Cassis 2022 – Tag 10 (18.07.): Je ne parle pas français. Really not.

Der alljährliche Urlaubsblog. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des Cassis-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.


Kurz nach 8. Bin etwas früher aufgewacht als gestern, bleibe aber noch liegen. Erstens ist das Bett bequem – wenngleich es nicht mit einer Brioches-Matratze punkten kann – zweitens muss ich dann keine Berge hoch joggen, und drittens hat es hier keine 35 Grad, sondern ist erfrischend kühl. Für letzteres sorgt die Klimaanlage in unserem Schlafzimmer.

Die Klimaanlage läuft die ganze Nacht, was mir ein wenig ein schlechtes Öko-Gewissen macht. (Stichwort Stromverbrauch, CO2-Ausstoß usw.) Wir kühlen unseren Raum runter und heizen dadurch den Planeten auf, so dass er für unsere Ur-Ur-Enkel*innen unbewohnbar wird. (Vielleicht schon für unsere Ur-Enkel*innen. Sorry!)

Klimaanlagen sind zwar nicht gut fürs Öko-Karma, aber leider für angenehme Raumtemperaturen. Ohne sie hätten wir sehr unwirtliche Schlafbedingungen und würden über Nacht ganz langsam gegart. Wobei das ja eine sehr schonende und bekömmliche Kochmethode sein soll. (Leckere „Pulled Human“-Rezepte finden Sie im Dark-Web auf meinem Kochblog „Grilling them softly“.) (Verstörende Sätze wie diese sind der Grund, dass auch am Tag 10 dieser Urlaubsblog immer noch kostenfrei ist.)

Die Kinder wissen, was ich mit „unwirtliche Schlafbedingungen“ meine. Ihr Schlafzimmer hat keine Klimaanlage. Außerdem ist es kleiner. Ursprünglich wollten meine Frau und ich den Kindern das größere, klimatisierte Schlafzimmer überlassen. Weil sie sich schon ein Bett teilen müssen. Das empfinden selbst Geschwister, die sich gut verstehen, als sub-optimale Schlafsituation.

Deswegen hätten wir das kleinere Schlafzimmer genommen. Da wussten wir allerdings noch nicht wie klein das kleinere Schlafzimmer ist. Das Bett passt da gerade so rein. An der einen Seite schließt es direkt mit der Wand ab, an der anderen beträgt der Abstand zur Wand circa 30 Zentimeter. Meine Frau bevorzugt aber einen weitläufigeren Platz neben ihrem Bett. Sie hat Angst vor Spinnen und verlangt nach optimalen Fluchtmöglichkeiten.

Daher beschlossen meine Frau und ich kurzerhand vor Ort, doch das größere Schlafzimmer zu beziehen. (Da die Kinder nichts von unseren ursprünglichen Zimmerbelegungsplänen wussten, waren sie ob ihres Schlafzimmer-Downgrades auch nicht enttäuscht.)

Irgendwie wäre es auch übertrieben Helikopterelternhaft gewesen, den Kindern das großzügig geschnittene und wohltemperierte Schlafgemach zu überlassen, während wir in einem Raum nächtigen, der die Bewegungsfreiheit eines Sargs bietet und dessen Luftqualität sich irgendwo zwischen ungelüfteter Sportumkleide, muffigem Kartoffelkeller und finnischer Dampfsauna bewegt. Das wäre den Kindern sicherlich unangenehm gewesen und sie hätten dann nicht so gut schlafen können. Vielleicht aber doch. Ich habe nämlich festgestellt, dass sich die Pein, die du als Eltern geradezu körperlich verspürst, weil dein eigen Fleisch und Blut jede Nacht schlimmsten Entbehrungen ausgesetzt ist, doch ganz gut aushalten lässt, wenn du in einem Zimmer mit einer Raumtemperatur von ungefähr 19 Grad liegst.

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Knapp 90 Minuten später. Es ist nicht mehr erfrischend kühl, sondern drückend und heiß. Als menschgewordene Schweißskulptur laufe ich den Anstieg hinter dem Bahnhof hoch. (Wasser und Mütze habe ich selbstverständlich wieder vergessen.)

