Cassis 2022 – Tag 14 (22.07.): Ein letztes Mal

Der alljährliche Urlaubsblog. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des Cassis-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.


Der letzte Urlaubstag und damit der letzte morgendliche Lauf. Was die Strecke angeht, gilt heute: Keine Experimente! Da halte ich es ganz mit der 50er-Jahre-CDU. (Ein Satz, von dem ich auch nicht gedacht hätte, dass ich ihn mal schreibe.) Nach gestern möchte ich aber nicht noch einmal so einen gebirgspfadartigen Weg laufen. Meine Sehnen, Bänder und Gelenke auch nicht.

Stattdessen quäle ich mich noch ein letztes Mal die Bahnhofsberg-Waldweg-Villenviertel-Strecke hoch. Um der guten alten Zeiten willen. Eine Idee, die auch so CDUig klingt. Und ziemlich bescheuert ist. Du gehst ja auch nicht zu deinem alten Klassenkameraden, der dich früher gemobbt hat, damit er dir um der guten alten Zeiten willen nochmal eine reinhaut.

Ein letztes Mal geht es das flache Stück zum Bahnhof entlang, ein letztes Mal mit zu viel Sonne, zu wenigen Bäumen und zu wenig Schatten. Ein letztes Mal vorbei an der Werbung mit den Fanta saufenden cool Kids. Ein letztes Mal den Bahnhof rechts liegen lassen und ein letztes Mal den Höllen-Anstieg hinauf, der sich recht lange zieht, bevor er steiler wird, sich dann weiter zieht, noch steiler wird und dann noch steiler und noch steiler und noch steiler und noch ein bisschen steiler.

Ein erstes Mal sehe ich auf meiner Laufstrecke, wie ein Eichhörnchen über die Straße läuft. Im Vergleich zu den wohlgenährten Eichhörnchen im Schlosspark Charlottenpark sieht es ein wenig ausgemergelt aus. Im Gegensatz zur Berliner Verwandtschaft wird es hier aber sicherlich nicht von lustwandelnden Touristinnen gefüttert. Außerdem muss es andauernd durch die hügelige Landschaft flitzen. Das verbraucht viel Kalorien.

Ein letztes Mal erreiche ich die Schranke am Waldweg. Ein letztes Mal ignoriere ich den Aushang mit dem entlaufenen Pitbull. Ich glaube nicht, dass der immer noch durch den Wald streift. Nach 14 Tagen ohne Essen. Außer er hat vorgestern einen der Pfadfinder gerissen. Dann verspürt er jetzt vielleicht ein kleines Hüngerchen und nimmt Witterung auf.

Ein letztes Mal laufe ich an den Steinhaufen vorbei, die wie rituelle Grabstätten aussehen. Eine Taube läuft vor mir auf dem Weg und pickt. Wenigstens kein Geier, der mich für schmackhaftes Aas in spe hält. Vielleicht ist das die Taube, die hier in Cassis Urlaub macht. Als ich näher komme, fliegt sie zwei Meter weiter, ich nähere mich erneut, sie macht wieder einen Satz nach vorne. Das wiederholt sich noch fünf bis sechs Mal. Allzu viel Angst scheint sie nicht vor mir zu haben. Nicht einmal Respekt. Bestimmt ist die Taube einfach nur genervt, dass ich sie beim Picken störe.

Ein letztes Mal erreiche ich das Villenviertel. Den roten Spitfire sehe ich nicht. Vielleicht wurde er doch geklaut. (Wahrscheinlich steht er lediglich in der Garage. Das wäre aber weniger spektakulär und bringt weniger Klicks.) Ein letztes Mal drehe ich um und laufe die Strecke wieder runter. Ein letztes Mal habe ich Angst zu stolpern und den ganzen Berg hinunterzukullern, bis ich am Bahnhof als Knochenhaufen liegenbleibe.

Ein letztes Mal komme ich bei der Ferienwohnung an und exe mir ein letztes Mal eine Flasche Wasser rein wie ein Verbindungsstudent den Bierstiefel. Und ein letztes Mal stelle ich mich zum Ausschwitzen mit nacktem Oberkörper auf den Balkon. Die Nachbar*innen müssen diesen Anblick ein letztes Mal ertragen. (Dann freuen sie sich umso mehr über unsere Abreise. Als Stammleser*innen wissen Sie ja: „Per aspera ad astra!“ „Durch das Raue zu den Sternen!“)

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Auf dem Weg zum Bäcker sehen wir, dass heute Markt in Cassis ist. Dort gibt es frisches Obst und Gemüse von regionalen Anbietern. Das ist natürlich eine gute Sache. Von wegen Nachhaltigkeit und so.

Auch wenn Markbesuche gut für das Öko-Karma sind, bin ich da zurückhalten. Mir ist das Risiko zu groß, von den Menschen an den Ständen in Verkaufsgespräche verwickelt zu werden. („Nehmen’s doch auch von dem Rettich. Der Sellerie ist auch im Angebot.“) Da möchte ich die Marketender*innen nicht kränken und fühle mich genötigt, etwas zu kaufen, das ich gar nicht möchte. (Zum Beispiel Rettich und Sellerie.) In Frankreich ist meine Markt-Furcht, weil ich die Sprache nicht beherrsche. Wobei dadurch das Verkaufsgespräch erheblich – und erfreulich – abgekürzt wird.

