¡Hola España! – Barcelona (1) (05.09.): Immer geradeaus (Teil 2)

Teil 1


Wir gehen weiter und wollen zum Stadtstrand. Meine Frau war letztes Jahr auf ihrer Barcelona-Dienstreise bereits dort und kam auf dem Weg dorthin durch ein schönes Viertel. Dieses Stadtspaziergang-Erlebnis möchte sie nun rekonstruieren. Im November sei sie immer geradeaus gelaufen und nach einem kurzen Blick auf Google Maps meint sie, das müsste diesmal auch klappen.

Ich finde das nicht ganz logisch. Dazu müssten wir ja ungefähr vom gleichen Punkt starten wie sie seinerzeit. Im Gegensatz zu mir kann meine Frau aber mit der Autorität ihres einen Barcelona-Besuchs sprechen. Ich war vor fünfzehn Jahren lediglich mal in Madrid, was mir keinerlei Kompetenz-Pluspunkte bezüglich der Stadtgeographie Barcelonas einbringt. Folglich behalte ich meine Bedenken für mich.

Wir gehen also geradeaus. Eine sehr breite Straße entlang mit breiten Radwegen und breiten Bürgersteigen. Dann weiter geradeaus und noch mehr geradeaus. Ein Schild bewirbt den städtischen Zoo. Die Richtung zeigt aber nicht geradeaus, so dass wir ihn nicht sehen werden.

Wir kommen an einem Uni-Gebäude vorbei. Eine Bibliothek oder eine Mensa. Keine Ahnung. Ich kann mich nicht mehr so gut konzentrieren. Vom vielen geradeaus laufen bin ich etwas erschöpft.

Ich frage meine Frau, wie weit es noch ist. „Nicht mehr weit“, sagt sie und hält mir ihr Handy vors Gesicht. „Nur noch ein paar Zentimeter.“ Ich überlege, ob dies der richtige Zeitpunkt ist, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass auf einem Handydisplay alles nur ein paar Zentimeter entfernt ist, und komme zu dem Schluss, dass er es nicht ist.

Allmählich meldet sich bei uns ein kleines Hüngerchen. Das ist ein Problem. Mit Hunger kann meine Frau nicht so gut umgehen. Sie wird dann ein bisschen unleidlich. (Das schreibe ich mit der mir größtmöglichen Zuneigung, auf der unsere 27-jährige Partnerschaft basiert.) Mir macht Hunger nicht so viel aus. Allerdings kann ich hungrig mit der Hungerunleidlichkeit meiner Frau nicht so gut umgehen. Somit bedroht unser Kaloriendefizit die eheliche Harmonie und damit auch die gute Urlaubsstimmung.

Wir beschließen, zu McDonald’s zu gehen, um den nächsten Punkt von unserer Städtereisen-Liste zu streichen. Ein Besuch bei dem US-amerikanischen Fast-Food-Riesen ist ohne Frage in vielerlei Hinsicht problematisch: kulinarisch, kalorisch und ökologisch, um nur ein paar Punkte zu nennen.

Im Ausland bei McDonald’s zu essen, ist geradezu kulturlos, frevelhaft und ignorant. Wie sollst du etwas über eine andere Kultur lernen, wenn du zu einem global agierenden Einheits-Burger-Bräter gehst? Gerade dadurch, denn aus ethnologischer Sicht ist aufschlussreich, welche landesspezifischen Burger, Speisen und Angebote dort angeboten werden.

Im spanischen McDonald’s stehen beispielsweise ein paar Desserts auf der Karte, die ich aus Deutschland nicht kenne. (Was auch daran liegen könnte, dass ich in Deutschland nicht so oft zu McDonald’s gehe und keinen aktuellen Überblick über die dortige Auswahl habe.) Zum Beispiel frittiertes Schmalzgebäck, das mit Vanille- oder Schokocreme gefüllt ist. Das wäre in Deutschland schon deshalb nicht möglich, weil man sich nicht einigen könnte, wie das heißt: McBerliner, McPfannkuchen, McKrapfen oder McKreppel.

Wirklich überraschend ist die spanische McDonald’s-Speisekarte aber in anderer Hinsicht: Wir finden keinen einzigen vegetarischen Burger. Ich google extra, ob das wirklich so ist oder wir einfach zu doof sind. Sind wir nicht. Wenn du hier fleischlos essen möchtest, musst du zu Pommes in unterschiedlichen Variationen greifen und aufpassen, dass du dazu nicht versehentlich die Käsesauce mit Schinkenstückchen nimmst. Oder du wählst die Schmalzbällchen, aber das ist als Mittagessen auch nicht das Wahre.

Als moralisch flexibler Vegetarier entscheide ich mich für den Hamburger Royal, für das gute Gewissen in der TS-Variante mit Tomate und Salat. Geschmacklich kann ich keinen Unterschied zu seinem deutschen Kollegen feststellen.

Eines haben McDonald’s-Besuche in allen Ländern gemein: Das Essen schmeckt auf seine eigene, spezielle Weise okay, aber du verlässt den Laden immer mit schlechtem Gewissen. Weil du dir gerade ungesunden Scheiß reingepfiffen hast und außerdem weißt, dass du in einer halben Stunde wieder Hunger hast.

Nun ja.

Nach unserer Expedition in die spanisch-US-amerikanische Systemgastronomie finden wir doch noch den Stadtstrand. Auf dem Meer findet gerade eine Louis-Vuitton-Soundso-Regatta statt. Für Laien ist kaum nachvollziehbar, was da passiert. Ein paar große Segelboote fahren von links nach rechts, ein paar andere von rechts nach links. Trotzdem verfolgt eine nicht unerhebliche Menge das Geschehen auf dem Wasser, einige sogar mit monströs großen Feldstechern.

Am Ufer ist eine riesige Leinwand fürs Public Viewing aufgebaut, ein Mann kommentiert, damit alle wissen, wann es spannend wird. Ab und an brandet Szenenapplaus auf.

Das Publikum ist männlich geprägt mit einer hohen Dichte an braunen Lederslippern, weißen Bermudas und langärmligen Ralph-Lauren-T-Shirts. Die Uniform der Besser- und Bestverdienenden.

Der Strand ist gut gefüllt. Fliegende Händler laufen durch die Menge und bieten ihre Waren und Dienstleistungen an. Softdrinks, Tücher, Massagen, Flechtfrisuren, Bier, Sangria, Cocktails und vieles mehr.

