Der alljährliche Urlaubsblog. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des Cassis-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.
6.30 Uhr. Ich wache auf. Für den Urlaub ein wenig früh. Aber immerhin eine halbe Stunde später, als der Wecker in Berlin geklingelt hat. (Ich habe bewusst nicht die Formulierung „eine halbe Stunde später, als der Wecker normalerweise in Berlin klingelt“ gewählt. Freitagmorgen habe ich nämlich vergessen, den Wecker auszustellen. Das heißt, er ist heute früh um 6 Uhr losgegangen. Und das wird er auch die nächsten zwei Wochen tun.)
Das frühe Aufwachen hat aber sein Gutes: Ich will heute das erste Mal laufen gehen. Bei den Temperaturen hier ist es besser, früher als später zu starten. Aber auch nicht zu früh. Im Urlaub um halb sieben zu joggen, hat so etwas unsympathisch Überambitioniertes. Als wärst du deine eigene Eiskunstlauf-Mutter, die dich zu Höchstleistungen quält. Ich mache mir erstmal einen Kaffee.
Heute läuft es mit der Kaffeemaschine und mir tadellos. Ich stelle ihr Strom, Wasser und Kapseln zur Verfügung, sie gibt mir Kaffee. Bin mir allerdings nicht sicher, ob ich jetzt tatsächlich weiß, wie die Maschine funktioniert. Wahrscheinlich denkt die sich, bevor der Typ wieder kurz vorm Melt-Down steht, gebe ich ihm einfach Kaffee und dann kann er glauben, er wüsste, wie ich zu bedienen bin. (*zwinkizwonki*) Um ehrlich zu sein, ist mir das egal. Hauptsache ich habe Kaffee!
Ich gehe auf den Balkon und bringe meiner Frau einen Kaffee mit. (Kleine Aufmerksamkeiten erhalten bekanntlich die Ehe.) Sie kann ihn gut gebrauchen, sie ist schon seit 5 Uhr wach. (Stammleserinnen wissen, dass meine Frau viel älter ist als ich. In ihrem Alter brauchst du nicht mehr so viel Schlaf und wachst früh auf. Meine Frau wird das natürlich alles abstreiten. Sie wissen schon, der Altersstarrsinn!)
Wir schweigen ein wenig gemeinsam, genießen den Ausblick, trinken unseren Kaffee und lesen zwischendurch ein bisschen Internet.
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Um 8 Uhr breche ich zu meinem Lauf auf. Das heißt, ich ziehe erstmal meine Laufschuhe an, instruiere meine Lauf-App, überlege, welche Musik ich hören will, simuliere ein paar Dehnübung und breche um 8.15 Uhr zu meinem Lauf auf.
Mein Ziel: 10 Kilometer. Meine Motivation: semi. In und um Cassis geht es meistens auf und ab. Aber nicht so ein bisschen wellig wie bei einer Bahn für Amateur-Skater auf dem Kinderspielplatz. Mehr wie so Tour-de-France-Anstiege der Hors Catégorie. (Stichwort Mont Vetoux-Anstieg zurück zur Ferienwohnung)
Das Lauftraining im Urlaub sausen zu lassen, kommt aber nicht infrage. Anfang des Jahres haben mein Freund Arne und ich uns in einem Anflug von Midlife Crisis für den Köln-Marathon angemeldet. Bis dahin sind es noch zwölf Wochen. Da ist jetzt nicht die richtige Zeit, den ganzen Tag Croissants und Brioches zu fressen und mich nicht zu bewegen. Sonst muss Arne mich wie einen Mehlsack über die Ziellinie in Köln schleppen. Diese demütigende Erfahrung möchte ich mir ersparen. Und Arne.
Mein Plan ist es, zunächst Richtung Bahnhof zu laufen. Von unserer Ankunft in Cassis am Samstag weiß ich, dass der Weg größtenteils flach ist. Anschließend schaue ich einfach, wie lange es noch Fußwege gibt, auf denen ich von Autos und Motorrollern unbehelligt laufen kann, und nach fünf Kilometern drehe ich um.
