 1.450 Kilometer zurückgelegt
  • 1-mal umgestiegen
  • 0 Minuten verspätet
  • 3 Äpfel, 3 Stullen, und 3 Stücke Kuchen gegessen
  • 3 Cappuccini getrunken (beziehungsweise 1 Cappuccino, noch 1 Cappuccino und 1 weiteren Cappuccino)

¡Hola España! – Vorbereitung (03.09.): Zurück in die Vergangenheit

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„Wie heißt nochmal unser Urlaubsort?“ So doll wie meine Frau ihre Augen verdreht, ist zu befürchten, sie kullern gleich aus den Höhlen. Ich möchte nicht ausschließen, dass ihre Augenrollerei darauf zurückzuführen ist, dass ich diese Frage nicht zum ersten Mal gestellt habe, sondern bereits mehrfach. Wie oft, vermag ich nicht zu sagen.

„Vilafortuny. Zwischen Salou und Cambrils“, antwortet meine Frau. Sie redet sehr langsam und etwas zu laut für normale soziale Gepflogenheiten. Als wäre ich schwer von Begriff und schwerhörig. Dabei habe ich nur ein sehr schlechtes Namensgedächtnis. Das schließt neben Personen, Bäumen, Blumen und Vögeln nun mal Orte ein.

Titelbild in den spanischen Farben rot und gelb gehalten mit einem Foto aus den 70ern mit einem dreijährigen mit weißem Strandhütchen und weißem Bademantel unter einem Sonnenschirm am Strand.
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