Niemand kauft etwas. Wer will schon Sangria, Caipirinha oder Mojito trinken, der seit zwei Stunden durch die spätsommerliche Nachmittagshitze getragen wurde?

Alles ist verboten.

Nach dem Stadtstrand wollen wir noch auf einen Aussichtspunkt, um Barcelona von oben anzuschauen. (Siehe Punkt 1 der Städtereisen-Liste) Die Mit-Vergnügen-Seite „Barcelona-Geheimtipps (sic!) – 11 Orte abseits der touristischen Ecken“ schlägt dafür den Parc Carmel vor. Der liegt oberhalb des bekannteren Parc Güell, den ebenfalls der Baumeister-Tausendsassa Antoni Gaudi entworfen hat, und kostet im Gegensatz zu diesem keinen Eintritt. Das freut den kostenbewussten Urlauber – sprich mich.

Google Maps gibt die Entfernung vom Strand zum Park mit ungefähr sechs Kilometern und anderthalb Stunden Fußmarsch an. Wenigstens nicht immer geradeaus.

Als wir nur noch einen Kilometer entfernt sind, liegt die Zeitdauer laut Google bei 28 Minuten. Das finde ich ziemlich üppig bemessen und wundere mich, ob das die Angabe für Rollatoren-Senior*innen. Aber nur bis ich den Anstieg sehe, den wir noch bewältigen müssen. Ich weiß nicht, wie viel Prozent die Steigung hat, glaube nun aber zu wissen, wie sich Tour-de-France-Fahrer fühlen, wenn sie nach Alpe d’Huez hoch radeln. Besser als wir.

In Trippelschritten schleichen wir den Berg hinauf. Zwischendurch überholen wir einen jungen Mann, der den größten Joint raucht, den ich je gesehen habe. Cartoonhaft groß. So groß, dass Markus Söder vor Wut seinen Maßkrug gegen die Wand werfen würde. Vielleicht halluziniere ich das auch nur.

Beim Parc Güell angekommen, haben wir es fast geschafft. Denken wir. Weil wir nicht mit den Treppenstufen gerechnet haben, die den restlichen Hügel hochgehen. Und schon gar nicht mit so vielen Treppenstufen. Mehr als 300. Es sind 320, um genau zu sein. Ich habe sie gezählt.

Während wir langsam Stufe für Stufe nehmen, kommt ungefähr auf der Hälfte ein Jogger an uns vorbeigesprungen. Mieser Streber.

Oben werden wir tatsächlich mit einem phantastischen Blick über Barcelona belohnt. Die Sagrada Familia ist zu sehen, der Stadtstrand, die quadratisch angelegten Stadtviertel und der Torre Agbar, ein 142 Meter hoher Wolkenkratzer, der eine nicht zu leugnende Ähnlichkeit mit einem Riesendildo aufweist.

Abendessen in der Hasta los Andares, einer Tapas Bar, die meine Frau bei Google gefunden hat und die mit den Vorzügen „fußläufig zum Hotel“ und einer 4,8-Sterne-Bewertung aufwarten kann.

Die Bar ist eng, trubelig, erstaunlich hell, aber trotzdem nicht ungemütlich. Hinter der Theke schauen wir einer Frau bei der Tapas-Zubereitung zu. Ein beruhigendes Zeichen, wenn die Küche nichts zu verbergen hat.

Wir bestellen eine Auswahl an Käse sowie Wurst und Schinken, dazu gibt es katalanisches Brot mit Tomate. Ich habe keine Ahnung, was wir da genau essen – obwohl der Kellner uns es erklärt hat –, aber alles ist köstlich. Dazu trinken wir Sangria, das erste Mal in unserem Leben. Meine Frau findet, es schmeckt ein wenig nach Glühwein, nur in kalt, bizzelig und lecker. Und nach mehr, so dass wir Nachschub ordern.


Bilanz des Tages

  • 4 Stunden Zug gefahren
  • 6 Stationen mit der U-Bahn zurückgelegt (1x umgestiegen)
  • 26.717 Schritte und 21,9 Kilometer gelaufen
  • 320 Stufen hochgegangen
  • 320 Stufen runtergegangen
  • 3 Sangria getrunken

¡Hola España! – Anreise (04.09.): Auf Kaffeefahrt mit der Deutschen Bahn

Der alljährliche Urlaubsblog. Aus Spanien. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.

Wache orientierungslos auf und weiß nicht wer, wo und wann ich bin. Laut dem Stand der Dämmerung könnte es 4 oder schon 9 Uhr sein. Letzteres wäre ungünstig, Unser Zug fährt um 8.30 Uhr am Hauptbahnhof los.

Der Radiowecker zeigt 5.30 Uhr an. Alles im grünen Bereich. Außer dass ich eine Stunde länger hätte schlafen können.

Dafür kann ich alles etwas geruhsamer angehen lassen. (Positiv denken.) Kaffee trinken, aufs Klo gehen, Spülmaschine ausräumen, einen weiteren Kaffee trinken, duschen, Provianttasche fertig richten, Kaffee Nummer drei, nochmal Toilette. Als ich den nächsten Kaffee machen will, sagt die Blase, jetzt sei es mal gut mit dieser Kaffeetrinkerei, sonst würde ich die halbe Fahrt auf der Bordtoilette verbringen und das sei wirklich der letzte Ort, an dem du dich in einem Zug aufhalten möchtest.

Titelbild mit einem Papp-Kaffeebecher der Deutschen Bahn, der auf einem Ausklapptischchen in einem ICE steht. Auf dem Becher steht: Genuss auf ganzer Strecke.
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¡Hola España! – Anreise (04.09.): Auf Kaffeefahrt mit der Deutschen Bahn (Teil 2)

Teil 1


Der TGV hat schon bessere Tage gesehen. Hoffe ich zumindest. Die Sitze sind durchgesessen, der Teppichboden könnte eine Reinigung vertragen – noch besser: rausreißen und verbrennen – und an der Rückenlehne vor mir sind rorschachartige Spritzer von etwas Undefinierbarem, die ich mir lieber nicht näher anschaue, weil ich gar nicht wissen möchte, was das mal gewesen sein könnte. Dafür sitzen keine Rammstein-Assis in unserem Waggon. (Positiv denken.)

Ein Mann, der Richtung Toilette geht, tritt mir versehentlich auf den Fuß. Er ist fast zwei Meter groß, hat das Kreuz eines Möbelpackers und trägt eine Jeffrey-Dahmer-Brille. Deswegen entschuldige ich mich bei ihm und beteure, es sei ganz allein meine Schuld, dass ich meinen Fuß unter seinen gestellt habe.