Der erste Teil mit der Strecke zum Bahnhof ist ganz okay. Höchstens ein bisschen viel Sonne. Und ein bisschen wenig Bäume. Und dadurch ein bisschen wenig Schatten. Und dadurch ein bisschen viel Schwitzen. Aber sonst ganz okay.
Am Bahnhof vorbei gibt es einen Bürgersteig. Das ist erstmal gut. Allerdings ist die Strecke nicht mehr größtenteils flach. Das ist weniger gut. Recht bald kommt ein Anstieg, der ziemlich steil ist. Das ist noch weniger gut. Der Anstieg zieht sich recht lang, bevor er steiler wird. Dann zieht er sich weiter und wird noch steiler. Danach noch steiler und noch steiler und noch steiler. Und noch ein bisschen steiler.
Mein Tempo liegt mittlerweile knapp unter Nordic-Walking-Geschwindigkeit. Und wenn ich knapp unter Nordic-Walking-Geschwindigkeit schreibe, meine ich deutlich unter Nordic-Walking-Geschwindigkeit. Eines 100-jährigen Nordic Walkers. Es ist mehr so ein Trippeln auf der Stelle. Ohne Trippeln.
Die Landschaft und Aussicht um mich herum ist auch nicht besonders erbaulich. Auf der einen Seite ist eine Art Gewerbegebiet mit wellblechigen Container-Büros – das muss die untergehende Industrie in Cassis sein -, auf der anderen Seite verdorrte Vegetation. Der Boden sieht so trocken aus, wie sich mein Mund anfühlt.
Schließlich habe ich die Fünf-Kilometer-Marke erreicht und kann umdrehen. Schön daran ist, dass ich nicht mehr bergauf laufen muss. Unschön ist, dass der Abstieg so steil ist. Wenn ich jetzt stolpere, purzle ich den ganzen Berg hinunter und komme am Bahnhof als ein Haufen aus zerschmetterten Knochen und zermatschtem Fleisch zum Liegen.
Das passiert aber nicht. Sonst könnte ich das hier nicht schreiben. Schließlich werde ich nicht von einem Ghostwriter begleitet, der später die Blog-Beiträge verfasst. (Was für mich schade ist.) Nein, hier schreibt der Chef noch selbst. (Was für Sie schade ist.)
Der Rückweg vom Bahnhof zur Ferienwohnung ist dann wieder ganz okay. Höchstens ein bisschen viel Sonne. Und ein bisschen wenig Bäume. Und dadurch ein bisschen wenig Schatten. Und dadurch ein bisschen viel Schwitzen. Aber sonst ganz okay.
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„Holy shit!“, denke ich, als ich die Summe auf dem kleinen Display an der Supermarktkasse sehe. Wir haben unseren ersten Großeinkauf getätigt und nachdem die Kassiererin den letzten Artikel über den Scanner gezogen hat, erscheint da nun ein dreistelliger Betrag, der mich vermuten lässt, dass die Inflation in Cassis bei mindestens 150 Prozent liegt.
Dabei haben wir uns neben Produkten des täglichen Haushaltsbedarfs – Spül- und Waschmittel, Küchenrolle, Toilettenpapier – auf das Allernötigste beschränkt. Okay, die Literflasche Aperol fällt nicht unbedingt in die Kategorie „das Allernötigste“. Aber im Urlaub trinken wir abends gerne mal ein Gläschen Aperol Spritz und wie es der Name schon andeutet, benötigst du dafür Aperol. Eine kleinere Flasche gab es nicht. Da kannst du dann nichts machen. Die beiden Flaschen Sekt wären vielleicht auch verzichtbar gewesen. Allerdings wollen wir den Aperol nicht pur saufen und irgendwie muss ja der Spritz in den Aperol Spritz kommen.
