Der alljährliche Urlaubsblog. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des Cassis-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.
Viertel vor zehn, ich laufe die flache Straße Richtung Bahnhof hinunter. Die Sonne hat das Thermometer schon auf 33 Grad gepusht. Das Einzige, woran ich denken kann, ist „Wasser, Wasser, Wasser!”
Dabei war mein heutiger Laufplan gut. Vierzehn Kilometer, aber ohne Höhenmeter und ohne „Hunger Games“-Waldweg. Einfach so oft zwischen Kreisel und Bahnhof hin und her laufen, bis die erwünschte Distanz beisammen ist. Das ist zwar etwas öde, aber ich muss mir ja nicht jeden Tag diesen Anstieg hinterm Bahnhof geben. Ich bin schließlich keine 20 mehr. (Mein 20-jähriges Ich schaut mich entgeistert an und fragt: „Und warum soll ich jeden Tag diesen verschissenen Berg hoch rennen? Geht’s noch?“
So gut der Laufplan in der Theorie war, so mangelhaft war er in der Umsetzung. Das fing damit an, dass ich erst um 8.30 Uhr aufgewacht bin. Ist im Urlaub ja eigentlich ganz schön. Sofern du dann sofort losläufst, um die schlimmste Hitze zu vermeiden. Habe ich aber nicht getan. Stattdessen habe ich rumgedödelt – Kaffee, Balkon, Aussicht, noch ein Kaffee, Internet lesen – und dadurch erst um halb zehn mit meinem Lauf angefangen.
Die Sonne war da bereits auf Betriebstemperatur und hat gebrutzelt, was das Zeug hält. Sie müssen mir nicht schreiben, dass es sehr unvernünftig ist, in der prallen Sonne bei über 30 Grad zu laufen. Das ist mir durchaus bewusst. Aber ich kenne meinen Körper und weiß, was ich ihm zumuten kann. Auf Sardinien und Kreta bin ich bei ähnlich hohen Temperaturen gelaufen. Wobei das Unvernünftige natürlich nicht vernünftiger wird, nur weil du es mehrmals tust. Mein Körper nickt und ruft: „Wasser, Wasser, Wasser!”
Die Idee, das Flachstück zum Bahnhof mehrmals abzulaufen, erweist sich in der Praxis ebenfalls als höchstens mittelgut. Aufmerksame Leser*innen des Urlaubsblogs – und ich gehe davon aus, dass Sie selbstverständlich dazu gehören – wissen, dass es hier wenige Bäume und wenig Schatten, dafür aber viel Sonne und viel Schweiß gibt. Und kein Wasser, Wasser, Wasser.
Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben so sehr geschwitzt wie heute beim Laufen. (Ein Gedanke, den ich gestern allerdings auch schon hatte. Und vorgestern.) Bereits nach 500 Metern waren mein Shirt und meine Hose so nass, als hätte jemand einen Eimer Wasser über mir ausgekippt. Hat aber niemand. Leider.
Durch die Hitze joggend, denke ich, es wäre eine gute Idee gewesen, eine Flasche Wasser mitzunehmen. Wenigstens eine kleine. (Ein Gedanke, den ich gestern auch schon hatte. Und vorgestern.) Habe ich aber vergessen. Genauso wie meine weiße Mütze aufzuziehen. Wasser, Wasser, Wasser!
Am Bushäuschen kurz vorm Bahnhof hängt ein Werbeplakat. Eine Gruppe gutgelaunter junger Menschen trinkt Fanta. Ihre Fröhlichkeit wirkt auf mich nicht ansteckend, sondern abstoßend. Geradezu provozierend. Als wäre das eine Leistung, gute Laune zu haben. Wenn ich Fanta hätte, hätte ich auch gute Laune. Ich habe aber keine Fanta. Nicht einmal Mirinda. Und auch kein Wasser, Wasser, Wasser.
In der Ferne lärmen die Zikaden. Mit etwas Phantasie – oder wenn du dehydrierst und Halluzinationen hast – hört sich ihr Gezirpe wie ein Rasensprenger an. Hier ist aber kein Rasensprenger, an dem ich mich erfrischen könnte. Nur trockener Boden und Geröll. Wasser, Wasser, Wasser!
Ich komme an einem Haus vorbei. Eine Frau gießt im Vorgarten Blumen. Ich überlege, mich vor ihre Füße zu werfen und zu rufen: „Mein Königreich für ein Glas Wasser!“ Dafür fehlt mir aber das Vokabular. Und das Königreich. Wasser, Wasser, Wasser!
Erneut passiere ich das Bushäuschen. Die Fanta saufenden jungen Menschen sind immer noch bester Laune und prosten mir höhnisch zu. Arschgeigen! Am liebsten würde ich die Scheibe des Werbedisplays zertrümmern, aber ich bin zu erschöpft. Wasser, Wasser, Wasser!