Bei jedem Halt ertönt kurz vor der Ankunft im Bahnhof eine Frauenstimme aus dem Bordlautsprecher. Sie sagt auf die passiv-aggressivste Weise, die du dir vorstellen kannst: „Wir sind da. Sicherlich nichts zurückgelassen? Ein letzter Blick schadet nicht.“

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21 Uhr. Ankunft in Avignon. Ich weiß nichts über die Stadt. Nur dass dort eine Brücke steht. Vermute ich zumindest, weil wir diese regelmäßig im Grundschul-Musikunterricht besangen.

Auf dem Weg zu unserer Unterkunft. Bin ein wenig nervös, da ich sie gebucht habe. Ein Low-Budget-Appartement-Hotel, bei dem mir Preis und Nähe zum Bahnhof wichtiger als Ausstattung und Komfort waren. Ich hoffe, das Hotel genügt den Ansprüchen meiner Frau.

Andererseits darf sie sich nicht beschweren, sie hätte ja selbst ein Zimmer raussuchen können. Das ist ein ehernes Gesetz unserer mehr als 27-jährigen Partnerschaft und Basis unserer meist harmonischen Ehe: Du darfst dich nicht über etwas beklagen, um das du dich selbst hättest kümmern können.

Gegen diese Regel verstoßen wir fast nie. Zur Not habe ich den Satz einer Kundinnen parat: „Nur wer nichts macht, macht keine Fehler.“ Ein großartiges Motto, mit dem du den größten Bockmist, den du anrichtest, rechtfertigen kannst. („Du hast mich mit meiner Schwester betrogen?“ „Nur wer nichts macht, macht keine Fehler.“)

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Im Hotel ist der Empfang nicht mehr besetzt. Das wussten wir schon, denn ich hatte gestern eine Mail mit detaillierten Anweisungen erhalten:

  • Das Appartement liegt in der 8 Rue de la gare.
  • Wenn die Tür zum Hotel verschlossen ist, benutze den Code 2793.
  • Gehe nicht zur Rezeption, gehe direkt zu dem schwarzen Safe und öffne ihn mit der Kombination 779218.
  • In dem Safe liegt ein Umschlag mit deinem Namen und einem Schlüssel. Gehe damit in den dritten Stock zu Zimmer 314.

Klingt wie der Quest eines 90er-Jahre Text Adventures, bei dem du einen Topf Gold hinter dem Regenbogen suchst, ist aber leider nur der Zugang zu unserer Schlafstätte. Ein schlichtes Zimmer mit zu weißen Wänden und zu greller Beleuchtung und leicht müffelndem Abfluss im Bad. Ich darf das kritisch anmerken, schließlich habe ich es gebucht.

  • Langer Hotelflur. Die Wände sind weiß, die Decke ist niedrig, links und rechts sind Türen.
  • Bett mit aufgestellten Kissen am Kopfende
  • Topf mit Reis in Tomatensauce

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Zum Abendessen machen wir in der Kochnische Express-Beutel-Reis mit passierten Tomaten aus dem Tetrapak. Um den Abwasch zu reduzieren, löffeln wir direkt aus dem Topf. Essen wie Gott in Frankreich neu interpretiert.


Bilanz des Tages

  • 12 Stunden Zug gefahren
  • rund 1.450 Kilometer zurückgelegt
  • 1-mal umgestiegen
  • 0 Minuten verspätet
  • 3 Äpfel, 3 Stullen, und 3 Stücke Kuchen gegessen
  • 3 Cappuccini getrunken (beziehungsweise 1 Cappuccino, noch 1 Cappuccino und 1 weiteren Cappuccino)

¡Hola España! – Vorbereitung (03.09.): Zurück in die Vergangenheit

Der alljährliche Urlaubsblog. Aus Spanien. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.

„Wie heißt nochmal unser Urlaubsort?“ So doll wie meine Frau ihre Augen verdreht, ist zu befürchten, sie kullern gleich aus den Höhlen. Ich möchte nicht ausschließen, dass ihre Augenrollerei darauf zurückzuführen ist, dass ich diese Frage nicht zum ersten Mal gestellt habe, sondern bereits mehrfach. Wie oft, vermag ich nicht zu sagen.

„Vilafortuny. Zwischen Salou und Cambrils“, antwortet meine Frau. Sie redet sehr langsam und etwas zu laut für normale soziale Gepflogenheiten. Als wäre ich schwer von Begriff und schwerhörig. Dabei habe ich nur ein sehr schlechtes Namensgedächtnis. Das schließt neben Personen, Bäumen, Blumen und Vögeln nun mal Orte ein.

Titelbild in den spanischen Farben rot und gelb gehalten mit einem Foto aus den 70ern mit einem dreijährigen mit weißem Strandhütchen und weißem Bademantel unter einem Sonnenschirm am Strand.
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¡Hola España! – Vorbereitung (03.09.): Zurück in die Vergangenheit (Teil 2)

Teil 1


Mit dem Zug bist du zwar länger unterwegs – bei der Deutschen Bahn oftmals noch länger –, aber die langsame Fortbewegung hat auch etwas Beruhigendes und Kontemplatives, so dass du deinen Urlaub sehr achtsam beginnst. Außer du hast massive Verspätungen, verpasst Anschlusszüge und musst ungeplant irgendwo übernachten. Dann fängt dein Urlaub maximal gestresst an.

Die Zugreise nach Spanien ist eigentlich gar nicht so schlimm. Mit dem Nachtzug von Berlin nach Paris, morgens umsteigen und am späten Nachmittag dann Ankunft in Barcelona. Dort wollen wir unsere Ferien mit einem zweitägigen Aufenthalt starten.

Die unkomplizierte Anreise galt zwar noch ein halbes Jahr vor unserem Urlaub, als ich mir das zum ersten Mal angeschaut habe, aber nicht mehr Mitte Juli, als ich die Karten kaufen wollte. Die Nachtzugverbindung nach Paris hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst. Stichwort Gleisarbeiten rund um Frankfurt oder irgendetwas anderes. Stattdessen müssen wir nun in Mannheim umsteigen, insgesamt zwölfeinhalb Stunden bis Avignon fahren, dort übernachten und am nächsten Tag geht es weiter nach Barcelona.

