Der alljährliche Urlaubsblog. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des Cassis-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.
„Fuck, fuck, fuck! Was ist das für eine verfickte Scheiße?“
Für einen ersten Morgen in der Ferienwohnung ein unangemessen unentspannter und geradezu aggressiver Ausbruch meinerseits. Das hat aber einen guten Grund. Seit fast einer Viertelstunde versuche ich, der Nespressomaschine einen Kaffee zu entlocken. Sie verweigert sich beharrlich.
Okay, beim ersten Mal war der Wassertank leer. Da konnte dann selbstverständlich kein Kaffee gekocht werden. Das war mein Fehler, das nehme ich auf meine Kappe. Die Nespressomaschine trifft da keine Schuld. Allerdings hätte sie mich auch freundlich darauf hinweisen können, anstatt nur unmotiviert mit ihrem An-/Aus-Knopf rumzufunzeln.
Auch nachdem ich Wasser nachgefüllt hatte, lief jedoch kein Kaffee. Aus der vorgesehenen Öffnung kam nur Wasser. Das wies nicht einmal den Hauch einer bräunlichen Färbung auf, so dass du es selbst mit gutem Willen nicht als Kaffeegetränk bezeichnen konntest.
Auch der zweite bis vierte Versuch führte zu dem gleichen Ergebnis: Ich drückte auf den Kaffeeknopf, heraus kam klares, durchsichtiges Wasser. Inzwischen war ich überzeugt, dass sich ein Dämon in Nespressomaschinen-Gestalt zum Ziel gesetzt hat, mich in den Wahnsinn zu treiben. Da kann es dann auch im Urlaub mal zu einer kleinen Verbaleruption kommen.
Ich bin ohnehin kein Fan von Nespressomaschinen. Aus ökologischen Gründen. Ich habe große Zweifel, dass es der beste Einsatz von Ressourcen und Energie ist, Kaffeepulver in Aluminiumkapseln abzufüllen. Wahrscheinlich kann die Maschine meine Aversion riechen.
Knopfdruck, Wasser.
Insbesondere bei meinem ausufernden Kaffeekonsum braucht es bestimmt die halbe Aluminiumjahresproduktion Kanadas, um für mich Kapseln herzustellen. Die haben dann eine längere Halbwertszeit als Plutonium. Von meinem Kaffeekapsel-Abfall haben meine Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur- Ur-Ur-Ur-Ur- Ur-Ur-Ur-Ur- Ur-Ur-Ur-Ur-Enkel noch etwas. Wobei denen das egal sein kann. Die leben sicherlich gar nicht mehr auf der mit Kaffeekapseln übersäten Erde, sondern auf irgendeinem Ersatzplaneten.
Knopfdruck, Wasser.
Nespresso-Kapselkaffee ist außerdem unfassbar teuer. Das macht ihn mir ebenfalls nicht sympathischer. Aufs Gramm umgerechnet, ist es erheblich günstiger, dir morgens Kokain reinzuziehen. Das putscht auch mehr, der logistische Aufwand bei der Beschaffung ist allerdings anspruchsvoller.
Knopfdruck, Wasser.
Während die Nespressomaschine fleißig Wasser ausspuckt, produziert mein Körper Testosteron und Adrenalin im Überfluss. Ich spüre, wie meine Halsschlagader auf Feuerwehrschlauch-Maße anschwillt.
Knopfdruck, Wasser.
Reiß dich zusammen, Christian, denke ich. Du hast Urlaub. Da hast du relaxed und ausgeglichen zu sein. Eine störrische Kaffeemaschine ist kein Grund, Gewaltphantasien zu entwickeln, in denen du selbige gegen die Wand donnerst, um dann auf ihren Einzelteilen rumzutrampeln. Andererseits hatte ich bis jetzt noch keinen Kaffee und Koffein ist eine wichtige Voraussetzung, um morgens einen Zustand der Entspannung und Ausgeglichenheit zu erreichen. Selbst im Urlaub.
Schließlich mache ich das, was bei Computerproblemen auch immer klappt: Ich schalte die Maschine aus und wieder an. Tatsächlich spuckt sie nach einer kleinen Aufwärmphase Kaffee aus. So als sei nichts gewesen. Mir liegt ein „Geht doch, Arschloch“ auf den Lippen, aber ich verkneife mir das. Wie gesagt, ich bin hier im Urlaub. Da muss es irgendwann auch mal gut sein mit dem Aufregen. Vor allem, wenn du Kaffee hast.
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Leicht erschöpft, aber auch erleichtert, setze ich mich mit dem Kaffee, den ich der Maschine so hart abgerungen habe, auf den Balkon. Ich genieße den weitläufigen Blick auf Cassis, ein paar Weinberge und eine massive Felswand in der Ferne. Lediglich die Sicht aufs Meer wird teilweise durch ein anderes Haus versperrt. Das wurde wahrscheinlich später errichtet und punktet nun mit dem unverbauten Meerblick. Ob mein Französisch wohl ausreicht, um bei den örtlichen Behörden eine Abrissgenehmigung für das andere Haus zu erwirken? Definitiv nein.