Ein letztes Mal absolviere ich den Abschnitt vom Bahnhof zum Kreisel. Immer noch keine Bäume und kein Schatten. Und kein Wasser, Wasser, Wasser. In meinem Kopf singen ABBA Waterloo und mein Hirn verwandelt sich in Kartoffelbrei.
Ich könnte mein Shirt in meinen Mund auswringen. Dann hätte ich wenigstens ein bisschen Flüssigkeit in meinem Mund. Oder ist Schweiß zu salzig und ich verdurste, wenn ich ihn trinke? Ich laufe weiter und frage mich, wie hoch wohl der Salzgehalt von Urin ist.
Bevor ich so verzweifelt bin, Selbsttests zum Erfrischungsgehalt von Eigenurin durchzuführen, erreiche ich zum Glück die Ferienwohnung. Beim nächsten Lauf nehme ich auf jeden Fall Wasser mit. Ganz bestimmt. Außer ich vergesse es. Dann heißt es morgen wieder: Wasser, Wasser, Wasser!
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Ich stehe beim Bäcker in der Schlange. Etwas streift mein Bein. Ich schaue nach unten. Ein Hund schaut zurück.
In Deutschland hängen vor jeder Bäckerei mindestens 18 Schilder mit Hinweisen, die reichen von „Wir müssen leider draußen bleiben“ bis hin zu „Hunden ist der Zutritt strengstens untersagt. Bei Zuwiderhandlung wird geschossen.“ Hier stört sich niemand an dem Hund. Selbst als er in die Backstube trottet und ein wenig rumschnuppert, scheucht ihn einer der Bäcker mehr geschäftsmäßig als energisch raus.
Nach meinem Abitur habe ich in einer englischen Kommunalbehörde ein Praktikum gemacht, unter anderem in einer Abteilung, die Hygiene-Inspektionen in Restaurants, Pubs und Imbissläden durchgeführt hat. Spaßeshalber nahm ich an einem Kurs zu „Food Hygiene Requirements“ teil und erwarb sogar ein Abschlusszertifikat mit Höchstpunktzahl. (Im Gegensatz zu vielen Teilnehmer*innen, die den Abschlusstest nur mit Ach und Krach bestanden. Obwohl sie diesen Wisch brauchten, um überhaupt in öffentlichen Küchen arbeiten zu dürfen. Seitdem esse ich immer mit einem etwas mulmigem Gefühl in englischen Restaurants.)
Von dem Kurs habe ich so gut wie nichts behalten. (Außer, dass du dir beim Kochen nicht im Gesicht rumtatschen sollst, und dass Handtrockner-Geräte auf Toiletten die größten Bazillenschleudern der Welt sind.) Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die Anwesenheit von Tieren in Räumen, in denen Essen zubereitet wird, ein erhebliches lebensmittelhygienisches Risiko darstellt. Ich glaube, das ist so offensichtlich, dass das nicht einmal in dem Kurs behandelt wurde.
Während des Wartens fällt mir ein, dass Hund auf Französisch chien heißt. Ein Wissen, das von sehr begrenztem Nutzen ist. Ich kenne nämlich keine weiteren Vokabeln, mit denen ich einen Satz bilden könnte, in dem das Wort Hund vorkommt. („Gibt es das Baguette auch ohne Hundehaare?“)
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Alle Beiträge des Cassis-Urlaubsblogs finden Sie hier.
- Vorbereitung 1 (06.07.): Was Sie noch nie über Cassis wissen wollten und deshalb nicht zu fragen wagten
- Vorbereitung 2 (07.07.): Auch Nicht-Nicht-Stammfriseurinnen können gut Haare schneiden
- Anreise (08.07.): Nur Amateure erreichen ihre Anschlusszüge sofort
- Tag 01 (09.07.): Sightseeing in Marseilles. Oder: So weit die Füße tragen.
- Tag 02 (10.07.): Der mit der Kaffeemaschine tanzt. Oder sie mit ihm.
- Tag 03 (11.07.): Wer hoch läuft, muss noch höher laufen. Und dann noch höher.
- Tag 04 (12.07.): In der Ferne zirpen die Zikaden. Und in der Nähe. Und einfach überall.
- Tag 05 (13.07.): Ein Tag ohne Routinen. Fast wie im Urlaub.
- Tag 06 (14.07.): Liberté, égalité, fraternité! Oder: Ein Feuerwerk wie ein Drogenrausch
- Tag 07 (15.07.): Tage, an denen du vom Schwitzen schwitzt
- Tag 08 (16.07.): Morning has broken
- Tag 09 (17.07.): Ein Königreich für ein Wasser, Wasser, Wasser
- Tag 10 (18.07.): Je ne parle pas français. Really not.
- Tag 11 (19.07.): Was macht die Taube am Strand?
- Tag 12 (20.07.): Türlich, türlich!
- Tag 13 (21.07.): The boat that rocked
- Tag 14 (22.07.): Ein letztes Mal
- Heimreise (23.07.): Au revoir!
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)