Der Vorurlaubsstress erhöhte sich dann zusätzlich, als meine Frau zwei Tage vor unserer Abreise feststellte, dass ich das Hotel in Avignon einen Tag zu früh gebucht hatte. Entsprechend stornierte ich es und musste darauf hoffen, ein anderes zu bekommen. Glücklicherweise stellte sich heraus, dass Hotels in der Bahnhofsgegend von Avignon nicht besonders gefragt sind und ich finde sofort eine alternative Unterkunft. Ich denke besser nicht darüber nach, warum sie so kurzfristig zu haben ist. Sie ist sogar zehn Euro günstiger, was ich lieber auch nicht hinterfrage.

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Aufgrund berufsbedingten Stresses in Verbindung einer gewissen Trägheit komme ich – wie jedes Jahr – nicht dazu, mich vorab inhaltlich eingehend mit Spanien oder unserer Urlaubsregion zu beschäftigen. Stattdessen bereite ich mich mit meinem Assoziationsspiel vor. Ich stelle den Timer auf eine Minute und schreibe, ohne zu googeln, innerhalb von 60 Sekunden alles auf, was mir zu Spanien einfällt.

Meine ersten Assoziationen ist Fußball. Die erste Weltmeisterschaft, die ich als Kind verfolgte, fand 1982 in Spanien statt, Deutschland wurde Vize-Weltmeister. Die letzte Europameisterschaft fand wiederum in Deutschland statt und Spanien gewann den Titel.

Wenn wir schon beim Fußball sind: Die beiden erfolgreichsten spanischen Vereine sind Real Madrid und der FC Barcelona. Gegen Madrid verliert Bayern meistens, gegen Barcelona gewinnen sie häufiger.

Letzte Sport-Notiz: Rafael Nadal. Der Mallorquiner hat eine Milliarde Mal die French Open gewonnen. Ich mochte ihn nie besonders, weil er sehr oft gegen den mir sympathischeren Roger Federer gewann. Beim Abschiedsturnier des Schweizers traten sie gemeinsam im Doppel an, saßen zum Schluss nebeneinander der Spielerbank und weinten hemmungslos. Das fand ich sehr rührend.

Zur spanischen Geschichte weiß ich nicht viel. Nur dass das Land früher eine stolze Seefahrernation war. Christoph Kolumbus war zwar Italiener, aber seine „Entdeckungsreise“ nach Amerika finanzierte das spanische Königshaus. Auch nichts, auf das ich als Spanier allzu stolz wäre.

Über die aktuelle spanische Politik habe ich ebenfalls sehr wenig Wissen. Der Regierungschef ist Sozialist, aber kein SED-Sozialist, sondern mehr so ein SPD-Sozialist. Sein Name ist mir unbekannt. (Im Zweifel Sanchez.) Bis in die 70er herrschte in Spanien der Diktator Franco. Vorname unbekannt. (Zumindest mir.)

Spanien hat ein Königshaus. Dessen langjähriges Oberhaupt Juan Carlos (I. oder II.?) fiel vor ein paar Jahren in öffentliche Ungnade. Ich glaube wegen einiger außerehelichen Affären sowie unzeitgemäßer Großwildjagd-Fotos. Wahrscheinlich gab es noch einige andere Skandale, denn ein paar Mätressen sowie Elfenbein-Trophäen gelten unter Blaublütigen wohl eher als Nichtigkeiten.

Zur spanischen Kultur fallen mir nur Flamenco, Carmen (hat ein Franzose geschrieben) und Stierkampf ein. Wobei letzteres weniger in die Kategorie Kultur, sondern mehr unter Tierquälerei fällt.

Kulinarisch verbinde ich Spanien mit Tapas, Rotwein und Paella. Tapas und Paella habe ich noch nie gegessen. Letztere sollte nicht mit Polenta verwechselt werden. Paella: Fisch-Reis-Gericht, Polenta: irgendwas mit Mais.

Geographisch ist Spanien eine Halbinsel und sieht wie eine Faust aus und deswegen leicht auf unbeschriebenen Europa-Landkarten zu finden. (Unschöne Erinnerungen an Erdkunde-Tests in der Mittelstufe.)

In diesem Sinne: ¡Hola España 2024!

Eine Prager Wochenschau | Tag 3 (06.01.): Wer zuletzt lacht, lacht zuletzt (Teil 2)

Teil 1


Im ersten Ausstellungsaum hängt ein riesiges Skelett eines Finnwals an der Decke. Finnwale werden über 20 Meter lang und wiegen fünf bis sieben Tonnen. Eine Information, die einem das gute Gefühl gibt, dass die zwei, drei überschüssigen Weihnachtskilo gar nicht so schlimm sind.)

Um zu veranschaulichen, wie groß so ein Finnwal ist, stehen in dem Raum eine Giraffe und ein Elefant. Die wirken gegen den Wal wie ein Rehpinscher und ein Chihuahua.

An einer der Wände kannst du dich über die Geschwindigkeit von Lebewesen informieren. Der Mensch liegt da nur im hinteren Mittelfeld. Er erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 45 km/h.

Das schnellste Tier der Welt ist der Gepard. Das wusste ich bereits. Der erzielt eine Spitzengeschwindigkeit von weit über 100 km/h. (Möglicherweise auch nur der Usain Bolt unter den Geparden.)

Für mich überraschend, belegen Rentiere einen der vorderen Plätze in der Schnellste-Lebewesen-der-Welt-Rangliste. Die kommen auf circa 80 km/h. Wahrscheinlich das Tempo, das nötig ist, um den Santa-Schlitten in die Luft zu bekommen.

Im nächsten Raum fotografiere ich das Modell eines Vogel Strauß. So ein Strauß ist eine ziemlich imposante Erscheinung. Ich bin 1,80 und muss zu dem Tier aufschauen. Zum Glück laufen im Schlosspark Charlottenburg oder im Volkspark Rehberge keine Strauße rum.

Vor allem weil der Schnabel eines Straußes ziemlich groß ist. Damit willst du keine abbekommen. Ein Strauß erreicht eine Geschwindigkeit von gut 70 km/h. Da sieht selbst Usain Bolt im Sprintduell alt aus.

Der letzte Raum der Evolutionsausstellung beschäftigt sich mit Tieren im Wasser. Unter anderem mit japanischen Riesen-Krabben. Die haben ihren Namen nicht ohne Grund. Die Beine der männlichen Exemplare sind über dreieinhalb Meter lang. Diese Krabbenart lebt im japanischen Pazifik. Damit ist Strandurlaub in Japan von meiner Liste möglicher Feriendestinationen gestrichen.