Der Markt findet mehrmals pro Woche statt. Bis heute habe ich nicht herausgefunden, an welchen Tagen. Nicht weil die Markttage nach einem höchst komplexen System festgelegt werden, das nicht einmal Astrophysiker*innen oder Dechiffrierexpert*innen des Mossad knacken können, sondern weil sich mein Gehirn durch die viele Sonne in Kartoffelbrei verwandelt hat. Schon seit dem zweiten Urlaubstag weiß ich nicht mehr, welcher Wochentag ist. Das Ganze Konzept „Wochentag“ ist mir fremd geworden. („Dienstag? Kann mich nicht erinnern, davon schon mal gehört zu haben. Und wer soll dieser Donnerstag sein?“)

Neben Obst und Gemüse werden auf dem Markt Kleidung, Hüte, Tücher, Schmuck, Dekogegenstände und andere Regal-Staubfänger angeboten. Das ist auch nicht mein Ding. Ich habe immer das latente Gefühl, dort würde meine gute Urlaubsstimmung ausgenutzt, um mir Sachen von minderer Qualität zu überhöhten Preisen anzudrehen. In einem Moment bist du endorphingeschwängert ferieneuphorisch und im nächsten Moment kaufst du unvermittelt ein holzgedrechseltes Bücherstützen-Set in Form von gähnenden Nilpferden für 53 Euro 50.

Was mich auf solchen Märkten auch stört: Gemeinhin wird dort erwartet, dass du feilschst. Das ist für mich das Allerschlimmste. Ich feilsche aus Prinzip nicht. Entweder will mir jemand etwas zu einem überteuerten Preis unterjubeln. So einem verschlagenen Menschen möchte ich nichts abkaufen, auch nicht zu einem billigeren Preis. Oder der Preis ist angemessen. Indem ich versuche, ihn trotzdem zu drücken, beleidige ich die Verkäufer*innen, weil ich ihnen unterstelle, sie wollten über den Tisch ziehen. Das möchte ich noch weniger.

Deswegen mag ich keine Märkte und meide sie, wann immer ich kann. (Ich spüre regelrecht, wie meine Unkompliziertheit, Unbeschwertheit und Unbefangenheit ansteckend auf Sie als Leser*in wirken.)

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Ein letztes Mal zum Bäcker rein. Vor uns steht eine Mutter mit ihrem circa siebzehn-/achtzehnjährigen Sohn. Es sind Deutsche. Als sie an der Reihe sind, wirken sie unvorbereitet, fast ein wenig hilflos. (Schöne Grüße von der niederländischen Familie aus dem Supermarkt.) Aber vielleicht waren die beiden noch nie in einer Bäckerei und das ist hier alles neu für sie. Wobei ich trotzdem kritisch anmerken möchte, dass sie geraume Zeit anstehen mussten. Da hatten sie genügend Zeit, um sich durch aufmerksames Beobachten ein wenig mit dem Konzept „Backwaren kaufen“ vertraut zu machen.

Ohnehin gibt es nur vier verschiedene Baguette-Sorten. Da sollte der Auswahlprozess selbst bei sorgfältigstem Abwägen aller Kaufargumente nicht länger als 30 Sekunden dauern. Die beiden diskutieren aber erstmal ausführlich, wie sich die Baguette-Sorten unterscheiden könnten. Ihnen fehlt jedoch das Vokabular, um etwas mit den unterschiedlichen Bezeichnungen anfangen zu können. (Welcome to my world!)

Schließlich machen sie es so wie ich in den letzten zwei Wochen. Sie bestellen einfach „deux baguettes“ und lassen sich überraschen, welches sie bekommen.

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Fortsetzung


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4 Kommentare zu “Cassis 2022 – Tag 14 (22.07.): Ein letztes Mal

  1. Hier isser (für die Flachwitzigkeit übernehme ich keine Haftung):

    Bundeskanzler Kohl muß mal wieder nach London. Aber weil er auch dort immer viel Hunger hat, fragt er vorher seinen Freund Genscher: “Hör mal, du bist doch weltweit gereist. Wenn ich jetzt in London Hunger habe, was mach ich dann?” Sagt Genscher, “Was willst du denn gerne essen?” “Na, Apfelkuchen hätt ich gerne!” “Ganz einfach, du gehst in den Bäckerladen und sagst: Äppelpei (Apple-Pie)!”

    In London probiert der Kanzler dann sein Englischwissen. Ab in den Bäckerladen. Die Verkäuferin fragt ihn: “Yes, Sir?” “Äh, äh… Äppelpei!” Und er bekommt sein heißgeliebtes Stück!

    Der Bundeskanzler muß aber länger als geplant bleiben. Und jeden Tag Apple-Pie ist dann auf die Dauer auch langweilig. Er ruft den Genscher an: “Also hör mal, jeden Tag den dußligen Apfelkuchen! Ich möchte auch mal Brot haben!” “Ok, Helmut”, sagt Genscher, “Geh in den Bäckerladen und sage: Bred!”

    Helmut stürzt in den Laden. Die Verkäuferin: “Yes, Sir?” “Bred!” “White-Bread or Dark-Bread?” fragt die Verkäuferin. “Äh, äh … Äppelpei!”

    Von http://www.brandy-magazin.de entnommen: http://www.brandy-magazin.de/witze/kohl-und-sein-englisch.html

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