Beobachte am Strand das Meer, das sich bei jeder Welle in seinen Ausläufern unserem Liegeplatz bedrohlich annähert. Man müsste mal die Tücher, Taschen und Schuhe weiter nach oben ziehen. Dazu müsste man aber aufstehen und das erfordert einen Energieeinsatz, zu dem ich mich gerade nicht in der Lage fühle. Stattdessen hoffe ich auf einen Adrenalin-Kick, wenn mir das Wasser fast über die Füße schwappt, der mir ermöglicht, in letzter Sekunde aufzuspringen und alles in Sicherheit zu bringen.
Wir sind nun schon seit zwei Stunden am Strand. Gerate allmählich in Zugzwang, tatsächlich ins Wasser zu gehen. Zum einen habe ich mit meiner Badehose ein Statement gesetzt, das insbesondere bei meiner Frau Erwartungen geweckt hat.
Zum anderen sind wir nur noch vier Tage hier. Wenn du in einem zweiwöchigen Strandurlaub kein einziges Mal ins Meer gegangen bist, giltst du schnell als „merkwürdig“. Mein Schwimmstil allerdings auch.
Ich wäre ein wesentlich besserer Schwimmer, müsste man dabei nicht mit dem Kopf unter Wasser. (Ein noch besserer Schwimmer wäre ich, bliebe das Element Wasser gänzlich außen vor.) Das finde ich äußerst unangenehm. Für Augen, Ohren und Nase. Außerdem funktioniert das mit der Atmung unter Wasser bekanntlich nicht.
Ich bin von wenigem so überzeugt wie davon, dass weder Gott noch die Evolution möchten, dass wir mit dem Kopf untertauchen. Sonst hätten wir schließlich Kiemen. (Und Schwimmbrillen, die sich vor die Augen stülpen, sobald du unter Wasser gehst.)
Ich würde sogar behaupten, freiwillig zu schwimmen ist eine Verhöhnung der Evolution. Vor hunderten Millionen Jahren haben doch nicht die ersten Lebewesen das Wasser verlassen und sich in einem sehr mühseligen Trial-and-error-survival-of-the-fittest-Prozess zu Menschen entwickelt, damit ich jetzt zurück ins Meer latsche.
Andererseits habe ich extra die Badehose angezogen, da wäre es irgendwie schade, sie nicht zu nutzen. Entledige mich also als erstes meines T-Shirts und hoffe, die anderen Strandbesucher*innen werden nicht schneeblind. Da ich nie oberkörperfrei am Strand liege (Stichwort Hautkrebs) und durch die viele Lauferei habe ich recht braune Arme und Beine, aber einen sehr weißen Oberkörper. Sehr, sehr weiß. Weißer als das Nachher-Hemd in der Waschmittelwerbung. Sogar weißer als ein Treffen des CDU-Ortsverbandes Zehlendorf.
Trete schließlich den Gang ins Meer an, das sich angenehm erfrischend an den Füßen präsentiert. Im Gegensatz zum Untergrund, der unangenehm steinig ist. Dann kommt plötzlich eine Stufe und ich gerate ins Taumeln, als hätte ich mir heute früh die Frühstücksbiere genehmigt.
Aus der Not eine Tugend machend, stürze ich mich direkt ins Wasser und mache ein paar Schwimmzüge oder so etwas ähnliches. Dann lasse ich mich von den Wellen treiben und tauche kurz mit dem Kopf unter, denn du kannst nicht im Meer gewesen sein und mit trockenen Haaren wieder rauskommen. (Stichwort merkwürdig) Anschließend kehre ich zurück zu unserem Liegeplatz, zufrieden den Punkt „im Meer baden“ von der Urlaubs-To-Do-Liste streichen zu können.
Meine Frau dokumentiert meine Meer-Expedition mit ein paar Fotos in der Familien-WhatsApp-Gruppe und versieht diese mit unangemessenen „es geschehen noch Zeichen und Wunder“-Bemerkungen.
Für abends ist starker Regen angesagt. Der lässt zwar auf sich warten, aber der Strand ist dennoch menschenleer. Das schränkt das Abendessen begleitende Entertainmentprogramm erheblich ein.
Irgendwann erscheint doch noch ein Mann. Er trägt ausschließlich schwarze Shorts und versucht, ein Selfie zu machen. Glaube ich zumindest. Aus der Ferne ist das nicht eindeutig zu erkennen. Vielleicht macht er auch sehr langsames Schattenboxen.
Bilanz des Tages
- 11,04 Kilometer gelaufen
- 14.037 Schritte
- 0 Frühstücksbiere
- 3 Minuten im Meer
- 1-mal mit dem Kopf unter Wasser
- 2 Kniffel (einer für mich, einer für meine Frau, ihrer der Herzen)
Alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs finden Sie hier:
- Vorbereitung (03.09.): Zurück in die Vergangenheit
- Anreise (04.09.): Auf Kaffeefahrt mit der Deutschen Bahn
- Barcelona (1) (05.09.): Immer geradeaus
- Barcelona (2) (06.09.): Saubere Brillen und wütende Kartoffeln
- Ankunft (07.09.): Blick aufs Meer (und ein bisschen Parkplatz)
- Tag 01 (08.09.): Lauf, Christian, lauf
- Tag 02 (09.09.): Do you need a good one or a normal one?
- Tag 03 (10.09.): Dem Meer ist alles egal
- Tag 04 (11.09.): Nationalfeiertagsfeierlichkeiten Fehlanzeige
- Tag 05 (12.09.): Vom Winde gemobbt
- Tag 06 (13.09.): Mein Name ist nicht Bond
- Tag 07 (14.09.): Man spricht kein Deutsch
- Tag 08 (15.09.): Das ganze Leben ist ein Fake. (Zumindest auf der Strandpromenade Richtung Salou)
- Tag 09 (16.09.): Ein Hollywood-Blockbuster für einen Käsekuchen
- Tag 10 (17.09.): Der mittelalte weiße Mann und das Meer
- Tag 11 (18.09.): Kein Regen im Nichts
- Tag 12 (19.09.): Helga, die Schreckliche
- Tag 13 (20.09.): Ein nasser Abschied
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Als Ostseekind bin ich erschüttert aber gleichzeitig zumindest beruhigt, dass das einmalige Baden immerhin mit dem Kopf unter Wasser erfolgt ist, denn in meiner Familie gilt die Regel: Baden ist nur mit Haare nass. (Die fragwürdige Grammatik unterstreicht die Ernsthaftigkeit dieser Regel). Ansonsten wieder sehr gern gelesen!