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Nach etwa drei Stunden verlassen wir das Nationalmuseum. Auf dem Heimweg kommen wir am Karlsplatz und dem Neustädter Rathaus vorbei. Dort fand vor 600 Jahren der Prager Fenstersturz statt. Eigentlich ein Fensterwurf, denn der Bürgermeister und die Ratsvertreter sind nicht durch Tollpatschigkeit, aus dem Fenster gepurzelt. Da mussten die Hussiten schon ein wenig nachhelfen. Anschließend gab erstmal fünfzehn Jahre Krieg.

1618 gab es einen weiteren Prager Fenstersturz. Anscheinend ist es in Prag ein sozial akzeptiertes Kommunikationsmittel, deiner politischen Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen, in dem du politische Gegner aus dem Fenster schubst.

Schauplatz des zweiten Prager Fenstersturzes ist die Prager Burg. Protestantische Ständevertreter bugsierten ein paar königliche Statthalter aus dem Fenster, in den 17 Meter tiefer gelegenen Burggraben. Das löste den 30-jährigen Krieg aus. Vielleicht sollten die Prager das mit der Fensterwerferei lieber lassen. Dabei kommt doch nichts Gutes rum.

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Für die Abendgestaltung hat sich meine Frau wieder etwas Besonderes ausgedacht. Kein weiteres Konzert, sondern sie hat Karten für den Metro Comedy Club besorgt. Dort findet heute die Wildcard-Ausscheidungsrunde für den „Prague’s funniest“-Wettbewerb statt. (Falls Sie sich jetzt fragen, wie viel Spaß wir an tschechischer Stand-up-Comedy haben werden: Die Auftritte sind auf Englisch.)

Die Show startet erst um 22.30 Uhr. Eine geradezu unchristliche Zeit, zu der ich normalerweise bereits im Bett liege.

Wir überbrücken die Warterei, indem wir unser Kniffelturnier zu Ende bringen. Der Sohn belegt den vierten Platz, obwohl beziehungsweise weil ihm das Kunststück eines Einhandkniffels der Herzen gelingt. Meine Frau wird Dritte und ich verteidige meinen gestrigen Vorsprung vor der Tochter und entscheide unser 2024er Urlaubskniffelturnier für mich.

Damit bin ich nun alleiniger Rekord-Urlaubskniffel-Champion. Mein größter sportlicher Erfolg neben dem Gewinn der Westerwälder U12 Judo-Kreismeisterschaft in der Gewichtsklasse bis 32 Kilo – außer mir gab es nur einen Teilnehmer, der im Finale über seine eigenen Füße stolperte – sowie einem siebten Platz unter 26 Läufern beim Berliner Vollmondhalbmarathon 2022.

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20.40 Uhr endet unsere Kniffelrunde. Noch knapp zwei Stunden bis zu unserem Comedy-Abend. Da können wir vorher noch ein wenig entspannen. Unsere Entspannung endet sehr abrupt, bevor sie überhaupt angefangen hat, als meine Frau einen Blick auf die e-Tickets wirft. Die Show startet nicht um 22.30 Uhr anfängt, sondern endet um diese Zeit. (Auch Stand-up-Comedians wollen vor Mitternacht ins Bett.)

Beginn des Comedy-Abends ist 21 Uhr. Die Fahrt zur Location dauert mit der Straßenbahn und einmal umsteigen 18 Minuten. Das heißt, wir schaffen es nicht pünktlich. Das ist sehr misslich, denn zu spät bei einem Stand-up-Auftritt zu erscheinen, garantiert, dass du zur öffentlichen Zielscheibe von Spott und Witzen wirst.

Mit Bolt dauert die Fahrt laut App nur zwölf Minuten. Michal, unser Fahrer, unterbietet die Zeit sogar um eine Minute. Er setzt uns um 20.57 Uhr vor dem Metro Comedy Club ab. Aus Dankbarkeit gibt der Sohn ihm seinen 100-Kronen-Schein, den er gestern Abend als Rückgeld in einem Prager Späti erhielt. Damit verdoppelt er fast das Fahrgeld.

Beim Einlass stellt sich heraus, dass unsere Unpünktlichkeitsangst unbegründet war. Die meisten Besucher*innen – und Comedians – tummeln sich noch an der Theke, um mittels Bier sicherzustellen, dass der Abend auch wirklich lustig wird.

Der Veranstaltungsraum befindet sich im Keller. Die Einlasserin fragt uns, ob wir gerne in der noch freien ersten Reihe sitzen möchten. Möchten wir selbstverständlich nicht. So viel Selbsthass besitzen wir nicht, uns freiwillig nach vorne zu setzen, wo dich die Comedians in Gespräche verwickeln, in denen sie zur Belustigung des restlichen Publikums Witze auf deine Kosten reißen.

Entsprechend setzen wir uns möglichst weit nach hinten. Was immer noch ziemlich nah an der Bühne ist, denn der Raum bietet nur Platz für 50 bis 60 Leute.

Bevor es losgeht, bleibt noch genügend Zeit, dass der Sohn und ich oben an der Theke Bier holen. Ich runde den Betrag, den mir die Frau hinterm Tresen nennt, auf 200 Kronen auf und hoffe, dass ich damit circa zehn und nicht nur ein Prozent Trinkgeld gebe.

Auch ohne dass wir in der ersten Reihe sitzen, werden an dem Abend erstaunlich viele Witze über Deutsche gemacht. Der zweite Teilnehmer ist sogar Deutsch-Türke. Ein Deutsch-Türke, der in einer tschechischen Kellerbar englische Stand-up-Comedy macht. Mehr Globalisierung geht nicht.

Den Wettbewerb gewinnt verdientermaßen Jemanja. Ein hünenhafter, bärtiger Serbe, der sich ausführlich über seinen neuen Premium-Mixer auslässt, den er nach der Geburt seines Kindes angeschafft hat. Zu seinem Bedauern kann er mit niemandem über den Mixer sprechen. Seine Frau redet lieber über Politik und Kultur, für eine Unterhaltung mit seinen Kumpels ist das Thema zu unmännlich. Es hat schon seinen Grund, dass es zwar Motorrad-Gangs, aber keine Mixer-Gangs gibt.