Aber das ist ja auch egal und erbärmliches Jammern auf allerhöchstem Niveau. Als würdest du dich beschweren, beim Verzehr eines mit Blattgold belegten Schokoladen-Soufflés kratze das mit Diamanten besetzte Löffelchen im Hals. In Wanne-Eickel, Bitterfeld oder Bromskirchen sähen wir gar kein Meer. Nicht einmal links und rechts von einem anderen Haus. Außerdem bin ich im Urlaub (siehe oben) und da bist du entspannt und ausgeglichen (siehe ebenfalls oben). Insbesondere, wenn die Kaffeemaschine funktioniert (siehe nochmals oben).
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In Frankreich gehören auf den Frühstückstischtisch frisches Baguette und zarte Croissants, die so buttrig sind, dass das Fett in deine Finger diffundiert, während du sie zum Munde führst. In den seltensten Fällen klopft es aber morgens an der Tür und da stehen dann Baguettes und Croissants, die dir einen guten Morgen wünschen und darum bitten, von dir verspeist zu werden. Daher müssen meine Frau und ich zum Bäcker gehen.
Laut Google Maps gibt es im Ort zwei Bäckereien. Bei beiden wird die Wegstrecke mit circa 1.000 Metern angegeben. (Es bleibt auch bei den 1.000 Metern und sie vermehren sich nicht auf 2.500 Meter, als wir vor die Wohnung treten.) Eine Entfernung die machbar erscheint. Zumindest auf dem Hinweg. Da geht es die ganze Zeit bergab.
Wir stehen lediglich vor der schwierigen Frage, zu welchem Bäcker wir gehen sollen. Eine der Bäckereien heißt „Artisan boulanger“, was mit „Meisterbäcker“ übersetzt werden kann, die andere „Boulangerie Lion“, also „Löwenbäckerei“. Da fällt die Entscheidung nicht leicht. Sollen wir zu dem Bäcker gehen, der ein Meister seines Fachs ist? Oder zu der Bäckerei, wo ein Löwe bäckt? Ich tendiere zur zweiten Option und würde Geld bezahlen, um das zu sehen. Wir kommen aber zuerst bei dem „Artisan boulanger” vorbei und so wird er der Bäcker unserer Wahl.
Die Bäckerei ist schlauchförmig angelegte und wie aus einem Marketing-1×1-Handbuch konzipiert. Über die ganze rechte Seite ist ein Spiegel angebracht. Damit der Raum größer wirkt. Ich möchte mich aber morgens nicht in einem acht Meter langen Spiegel anschauen. (Abends im Übrigen auch nicht.) Schon gar nicht im Urlaub, wo innerhalb einer erstaunlich kurzen Zeit ein erstaunlich hoher Grad an Verwahrlosung eintritt.
Bevor du zur Kasse am Kopfende des Ladens gelangst, musst du erst an einer langgezogenen Theke vorbei, die auf der linken Seite des Raumes steht. In der Auslage locken dich zahlreiche süße Leckereien aus Blätterteig, mit Pudding, mit Sahne, mit dicker Glasur, mit Schokostreuseln, mit Früchten und mit allerlei zuckrigen Verzierungen, und sie rufen die ganze Zeit: „Iss mich, iss mich, iss mich!“
Da überlegst du dann schon, warum du ein schnödes Baguette kaufen sollst, wenn du auch diese ganzen leckeren Schweinereien haben kannst. Die bestehen vollständig aus Fett und Zucker und kurbeln die Glückshormon-Produktion stärker an als Heroin. Trotzdem widerstehe ich der Versuchung und nehme ausschließlich Baguettes und Croissants. Nicht zuletzt, weil es mir am Vokabular mangelt, um die Teilchen, Törtchen und Torten zu bestellen.
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Alle Beiträge des Cassis-Urlaubsblogs finden Sie hier.
- Vorbereitung 1 (06.07.): Was Sie noch nie über Cassis wissen wollten und deshalb nicht zu fragen wagten
- Vorbereitung 2 (07.07.): Auch Nicht-Nicht-Stammfriseurinnen können gut Haare schneiden
- Anreise (08.07.): Nur Amateure erreichen ihre Anschlusszüge sofort
- Tag 01 (09.07.): Sightseeing in Marseilles. Oder: So weit die Füße tragen.
- Tag 02 (10.07.): Der mit der Kaffeemaschine tanzt. Oder sie mit ihm.
- Tag 03 (11.07.): Wer hoch läuft, muss noch höher laufen. Und dann noch höher.
- Tag 04 (12.07.): In der Ferne zirpen die Zikaden. Und in der Nähe. Und einfach überall.
- Tag 05 (13.07.): Ein Tag ohne Routinen. Fast wie im Urlaub.
- Tag 06 (14.07.): Liberté, égalité, fraternité! Oder: Ein Feuerwerk wie ein Drogenrausch
- Tag 07 (15.07.): Tage, an denen du vom Schwitzen schwitzt
- Tag 08 (16.07.): Morning has broken
- Tag 09 (17.07.): Ein Königreich für ein Wasser, Wasser, Wasser
- Tag 10 (18.07.): Je ne parle pas français. Really not.
- Tag 11 (19.07.): Was macht die Taube am Strand?
- Tag 12 (20.07.): Türlich, türlich!
- Tag 13 (21.07.): The boat that rocked
- Tag 14 (22.07.): Ein letztes Mal
- Heimreise (23.07.): Au revoir!
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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