Cassis 2022 – Tag 05 (13.07.): Ein Tag ohne Routinen. Fast wie im Urlaub.

Der alljährliche Urlaubsblog. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des Cassis-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.


7.30 Uhr. Die Zikaden lärmen draußen. Immerhin bin ich nicht sofort von ihrem Getöse aufgewacht. Möglicherweise ein erster Gewöhnungseffekt. Oder ich habe ihr Geratsche und Gekreische in meinen Traum eingebaut. Allerdings kann ich mich nicht erinnern, dass ich von einem Kettensägenmassaker geträumt habe.

Damit habe ich heute erneut ein wenig länger geschlafen als noch gestern. Ich nähere mich dem Konzept „Ausschlafen“ in kleinen Schritten. Oder in kleinen Schnarchern. (Miese Kalauer wie diese sind der Grund, warum ich für meine Blog-Beiträge kein Geld verlange.)

Das spätere Aufstehen bedeutet jedoch auch, dass ich erst später zum Laufen aufbreche. Kurz nach neun. Vorher wollte der Kaffee getrunken, der Balkon besessen, die Aussicht genossen und das Internet gelesen werden. Außerdem musste ich mich mental auf die Laufeinheit vorbereiten. Das hat am längsten gedauert.

Ich laufe wie immer bis zum Bahnhof. Dort drehe ich aber um, weil ich mir – und meinen Knien – nicht schon wieder den Anstieg aus der Läuferhölle geben will. Schließlich bin ich hier im Urlaub und nicht in einem Bootcamp für schwer erziehbare Jugendliche. (Angesichts meines Brioche- und Keks-Konsums möglicherweise in einem Bootcamp für schwer abnehmende Mittvierziger.)

Nachdem ich den Weg vom Bahnhof zurück absolviert habe, zeigt meine Laufuhr erst fünf Kilometer an. Das passt noch nicht ganz zu meinem Tagesziel, das elf Kilometer von mir verlangt. (Stichwort Brioche- und Kekse-Konsum.) Ich habe keine Lust, nochmal zum Bahnhof zu rennen. Sie wissen schon: zu viel Sonne, zu wenig Bäume, zu wenig Schatten, zu viel Durst. Stattdessen biege ich am Kreisel rechts ab. Mein Plan: einfach immer weiterlaufen, so lange es sichere Fußwege gibt und es einigermaßen flach bleibt. Ersteres funktioniert recht gut.

Was funktioniert dagegen nicht recht gut? Das mit der flachen Strecke. Stellt sich nämlich heraus, dass es in Cassis nicht nur einen einzigen Berg in der Bahnhofsgegend gibt. Nein, die ganze Topographie hier ist extrem hügelig. Schon wieder muss ich einen Anstieg hochlaufen. Nicht ganz so steil wie der Bahnhofsberg, dafür aber länger.

Für die kleine Lauferfrischung zwischendurch.

Ab Kilometer 6,5 funktioniert das mit dem Fußweg auch nicht mehr gut. Plötzlich laufe ich auf einem schmalen Streifen, der durch eine durchgezogene Linie von einer Schnellstraße abgetrennt ist. Ich frage mich, ob das ein Fahrradweg oder der Standstreifen ist. Ist eigentlich auch egal. Vom Ende her gedacht, interessiert es später niemanden, ob du auf einem Fahrradweg oder einem Standstreifen überfahren wirst.

Obwohl der Fahrtwind der vorbeizischenden Autos recht angenehm ist, drehe ich um. Schließlich möchte ich nicht als Roadkill à la Provence enden. Mathematisch begabten Menschen fällt sicherlich gerade auf, dass ich so aber bis nach Hause noch nicht auf meine elf Kilometer komme. Deswegen kann ich beim Kreisel nicht rechts zur Ferienwohnung abbiegen, sondern muss doch wieder ein Stück Richtung Bahnhof laufen. Mit zu viel Sonne, zu wenigen Bäumen, zu wenig Schatten und zu viel Schweiß. Sie wissen schon.

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An unserer Stammbäckerei erwartet mich eine unschöne Überraschung. Sie hat heute Ruhetag. So viel zu Urlaubsroutinen und vertrauten Umgebungen. (Fall Sie nicht wissen, was ich damit meine, haben Sie den gestrigen Beitrag nicht gelesen. Das macht mich sehr traurig. Holen Sie das bitte unverzüglich nach und kehren Sie dann hierhin zurück.)

Um das halbvolle im Glase dieser misslichen Situation zu erkennen: Zumindest kann ich nun schauen, ob in der Löwenbäckerei tatsächlich ein Löwe backt. (Sollten Sie auch diese Referenz nicht verstehen, muss ich davon ausgehen, dass sie den Beitrag vom Tag 2 ebenfalls nicht gelesen haben. Was bei mir die Frage aufwirft, ob Sie mich mit Ihrer Missachtung demütigen wollen.)

Ich laufe durch ein enges Gässchen zur Löwenbäckerei. Vorbei an einer Pizzeria, einem Gemüseladen, einem Geschäft mit hochpreisigen Souvenirs und noch einer Pizzeria. Für einen französischen Urlaubsort gibt es eine erstaunlich hohe Dichte an italienischen Lokalen. Vielleicht ein Erbe der alten Römer, die sich Cassis irgendwann vor Christus eine Zeit lang einverleibt hatten.

Als ich die Bäckerei erreiche, ist sie leer. Vollkommen leer. Keine Kund*innen, keine Verkäufer*innen, keine Bäcker*innen. Und auch kein Löwe. Ist da heute auch Ruhetag? Kurz überlege ich, zu gehen. Ich möchte nicht an der möglicherweise verschlossenen Tür rütteln. Dabei beobachtet mich bestimmt jemand und hält mich für einen tumben Trottel gehalten, der die einfachsten Regeln des Einzelhandels nicht kennt. (Geschlossener Laden = verschlossene Tür. Da kannste rütteln, bis du grün wirst.)

Während ich meine nächsten Schritte abwäge, betritt eine Frau von hinten den Verkaufsraum. Aus dem Umstand, dass sie eine Schürze trägt, schließe ich sherlockhaft, dass es eine Verkäuferin ist. Somit ist die Bäckerei doch geöffnet und ich kann die Tür aufmachen, ohne mich der Gefahr sozialen Spotts auszusetzen.

Als ich den Laden betrete, sagt die Frau etwas auf Französisch. Ich tue so, als verstünde ich sie, lache nickend und gebe schnell meine Bestellung auf. Die zwei Baguettes und drei Croissants kosten 5,30 Euro. Exakt so viel wie in unserer Stammbäckerei. Wahrscheinlich eine illegale Preisabsprache der örtlichen Bäcker-Innung.

Ich suche nach den passenden Münzen. Dabei bin ich leicht überfordert, die 10-, 20-und 50-Cent-Stücke zu unterscheiden. Seit über 20 Jahren gibt es in der EU eine einheitliche Währung. Aber kaum verlasse ich die deutschen Landesgrenzen und betrete europäisches Ausland, wühle ich trotzdem in meinem Geldbeutel rum wie ein ahnungsloser Tourist, der die europäischen Zahlen nicht kennt. Schließlich gebe ich auf und bezahle mit einem 10-Euro-Schein.

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Fortsetzung


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