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Zurück in unserer Unterkunft packen wir die Koffer und bereiten Proviant für die morgige Heimreise vor. Jetzt müssen wir morgen nur noch daran denken, am Bahnhof unbedingt ein paar Kühlschrank-Magnet zu besorgen. Denn wenn du von einer Reise keinen Kühlschrank-Magneten mitbringst, hat sie im Prinzip nicht stattgefunden. Und das wäre sehr schade.


Die kompletten Beiträge der Prag-Reise finden sie hier:



Eine Prager Wochenschau | Tag 3 (06.01.): Wer zuletzt lacht, lacht zuletzt

Wir sind kurzverreist. Nach Prag. Hier gibt es den Bericht. Nicht ganz live, aber dafür in Farbe und 8k. Falls Ihnen Ihre Lebenszeit nichts wert ist und Sie alle Prag-Beiträge lesen möchten, werden Sie hier fündig.


Meine morgendliche Laufrunde führt mich an der O2-Arena vorbei. Ein Display über dem Eingang kündigt einen Auftritt der Jonas Brothers an „5 Albums in 1 show!“ Ich frage mich, seit wann Magier Platten aufnehmen. Und dann gleich fünf Stück.

Es dauert ungefähr zwei Kilometer, bis mir einfällt, dass das mit der Zauberei nicht die Jonas, sondern die Ehrlich Brothers sind. Eigentlich heißt es, dass körperliche Ertüchtigung die Durchblutung des Hirns fördert und gut fürs Denkvermögen ist. Anscheinend muss ich noch sehr viel mehr Sport treiben.

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Eine Prager Wochenschau | Tag 2 (05.01.): Essen wie die Tschechen (Teil 2)

Teil 1


Nachdem wir unsere kulinarische Fortbildung abgeschlossen haben, gehen wir durch die Altstadt in Richtung Karlsbrücke. Dort in der Nähe ist die Buchhandlung „Shakespeare & Sons“, die auf den Seiten von „Mit Vergnügen“ empfohlen wurde.

Als wir die Karlsbrücke erreichen, ist es schon später Nachmittag. Im Vergleich zum gestrigen Donnerstag ist der Besucher*innen-Andrang heute noch einmal bedeutend. Unzählige Menschen drängen sich an den beiden Geländer-Seiten, um Touri-Selfies mit den Heiligen-Figuren oder der Prager Stadt-Silhouette zu schießen. Zum Glück haben wir das gestern bereits erledigt.

Bei „Shakespeare & Sons“ gibt es auf zwei Etagen Bücher aus allen Genres, hauptsächlich auf Englisch. Die Regale reichen bis zur Decke, eine Systematik ist nicht zu entdecken und billige Taschenbuch-Ausgaben stehen direkt neben hochwertigen Hardcover-Büchern.

In einem kleinen Raum entdecke ich eine Sonder-Edition zu Klassikern der Literaturgeschichte. Von Homers „Illias“ über Tolstois „Krieg und Frieden“ bis hin zu Orwells „1984“. Eine etwas männerlastige Auswahl, aber die Einbände sind aufwändig und ansprechend gestaltet. Vielleicht sollte ich die insgesamt über 30 Büchern alle kaufen. Nicht weil ich sie lesen will, aber sie sind hübsch anzusehen und würden sich gut in unserem Bücherregal. (Außerdem würden Gäste dann denken, ich hätte die Bücher tatsächlich gelesen und das ist bekanntlich fast so viel wert, wie sie wirklich gelesen zu haben.)

Nach einer guten halben Stunde verlassen wir „Shakespeare & Sons“. Draußen stellen wir fest, dass wir den Sohn verloren haben. Mit 17 ist er in einem Alter, in dem wir deswegen nicht in Panik verfallen müssen. Meine Frau ruft ihn einfach an.

Der Sohn befindet sich noch in der Buchhandlung. Erstaunlich. Er hat es sich im Untergeschoss auf einem Sofa bequem gemacht. Das klingt schon mehr nach ihm. Er erklärt, er müsse nur noch eine Seite Foucault zu Ende lesen, dann käme er. Okay?

Noch eine Seite Foucault zu Ende lesen? Freiwillig? Ich habe Fragen. Ist das unser Sohn? Oder wurde er von Aliens ausgetauscht? Oder wurde er entführt und will uns signalisieren, dass etwas nicht stimmt?

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Als der der Sohn seine Foucault-Lektüre beendet hat, gehen wir an der Moldau entlang in Richtung zum „Czech Design Shop“. Der ist ebenfalls eine Empfehlung von „Mit Vergnügen“ und bietet, wie der Name vermuten lässt, tschechische Design-Produkte an. Richtig originell fände ich es, gäbe es dort ausschließlich in Asien produziertes Plastikspielzeug. Gibt es aber nicht. Sondern Geschirr, Gläser, Tassen, T-Shirts, Postkarten, Taschen und Schmuck.

Die Einrichtung des „Czech Design Shops“ ist ebenso minimalistisch wie die dortigen Produkte. Die Preise allerdings nicht. Somit belassen wir es beim nur anschauen und verzichten auf den Kauf einer Tasse. (Unser Bankkonto nicht zustimmend.)

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Auf dem Heimweg gehen der Sohn und ich noch schnell einkaufen. Diesmal wirklich in einem tschechischen Supermarkt. Der heißt allerdings Albert, was sich nicht gerade super tschechisch anhört. Aber ich bin diesbezüglich kein Experte. Unter Umständen ist das ein sehr populärer Name in Tschechien, nur dass kein berühmter Tscheche so heißt.

Vielleicht heißt der Supermarkt-Gründungsvater Albert und bürgt wie der hippe Claus mit seinem guten Namen für Qualität und Einkaufserlebnis. Oder Albert ist ein tschechisches Akronym für „Die besten Produkte zu günstigen Preisen.“

Bei Albert ist es etwas geräumiger und vor allem ordentlicher als bei LIDL und bei BILLA, wo wir in den letzten beiden Tagen waren. Wobei das auch keine allzu hohe Messlatte ist.

Möglicherweise ist es bei Albert etwas teurer, aber das vermag ich nicht abschließend beurteilen. Bei den tschechischen Kronen und den hohen Beträgen habe ich keinen rechten Überblick. In einem Supermarkt kostet die Butter 2,345 Phantastilliarden, indem anderen 2,361 Phantastilliarden. Oder umgekehrt.

Wir haben alle Einkäufe beisammen und gehen zur SB-Kasse. An der scheitern wir fast. Nach dem ersten Produkt – eine Flasche Cola (nicht Kofola) – leuchtet auf dem Display ein roter Punkt auf.