Ansonsten haben wir uns wirklich zurückgehalten. Wir haben nichts geholt, was wir nicht unbedingt brauchen. Ob wir die Maxi-Packung Chupa-Chups-Lollis „unbedingt brauchen“, ist eventuell diskussionswürdig. Die hat sich der Sohn ausgesucht. Seinen Wunsch eines 6er-Pack Cola in Glasflaschen hatten wir vorher abschlägig beschieden. Da mussten wir als Eltern bei den Lutschern Konzessionen machen. Schließlich soll das Kind nicht in einer Nein-Umgebung aufwachsen und schon gar nicht im Urlaub.
Abgesehen vom Aperol, dem Sekt und denn Lutschern haben wir aber keine unnötigen Spontaneinkäufe getätigt. Gut, Bonne-Maman-Schoko-Nusscreme und Chips mit Briegeschmack zählen sicherlich auch nicht zu den lebensnotwendigen Grundnahrungsmitteln. Das gibt es aber beides nicht in Deutschland und im Urlaub ist es schön, mal seinen Horizont zu erweitern, und wenn schon nicht kulturell, dann wenigstens kulinarisch.
Klammert man den Aperol, den Sekt, die Lutscher, die Schoko-Nuss-Creme und die Brie-Chips aus, ist unser Wageninhalt funktional-zweckmäßig. Fast schon calvinistisch-freudlos. Die Chocolate-Chip-Cookies sind eventuell ein weiterer Grenzfall. Aber ich bin kein großer Fan von Chips und wenn ich mir abends beim Spielen schon unnötige Kalorien reinpfeife, dann bitte in Form schmackhafter Kekse.
Zusammenfassend würde ich trotzdem behaupten, dass sich unser Einkauf – abzüglich des Aperols, des Sekts, der Lutscher, der Schoko-Nuss-Creme, der Brie-Chips sowie der Cookies – tatsächlich auf die absolut unabdingbaren Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs beschränkt hat. Kleingeistige Korinthenkacker behaupten möglicherweise, niemand brauche unbedingt Zitronen-Joghurt, Knuspermüsli sei kein wesentlicher Bestandteil eines Frühstücks und Wassermelone ein verzichtbarer Luxus und du könntest auch einlagiges Nicht-Öko-Toilettenpapier benutzen. Aber wir sind hier schließlich im Urlaub und es heißt „Urlaub machen wie Gott in Frankreich“ und nicht „Wie die wilden Tiere in Frankreich hausen, dich von Knäckebrot ernähren und dir den Hintern mit Laub abwischen.“
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Alle Beiträge des Cassis-Urlaubsblogs finden Sie hier.
- Vorbereitung 1 (06.07.): Was Sie noch nie über Cassis wissen wollten und deshalb nicht zu fragen wagten
- Vorbereitung 2 (07.07.): Auch Nicht-Nicht-Stammfriseurinnen können gut Haare schneiden
- Anreise (08.07.): Nur Amateure erreichen ihre Anschlusszüge sofort
- Tag 01 (09.07.): Sightseeing in Marseilles. Oder: So weit die Füße tragen.
- Tag 02 (10.07.): Der mit der Kaffeemaschine tanzt. Oder sie mit ihm.
- Tag 03 (11.07.): Wer hoch läuft, muss noch höher laufen. Und dann noch höher.
- Tag 04 (12.07.): In der Ferne zirpen die Zikaden. Und in der Nähe. Und einfach überall.
- Tag 05 (13.07.): Ein Tag ohne Routinen. Fast wie im Urlaub.
- Tag 06 (14.07.): Liberté, égalité, fraternité! Oder: Ein Feuerwerk wie ein Drogenrausch
- Tag 07 (15.07.): Tage, an denen du vom Schwitzen schwitzt
- Tag 08 (16.07.): Morning has broken
- Tag 09 (17.07.): Ein Königreich für ein Wasser, Wasser, Wasser
- Tag 10 (18.07.): Je ne parle pas français. Really not.
- Tag 11 (19.07.): Was macht die Taube am Strand?
- Tag 12 (20.07.): Türlich, türlich!
- Tag 13 (21.07.): The boat that rocked
- Tag 14 (22.07.): Ein letztes Mal
- Heimreise (23.07.): Au revoir!
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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