Ich frage mich, ob diese tägliche Berg-Quälerei eine tiefere Bedeutung für mein Leben hat. Wer Erfolg haben will, muss sich quälen. Oder wie es die alten Römer in wohlfeileren Worten ausdrückten: „Per aspera ad astra.“ Auf Deutsch: „Durch das Raue zu den Sternen.“ Ein Spruch, den ich nur kenne, weil es das Abi-Motto meiner Cousine war. Ich glaube, die meinten das nicht ironisch, sondern ernst. Spießer. (Meine Cousine selbstverständlich ausgenommen.)

Unser Abi-Motto war weniger humanistisch-bildungsbürgerlich geprägt. In Anspielung auf die lokale Hachenburger Brauerei lautete es „Habukalypse now!“ Dabei verfremdeten wir unter Verletzung sämtlicher Copyright-Gesetze das Brauerei-Logo und ließen den Spruch auf unsere Abi-T-Shirts drucken. Ich fürchte, wir meinten das auch nicht ironisch. Im Westerwald wird schließlich ein eher toxischer Alkoholkonsum gepflegt. Es ist aber trotzdem etwas aus uns geworden. (Okay, einer meiner Schulkameraden sitzt für die CDU im Kreistag, aber ein bisschen Schwund ist ja immer.)

Vielleicht ist der steile Anstieg aber auch eine Metapher und steht sinnbildlich für eine steile Karriere. Halte ich für eher unwahrscheinlich. Davon hätte ich etwas mitbekommen müssen.

Oder ich bin wie Sisyphos. Nur dass ich keinen Stein, sondern meinen Körper den Berg hochrollen muss. Wenn ich mich richtig erinnere, haben die Götter Sisyphos mit dieser Stein-Berg-Aktion für seinen Ungehorsam bestraft. Warum ich bestraft werde, weiß ich nicht. Vielleicht für meine zügellos-hedonistische Maßlosigkeit. (Stichwort Brioches-Konsum.)

Ich schiebe mich an der steilsten Stelle des Bergs Zentimeter für Zentimeter nach oben. Von oben kommt mir ein Läufer entgegen. Er ist ungefähr mein Alter – das heißt, er ist mindestens zehn Jahre jünger als ich, weil ich mich bei so etwas immer verschätze und vergesse, dass ich nicht mehr Mitte 30 bin. Seine drahtige Figur und seine entspannten Gesichtszüge deuten darauf hin, dass er nicht das erste Mal in seinem Leben am Berg läuft. Er trabt ganz locker, seine Stirn ist lediglich von einem kaum wahrnehmbaren Schweißfilm benetzt.

Als wir auf gleicher Höhe sind, hebt der Läufer die Hand zum Gruß, ich grüße zurück. Dabei drücke ich den Rücken durch, strecke die Brust raus und nicke betont lässig. Damit sollte ihm unmissverständlich klar sein, dass das für mich hier ebenfalls eine ganz lockere Laufeinheit ist. Quasi ein Läufchen, das mich maximal unterfordert.

Nachdem der Mann an mir vorbeigelaufen ist, verliert mein Körper jegliche Spannung. Ich sacke in mich zusammen und krieche weiter. Inzwischen bin ich mir sicher, dass ich hier am Berg nicht zu den Sternen kommen werde. Außer mir fällt einer vor die Füße. Oder noch besser, direkt in die Hände. Dann muss ich mich nicht bücken.

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Auf dem Weg zum Bäcker. Zur Erheiterung meiner Frau trabe ich den Hügel wie ein Pferd hinunter. Dabei wiehere und schnaube ich täuschend echt, als würde ich mein Geld als Pferdestimmenimitator verdienen. Manchmal weiß ich selbst nicht, ob ich ein sehr sonniges oder ein sehr schlichtes Gemüt habe. Meine Frau meint, beides. Vermutlich hat sie recht.

Während ich fröhlich trabe, wiehere und schnaube, kommt plötzlich ein anderes Paar um die Ecke. Das ist jetzt ein bisschen peinlich für mich. Ich reagiere, wie jeder normale Mensch in so einer Situation. Ich vermeide jeglichen Blickkontakt und tue so, als sei nichts Außergewöhnliches passiert. Die beiden gehen schnellen Schrittes an uns vorüber. Wahrscheinlich verspüren sie mehr Scham als ich. Oder sie haben Angst vor dem verrückten Pferdemann, dessen Tagesmedikation mal wieder neu eingestellt werden müsste.

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Fortsetzung


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