Eine Supermarktangestellte kommt, um sich dem Problem anzunehmen. Sie ist circa Ende 50 und schaut uns missbilligend an. Sie kann kein Englisch und wir kein Tschechich. Das macht die Kommunikation herausfordernd.

Die Frau gestikuliert wild. Sofern ich ihre Pantomime richtig interpretiere, dürfen wir den Bereich rechts von der Kasse, wo die eingescannten Waren abzustellen sind, unter keinen Umständen berühren.

Mir ist schleierhaft, wie das funktionieren soll. Tut es auch nicht. Der rote Punkt leuchtet noch zweimal auf. Beim zweiten Mal sind Gestik und Mimik der Supermarktangestellten so barsch, dass dagegen Eiskunstlauftrainerinnen der 80er Jahre als warmherzige und zugewandten Menschen gelten können. Hier können wir uns also nie wieder blicken lassen.

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Unermüdlich und unerschütterlich optimistisch unternehme ich nach Trdelnik und Kofola einen weiteren Versuch, mich unserem Gastland durch den Verzehr einheimischer Produkte anzunähern. Dazu habe ich im Supermarkt tschechische Schokolade gekauft.

Sie heißt Mléčná und wenn ich die blaue Verpackung richtig deute, handelt es sich um Vollmilch-Schokolade. Zumindest würde es mich bei dem abgebildeten Milchkrug überraschen, wenn es Traube-Nuss-Schokolade wäre.

Geschmacklich liegt Mléčná, wie schon Kofola, am unteren Ende der Zumutbarkeits-Skala. Wir können nicht genau benennen, was uns stört, aber wir verziehen alle nach dem ersten Bissen das Gesicht. Das sollte nicht passieren, wenn du Schokolade isst.

Mir ist schleierhaft, wie man es überhaupt hinbekommt, dass Schokolade nicht schmeckt. Schokolade besteht hauptsächlich aus Fett, Zucker, Milch und Kakao. Da kann eigentlich nichts schiefgehen. Zur Ehrenrettung der tschechischen Schokoladenindustrie sei erwähnt, dass die Tafel ganz unten im Regal lag, kurz über dem Fußboden. Da liegt bekanntlich in den seltensten Fällen die Premiumware. Von daher möchte ich nicht ausschließen, dass auch leckere tschechische Schokolade existiert, die ich erst noch finden muss.

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Erfreulicher als das Schokoladenexperiment verläuft unsere abendliche Kniffelrunde. Zumindest für mich. Ich verwandle meinen Sechzig-Punkte-Rückstand gegenüber der Tochter in einen 130-Punkte-Vorsprung.

Ich möchte nicht voreilig sein, kein Bärenfell vor der Jagd verteilen und den Tag nicht vor dem Abend loben. Außerdem weiß ich selbstverständlich, dass man sich nicht zu früh freuen soll, am Ende abgerechnet wird und die Ente hinten kackt. Aber 130 Punkte sind schon ein sehr komfortabler Vorsprung.

Hoffentlich finde ich morgen in der Stadt einen Copy-Shop, in dem ich mir ein T-Shirt bedrucken lassen kann: „Kniffel-Champion Prague 2024: It’s coming home!“


Die kompletten Beiträge der Prag-Reise finden sie hier:



Eine Prager Wochenschau | Tag 2 (05.01.): Essen wie die Tschechen

Wir sind kurzverreist. Nach Prag. Hier gibt es den Bericht. Nicht ganz live, aber dafür in Farbe und 8k. Falls Ihnen Ihre Lebenszeit nichts wert ist und Sie alle Prag-Beiträge lesen möchten, werden Sie hier fündig.


Mein Tag beginnt mit einem morgendlichen Lauf. Ich bin mir durchaus bewusst, dass im Städtereisen-Kurzurlaub joggen zu gehen, nicht besonders viel Identifikationspotenzial bietet. Im Gegenteil. Das wirkt überengagiert und asketisch-freudlos. Allerdings war meine Nahrungsaufnahme in der Weihnachtszeit stark unterdiszipliniert – dafür aber hedonistisch-freudvoll. Somit ist der Frühsport kein Ausdruck von falschem Ehrgeiz, sondern schlicht dringend geboten.

(Der zwickende Hosenbund nickt, der Hüftspeck lacht und singt: „Wir sind gekommen, um zu bleiben.“)

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Eine Prager Wochenschau | Tag 1 (04.01.): So weit die Füße tragen (Teil 2)

Teil 1


Wir erreichen die Karlsbrücke, eines der Wahrzeichen von Prag. Sie führt über die Moldau und führt von der Altstadt in Richtung Prager Burg. Auf dem Brückengeländer stehen links und rechts zahlreiche imposante Heiligenstatuen. Ein beliebtes Fotomotiv für Tourst*innen und somit auch für mich.

Die Brücke ist ein vielversprechender Arbeitsplatz für Straßenkünstler, die Karikaturen von zahlungswilligen Tourist*innen anfertigen. Ich frage mich, wieviel Selbsthass jemand haben muss, der Geld dafür bezahlt, um ein Portrait von sich mit riesiger Nase, Hasenzähnen und Segelohren zu bekommen. Und was stimmt mit den Leuten nicht, die das dann zu Hause sogar aufhängen?

Vielleicht sollte ich das meine Frau fragen. Die erzählt freimütig und ohne Anflug von Scham, sie habe auf ihrer 12er-Kursfahrt in Rom so eine Karikatur zeichnen lassen. Um es positiv zu sehen: Schön, wenn du nach 27 Jahren Beziehung noch etwas Neues über deine Partnerin lernst. Und immerhin hat sie die Zeichnung nicht rahmen lassen, um sie im Wohnzimmer zur Schau zu stellen. (Oder noch schlimmer: im Schlafzimmer.)

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Nachdem wir die Karlsbrücke überquert haben, kraxeln wir die steile Treppe zur Prager Burg hoch. Der Hradschin ist mit sieben Hektar die zweitgrößte geschlossene Burganlage der Welt. Sagt zumindest Wikipedia. Da ich über keinerlei Wissen zu geschlossenen Burganlagen verfüge, glaube ich das einfach mal.

Bei sieben Hektar Fläche möchtest du definitiv nicht der Typ sein, der dafür zuständig ist, den Hof zu fegen. Als Kind fand ich es schon eine Kinderrechte verletzende Zumutung, die Garageneinfahrt kehren zu müssen. Und das waren nur circa 20 Quadratmeter und keine zehn Fußballfelder wie das Prager Burgareal. (Wobei ich damals auch noch Kehrverantwortlicher für die Treppe und einen schmalen Bürgersteig neben unserem Grundstück war. Zusammengerechnet musste ich also ungefähr ein Drittel Strafraum fegen. Für einen Zehnjährigen fühlt sich das an wie zehn Fußballfelder.)

An der Burg machen wir unser obligatorisches Urlaubs-Familienselfie. 25 Versuche später haben wir ein akzeptables Bild. Während die Tochter auf jeder Aufnahme das identische fotogene Lächeln aufgesetzt hat, als wäre ihr Gesicht reingephotoshopt, hat mindestens eines der anderen Familienmitglieder den Mund auf, die Augen zu oder sieht aus, als wäre er lieber ganz woanders. In meinem Fall auch gerne alles zusammen.

Ohnehin ist mir aufgefallen, dass ich, wenn ich im Hintergrund auf Bildern der Kinder oder meiner Frau zu sehen bin, häufig sehr grimmig schaue. Ich möchte nicht wissen, wie vielen Menschen ich Urlaubsaufnahmen verhunzt habe, weil ich im Background als miesepetriger Griesgram rumstehe.

Daher möchte ich mir angewöhnen, künftig mehr zu lächeln und einen freundlicheren Gesichtsausdruck aufzusetzen. Dann versaue ich Urlaubsschnappschüsse nicht mehr als muffelige Motzfresse, sondern als debil grinsender Hohlkopf.

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Unsere Einkäufe für das morgige Frühstück wollen wir nicht wieder bei LIDL besorgen, denn ich möchte endlich mein Urlaubs-Supermarktfeeling bekommen. Daher gehen wir zu BILLA. Später lese ich im Internet nach, dass es sich gar nicht um einen tschechischen Supermarkt handelt, sondern Teil einer österreichischen Kette ist.

Das Einkaufserlebnis im BILLA ist ausbaufähig. Der Laden erinnert an einen nur mäßig ordentlichen Netto-Markt. Mäßig ordentlich auch nur nach Berliner Maßstab, der nicht unbedingt dem normalen Einzelhandel-Standard entspricht.

Zur weiteren kulinarischen Annäherung an Tschechien kaufen wir ein einheimisches Cola-Getränk mit dem Namen Kofola, was klingt, als hätte jemand Cola sagen wollen und hätte dabei aufstoßen müssen. Geschmacklich liegt Kofola irgendwo zwischen Aldi-Cola, Fassbraue und Almdudler. Das ist darauf zurückzuführen, dass der Basis-Sirup für Kofola aus Himbeersirup, Brombeer-, Erdbeer- und Himbeerblättern, Zimt, Lakritz, Karamell, Apfel-, Kirsch- und Johannisbeerextrakt sowie getrockneten Orangenschalen hergestellt wird. Vielleicht sollte man das alles besser weglassen, um aus Kofola ein leckeres Getränk zu machen.

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Für die Abendgestaltung hat sich meine Frau sich etwas Besonderes ausgedacht: den Besuch eines Jazz-Konzertes. Das würde den Kindern sicherlich gefallen, meint sie. Ich weiß nicht, worauf sie ihre Vermutung stützt, aber die Karten kosten nur vierzehn Euro und damit können die Kinder „Besuch eines Jazz-Konzerts“ von ihrer Bucket-List streichen, auch wenn sie vielleicht gar nicht wussten, dass das auf ihrer Bucket-Liste steht.

Das Konzert findet im renommierten AghaRTA-Club statt, einer schummrigen Jazz-Bar mit ungefähr 50 Sitzplätzen. Außer uns sind Jazz-Liebhaber, überwiegend in gesetztem Alter mit Brille und Cord-Jackett, sowie zehn asiatische Besucher*innen anwesend.

Wir werden an ein Tischchen direkt vor der Bühne platziert. Mehr „Bock zum Gärtner machen“ und „Perlen vor die Säue werfen“ geht nicht. Sicherlich hat keiner der anderen Besucher*innen weniger Ahnung von Jazz als ich. Ich kommer mir vor wie ein Hochstapler, der hier nichts verloren hat.

Heute Abend treten „Jazz Q of Martin Kratochvil“ auf. Der namensgebende Martin Kratochvil ist 77 und spielt Keyboard, der Bassist und der Gitarrist sind unwesentlich jünger. Der Schlagzeuger ist dagegen ungefähr Ende 30 / Anfang 40. Die Tochter vermutet, dass er der Sohn eines verstorbenen Gründungsmitglieds ist.

Ich muss gestehen, dass ich keinen rechten Zugang zu Jazz habe. Weder musikalisch noch emotional. Ich kann zwar rational die Virtuosität der Musiker und ihres Zusammenspiels bewundern, aber die Musik berührt mich nicht.

Trotzdem habe ich eine gute Zeit, indem ich die Band und das Publikum beobachte: die Grimassen, die die Musiker machen, während sie vollkommen entrückt ihre Improvisationen spielen, den Japaner, der bedächtig die Augen beim Zuhören schließt, bis er einnickt und zusammenzuckt, den Mann hinter uns, der enthusiastisch, aber nicht immer rhythmussicher den Takt auf seinem Oberschenkel klopft oder der ältere Herr am Nachbartisch, der immer wieder versonnen an seinem Becherovka nippt.

Im Laufe des Konzerts stelle ich fest, dass ich die meisten Lieder nicht voneinander unterscheiden kann. Würde die Band drei Mal hintereinander das gleiche Stück spielen, fiele mir das sehr wahrscheinlich nicht auf. Das ist für mich wie beim Techno. Da hört sich für mich auch alles gleich an. Wüsste der Betreiber der Bar, dass ich Techno mit Jazz gleichsetze, würde er mir bestimmt Hausverbot erteilen.

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Trotz später Stunde spielen wir nach unserer Rückkehr in unsere Unterkunft noch zwei Runden Kniffel. Die Tochter wirft einen Kniffel mit einem Wurf, was wir Ein-Hand-Kniffel nennen, obwohl es Ein-Wurf-Kniffel heißen müsste. Das hilft ihr, die Führung vor mir mit einem Vorsprung von 60 Punkten zu übernehmen. Der Sohn und meine Frau sind mit rund 400 Punkten Rückstand weit abgeschlagen und werden mit dem Ausgang des Turniers wohl nichts mehr zu tun haben.


Die kompletten Beiträge der Prag-Reise finden sie hier: